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„Wir wollen jedes Kind erreichen“

Wladimir Putin setzt auf die junge Generation. Seine Strategen haben bereits Mitte der 2000er Jahre die Jugendbewegung Naschi (dt. Die Unsrigen) ins Leben gerufen. Als deren Funktionäre älter wurden, wurden sie ersetzt durch Iduschtschije Wmeste (dt. Wir gehen gemeinsam). Es folgte Set, „Das Netz“ für die Generation Social Media und natürlich die militaristisch-patriotische Junarmija, die unter der Aufsicht des Verteidigungsministeriums Wehrsport betreibt.

Das neueste Projekt heißt Bewegung der Ersten, was nicht von Ungefähr an die Pioniere erinnert. Das Portal Verstka hat recherchiert, mit welchen Versprechen Schülerinnen und Schüler zu den Aktionen der Ersten gelockt werden und was sich der Staat die Formung der jungen Generation im Geiste von Patriotismus und Putinismus kosten lässt. 

Источник Verstka

Bald soll eine neue Jugendorganisation an allen Schulen in Russland ihre Tätigkeit aufnehmen. Was steckt hinter der Bewegung der Ersten, und wie ist sie aufgebaut?

Seit zwei Jahren existiert in Russland eine landesweite Organisation für Kinder und Jugendliche – die Bewegung der Ersten (Dwishenije perwych). Aktuell gibt es 30.000 Standorte im ganzen Land und in den besetzten Gebieten der Ukraine. Bis Anfang Herbst waren mehr als eine Million Menschen der Organisation beigetreten, und im laufenden Jahr ist geplant, zusätzlich sieben Millionen Schüler und Studenten als Mitglieder zu gewinnen. Die Organisation hat sich zum Ziel gesetzt, „jedes Kind zu erreichen“, deshalb sollen Ableger an allen Schulen, in den meisten Universitäten, Colleges, weiterführenden Bildungseinrichtungen und sogar in Unternehmen entstehen. Verstka hat recherchiert, wie die Bewegung Kindern die Staatsideologie einpflanzt und allmählich allgegenwärtig wird.

„Das sind Pioniere, oder?“

„Wir haben diese Organisation ins Leben gerufen, um Russland eine große Zukunft zu sichern. Um allen Generationen ein würdiges und glückliches Leben zu ermöglichen. Um die Welt zum Besseren zu verändern. Wir sehen uns als Pioniere unseres Vaterlandes.“ Neun Schüler einer Schule in Lipezk tragen auf der Bühne der mit Luftballons in den Farben der Trikolore geschmückten Aula das „feierliche Gelöbnis“ der Aktivisten der Bewegung der Ersten vor. „Unsere Mission ist es, für Russland zu sein, Menschen zu sein, zusammen zu sein, in Bewegung zu sein, die Ersten zu sein.“

Der offiziellen Legende nach geht die Gründung einer russischen Kinder- und Jugendbewegung (RDDM), der Bewegung der Ersten auf Diana Krassowskaja zurück – eine Schülerin aus Sewastopol, die 2014 von Luhansk auf die Krim gezogen ist. Wladimir Putin „unterstützte“ die Idee. Im Juli 2022 unterschrieb der russische Präsident einen entsprechenden Erlass und übernahm persönlich den Vorsitz im Aufsichtsrat der Bewegung. Laut dem Erlass können sich der Bewegung Mitglieder zwischen 6 und 18 Jahren anschließen sowie Erwachsene (einschließlich volljährige Studenten), die als Mentoren fungieren und Veranstaltungen organisieren können.

Der Name Bewegung der Ersten wurde auf der ersten Vollversammlung der Organisation im Dezember 2022 gewählt – allerdings erst im dritten Anlauf. Die anderen Vorschläge waren: Pioniere, Gagarin-Bewegung, Neue Generation und Großer Wandel. Nachdem die Wahl gefallen war, soll Putin gefragt haben: „Die Ersten – was soll das heißen? Das sind Pioniere, oder?“ Woraufhin die Vize-Premierministerin Tatjana Golikowa sagte: „Ja. Früher hießen die so.“ Und obwohl der Präsident vorschlug, den Namen noch einmal zu „überdenken“, blieb es dabei.

