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Debattenschau № 61: The Death of Stalin nicht im russischen Kino

Plötzliches Aus für The Death of Stalin: Auf Geheiß des Kulturministeriums darf der britische Film nicht in die russischen Kinos – wegen „Verbreitung illegaler Informationen“. Der Beschluss fiel nur zwei Tage vor dem geplanten Filmstart in Russland am 25. Januar.

Am Vorabend der Entscheidung wurde die schwarze Komödie einem auserwählten Kreis gezeigt – darunter waren Mitglieder des Kulturministeriums, der Historischen Gesellschaft Russlands, der Staatsduma sowie einzelne Filmemacher wie der Regisseur und Schauspieler Nikita Michalkow. Einige davon wandten sich laut der Nachrichtenagentur TASS nach der Vorführung in einem Brief an Kulturminister Medinski und baten ihn darum, den Film nicht in russische Kinos zu lassen.

Am Dienstag zog das Kulturministerium die Verleiherlaubnis wieder zurück. In der Begründung hieß es, dass der Film „in Russland verbotene Informationen enthalte“. Der schottische Regisseur Armando Ianucci hat inzwischen gegenüber dem Guardian seine Hoffnung geäußert, dass die schwarze Komödie – die auf einer Graphic Novel von Fabien Nury und Thierry Robin basiert – doch noch ins russische Kino kommt.

Verhöhnt der Film die Opfer des Stalinismus? Oder sind diese Gründe nur vorgeschoben, Russland noch immer ein „stalinistisches Land“? Wäre es nicht sogar heilsam, über die historischen Traumata zu lachen? dekoder bringt Debatten-Ausschnitte aus russischen Medien.

Source dekoder

Rossijskaja Gaseta: Verhöhnung der Opfer

Die Regierungszeitung Rossijskaja Gaseta zitiert Kulturminister Wladimir Medinski:

Deutsch
Original
Ohne Frage: Viele Menschen der älteren Generation, und nicht nur sie, empfinden [den Film] als beleidigende Verspottung der gesamten sowjetischen Vergangenheit, des Landes, das den Faschismus besiegt hat, der sowjetischen Armee und der einfachen Leute und sogar – und das ist das ekelhafteste – der Opfer des Stalinismus.

Es gibt bei uns keine Zensur. Wir haben keine Angst vor einer kritischen und unbefangenen Bewertung unserer Geschichte … Mehr noch – hohe Ansprüche, ja sogar Entschiedenheit in der Selbstbeurteilung haben in unserer Kultur Tradition. Doch es gibt eine moralische Grenze zwischen kritischer Geschichtsanalyse und Hohn.

Das Kulturministerium hatte den Filmverleih auch auf die außerordentliche Unangemessenheit aufmerksam gemacht, einen solchen Film unmittelbar vor dem 75. Jahrestag des historischen Siegs von Stalingrad in die Kinos zu bringen. Der Verleiher hat nicht auf uns gehört.

Нельзя не согласиться: многие люди старшего поколения, да и не только, воспримут его как оскорбительную насмешку над всем советским прошлым, над страной, победившей фашизм, над Советской армией и над простыми людьми - и, что самое противное, даже над жертвами сталинизма.
У нас нет цензуры. Мы не боимся критических и нелицеприятных оценок нашей истории... Более того, требовательность, даже категоричность в самооценке - традиция нашей культуры. Но есть нравственная граница между критическим анализом истории и глумлением над ней. Минкультуры обращало внимание прокатчика и на крайнюю неуместность выхода подобной картины на экраны в канун 75-летия исторической победы под Сталинградом. Нас прокатчик не услышал.

 

erschienen am 23. Januar 2018

Republic: Über Stalin wird nicht gelacht!

Andrej Archangelski überlegt auf dem unabhängigen Portal Republic, warum über Stalin nicht gelacht werden darf: 

Deutsch
Original
Vergleichbares hat es bei uns selbst in verschleierter Form seit den 1990ern nicht gegeben. Es gab seitdem keinen Versuch, den Stalinismus distanziert zu betrachten – vom Standpunkt normaler menschlicher Reaktionen auf Gewalt, mit den Augen eines normalen Menschen und nicht denen des Staates.

Man darf Stalin beschimpfen, aber man darf nicht über ihn lachen – das ist offenbar das größte Tabu. Die Eile des Verbotes bestätigt diese Hypothese: Als wäre Lachen über Stalin ein gefährlicher Virus, dessen Verbreitung schleunigst eingedämmt werden muss, koste es, was es wolle.

[...] denn Stalin zu verspotten heißt, die Macht als solche zu verspotten – und das ist unzulässig. 

