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Die Cyberwehrmänner

Angeblich geht es um den Schutz der Jugend: Kurz vor der Sommerpause hat die Staatsduma in den vergangenen Wochen mehrere Gesetzesentwürfe verabschiedet, die eine erhebliche Zensur vor allem Sozialer Netzwerke vorsehen.

So sollen etwa Betreiber sozialer Netzwerke mit mehr als zwei Millionen Nutzern Formulare zur Verfügung stellen, in denen „rechtswidrige Inhalte“ gemeldet werden können. Die betroffenen Seiten müssen dann binnen 24 Stunden gelöscht werden. Welche Inhalte genau gemeint sind, ist im Gesetzesentwurf allerdings sehr allgemein definiert. Nun muss nur noch der Föderationsrat zustimmen und der Präsident unterzeichnen, dann tritt das Gesetz zum 1. Januar 2018 in Kraft.

Kritiker warnen, dass es sich dabei um ähnliche „Gummiparagraphen“ handele, wie etwa beim sogenannten Jarowaja-Gesetzespaket oder beim Paragraphen 282: Die einzelnen Passagen sind so schwammig formuliert, dass sie auf fast jedes Verhalten angewendet werden könnten.

Im russischen Belgorod, unweit der ukrainischen Grenze, sorgt eine Gruppe Freiwilliger nun auch ohne solche Gesetze für Ordnung im Netz. Während sie sagen, sie würden „helfen“, bezeichnen andere sie als „Denunzianten“. Nikita Aronow hat der Gruppe für Ogonjok einen Besuch abgestattet.

Источник Ogonjok

Manche sind IT-Studenten, aber auch ein angehender Sportler ist dabei – Cyberwehr-Aktivisten in Belgorod / Foto © Dimitri Lebedew/Kommersant

„So etwas heißt bei uns fertiges Material“, Alexander Melnikow präsentiert auf dem Bildschirm einen Ordner mit einem Dokument und zwei Bildern. In dem Dokument ist ein Link auf das VKontakte-Profil von Alexander L. aus Belgorod, die Bilder sind Screenshots von aufwieglerischen Beiträgen auf seiner Pinnwand. In dem einen werde Unmut über den Präsidenten geäußert, im anderen Einiges Russland beleidigt. Das „fertige Material“ hat Melnikow heute an die Regionalverwaltung des Innenministeriums für die Oblast Belgorod geschickt.

Alexander Melnikow – korpulent, gründlich, weißes Hemd – ist Vorsitzender des Belgoroder Vereins Stadtjugend und jetzt auch noch wichtigstes Cyberwehr-Mitglied der Stadt. Seine Schützlinge machen quasi das gleiche wie andere offizielle Jugendaktivisten im ganzen Land: Sie veranstalten Flashmobs, Konzerte, Subbotniks, Veteranenhilfe und suchen in Läden nach abgelaufener Ware. Manche gehen sogar zusammen mit der Polizei in der Stadt auf Patrouille. Doch jetzt brauchen die Ordnungshüter auch im virtuellen Raum Hilfe. 

Eine Bürgerwehr für den virtuellen Raum

Der Kampf gegen Unrat im Netz ist keine lustige Tätigkeit. Täglich sehen Alexander und seine Kollegen systematisch, eine nach der anderen, die Timelines der jungen Belgoroder durch. Da es hier 44.000 Jugendliche gibt, die Cyberwehr aber nur aus sechs Leuten besteht, und die Social-Media-Pinnwände noch dazu ständig aktualisiert werden, erinnert die Arbeit stark an Wasserschöpfen mit einem Sieb.

Sein Dienstzimmer im Stadtamt für Jugendpolitik teilt Alexander Melnikow mit dem Leiter des Jugendverbandes der Stadt Belgorod, Sergej Selischtschew. Der gehört ebenfalls der Cyberwehr an, doch in besonderer Funktion – im Internet bekämpft er Extremismus, ohne sich von halbwüchsigen Selbstmördern, Drogenhandel und sonstigem Online-Übel ablenken zu lassen.

Bewerber als Provokateure und potenzielle Spione abgewiesen

Insgesamt hat er sieben Cyberwehrleute, laut Kommandeur sowohl männliche als auch weibliche. Manche sind IT-Studenten, aber auch ein angehender Sportlehrer ist dabei. Fast alle sind Aktivisten, die Sergej schon lange persönlich kennt. „Wir haben hier ein geschlossenes Projekt“, erklärt er. In fünf Monaten Einsatz der Cyberwehr wurde nur eine Person von außen aufgenommen. Alle anderen hat Sergej wachsam als Provokateure und potenzielle Spione abgewiesen.