Vorstandsvorsitzender der russischen Kinder- und Jugendbewegung (RDDM) wurde Grigori Gurow, der seit 2017 in der föderalen Agentur für Jugendangelegenheiten gearbeitet hatte und seit 2021 stellvertretender Minister für Wissenschaft und Hochschulbildung war.

Der neuen Bewegung wurden die Russische Schülerbewegung (Rossiiskoje dwishenije Schkolnikow RDSch) und andere große Kinderverbände angegliedert. Dazu gehören die Junarmija (dt. Junge Armee), der Wettbewerb Großer Wandel, die Nowosibirsker Union der Pioniere und die Pioniere von Baschkortostan, die alle zu Mitbegründern der RDDM wurden.

Die Bewegung der Ersten entstand also nicht aus dem Nichts. Die Russische Schülerbewegung gab es in Russland bereits seit 2015. Sie wurde auf eine Initiative von Wladimir Putin hin gegründet und widmete sich der „Erziehung und Lebensgestaltung“ von Schülern auf Basis des „Wertesystems der russischen Gesellschaft“. Finanziert wurde die Bewegung von der Föderalen Agentur für Jugendangelegenheiten Rosmolodjosh. Mit der Gründung der Bewegung der Ersten wurde das alte Format aufgelöst.

Die militaristisch-patriotische Bewegung Junarmija untersteht formell nun auch der neuen Organisation. Um in die Bewegung der Ersten einzutreten, müssen sich die Mitglieder jedoch gesondert registrieren. In vielen Regionen sind die Standorte der Junarmija weiterhin autonom, auch wenn sie anlässlich militaristisch-patriotischer Veranstaltungen mit der neuen Bewegung zusammenarbeiten.

Sie pflanzen Bäume und sehen eine Videobotschaft von Putin

Lisa ist 15. Seit der zweiten Klasse ist sie Mitglied einer Jugendbewegung im Gebiet Krasnojarsk. Sie führt biologische Untersuchungen durch und tritt bei Konferenzen auf. 2022 erzählte ihr der wissenschaftliche Leiter von dem Forum Ökosystem, das auf der Halbinsel Kamtschatka stattfand. Dort konnten Mitglieder der Bewegung der Ersten teilnehmen, die das Auswahlverfahren erfolgreich durchlaufen hatten. Die Schülerin bewarb sich und wurde eingeladen. Im Auswahlgespräch gab sie an, dass sie sich seit ihrer Kindheit für Biologie und Ökologie interessiert.

Bei der Eröffnung wurde eine Ansprache von Wladimir Putin übertragen, als Redner waren der [Erste stellvertretende – dek] Leiter der Präsidialverwaltung Sergej Kirijenko und andere Staatsbeamte eingeladen. Die Vorträge handelten jedoch nicht nur von Ökologie. „Die Redner kamen, um mit uns über die Welt zu sprechen, über das, was jetzt im Land passiert. Sie drückten ihre Unterstützung für unsere Bewegung aus und motivierten uns, weiterzumachen“, erinnert sich Lisa im Gespräch mit Verstka. „Sie sagten, dass jetzt nicht die günstigste Zeit für das Land sei, und dass man auf der Hut sein müsse und aufpassen, was man sagt: Man weiß ja nie, wer vor einem steht. Sie sagten auch, dass im Internet alle möglichen Leute unterwegs wären und man nicht auf jeden hören sollte, weil viele Falschinformationen verbreitet würden.“

Die am weitesten verbreitete Form der Arbeit der Bewegung der Ersten sind Aktionen, die anlässlich staatlicher Feiertage durchgeführt werden. Hier: Hissen der russischen Flagge am Tag des Wissens in Moskau, im September 2023 / Foto © Konstantin Kokoshkin/IMAGO, Russian Look

