Seit Jahresbeginn waren in Russland rund elf Millionen Hektar Wald von Feuer betroffen – eine Fläche, die dem Gebiet aller ostdeutschen Bundesländer entspricht. Aktuell wüten Brände auf einer Fläche von rund zweieinhalb Millionen Hektar, das ist etwas größer als Mecklenburg-Vorpommern.
Wegen des Rauchs klagen tausende Anwohner über Atemnot und andere Gesundheitsbeschwerden. Die verheerenden Waldbrände erreichen ein gigantisches Ausmaß: Der Rauch aus Sibirien hat mittlerweile Alaska und Kanada erreicht, manche Umweltexperten glauben, dass die Brände nachhaltig dem Weltklima schaden können.
Wald- und Steppenbrände gibt es in Sibirien jedes Jahr; ob die diesjährigen Feuer tatsächlich flächenmäßig größer sind als in vorherigen Jahren ist noch unklar. Doch offensichtlich sind diesmal mehr Menschen betroffen, vermutlich auch deshalb ist die Diskussion darüber in Russland nun viel heftiger. Vor allem ein Vorwurf an die Behörden ist dabei ganz lautstark: dass sie die Feuer zu lange sich selbst überlassen hätten.
Auch Umweltschützer beklagen das verspätete Eingreifen, laut Greenpeace werden immer noch über 90 Prozent der Brände nicht gelöscht. Nun sind zwar schon seit rund einer Woche größere Löschtrupps im Einsatz, doch sei ihr Eingreifen immer noch buchstäblich ein Tropfen auf den heißen Stein, so die Umweltschützer.
Warum haben die Behörden so lange gezögert? Weshalb kam es wieder zu einer explosionsartigen Ausbreitung des Feuers? Und wie reagieren die Anwohner auf die Untätigkeit der Behörden? Diese Fragen stellt Jekaterina Timofejewa für Takie Dela.
#Сибирьгорит, Sibirien brennt – die Behörden blieben lange untätig / Foto © Greenpeace Rossija
1. Warum waren die Behörden angesichts der aktuellen Waldbrände in Sibirien [lange] so untätig?
Offizieller Grund dafür ist eine Änderung der Vorschriften zur Bekämpfung von Waldbränden aus dem Jahr 2015 – unterzeichnet vom Ministerium für natürliche Ressourcen und Umweltschutz. Die Änderung erlaubte es, Feuer in sogenannten Kontrollzonen – weit entfernt von bewohnten Gebieten und Industrieanlagen – dann nicht mehr zu löschen, wenn „die voraussichtlichen Löschkosten den voraussichtlichen Schaden übersteigen“.
Laut Michail Kreindlin, dem Leiter des Schutzgebietprogramms von Greenpeace Russland, seien in diese Kontrollzonen allerdings „eine große Anzahl von Ortschaften“ gefallen, was der Verordnung widerspreche.
Am 29. Juli wurde in der Region Krasnodar, in der Oblast Irkutsk sowie in zwei Verwaltungskreisen der Republik Burjatien der Ausnahmezustand ausgerufen. Am 30. Juli kam Jakutien hinzu. Grigori Kuksin, Leiter des Brandschutzprogramms von Greenpeace Russland, meint, diese Entscheidung sei viel zu spät gekommen.
„Der Ausnahmezustand erlaubt es, zusätzliche Kräfte und finanzielle Mittel bereitzustellen, aber in diesem Stadium ist es dafür viel zu spät. Wenn der Notstand schon vor zwei oder drei Wochen erklärt worden wäre, sähe die Situation heute vielleicht ganz anders aus“, sagte Kuksin Takie Dela.
„Jetzt fängt man an, ausreichend Kräfte bereitzustellen und zum Schutz von Ortschaften einzelne Feuer zu löschen. Aber selbst wenn man alle Kräfte zusammennehmen würde, die es in Russland gibt, wäre das noch nicht annähernd genug, um mit den Waldbränden fertigzuwerden. Die Lage ist in dem Moment aus dem Ruder gelaufen, als man sich gegen das Löschen entschieden hatte. Und das hat zur Katastrophe geführt“, kommentiert Kuksin.
„Selbst wenn man alle Kräfte zusammennehmen würde, die es in Russland gibt, wäre das noch nicht annähernd genug, um mit den Waldbränden fertigzuwerden“ / Foto © Greenpeace Rossija
2. Wie konnte es zu den Bränden kommen?
Umweltminister Dimitri Kobylkin hat erklärt, die Waldbrände seien durch trockene Gewitter ausgelöst worden. Diese Einschätzung teilen auch der Gouverneur der Oblast Irkutsk Sergej Lewtschenko und das Oberhaupt der Region Krasnojarsk Alexander Uss. Von Letzterem stammt die Aussage: „Es handelt sich dabei um ein gewöhnliches Naturphänomen, das zu bekämpfen sinnlos und vielleicht sogar schädlich ist.“ Auch in Burjatien und Jakutien argumentiert man ähnlich.
