Seit mehr als 25 Jahren kämpft Ella Pamfilowa (geb. 1953) für soziale Belange und Menschenrechte. Dabei sitzt sie oft zwischen den Stühlen: Einerseits gilt sie als lautstarke Kritikerin der politischen Ordnung im Land und engagiert sich für die Zivilgesellschaft. Andererseits arbeitet sie immer wieder im Dienst des Staates: Als Ministerin, Abgeordnete der Staatsduma, Vorsitzende der Menschenrechtskommission1 und Menschenrechtsbeauftragte. Seit März 2016 ist sie Vorsitzende der Zentralen Wahlkommission Russlands – einer Behörde, die im Zuge der Dumawahl 2011 zum Inbegriff für Wahlfälschungen wurde. Mit dem Amtsantritt verschärfte sich Pamfilowas Interessenkonflikt, und nach offensichtlichen Manipulationen bei der Dumawahl 2016 wurden Rücktrittsforderungen seitens der liberalen Opposition laut.
Die gelernte Ingenieurin aus Usbekistan wurde bereits im Zuge der Perestroika 1989 Abgeordnete des Kongresses der Volksdeputierten. Im November 1991 übernahm sie in der Regierung von Jegor Gaidar im Alter von 38 Jahren das Amt der Ministerin für Sozialfürsorge. Im Dezember 1992 entschloss sie sich aus Protest gegen Gaidars Abwahl als Premierminister, ihr Amt niederzulegen. Präsident Boris Jelzin verweigerte jedoch seine Zustimmung. Er bestand persönlich darauf, dass Pamfilowa aufgrund ihrer Kompetenz auch der neuen Regierung unter Viktor Tschernomyrdin angehören sollte. Erst im März 1994 schied sie auf eigenen Wunsch und aus Opposition gegen die Regierungspolitik aus dem Amt.
Währenddessen arbeitete Pamfilowa bereits seit November 1993 als Abgeordnete der Staatsduma für die liberale Fraktion Die Wahl Russlands, die von Gaidar ins Parlament geführt worden war. Ab Mai 1994 fungierte sie zudem als Vorsitzende des Rates für Sozialpolitik beim Präsidenten.2
Neben ihrer Tätigkeit als Abgeordnete gründete Pamfilowa 1996 die Bewegung Für ein gesundes Russland.3 Die Nichtregierungsorganisation unterstützt unabhängige Forschung in den Bereichen Demographie, Gesundheit und Ökologie. Heute ist sie mit Büros in ganz Russland vertreten.
Nachdem sie den Wiedereinzug ins Parlament im Dezember 1999 verpasst hatte, trat Pamfilowa vier Monate später als erste Frau in der Geschichte Russlands bei den Präsidentschaftswahlen an. Die Wahlen gewann Wladimir Putin mit knapper Mehrheit. Pamfilowa erhielt 1,01 Prozent der Stimmen. Danach widmete sie sich hauptsächlich der Menschenrechtsarbeit und gründete 2001 die Bewegung Für bürgerliche Würde.
Vermittlerin und unbequeme Stimme
Der neue Präsident wollte auf die kompetente Sozialpolitikerin jedoch nicht verzichten. 2002 berief er sie als Vorsitzende der neu gegründeten Menschenrechtskommission. In acht Jahren Kommissionsleitung erwarb sie sich großes Ansehen, sowohl bei Vertretern von NGOs, als auch beim Kreml. In einem Interview mit Anna Politkowskaja aus dem Jahr 2004 beschrieb sie sich als Vermittlerin zwischen Zivilgesellschaft und Obrigkeit.4
2010 überwarf sie sich jedoch endgültig mit Wladislaw Surkow in der Präsidialverwaltung.5 Bereits zuvor hatte sie im offenen Konflikt mit der von Surkow initiierten kremltreuen Jugendbewegung Naschi gestanden. Im Jugendlager Seliger diffamierten sie Naschi-Aktivisten schließlich als Volksfeind. Gleichzeitig blieben sowohl ihre Proteste gegen das zunehmend härtere Vorgehen der Sicherheitskräfte, als auch ihre Bemühungen zur Verhinderung der Novellierung des FSB-Gesetzes erfolglos. Enttäuscht zog sich Pamfilowa aus dem Menschenrechtsrat zurück. Als jedoch im Januar 2014 ein Nachfolger für Wladimir Lukin als Menschenrechtsbeauftragter gesucht wurde, tauchte auch ihr Name wieder unter den möglichen Kandidaten auf. Mit großer Unterstützung russischer Menschenrechtsorganisationen trat sie im März 2014 ihr neues Amt an. In dieser Funktion setzte sie sich im Zusammenhang mit dem Agentengesetz unter anderem für verschiedene NGOs ein, darunter für die Wahlbeobachter von Golos und die Menschenrechtsorganisation Memorial. Dazu brachte sie ein Gesetz auf den Weg, das im März 2015 in Kraft trat und seitdem die Annullierung des Agentenstatus ermöglicht.6 Mehrere Male machte sie durch öffentliche Kritik am russischen Justizsystem auf Missstände aufmerksam.7
Demokratisches Feigenblatt?
Im März 2016 wurde sie von Präsident Putin überraschend zur Vorsitzenden der Zentralen Wahlkommission (ZIK) berufen. Sie beerbte damit Wladimir Tschurow, der spätestens seit 2011 zum Sinnbild für Wahlbetrug geworden war. Ihre Ernennung wurde allgemein als Signal verstanden, die diskreditierte ZIK wieder aufzuwerten und die Dumawahl 2016 unter fairen Bedingungen durchführen zu wollen. Wie bereits ihr früheres politisches Engagement brachte ihr dies Kritik seitens liberaler Oppositioneller ein: Pamfilowas tadelloser Ruf werde lediglich zur Legitimation eines an sich undemokratischen Systems benutzt. Die Berufung ändere nichts an den Ungerechtigkeiten im Zulassungsverfahren zur Wahl, so die Argumentation.8
Vor den Wahlen hatte sie angekündigt zurückzutreten, sollte es ihr nicht gelingen, eine faire Abstimmung zu gewährleisten.9 Unter ihrem Vorsitz mussten schließlich drei Vorsitzende regionaler Wahlkommissionen ihre Posten räumen. Außerdem annullierte die ZIK im Nachgang der Wahl einige regionale Resultate aufgrund nachgewiesener Fälschungen.10 Eine ernsthafte Untersuchung, unter anderem der vielbeachteten Fälschungsindizien des Physikers Sergej Schpilkin, blieb unterdessen aus. Pamfilowa erklärte die Wahlergebnisse für legitim. Angesichts der massiv eingesetzten Administrativen Ressource, des offensichtlichen Drucks auf Oppositionspolitiker im Vorfeld der Wahlen und zahlreicher ungeklärter Fragen zum Wahlablauf11 sieht sie sich jedoch mit Rücktrittsforderungen konfrontiert.
Pamfilowa wird wohl auch in Zukunft den schwierigen Balanceakt zwischen Staat und Zivilgesellschaft suchen. Ob es ihr allerdings gelingt, unter den russischen Bürgern wieder Vertrauen in die Legitimität von Wahlen und den politischen Prozess insgesamt zu schaffen, bleibt fraglich. Angesichts der geringen Wahlbeteiligung bei der Dumawahl sehen die Perspektiven dafür eher düster aus. Dabei kündigt sich die nächste Herausforderung bereits an: Im März 2018 finden in Russland Präsidentschaftswahlen statt.