Mit konspirativer Arbeit im Netz hatte Sergej bereits Erfahrung. 2013 arbeitete er als Koordinator der Mediengarde in Belgorod – ein Projekt der Jungen Garde von Einiges Russland zur Bekämpfung feindlicher Propaganda im Internet. Dort ging es noch konspirativer zu.

„Den Kurator der regionalen Mediengarde kennen nur drei Leute: der Moskauer Kurator, der Leiter der Regionalstelle und sein Stellvertreter“, sagt Sergej ernsthaft.

Er fühlt sich an vorderster Front

„Unser Gebiet ist ein Grenzgebiet. Und in unseren Belgoroder Communitys sind etwa 500 ukrainische Accounts registriert. Die können jederzeit aktiv werden. Wenn sie die Accounts meiner Mitarbeiter und der Leute der Mediengarde kennen, können sie einfach alle unsere Profile gleichzeitig ausradieren, weil bei VKontakte 50 Beschwerden über einen Account genügen, um ihn automatisch für 24 Stunden stillzulegen. Diese 24 Stunden reichen aus, extremistische Aufrufe zu posten, Gleichgesinnte zu suchen und mit ihnen in privaten Telegram-Kanälen zu verschwinden, wo wir sie nicht mehr überwachen können“, beschreibt Sergej den Ablauf einer möglichen Cyberattacke.

Gut gerüstet gegen den Feind

Doch tritt er dem Feind gut gerüstet entgegen. Jeden Tag kontrolliert er alle Belgoroder Postings mit den Hashtags #Revolution und #NiedermitderRegierung. Die letzten drei Tage gab es allerdings oft Fehlalarm – ein Händler bewarb in sozialen Netzwerken Nahrungsergänzungsmittel als eine weitere „Revolution der gesunden Ernährung“.

Auf Sergejs Konto gehen etliche Entlarvungen von Extremisten. Zum Beispiel einer jungen Frau, die sich in einer Kirche an einer Kerze eine Zigarette angezündet und davon ein Foto ins Netz gestellt hatte. Sergej hat geholfen (er sagt wirklich „geholfen“), ein Verfahren wegen Verletzung religiöser Gefühle einzuleiten. Im Mai wurde die Rechtsbrecherin verurteilt, doch angesichts ihres neugeborenen Kindes ließ man Gnade walten und beließ es bei einer Geldstrafe. Aber der Nationalist, der dazu aufrief, aufseiten der Ukraine im Donbass zu kämpfen, sitzt Sergej zufolge schon.

Alle, die zur Verantwortung gezogen werden konnten, waren auf VKontakte aktiv. Dessen Administration, bemerkt der Belgoroder Kommandeur, kooperiert am besten mit Aktivisten und Strafverfolgungsbehörden. Instagram hingegen blockiert, wie er sagt, nur Aufrufe zum Selbstmord.

Facebook reagiert kaum auf Hinweise

Noch geringer ist die Resonanz auf Hinweise auf Facebook: „Dort antworten sie uns normalerweise, ihr Gerichtsstand sei in den USA, und die Gesetzgebung Russlands zu Extremismus und Terrorismus betreffe sie nicht“, ärgert sich der Cyberwehrmann. Und fügt noch hinzu, dass sich auch die Strafverfolgungsbehörden ein wenig mehr anstrengen könnten.

„Ende Februar schickten wir an Roskomnadsor eine Liste mit 1354 Publikationen, die gerichtlich als extremistisch anerkanntes Material enthielten. Ihre Antwort war, dass sie nur 570 Übertretungen feststellen konnten“, grollt Sergej. „Und ihre Kollegen im Extremismuszentrum des Innenministeriums fanden in derselben Liste überhaupt keine einzige Rechtsverletzung!“

Es begann, wie immer, mit dem Schutz von Kindern

Alles begann in der Oblast Belgorod, wie immer, mit dem Schutz von Kindern vor schädlichen Informationen. Diese Initiative startete bereits letzten Sommer ein höhersemestriger Student und Programmierer aus Stary Oskol, der, nebenbei bemerkt, auch Mitglied einer normalen Bürgerwehr war und mit roter Armbinde auf Patrouillen ging. Name und Statuten schaute man sich von der Liga der Internetsicherheit ab – einer Organisation des russisch-orthodoxen Milliardärs Konstantin Malofejew (seine Cyberwehren schnappen schon seit 2011 landesweit Extremisten), und dann ging man „ins Feld“ – machte sich an die Durchforstung des Internets nach „Kinder- und Teenagercontent“.

