Die Zentrale Wahlkommission der Russischen Föderation (russisch: Zentralnaja Isbiratelnaja Komissija Rossiskoi Federazii, kurz: ZIK) sollte eigentlich ein ziemlich unauffälliges Verwaltungsorgan sein, das sich mit der Organisation und Durchführung der Wahlen in Russland befasst. Nachdem Präsident Medwedew den ZIK-Vorsitzenden Wladimir Tschurow für die Genauigkeit seiner Prognosen als „Zauberer“ bezeichnet hatte, wurde die ZIK im Jahr 2011 jedoch schlagartig berühmt. Für die Opposition repräsentierte sie im Zuge der damaligen Dumawahl ein System organisierter Wahlfälschung. Tschurow wurde zum Gesicht der ZIK und galt als jemand, der die vorab bestellten Ergebnisse „herbeizaubert“. Obgleich organisierte Wahlfälschungen der ZIK selbst nicht nachgewiesen wurden, kann die Kommission insofern zur Verantwortung gezogen werden, weil sie kein ernsthaftes Ermittlungsverfahren zur Untersuchung von Wahlfälschungsvorwürfen einleitete.
Im März 2016 jedoch zeichnete sich plötzlich eine Weichenstellung ab: Überraschend wechselte die bisherige Menschenrechtsbeauftragte Ella Pamfilowa an die Spitze der ZIK. Sie führte im Vorfeld der Dumawahl 2016 einzelne Reformen durch, die mehr politische Konkurrenz ermöglichen könnten.
Das organisatorische Prinzip der ZIK ist simpel: von den fünfzehn Mitgliedern werden jeweils fünf von den beiden Parlamentskammern und dem Präsidenten benannt, dann wählen diese unter sich einen Vorsitzenden für fünf Jahre. Laut Statut bereitet die ZIK Wahlen auf Bundesebene vor, sie leitet und koordiniert die Arbeit der regionalen Wahlkommissionen, führt in Zusammenarbeit mit ihnen Wahlen durch und kontrolliert diese gemäß Verfassung auf Unregelmäßigkeiten1.
Anders als oft suggeriert, hat die Kommission selbst keinen Einfluss auf die Wahlergebnisse, sie kann weder fälschen noch Fälschungen vorbeugen. Was sie aber tun kann, ist ein Verfahren gegen gemeldete Unregelmäßigkeiten einzuleiten, an dessen Ende auch die Annullierung der Wahlergebnisse stehen kann. Eigentlich.
Politisierte Bürokratie
Die Wahlkommission wurde in den vergangenen Jahren immer wieder kritisiert: Die oppositionellen Kräfte verwiesen auf die Politisierung des Verwaltungsorgans, das Wahlprozesse gestalte und sie auf angestrebte Ergebnisse zuschneide. Sogar die Kommunistische Partei der Russischen Föderation nannte sie bereits 2004 „Ministerium für Wahlen“.2 Die Kritik kulminierte dann aber vor dem Hintergrund der Dumawahl 2011 und der Präsidentschaftswahl 2012. Sie konzentrierte sich vor allem auf das Gesicht der ZIK: ihren Vorsitzenden Wladimir Tschurow. Tschurow, der als ein Vertrauter von Wladimir Putin gilt und die Wahlkommission zwischen 2007 und 2016 leitete, wurde zum Inbegriff der Wahlfälschung.
Der Zauberer von ZIK
„Sie sind ja fast ein Zauberer“, lobte Präsident Dimitri Medwedew den ZIK-Vorsitzenden Tschurow für seine Prognose zur Dumawahl 2011, nachdem dieser bemerkt hatte, dass sie näher am Endergebnis lag, als die Prognosen von zehn Meinungsforschungsinstituten.3 Aus dem Zusammenhang gerissen wurde das Lob zum Spott, denn geblieben ist nur der „Zauberer“, der die gewünschten Wahlergebnisse „herbeizaubert“.
So wurde Tschurow zu einer Zielscheibe der anschließenden Proteste, bei denen eine Untersuchung der Wahlfälschungsvorwürfe gefordert wurde. Tschurows politische Nähe zu Wladimir Putin, die er einstmals mit „Putin hat immer Recht“ bekundet hatte4, befeuerte den Hohn. Genauso wie auch eine Infografik des TV-Senders Rossija 24, die sich auf die Daten der ZIK berief, als sie die Wahlbeteiligung in der Rostow-Region auf 146 Prozent bezifferte. Tschurow meinte, wer auch immer die Infografik vorbereitet habe, sei „aus Übersee“ gut entlohnt worden.5 Gemeint waren wohl die USA.
Nur ein Sündenbock?
Tschurow bot der Opposition also eine ideale Angriffsfläche, die sprachliche Neuprägung Tschurowschina wurde alsbald zum Synonym für Wahlfälschungen – und die ZIK selbst zum Inbegriff für die Erosion der politischen Konkurrenz.
Organisierte Wahlfälschungen wurden der ZIK selbst nicht nachgewiesen, sie erfolgten indes vor allem auf der Ebene der Wahlbezirke und -kreise – und hier hauptsächlich in Form sogenannter Karusselle oder Kreuzfahrten. Allerdings ist die ZIK solchen Hinweisen nur halbherzig nachgegangen, eine ernsthafte Untersuchung der Vorwürfe fand nicht statt. Tschurow, der selbst offenbar keine Wahlen fälschte, konnte also nur deshalb als „oberster Wahlfälscher des Landes“6 bezeichnet werden, weil er vordergründig ein System repräsentierte, das politische Konkurrenz zu verhindern suchte.
Nur ein Feigenblatt?
Eine Reformbestrebung konnte man die einzelnen zaghaften Versuche seit 2012, etwas mehr politische Konkurrenz zuzulassen, noch nicht nennen. Diese hat sich erst durch den überraschenden Abgang Tschurows abgezeichnet – fünfeinhalb Monate vor der Dumawahl 2016.
Zur neuen Vorsitzenden wurde auf Vorschlag des Präsidenten Ella Pamfilowa gewählt. Die bisherige Menschenrechtsbeauftragte gilt als lautstarke Kritikerin der politischen Ordnung Russlands. In den ersten Monaten ihrer Tätigkeit hat Pamfilowa drei – mutmaßlich in Fälschungen verwickelte – Vorsitzende untergeordneter Wahlkommissionen zum Rücktritt bewegt.7 Sie brachte die Chuzpe auf, einflussreiche Gouverneure zu kritisieren und riet allen Oberhäuptern der Föderationssubjekte, auf den Einsatz der Administrativen Ressource zu verzichten.8 Pamfilowa arbeitet eng mit Golos zusammen – einer NGO, die Wahlbeobachtungen durchführt und als ausländischer Agent Diffamierungskampagnen seitens staatsnaher Medien ausgesetzt ist.9
Trotz aller Reformbestrebungen ist es im Vorfeld der Dumawahl 2016 noch allzu verfrüht, von echter politischer Konkurrenz zu sprechen. Als Zauberkiste des Kreml allerdings kann die ZIK schon nicht mehr herhalten.