Inhaltlich umfasst die Bewegung der Ersten insgesamt zwölf Bereiche: Bildung und Wissen; Wissenschaft und Technik; Arbeit, Beruf und Wirtschaft; gesunde Lebensführung; Kultur und Kunst; Freiwilligenarbeit und ehrenamtliches Engagement; Sport; Medien und Kommunikation; Diplomatie und internationale Beziehungen; Tourismus und Reisen; Ökologie und Umweltschutz; Patriotismus und historisches Gedächtnis. Zu jedem Bereich initiieren die Aktivisten landesweite, regionale und schulische Projekte, Festivals, Konzerte, Wettbewerbe und Contests – im Programm der Bewegung füllen die möglichen Formate zwei ganze Seiten.

Auch wenn nicht alle Bereiche in direktem Zusammenhang mit Patriotismus und Wehrerziehung stehen, definiert das Programm der Bewegung als Ziele ihrer Bildungsarbeit „Formulierung und Verteidigung der Interessen des Vaterlandes, Selbstverwirklichung und zivile Bildung von Kindern und Jugendlichen im Kontext der russischen Identität“. So lief beispielsweise den ganzen Sommer über die Kampagne Ein Buch für einen Freund: Schüler sammelten ihre Lieblingskinderbücher und schickten sie zu Beginn des Schuljahres an Schulen in den [okkupierten] Regionen Cherson und Saporishshja und in die sogenannten Volksrepubliken DNR und LNR.

„Das Ziel der Bewegung der Ersten ist Patriotismus“, erklärt ein Gesprächspartner von Verstka freiheraus, der als Erziehungsberater für 17 Schulen im Föderationskreis Nordwest verantwortlich ist. „Indem man die Wissenschaft voranbringt, verbessert man den Status seines Landes. Alles ist miteinander verknüpft. Es gibt keine Erziehung ohne Bildung und keine Bildung ohne Erziehung.“

Die Bewegung der Ersten verfolgt jedoch auch offen militaristische Projekte. Zum Beispiel die militärischen Ausbildungscamps Der Verteidiger als Mentor, in denen junge Teilnehmer der Militärischen Spezialoperation Kinder unterrichten. Oder Sarniza 2.0 – eine moderne Version des seit Sowjetzeiten bekannten militärisch-patriotischen Rollenspiels. Nach Angabe von Grigori Gurow lernen die Teilnehmer, wie man Drohnen steuert, mit Funkgeräten umgeht und Fakes entlarvt.

Die am weitesten verbreitete und einfachste Form der Arbeit der Bewegung der Ersten sind jedoch Aktionen, die anlässlich staatlicher Feiertage durchgeführt werden. Am Tag des Vaterlandsverteidigers wurden Schulkinder beispielsweise aufgefordert, Briefe an russische Armeeangehörige zu schreiben, und am Tag der russischen Flagge sollten sie die Trikolore zeichnen. Bei einer anderen Aktion mit dem Namen Wir sind Bürger Russlands erhalten Jugendliche, die ihr 14. Lebensjahr vollendet haben, ihre Pässe an einem besonderen Datum (zum Beispiel am Tag Russlands am 12. Juni oder zum Tag des Wissens am 1. September) und in einer feierlichen Atmosphäre: mit gehisster Flagge und zur russischen Hymne.

Daniil Ken, der Vorsitzende der Lehrergewerkschaft Aljans utschitelei, ist der Meinung, dass auch der Sinn scheinbar neutraler Aktionen und Projekte letztlich auf Ideologiearbeit mit den Schülern hinausläuft. „Manche durchschauen das vielleicht nicht“, sagt er zu Verstka, „manche lassen sich vielleicht davon täuschen, dass ziemlich viele der Aktivitäten quasi unpolitisch sind. Sie spielen ja auch Volleyball, gehen ins Museum, pflanzen Bäume. Aber wie funktioniert das: Zuerst gibt es ein Event zu einem ganz neutralen Thema, und dann streuen sie eine Videobotschaft von Putin mit Glückwünschen zum Jubiläum ein. Alles, was mit dem Staat oder der Geschichte zu tun hat, zielt auf Loyalität“.