„Sehen Sie, ich suche Gruppen, wo Boten-Jobs angeboten werden mit Monatsgehältern von 40.000 Rubel [etwa 580 Euro – dek] bei zwei bis drei Stunden Arbeit täglich. Das sind Inserate von Drogendealern, sie suchen auf diese Art minderjährige Kuriere (beim Onlinehandel mit illegalen Dingen ist es üblich, dass der Verkäufer die Waren hinterlegt, das heißt er versteckt die Ware an einem bestimmten Ort und schickt dem Käufer Fotos, anhand derer dieser den Ort findet. – Ogonjok). Finden wir das Profil eines solchen Inserenten, dann reichen wir auf der Website von Roskomnadsor Beschwerde ein“, erklärt Cyberwehrmann Sergej Misyntschuk die Vorgangsweise.

Schon als Schüler sorgte Sergej für Ordnung im Netz

Sergej Misyntschuk hat soeben das erste Studienjahr an der Fakultät für Automatisierung und Informationstechnologien des hiesigen Ablegers der Nationalen Technologie- und Forschungsuniversität MISiS abgeschlossen. Er träumt davon, an eine profilierte Fakultät zu wechseln und später in den Reihen der Staatsorgane gegen Cyberkriminalität zu kämpfen. Denn im Netz für Ordnung gesorgt hat Sergej schon als Schüler.

„Einmal stieß ich auf eine Gruppe Wie man krank wird und nicht in die Schule muss. Dort waren 1200 Kinder, die sich absichtlich Extremitäten brachen und sich anderen Schaden zufügten, um dem Unterricht zu entkommen. Ich fand das Profil eines Mädchens, das ein Foto postete, wie sie sich das Bein bricht. Ich suchte ihre Angehörigen und schrieb ihnen“, erinnert sich Sergej an seine erste Erfahrung.

Als so genannte Todesgruppen auftauchten und sie auf VKontakte noch nicht automatisch blockiert wurden, suchten die Belgoroder Bürgerwehren Kinder, die sich auf das suizidale Spiel eingelassen hatten, und kontaktierten sie und ihre Angehörigen.

Der dritte Themenbereich nach Drogen und Selbstmord ist kindliche Nacktheit. Moderne Teenager stellen nicht selten Fotos von sich online, auf denen sie nur Unterwäsche tragen – oder nicht mal die. Und dann werden sie zum Ziel von Mobbing oder Erpressung. Die lokale Community, in der solche Fotos regelmäßig landen, haben die Aktivisten bereits mehrmals geschlossen.

Blockierst du eine Gruppe, entstehen zwei neue

„Die steht immer wieder auf wie eine Hydra! Blockierst du eine Gruppe, entstehen zwei neue. In der aktuellen Version gibt es eine Warnung: Zugang für Kinder, schwangere Frauen und Cyberwehren verboten“, erzählt Sergej.

Kürzlich eingebrachte Initiativen von Abgeordneten, die Internetzugang nur mit Pass und ein Verbot sozialer Netzwerke für Minderjährige fordern, finden die Wehrleute von Oskol gar nicht gut. Das Internet gehört nach Ansicht der Aktivisten nicht gesperrt, sondern aufgeräumt.

Das Kommando von Oskol war ab letzten Sommer als Experiment im Einsatz. Dann beschloss man, den Versuch auf die ganze Oblast auszuweiten.

Die aktivsten und effektivsten Mitglieder werden belohnt

Am 22. Mai unterschrieb der Gouverneur der Oblast Belgorod die erste Verordnung des Landes zur Zusammenarbeit mit Cyberwehren. Den Bezirksverwaltungen und Bildungseinrichtungen wird nun empfohlen, Cyberwehren zu gründen und auszubauen und Aktivisten zu fördern.

„Anhand der Jahresbilanz werden wir die aktivsten und effektivsten Mitglieder belohnen“, sagt der Verwaltungschef für Jugendpolitik in der Oblast Belgorod, Maxim Tschesnokow. „Wahrscheinlich mit Tablets oder Smartphones – was brauchen Cyberwehrleute heutzutage sonst?“

Im ersten Stock des staatlich finanzierten Zentrums für Jugendinitiativen befindet sich das Informationszentrum der Cyberwehren. Hier sitzen Lew, Inna und Nastja an ihren Laptops. Lew kommt gerade vom Wehrdienst zurück, Inna aus dem Mutterschutz, und Nastja hat vor kurzem noch diverse Veranstaltungen für Jugendliche kuratiert. Alle drei sind erst zwei Wochen in der neuen Unterabteilung tätig, doch Fotos zu machen oder ihre Nachnamen zu nennen verweigern sie bereits kategorisch.