[...] ничего похожего даже в иносказательной форме у нас не было с 1990-х годов. Не было с тех пор попытки посмотреть на сталинизм отстраненно – с точки зрения обычных человеческих реакций на насилие, глазами обычного человека, а не государства. Сталина можно ругать, но над ним нельзя смеяться – это, по-видимому, и есть главное табу. И стремительность запрета подтверждает эту гипотезу: словно бы смех над Сталиным – опасный вирус, чье распространение нужно немедленно купировать, не считаясь со средствами.
[...] потому насмешка над Сталиным означает насмешку над властью как таковой – что недопустимо.

 
erschienen am 24. Januar 2018

Moskowskij Komsomolez: Stalin bleibt Zankapfel

Auch das Boulevardblatt Moskowski Komsomolez kann nicht verstehen, weshalb man über Stalin nicht lachen sollte:

Deutsch
Original
Unsere Zuschauer sind kompliziert. Sie sind schon ohnehin bereit, über alles unbesehen ein Urteil zu fällen – und nun auch noch so eine Steilvorlage. Stalin bleibt ein Zankapfel: Ist er ein Mörder oder ein Retter? Da hat man sich bei uns noch nicht endgültig festgelegt. In den letzten Jahren gab es eine Schwemme von neuen pseudopatriotischen Werken, in denen die stalinsche Epoche in Glanz und Gloria dargestellt wird. Und die Studenten der Filmhochschulen, die sich den ganzen Schmonz angeschaut haben, setzen diese Arbeit am laufenden Band fort. Ist es denn nicht besser, die eigenen Hirngespinste durch Lachen loszuwerden?
Зрители у нас сложные. Не видя, уже готовы осудить все что угодно, а тут такой благодатный материал. Сталин остается яблоком раздора. Убийца он или спаситель? С этим у нас окончательно не разобрались. В последние годы валом снимаются псевдоисторические опусы, где сталинская эпоха представлена в гламуре. А студенты киновузов, насмотревшись всякой дребедени, продолжают штамповать приблизительное кино на эту тему. Не лучше ли через смех избавиться от собственных фантомов?

 

erschienen am 23. Januar 2018

Izvestia: Was würden denn die Briten sagen?

In der kremlnahen Izvestia dagegen findet der Leiter der Russischen militärhistorischen Gesellschaft Wladislaw Kononow gleich mehrere gute Gründe für ein Verbot des Films:

Deutsch
Original
Dieser Film ist abscheulich. [...] Abscheulich gar nicht so sehr deshalb, weil es dort keine einzige positive Rolle gibt, sondern weil dies eine abscheuliche Parodie auf die ganze Zivilisation Russlands ist. Genau so stellen sich die Autoren die russische Geisteshaltung vor, so, glauben sie, arbeite unser Staatsapparat … Ich kann mir nur schwer einen ähnlichen russischen Film über die britische Königsfamilie vorstellen, der in den britischen Verleih kommt. Das Einfachste, was man in dieser Situation machen kann, ist, den Verleih zu verbieten.
Фильм этот откровенно мерзкий. [...] Мерзкий даже не тем, что там нет ни одного положительного персонажа, а потому что это мерзкая пародия на всю российскую цивилизацию. Именно так авторы представляют себе российскую ментальность, так, по их мнению, работает наш управленческий аппарат... Мне сложно представить подобный российский фильм, снятый о британской королевской семье и выходящий в британский прокат. Самое легкое, что можно сделать в данной ситуации, — это запретить его к показу.

 

erschienen am 23. Januar 2018

Tass: Experten haben geurteilt

Ob der Debatte hat sich auch Kreml-Sprecher Dimitri Peskow geäußert, um die Entscheidung zu verteidigen. Die Nachrichtenagentur Tass gibt den Wortlaut wieder:

Deutsch
Original
Das ist das Vorrecht des Kulturministeriums: Dort gibt es einen Expertenrat, und ausreichend viele dieser Experten haben sich den Film angesehen und sind zu einem entsprechenden Schluss gekommen. Das Kulturministerium kann die Meinungen seiner ehrenamtlichen Experten, die sich speziell dafür versammeln, nicht ignorieren. Im Übrigen ist das ein Vorrecht dieser Behörde. 
Это прерогатива Министерства культуры, там есть экспертный совет, эксперты в достаточно большом количестве посмотрели этот фильм и пришли к определенным выводам. Министерство культуры не может не учитывать точку зрения своих экспертов, общественников, которые для этого и собираются. В остальном это прерогатива ведомства

 

erschienen am 24. Januar 2018

The Insider: Ein stalinistisches Land

Für den Filmkritiker und Chefredakteur des Filmmagazins Iskusstwo Kino, Anton Dolin, dagegen ist das Verbot ein trauriges Eingeständnis, wie er auf dem unabhängigen Portal The Insider schreibt:

Deutsch
Original
Großzügig ausgelegt handelt es sich um das Eingeständnis des Staates und der in diesem Land für das Verbot verantwortlichen Staatsbeamten, dass dies ein stalinistisches Land ist, und dass ein Film, der den Diktator und den Moment seines Todes ironisch zeigt, auf unseren Leinwänden unzulässig ist. Dieser Logik zufolge muss in Deutschland Charlie Chaplins Der große Diktator verboten werden. Er war auch verboten, solange Hitler am Leben war, aber nach Kriegsende wurde er gezeigt, und es wurde gelacht wie in allen anderen Ländern.

Was ist hier also los? Es ist doch nur Kino – ein Spielfilm, der nicht von sich behauptet, dokumentarisch zu sein, seine historische Genauigkeit ist nicht wichtig. Man kann ihn bewerten, wenn er rauskommt, Kritiken schreiben, zum Beispiel: „Er ist historisch ungenau“, oder darüber streiten, ob er genau ist oder nicht. Jedoch soll und kann das kein Grund für ein Verbot sein.

Расширительно можно это толковать как некое признание государства, тех чиновников, которые отвечают в стране за этот запрет, что у нас сталинистская страна, и фильм, который иронически показывает диктатора и момент его смерти, непозволителен на наших экранах. По этой логике в Германии должны запрещать «Великого диктатора» Чарли Чаплина. Его и запрещали, пока Гитлер был жив, но когда война закончилась, показывали и смеялись, как и весь остальной мир. Что тут такого? Это всего лишь кино — игровой фильм, не выдающий себя за документальный, его историческая точность совершенно не важна. Ее можно оценивать, когда картина выйдет, писать на него рецензии, например: «он исторически неточен» или спорить, точен он или нет. Однако, с моей точки зрения, это не должно и не может быть поводом для запрета.

 

erschienen am 23. Januar 2018

Vedomosti: Totaler Krieg der Befindlichkeiten

Pawel Aptekar warnt im Wirtschaftsblatt Vedomosti die Kritiker des Films vor den Geistern, die sie rufen:

Deutsch
Original
Der Schriftsteller Juri Poljakow, die Regisseure Nikita Michalkow und Wladimir Bortko und andere nennen den Streifen in ihrem Brief an Minister Wladimir Medinski eine „böse und absolut unangebrachte ,Komödie‘, die das Gedenken an unsere Bürger beschmutzt, die den Faschismus besiegt haben“ [...]
Den Autoren des Briefes an das Kulturministerium ist vielleicht nicht klar, dass sich ihre Initiative irgendwann auch gegen sie selbst wenden könnte: Innerhalb eines totalen Krieges der Befindlichkeiten finden sich sicher welche, die bereit sind, beleidigt zu sein, nachdem sie nochmals Bortkos Hundeherz oder Michalkows Zitadelle geschaut haben oder nochmals Poljakows frühe Erzählungen lesen.
Писатель Юрий Поляков, режиссеры Никита Михалков и Владимир Бортко и другие в письме министру Владимиру Мединскому назвали ленту «злобной и абсолютно неуместной якобы «комедией», очерняющей память о наших гражданах, победивших фашизм» [...]
Авторы письма в Минкульт, возможно, не поняли, что их инициатива может когда-нибудь обернуться и против них самих: в рамках тотальной войны чувств наверняка найдутся готовые оскорбиться, пересмотрев «Собачье сердце» Бортко, «Цитадель» Михалкова или прочитав ранние повести Полякова.

 

erschienen am 24. Januar 2018

dekoder-Redaktion

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Wladimir Medinski

Wladimir Medinski leitete von 2012 bis 2020 das Kulturministerium der Russischen Föderation. Zu den zentralen Anliegen seiner Kulturpolitik zählen die Förderung des russischen Patriotismus sowie der Einsatz gegen vorgeblich antirussische Tendenzen in der Kultur.

Medinski (geb. 1970) hat Journalismus am Moskauer Institut für Internationale Beziehungen studiert, der Kaderschmiede für angehende Diplomaten. Medinski war in der Sowjetunion zunächst als überzeugter Kommunist im Komsomol aktiv, nach 1991 unterstützte er die liberale Politik Jelzins, anschließend den autoritären Kurswechsel Putins.