Die Illusion eines sozialen Aufstiegs

Wassilissa aus der Oblast Orenburg geht in die zehnte Klasse. Bei der Bewegung der Ersten ist sie seit einem halben Jahr. Es sei ihr sehr wichtig gewesen, Mitglieder aus anderen Regionen kennenzulernen, erzählt sie Verstka. Wassilissa hat im Wettbewerb Universitärer Nachwuchs (Universitetskije smeny) gewonnen und bekam eine Reise nach Moskau bezahlt, wo sie nicht nur andere Schüler und Schülerinnen, sondern auch Prominente traf.      

Wassilissa möchte Journalistin werden und bat die Organisatoren des Projekts, am Moskauer Kulturinstitut Marketing-Team für Social Media mithelfen zu dürfen. „Ich habe bei den meisten der Veranstaltungen die Beleuchtung gemacht“, erzählt sie stolz. „Jetzt bin ich im Block für Öffentlichkeitsarbeit und würde gern in den sozialen Medien mithelfen, wenn ich darf. Ich habe große Pläne, möchte mehr über die Entstehung der Bewegung erfahren und meine Kenntnisse vertiefen.“

Um der Bewegung der Ersten beizutreten genügt es, sich auf deren Website zu registrieren, als Teilnehmer oder als Mentor (diese Option steht Erwachsenen offen – Pädagogen, Eltern, volljährigen Studierenden), dort einen Fragebogen auszufüllen und einen Aufnahmeantrag hochzuladen. Laut Tatjana Kossatschjowa, der Vorsitzenden der Zweigstelle Rjasan, wird in der Regel jedes Kind aufgenommen.

Ihr zufolge liegt die Motivation der Kinder darin, Neues zu lernen, sich weiterzubilden, kostenlos in andere Regionen zu reisen und dort die allrussischen Kinderzentren zu besuchen. Wer an Freiwilligenprojekten teilnimmt, bekommt ein Freiwilligenbuch, anhand dessen ihm an manchen Hochschulen Zusatzpunkte angerechnet werden (gleichwertig mit einem goldenen GTO-Abzeichen und einer guten Note für die Abschlussarbeit). Außerdem können die Sieger des Wettbewerbs Großer Wandel (Bolschaja peremena) auf Staatskosten an russischen Hochschulen studieren und bei der Aufnahmeprüfung Zusatzpunkte erhalten. Umgekehrt können Studierende, die Mitglieder der Bewegung sind, zusätzliche Bildungsangebote nutzen und dafür Bildungsnachweise nach staatlichem Muster erhalten. 

Daniil Ken, der Vorsitzende der Lehrergewerkschaft  Aljans utschitelei merkt an, dass die Bewegung der Ersten „die Illusion eines sozialen Aufstiegs für die Jugend“ erzeuge. Wer sich ausprobieren möchte, bekomme hier die Gelegenheit. Die Kinder könnten an Medienprojekten teilnehmen, dem Schulkomitee beitreten und den Leiter der Bezirksverwaltung treffen. Eine Funktion in der Bewegung bekämen aber nur einige Wenige anvertraut, sagt der Experte. 

„Welche Perspektiven haben Oberschüler in einer Kleinstadt? Sie wissen, wie niedrig die Gehälter sind, sie kennen den Zustand der Betriebe. Ihre Aussichten sind nicht allzu rosig. Und da kommt der Staat auf sie zu und sagt: ‚Alles gut, das wird schon. Ihr werdet Karriere machen, Anerkennung bekommen und Status. Mit uns gemeinsam wachsen. Wir sind stark, stell dich unter unsere Fahne, dann wird alles gut.‘ Auf diese Weise versuchen sie, mögliche Proteststimmungen bei Oberschülern oder Studierenden einzudämmen“, sagt Ken.   