Unsere Leute wurden auch schon als Pawlik Morosow und Denunzianten bezeichnet

„Wissen Sie, es gibt verschiedene Meinungen zu dem Projekt, unsere Leute wurden auch schon als Pawlik Morosow und Denunzianten bezeichnet“, erklärt Pawel Maximow, der alle Bürgerwehren betreut und Maxim Tschesnokow vertritt.

Alle sind bei der Sache. Nastja, ein Mädchen mit grellrotem Nagellack und dicht tätowierten Händen, hat auf dem Monitor ein Memo kleben „Bezirke durchsehen nicht vergessen“. Und Nastja vergisst es nicht. Im Moment nimmt sie die Bewohner der Kreisstadt Weidelewka unter die Lupe. Das ist eine Siedlung städtischen Typs mit 6412 Einwohnern. Nastja stellt auf VKontakte ein: Wohnort – Weidelewka, Alter – bis 18 Jahre. Und blättert systematisch alle verdächtigen Profile durch.

„Dieses Mädchen da hat die Hand vor den Augen. Vielleicht hat das nichts zu bedeuten, solche Fotos sind jetzt modern. Aber für alle Fälle prüfen wir das“, kommentiert Nastja. Die Zeit vergeht. Um ein Uhr stehen die Mädchen auf und gehen: „Entschuldigen Sie, wir haben Mittagspause.“ Aber das macht nichts, nach dem Essen kommen sie wieder und machen weiter. Und jeden Tag wird Nastja die Pinnwände von Schülern und Schülerinnen der Oblast Belgorod durchlesen. Acht Stunden am Tag, dazwischen Mittagspause. Fünf Tage die Woche. Das ist jetzt Nastjas Job ...

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Lenta.ru ist ein Online-Nachrichtenportal, das Newsticker, Themen-Artikel und Meinungsbeiträge kombiniert. Mit über acht Millionen Besuchern monatlich ist die Ressource eine der populärsten ihrer Art im russischen Internet. Im März 2014 sorgte die Entlassung der Chefredakteurin für Diskussionen über die Ukraine-Berichterstattung und politische Zensur im Internet.

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Regierungsfinanzierte Jugendorganisationen

Regierungsfinanzierte Jugendorganisationen (RFJ) werden in Russland seit 2000 oft als Reaktion auf ein isoliertes politisches Ereignis gegründet oder um (oppositionelle) öffentliche Personen zu diskreditieren. Die sichtbarste und bekannteste dieser Jugendorganisationen ist die im Jahr 2005 gegründete Demokratische Antifaschistische Bewegung Naschi. Sie wurde 2008 in mehrere Unterorganisationen aufgespalten und 2013 faktisch aufgelöst.

Die regierungsfinanzierte Jugendorganisation Naschi (die Unsrigen) wurde 2005 als Reaktion auf die Orange Revolution in der Ukraine gegründet.1 Dort hatte 2004 ein durch Proteste von unten herbeigeführter Regierungswechsel gegen den Willen der russischen Führung stattgefunden. Ein ähnliches Szenario sollte in Russland mithilfe jugendpolitischer Alternativangebote, die wie Naschi im Sinne der russischen Regierung agieren, verhindert werden. Diese Strategie wird unter anderem dem Polittechnologen Wladislaw Surkow zugeschrieben. Vorsitzender der Bewegung wurde Wassili Jakemenko, der schon der im Jahr 2000 gegründeten Vorgängerorganisation Iduschtschije Wmeste (die zusammen Gehenden) vorsaß. Die Bezeichnung Naschi kann im Russischen als eine Grenzziehung interpretiert werden: Zwischen den „zu uns Gehörenden“ und den „nicht zu uns Gehörenden“. Anders als es der für Naschi oft verwendete Beiname „Putin-Jugend“ suggeriert, existieren seit 2005 auf föderaler und regionaler Ebene mehrere Organisationen, die mit öffentlichen Mitteln finanziert werden.