Kuksin macht allerdings nicht nur Naturphänomene für die Feuer verantwortlich, sondern auch menschliche Faktoren. „Wir wissen, dass der Großteil der Waldbrände von Menschen verursacht wurde, auch in den sogenannten Kontrollzonen“, erklärte er gegenüber dem Nachrichtensender Nastojaschtscheje Wremja. So würden beispielsweise in der Region Krasnojarsk die Zonen, in denen auf das Löschen verzichtet werden dürfe, auch Ortschaften, Infrastruktur und Waldgebiete umfassen, in denen Holz gewonnen wird.
Die Regionalkommission in Krasnojarsk erklärte gegenüber dem Portal Tayga.info, die Entscheidung [doch zu löschen – dek] sei getroffen worden, als die Gesamtfläche der Waldbrände einige Dutzend Hektar umfasste. Als man sich im Juli gegen das Löschen von 33 Feuern in den Verwaltungsbezirken Sewero-Jenisseisk und Ewenkien entschied, loderten die Flammen dort allerdings bereits auf einer Gesamtfläche von 891 Hektar.
Die Kommission schätzte den Schaden durch die zerstörten Wälder auf rund 4,8 Millionen Rubel [rund 66.000 Euro] – die Gesamtkosten für die Bekämpfung der Feuer demgegenüber auf 139,1 Millionen [knapp 2 Millionen Euro].
Der Gouverneur der Region Krasnojarsk sagte damals, er sehe keine Notwendigkeit, Feuerspringer über der Kontrollzone abzusetzen, denn das sei wenig effektiv und riskant. „Wie viel Wasser und Treibstoff würden wir wohl brauchen, um die Waldbrände in der Taiga zu löschen?“, sagte Alexander Agafonow, Sprecher des Vorsitzenden der Forstbehörde Rosleschos. „Wenn wir die Luftfahrt für solche Zwecke einsetzen, werden wir bald Pleite gehen.“
Doch nicht alle befürworteten die Taktik des Nichthandelns. Tatjana Dawydenko etwa, die Ex-Vorsitzende der Wirtschaftsprüfungskammer Krasnojarsk, veröffentlichte eine Videobotschaft, in der sie die Untätigkeit der Behörden mit Privatinteressen von Staatsbeamten verbindet:
„Die Wälder brennen aus zwei Gründen: Der eine ist die Laxheit des Gouverneurs, des Premierministers und des Umweltministers im Umgang mit ihren Befugnissen und Pflichten. Zum zweiten, und hier wiederhole ich mich gerne: Wenn Brände nicht gelöscht werden, dann deshalb, weil jemand auf diese Weise illegale Abholzung oder andere kriminelle Machenschaften zu vertuschen versucht.“ Dawydenko hatte ihr Amt niederlegen müssen, nachdem sie öffentlich über Raubrodung in der Region gesprochen hatte.
Die Entscheidung, doch zu löschen, wurde getroffen, als die Gesamtfläche der Waldbrände einige Dutzend Hektar umfasste / Foto © Greenpeace Rossija
3. Wie reagierten die betroffenen Bewohner?
Die Bewohner Sibiriens gingen auf die Straße und veranstalteten Einzelpikets, forderten die Verhängung des Ausnahmezustands und die Wetter-Alarmstufe „schwarzer Himmel“. Im Zentrum von Nowosibirsk hielt ein Aktivist ein Plakat mit dem Slogan „Sibirien brennt, Moskau pennt“ hoch, berichtet Tayga.info.
In Barnaul gingen Mitglieder der LDPR mit Einzelaktionen auf die Straße. Auf den Plakaten war zu lesen: „Rette die Taiga, deine Mutter!“, „Notstand statt Rauchvergiftung!“, „Ihr Mächtigen, lohnt es sich, uns zu vergiften?“, „Russland brennt, die Machthaber spucken drauf!“. Die Aktivisten hatten eine Beamten-Strohpuppe dabei, neben die sie einen Benzinkanister und ein Schild gestellt hatten: „Lass brennen, löschen lohnt sich nicht?“
Auch in den sozialen Netzwerken wird von prominenter Seite auf das Thema aufmerksam gemacht: unter anderem von Tina Kandelaki, Rapper Basta, Sergej Lasarew [und dem US-amerikanischen Schauspieler Leonardo DiCaprio – dek].
Die Ökobloggerin Anna Tjatte veröffentlichte [am 28. Juli] auf ihrer Internetseite Kommentare ihrer Instagram-Follower:
„Ich komme aus Nowosibirsk. Die Woche war schlimm. Ein grauer Schleier über grauem Himmel, die Sonne rot, es wurde viel zu früh dunkel. Gestern hat es geregnet, jetzt kann man wenigstens etwas atmen.“
„Der Chefarzt für Lungenkrankheiten hat allen Einwohnern des Kusbass empfohlen, für eine Weile irgendwohin zu fahren, wo es keinen Smog gibt. Das ist kein Scherz. Ich weiß nicht, ob ich lachen oder weinen soll.“
„Wir haben hier im Südural die Sonne seit einer Woche nicht mehr gesehen. Die Leute in Sibirien tun mir leid.“