Medinski promovierte 1993 in Politikwissenschaften und schloss 1999 seine Habilitation ab. Die Antiplagiatsinitiative Dissernet deckte später auf, dass sich auf 87 von 120 Seiten in seiner Promotion Plagiate aus Arbeiten seines Doktorvaters finden.1

Ende der 1990er Jahre ging Medinski zunächst in den Staatsdienst und arbeitete kurzzeitig für die Steuerpolizei, bis er in die Politik wechselte, wo er von 2002 an für die Regierungspartei Einiges Russland tätig war. Für diese leitete er bei den Parlamentswahlen 2003 die Moskauer Wahlkampagne und zog auch für sie, ebenso wie bei den darauffolgenden Wahlen 2007, selbst in die Duma ein. Bei den Parlamentswahlen 2011 erhielt er kein Mandat mehr für die Duma, wurde aber als enger Vertrauter Wladimir Putins zum Kulturminister ernannt. Bei vielen Kulturschaffenden stieß diese Personalie auf Ablehnung, so spottete der bekannte Galerist Marat Gelman, Medinskis Ernennung mache aus dem Kulturministerium ein „Ministerium für Propaganda“.2

Der breiten Öffentlichkeit ist Medinski auch als Publizist bekannt. In seiner Publikationsreihe Mythen über Russland greift er „negative Mythen“ der russischen Geschichte auf und versucht diese zu widerlegen. Medinski ist Mitglied in der von Ex-Präsident Medwedew eingesetzten und unter Historikern nicht unumstrittenen Kommission Zur Verhinderung der Fälschung der Geschichte zum Schaden der Interessen Russlands, die ein einheitliches und positives Geschichtsbild zeichnen soll. Kritiker werfen Medinski allerdings vor, es mit der historischen Wahrheit nicht immer genau zu nehmen. Als kürzlich ein Heldenmythos über eine Schlacht vor den Toren Moskaus vom Staatsarchiv offiziell als sowjetische Propaganda und Erfindung entlarvt wurde3, äußerte er sich so: „Diejenigen, die mit ihren dreckigen fettigen Fingern in der Geschichte von 1941 herumwühlen, sollte man mit der Zeitmaschine in die Gräben von damals mit einer Handgranate gegen faschistische Panzer schicken. Meine Überzeugung: Man soll mit dem widerlichen Beschmutzen dieses Themas aufhören.“4

Besuch im Polytechnischen Museum 2013 © CC BY 2.0Medinskis Kulturpolitik stand für den zunehmenden, öffentlich geförderten russischen Patriotismus und setzte sich gegen vorgeblich antirussische Tendenzen in der Kultur ein, was oft zu Lasten unabhängiger und kritischer Kulturschaffender ging. So entließ er den Kurator des russischen Pavillons auf der Biennale in Venedig, Grigori Rewsin, nachdem dieser sich gegen die Krim-Annexion ausgesprochen hatte. Dem sozialkritischen russischen Film Leviathan, der vom Kulturministerium gefördert wurde, warf er ein unpatriotisches Russlandbild vor und stellte in Aussicht, derartige Filme zukünftig nicht mehr zu fördern. Zuletzt sorgte Medinski im März 2015 für Aufsehen, als er auf Druck der Russisch-Orthodoxen Kirche, die eine Tannhäuser-Inszenierung an der Nowosibirsker Oper kritisierte, kurzerhand den Operndirektor entließ.5

Nachdem Putin am 15. Januar 2020 überraschend eine Reihe von Verfassungsänderungen angekündigt hatte, reichte die Regierung unter Dimitri Medwedew ihren Rücktritt ein. Neue Kulturministerin wurde Olga Ljubimowa, Medinski wurde wenige Tage später zum Präsidentenberater ernannt.

aktualisiert am 28.01.2020


1.Dissernet: Ekspertisa. Medinski Vladimir Rostislavovič
2.Gaseta.ru: Ministr Mifov. Ministrom kultury v novom pravitelstve budet Vladimir Medinski
3.Staatsarchiv der Russischen Föderation: Spravka-doklad glavnogo voennogo prokurora N. Afanaseva „O 28 panfilovcach“
4.Rbc.ru: Medinski – RBK: „Kto u nas liberaly? Internet-klikuši i ich kumiry?“ oder auch: Frankfurter Allgemeine Zeitung: Kriegsdenkmäler in Russland. Die unfassbare Lüge dieser Helden
5.Bayerischer Rundfunk: Eklat um „Tannhäuser“ in Nowosibirsk. Demonstration um Absetzung
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Sergej Gandlewski

Sergej Gandlewski (geb. 1952) ist ein bekannter russischer Schriftsteller, Dichter und Übersetzer.

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Ein kurzer Augenblick von Normalität und kindlicher Leichtigkeit im Alltag eines ukrainischen Soldaten nahe der Front im Gebiet , © Mykhaylo Palinchak (All rights reserved)