Boris Grebenschtschikow ist lebende Musiklegende Russlands: Seine Rockband Aquarium gehört zum Soundtrack von Perestroika und Glasnost, ist bis heute Kult und füllt ganze Hallen. Am liebsten aber tritt Grebenschtschikow nach wie vor auf der Straße auf. Alexandra Zhitinskaya traf ihn für Takie Dela in seinem Petersburger Studio, voller Bilder, Ikonen, einem Teetisch und „vorrevolutionärem“ Radio. Hier, in der Puschkinskaja 10, ist seine Kreativität „schon seit 1991 nicht zu stoppen“, wie er sagt.
Alexandra Shitinskaja: Die Frage ist ein bisschen bescheuert, aber ziemlich grundlegend: Warum spielt ihr auf der Straße?
Boris Grebenschtschikow: Die Antwort ist bescheuert und nicht weniger grundlegend: zum Spaß. Musik habe ich immer schon zum Spaß gemacht, von Anfang an.
Sie haben also den Drive, gratis zu spielen, einfach so für sich ...
Nicht für mich. Für die Menschen. Wenn du für die Menschen spielst, macht es dir Spaß. Wir spielen, weil es uns freut und weil es die Leute freut, so wie vor 40 Jahren auch. Früher wurden wir deswegen allerdings manchmal mit zur Polizeistation genommen.
Aber auf der Bühne spielen Sie ja auch für die Menschen.
Bei den Konzerten zahlen die Leute. Das ist eine ernste Sache dort. Aber hier spielen wir, wo die Leute das nicht erwarten. Die Leute rechnen nicht mit dir, und so gibt es auch keine vorgefertigte Reaktion ...
Ich kann mir schwer vorstellen, dass Sie auf der Straße jemand nicht erkennen würde.
Du bist einfach gut erzogen. Glaub mir: Der Großteil der Leute guckt angestrengt und schlägt sich mit der Frage rum: „Hm, kommt mir irgendwie bekannt vor, ist das nicht ... Schewtschuk? Nein, Schewtschuk nicht.“ Als ich aus dem Dom Kino in Moskau kam, sagte einer zu mir: „Ah! Sie sind Juri! Juri Zoi von Maschina Wremeni!“ Der hat das vollkommen ernst gemeint.
Das heißt, Sie gehen raus und spielen, ohne das Gefühl, ein berühmter Musiker zu sein?
Ich gehe einfach raus und spiele, ohne irgendein Gefühl.
Was spielen Sie auf der Straße?
Alles, was mir einfällt. Lieder, Improvisationen ...
Und wer spielt mit?
Das sind alles Musiker aus der Band Aquarium.
Aber in der Gruppe spielen ja ganz unterschiedliche Musiker, auch aus dem Ausland?
Da möchte ich gleich was klarstellen: In dem Wort „Ausland“ schwingt etwas mir sehr Fremdes mit: „Hier sind unsere Leute in unserem Dorf, und draußen, jenseits der Grenzen, das sind wohl eher Feinde.“
Geografisch gesehen – spielen Sie nur in Städten in Russland, oder spielen Sie auf den Straßen der ganzen Welt?
Ganz einfach: Wenn wir Lust haben und gutes Wetter ist, sieht man uns überall. In Paris, in London, in Berlin haben wir schon gespielt ...
Wo finden Sie es am interessantesten?
Ach, es ist überall schön!
Was halten Sie denn selbst von Straßenmusikanten?
Manchmal trifft man auf interessante, dann bleibe ich stehen, höre zu. Bei ungewöhnlichen Instrumenten zum Beispiel, da horch ich auf. Kürzlich habe ich in Tallinn einen Straßenmusikanten gesehen, der Hang spielte. Bei den Erinnerungen, wie der erste Hang-Spieler, Manu Delago, an unserem Album Belaja Lotschtschad (dt. Weißes Pferd) mitgewirkt hat, luden wir diesen jungen Mann ein, bei unserem Konzert mitzuspielen. Der kannte uns zwar nicht, war aber dabei.
Geben Sie Straßenmusikanten oder einfach Leuten, die auf der Straße betteln, Geld? Haben Sie da keine Vorbehalte?
Was für Vorbehalte soll ich denn haben?
Es gibt die Meinung, dass das nicht wirklich arme Leute sind, illegale Geschäfte ...
Turgenjew oder Dostojewski, einer der beiden hat geschrieben: „Gott bittet euch um eine Gabe. Nicht um ein Urteil.“ Was der Mensch mit diesem Geld macht – das ist seine Beziehung zu Gott. Aber das Geben, das ist eure Beziehung zu ihm.
Hatten Sie [wegen der Straßenmusik – dek] nie Konflikte mit Behörden?
Wieso denn?
Na ja, immerhin sind das irgendwie Aktionen, die Behörden kriegen es ja mit der Angst zu tun, wenn sich ein paar Leute mehr auf der Straße versammeln ...
Dann sind sie wohl selber nicht so ganz ... wenn sie sich fürchten.
Wie lange dauern Ihre Auftritte auf der Straße?
Nicht lang. 20 Minuten, eine halbe Stunde maximal. Man darf das Publikum nicht überfordern. Mehr packen die Leute nicht, so auf der Straße.
Das glaube ich nicht. Die müssten Sie doch eher nicht mehr gehen lassen. Und schreien: „Halt, dageblieben, Zugabe!“
Ja, das stimmt.
Und ergeben sich nach den Auftritten manchmal Gespräche?
Die Gespräche bestehen hauptsächlich darin, dass die Leute zu drängeln beginnen und sich um ein Autogramm reißen, für sich oder ihren Schatz, noch dazu ohne Kugelschreiber. Das ist recht unangenehm.
Wo würden Sie wirklich gern spielen in nächster Zeit ?
In New York. Im Central Park. Da kommen viele gute Leute aus aller Welt zusammen, die ich sehr gern mag – Schüler des indischen Gurus und Philosophen Sri Chinmoy. Er war selbst ein hervorragender Musiker, hat alle Instrumente gespielt. Und einmal im Jahr versammeln sich seine Schüler und Freunde. Vielleicht können wir mit dem einen oder anderen von ihnen im Freien zusammen Musik machen.
Text: Alexandra Zhitinskaya
Übersetzung: Ruth Altenhofer
Veröffentlicht am 26.04.2017