Wie viel lässt sich der Staat die Bewegung der Ersten kosten?

Die Bewegung hat eine föderale, eine regionale, eine lokale und eine Ebene in den Schulen und Hochschulen. Auf föderaler und regionaler Ebene gibt es Koordinationsräte. Auf föderaler Ebene hat Kirijenko den Vorsitz, auf regionaler jeweils das Oberhaupt der Region. Des Weiteren sitzen Vertreter regionaler Behörden aus den Bereichen Kultur, Sport, Wirtschaft, Medien, Bildung und Jugendpolitik in den Koordinationsräten. 

Die allrussischen Projekte der Bewegung der Ersten sowie die Gehälter der Mitarbeiter des zentralen Apparats werden aus dem staatlichen Budget sowie mit Zuschüssen aus unterschiedlichen Haushaltsebenen finanziert. Grigori Gurow zufolge kostet die Bewegung vier Milliarden Rubel jährlich [etwa 41 Millionen Euro – dek]. Zudem werden den regionalen Zweigstellen im Wettbewerbsverfahren Subventionen zugesprochen, laut Gurow in Höhe von rund zehn Milliarden Rubel jährlich [mehr als 100 Millionen Euro – dek]. 6000 Menschen sind insgesamt in der Organisation beschäftigt, sagt er. 

Schüler werben Schüler 

Darja aus Omsk ist 15 Jahre alt. Vor drei Jahren ist sie der Bewegung der Schüler Russlands beigetreten und hat bereits am ersten Kongress der Bewegung der Ersten 2022 teilgenommen. Danach überzeugte sie sechs weitere Kinder aus ihrer Schule, Aktivisten der Bewegung zu werden. Sie baten ihre Schulleitung, an ihrer Schule eine Primärzelle zu registrieren, gründeten einen Sowjet perwych (dt. Rat der Ersten) und treffen sich seitdem alle paar Monate, um zukünftige Projekte zu planen. Derzeit entsteht an Darjas Schule zum Beispiel ein Naturfreunde-Verband. 

In vielen Regionen wurden an den meisten Schulen und Colleges Vertretungen eröffnet. Jeder Pädagoge kann eine solche Zelle leiten. Meistens übernehmen diese Rolle jedoch die pädagogischen Berater, erfährt Verstka von einem Kurator des Föderationskreises Nordwestrussland. Das ist ein neues schulisches Amt, das 2023 russlandweit in allen Bildungsstätten eingerichtet wurde. Pädagogischer Berater kann werden, wer an der Ausschreibung Navigator der Kindheit (Nawigator detstwa) teilnimmt, von denen es bereits drei gab, und die jedes Jahr im Frühling neu ausgeschrieben wird. In der Stellenbeschreibung steht, dass man in dieser Funktion für das Zusammenspiel zwischen Schulen und gesellschaftlichen Organisationen zuständig ist. 

Nicht nur an Schulen, auch an Hochschulen plant die Bewegung über hundert neue Zellen. Primärzellen entstehen an Colleges, technischen Lehranstalten und Weiterbildungsinstituten: an Sportschulen, in Kulturpalästen, Jugendzentren – und sogar in Unternehmen. Mitarbeiter all dieser Organisationen, aber auch Eltern von Studierenden melden sich als Mentoren. So führen etwa Kadetten der Militärakademien militärisch-patriotische Projekte an und Studierende der Medizin leiten ein Erste-Hilfe-Projekt. „Die Primärzellen bewegen sich über den Rahmen der Schulen hinaus, um jedes Kind zu erreichen“, sagt Tatjana Kossatschjowa, Vorsitzende der Zweigstelle Rjasan.  