Im 2007 entbrannten russisch-estnischen Konflikt um das Gedenken an den Zweiten Weltkrieg stachen Naschi durch ihre Proteste vor der estnischen Botschaft in Moskau  hervor. Dieser Konflikt wirkte sich negativ auf die diplomatischen Beziehungen zwischen Russland und der Europäischen Union aus. Möglicherweise als Folge dieses Skandals wurde Naschi  2008 in mehrere „Projekte“ aufgeteilt – von selbstjustiziarisch agierenden Gruppen wie Chrjuschi Protiw (Schweinchen dagegen) und Stop Сham (Stop Rowdys)2, zu patriotisch-militaristischen wie Stal' (Stahl), oder Volontärorganisationen wie Wse Doma (Alle sind zu Hause) und Begi sa mnoj (Lauf mit mir), die sich für niedrigere Mieten respektive einen gesünderen Lebensstil einsetzen. 2013 wurde Naschi als Dachorganisation dieser Projekte offiziell aufgelöst.3 Innerhalb Russlands ist das Phänomen Naschi, wenn es überhaupt wahrgenommen wird, sehr umstritten. Auch Personen, die der Regierung grundsätzlich positiv gegenüberstehen, bezeichnen die Mitglieder der Organisation oft verächtlich als „Naschisty“.

Neben Naschi wurden 2005 außerdem die Gruppen Rossija Molodaja (Junges Russland), die ökologische Bewegung Mestnye (die Hiesigen) und die Junge Garde, der Jugendflügel der Regierungspartei, gegründet. Das Verhältnis zwischen diesen Organisationen ist geprägt von Kooperation, aber auch von Konkurrenz um öffentliche Mittel und Einfluss. Naschi selbst spielt mittlerweile wohl auch informell eine untergeordnete Rolle: Die föderale Jugendagentur Rosmolodjosh, der seit 2008 ehemalige Naschi-Mitglieder vorstanden, leitet seit 2014 Sergej Pospelow, der zuvor stellvertretender Vorsitzender der Jungen Garde war.   

Es besteht eine personelle Kontinuität zwischen den regierungsfinanzierten Jugendorganisationen und Regierungsinstitutionen: Eine Vielzahl ehemaliger RFJ-Aktivisten sind heute Angestellte der dem russischen Bildungsministerium unterstehenden Rosmolodjosh. Diese Jugendagentur, die in ihrer rechtlichen Form einem deutschen Bundesamt entspricht, ist auch zuständig für die internationale Zusammenarbeit in Jugendfragen. Dies bedeutet, dass die jugendpolitischen Institutionen der Bundesrepublik auf zwischenstaatlicher Ebene mit einer Nachfolgeinstitution von Naschi kooperieren.

Es gibt für Jugendliche und junge Erwachsene viele Gründe, sich in RFJs zu engagieren. RFJs bieten die Möglichkeit besonderen Engagements und damit sozialen Aufstiegs. Auch die von Rosmolodjosh organisierten föderalen und regionalen Jugendforen ermöglichen jungen Erwachsenen, sich für Führungsaufgaben zu qualifizieren und von potentiellen Arbeitgebern entdeckt zu werden. Die patriotische Ausrichtung bildet den Rahmen erwünschten gesellschaftlichen Engagements: die Bejahung des russischen Staats und der Regierungspolitik. Mit den Jugendforen versucht der Staat, das Potenzial talentierter junger Erwachsener für die technische und ökonomische Modernisierung des Landes zu nutzen.


1.Hemment, Julie (2012): „Nashi, Youth Voluntarism, and Potemkin NGOs: Making Sense of Civil Society in Post-Soviet Russia“, in: Slavic Review 71 (2), S. 234–60; Mijnssen, Ivo (2012): The Quest for an ideal youth in Putin’s Russia:  Back to Our Future! History, Modernity and Patriotism according to Nashi, Band 1, Stuttgart
2.Yandex.ru: StopCham
3.Izvestija: Dviženie ‘Naši’ Stanet Vserossiyskim Soobščestvom Molodeži
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Wassili Jakemenko, Gründer der kremltreuen Jugendbewegung Naschi, ist Günstling und Spielball der Polit-Technologen im Kreml zugleich. Sein Erfolg mit Naschi und seine Karriere in der Regierung beruhten im Wesentlichen auf der Rückendeckung des Putin-Beraters Surkow. Jakemenkos Fall 2012 ist aber auch das Ergebnis persönlicher Fehltritte. Allerdings scheint der Kreml ihn in jüngster Zeit für seine Zwecke wiederentdeckt zu haben.  

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Wladislaw Surkow war stellvertretender Leiter der Präsidialadministration, stellvertretender Regierungschef Russlands und persönlicher Berater des Präsidenten. Für viele Beobachter galt er als „Putins Rasputin“, „Graue Eminenz im Kreml“ oder „Chefideologe des Landes“. Von 1999 bis mindestens 2013 war Surkow maßgeblich an den Public-Relations-Strategien des Kreml und der Organisation von Putins Wahlkampagnen beteiligt. Darüber hinaus fungierte er für Lobbygruppen als wichtiger Ansprechpartner in der Regierung.

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