Grigori Gurow betonte mehrmals, dass die Teilnahme an der Bewegung der Ersten nicht erzwungen werden darf. Gemäß Artikel 34 des föderalen Bildungsgesetzes muss die Teilnahme an jeglichen gesellschaftlichen Vereinigungen im Rahmen der Tätigkeit von Bildungseinrichtungen freiwillig erfolgen. Formal entspricht die Tätigkeit der Bewegung an Schulen einem außerschulischen Angebot und ist nicht Teil des Lehrplans. 
Daniil Ken berichtet Verstka allerdings, dass bei der Lehrergewerkschaft  bereits Beschwerden von Eltern eingetroffen seien, deren Kinder zu Veranstaltungen der Bewegung mitgenommen wurden, obwohl sie keine Mitglieder sind. „Manchmal macht die ganze Klasse oder Schulstufe irgendeine Aktivität, die unter der Schirmherrschaft der Bewegung und mit ihrer Symbolik stattfindet“, erzählt Ken. „Die Ressource Kind ist super-verfügbar. Man braucht nur ins Sekretariat zu gehen und zu sagen: ‚Morgen legen alle neunten Klassen am Grab des unbekannten Soldaten Blumen nieder oder kommen zum Schaman-Konzert in die Aula‘ – dann stehen alle bereit.“

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Regierungsfinanzierte Jugendorganisationen

Regierungsfinanzierte Jugendorganisationen (RFJ) werden in Russland seit 2000 oft als Reaktion auf ein isoliertes politisches Ereignis gegründet oder um (oppositionelle) öffentliche Personen zu diskreditieren. Die sichtbarste und bekannteste dieser Jugendorganisationen ist die im Jahr 2005 gegründete Demokratische Antifaschistische Bewegung Naschi. Sie wurde 2008 in mehrere Unterorganisationen aufgespalten und 2013 faktisch aufgelöst.

Die regierungsfinanzierte Jugendorganisation Naschi (die Unsrigen) wurde 2005 als Reaktion auf die Orange Revolution in der Ukraine gegründet.1 Dort hatte 2004 ein durch Proteste von unten herbeigeführter Regierungswechsel gegen den Willen der russischen Führung stattgefunden. Ein ähnliches Szenario sollte in Russland mithilfe jugendpolitischer Alternativangebote, die wie Naschi im Sinne der russischen Regierung agieren, verhindert werden. Diese Strategie wird unter anderem dem Polittechnologen Wladislaw Surkow zugeschrieben. Vorsitzender der Bewegung wurde Wassili Jakemenko, der schon der im Jahr 2000 gegründeten Vorgängerorganisation Iduschtschije Wmeste (die zusammen Gehenden) vorsaß. Die Bezeichnung Naschi kann im Russischen als eine Grenzziehung interpretiert werden: Zwischen den „zu uns Gehörenden“ und den „nicht zu uns Gehörenden“. Anders als es der für Naschi oft verwendete Beiname „Putin-Jugend“ suggeriert, existieren seit 2005 auf föderaler und regionaler Ebene mehrere Organisationen, die mit öffentlichen Mitteln finanziert werden.

Im 2007 entbrannten russisch-estnischen Konflikt um das Gedenken an den Zweiten Weltkrieg stachen Naschi durch ihre Proteste vor der estnischen Botschaft in Moskau  hervor. Dieser Konflikt wirkte sich negativ auf die diplomatischen Beziehungen zwischen Russland und der Europäischen Union aus. Möglicherweise als Folge dieses Skandals wurde Naschi  2008 in mehrere „Projekte“ aufgeteilt – von selbstjustiziarisch agierenden Gruppen wie Chrjuschi Protiw (Schweinchen dagegen) und Stop Сham (Stop Rowdys)2, zu patriotisch-militaristischen wie Stal' (Stahl), oder Volontärorganisationen wie Wse Doma (Alle sind zu Hause) und Begi sa mnoj (Lauf mit mir), die sich für niedrigere Mieten respektive einen gesünderen Lebensstil einsetzen. 2013 wurde Naschi als Dachorganisation dieser Projekte offiziell aufgelöst.3 Innerhalb Russlands ist das Phänomen Naschi, wenn es überhaupt wahrgenommen wird, sehr umstritten. Auch Personen, die der Regierung grundsätzlich positiv gegenüberstehen, bezeichnen die Mitglieder der Organisation oft verächtlich als „Naschisty“.

Neben Naschi wurden 2005 außerdem die Gruppen Rossija Molodaja (Junges Russland), die ökologische Bewegung Mestnye (die Hiesigen) und die Junge Garde, der Jugendflügel der Regierungspartei, gegründet. Das Verhältnis zwischen diesen Organisationen ist geprägt von Kooperation, aber auch von Konkurrenz um öffentliche Mittel und Einfluss. Naschi selbst spielt mittlerweile wohl auch informell eine untergeordnete Rolle: Die föderale Jugendagentur Rosmolodjosh, der seit 2008 ehemalige Naschi-Mitglieder vorstanden, leitet seit 2014 Sergej Pospelow, der zuvor stellvertretender Vorsitzender der Jungen Garde war.   

Es besteht eine personelle Kontinuität zwischen den regierungsfinanzierten Jugendorganisationen und Regierungsinstitutionen: Eine Vielzahl ehemaliger RFJ-Aktivisten sind heute Angestellte der dem russischen Bildungsministerium unterstehenden Rosmolodjosh. Diese Jugendagentur, die in ihrer rechtlichen Form einem deutschen Bundesamt entspricht, ist auch zuständig für die internationale Zusammenarbeit in Jugendfragen. Dies bedeutet, dass die jugendpolitischen Institutionen der Bundesrepublik auf zwischenstaatlicher Ebene mit einer Nachfolgeinstitution von Naschi kooperieren.

Es gibt für Jugendliche und junge Erwachsene viele Gründe, sich in RFJs zu engagieren. RFJs bieten die Möglichkeit besonderen Engagements und damit sozialen Aufstiegs. Auch die von Rosmolodjosh organisierten föderalen und regionalen Jugendforen ermöglichen jungen Erwachsenen, sich für Führungsaufgaben zu qualifizieren und von potentiellen Arbeitgebern entdeckt zu werden. Die patriotische Ausrichtung bildet den Rahmen erwünschten gesellschaftlichen Engagements: die Bejahung des russischen Staats und der Regierungspolitik. Mit den Jugendforen versucht der Staat, das Potenzial talentierter junger Erwachsener für die technische und ökonomische Modernisierung des Landes zu nutzen.


1.Hemment, Julie (2012): „Nashi, Youth Voluntarism, and Potemkin NGOs: Making Sense of Civil Society in Post-Soviet Russia“, in: Slavic Review 71 (2), S. 234–60; Mijnssen, Ivo (2012): The Quest for an ideal youth in Putin’s Russia:  Back to Our Future! History, Modernity and Patriotism according to Nashi, Band 1, Stuttgart
2.Yandex.ru: StopCham
3.Izvestija: Dviženie ‘Naši’ Stanet Vserossiyskim Soobščestvom Molodeži
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Wassili Jakemenko

Wassili Jakemenko, Gründer der kremltreuen Jugendbewegung Naschi, ist Günstling und Spielball der Polit-Technologen im Kreml zugleich. Sein Erfolg mit Naschi und seine Karriere in der Regierung beruhten im Wesentlichen auf der Rückendeckung des Putin-Beraters Surkow. Jakemenkos Fall 2012 ist aber auch das Ergebnis persönlicher Fehltritte. Allerdings scheint der Kreml ihn in jüngster Zeit für seine Zwecke wiederentdeckt zu haben.  

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Wladislaw Surkow war stellvertretender Leiter der Präsidialadministration, stellvertretender Regierungschef Russlands und persönlicher Berater des Präsidenten. Für viele Beobachter galt er als „Putins Rasputin“, „Graue Eminenz im Kreml“ oder „Chefideologe des Landes“. Von 1999 bis mindestens 2013 war Surkow maßgeblich an den Public-Relations-Strategien des Kreml und der Organisation von Putins Wahlkampagnen beteiligt. Darüber hinaus fungierte er für Lobbygruppen als wichtiger Ansprechpartner in der Regierung.

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