Der staatliche Fernsehsender Rossija-1 hat eine neue Sendung an den Start gebracht: Moskau. Kreml. Putin. – jeden Sonntag eine Stunde über den Präsidenten, moderiert von keinem Geringeren als Wladimir Solowjow. Ein Relaunch der Sowjetpropaganda, wie manche Kommentatoren schreiben, oder ein adäquates Mittel um schlechte Ratings aufzubessern? Dimitri Kolesew kommentiert auf Znak.
Eine ganze Stunde lang erzählt Moderator Wladimir Solowjow, bekannt für seine Loyalität gegenüber der amtierenden Regierung, ausschließlich positiv, ja mit Begeisterung davon, was der Präsident in den letzten Tagen so alles gemacht hat. In den Kommentaren zur Sendung fühlen sich viele inhaltlich und vom Tonfall her an die preisende Leniniana, das Fernsehen der Breshnew-Zeit oder stalinsche Propaganda erinnert. Von einem neuen Personenkult ist die Rede. Doch im Jahr 2018 fällt es schwer, ein derartiges TV-Format ernstzunehmen.
Von einem neuen Personenkult ist die Rede
Die Sendezeit beträgt sechzig Minuten. In seiner gewohnten Manier berichtet Wladimir Solowjow aus dem Studio, was Wladimir Putin in letzter Zeit so alles erlebt hat: Er hat verschiedene Regionen in Sibirien besucht, begabte Schüler im Zentrum Sirius getroffen und mit Verteidigungsminister Sergej Schoigu und FSB-Chef Alexander Bortnikow zusammen Urlaub in der Taiga gemacht.
Am Ende der Sendung verraten wir Ihnen, warum Putin so gut in Form ist
Um über die Handlungen und Erlebnisse des Präsidenten zu diskutieren, werden sogenannte „Experten“ ins Studio eingeladen, wie zum Beispiel der Journalist Pawel Sarubin, der auch für Rossija-1 arbeitet und im Pressepool des Präsidenten mit ihm quer durchs Land fährt, oder der Pressesprecher des Präsidenten Dimitri Peskow. Natürlich können die nur in begeisterten Tönen von Putin sprechen. Pawel Sarubin beispielsweise wundert sich, wie der Präsident ein solch straffes Arbeitspensum meistert. „Ich verstehe nicht, wie man so ein Tempo durchhält, ein Marathon ist das … Anfang der Woche – Kemerowo, Nowosibirsk, Omsk, dann wieder Moskau. Und überall – vergessen Sie das bitte nicht – unterschiedliche Zeitzonen! Und jetzt noch Sotschi. Alles innerhalb einer Woche. Das verlangt höchste Konzentration. Physisch eine echte Herausforderung.“
„Am Ende der Sendung verraten wir Ihnen die Fitness-Geheimnisse des Präsidenten und zeigen Ihnen, warum er so gut in Form ist“, verspricht Solowjow.
„Ja! Genau!“, freut sich Sarubin.
Mit Bergleuten des Kusnezker Beckens spricht Putin über Produktionsrekorde und Pläne für ein glückliches Leben
Gleich der erste Sendebeitrag lässt Erinnerungen an den Lieben Leonid Iljitsch oder die Lobgesänge auf Stalin wach werden. Die Erzählung beginnt mit einem heiteren Bericht über die Bergleute des Kusnezker Beckens: Was für eine gewaltige technische Ausrüstung (die, wie im Bild zu sehen, größtenteils von ausländischen Marken stammt – Caterpillar und P & H)! Weiter über Produktionsrekorde und Pläne für ein glückliches Leben. „Wie gefährlich und anstrengend die Arbeit der Bergleute ist, weiß Putin aus eigener Erfahrung“, sagt Sarubin. Offenbar ist damit eine einmalige Grubenfahrt gemeint, die der Präsident Anfang der 2000er Jahre in Norilsk unternommen hat. Und die Archivaufnahmen werden mit einem Stolz präsentiert, als hätte Putin da eine wahre Heldentat vollbracht. Am Ende des Beitrags zeigt sich Sarubin freudig überrascht, dass der Präsident bei diesem Anlass sogar ein paar Sekunden aufgebracht hat, damit der Gouverneur die Telefonnummer eines Kumpels notieren konnte. „Ich bin sicher, da folgen noch Telefonate, ob [der Gouverneur] seine Versprechen auch alle gehalten hat. Da versteht der Präsident keinen Spaß“, resümiert Wladimir Solowjow.
In einem ganz ähnlichen Duktus ist auch der Rest der Sendung gehalten. Zusammen mit dem Vorsitzenden des Haushaltsausschusses, dem Jedinoross Andrej Makarow, „analysiert“ Solowjow Putins Auftritt zur Rentenreform (in Wirklichkeit vergehen beide die meiste Zeit im Chor vor Rührung, wie präzise Putin das Problem und die Lösungsansätze benannt hat). Wieder derselbe Pawel Sarubin erzählt von Putins Besuch im Sirius-Zentrum – auch dieser Beitrag sprüht vor Wohlwollen und entfaltet seine ganze Komik erst angesichts der Nachricht, dass einer der Jugendlichen auf dem Foto mit dem Präsidenten ein Nawalny-T-Shirt trägt.
Er ist ein sehr menschlicher Mensch
Dimitri Peskow plappert im TV-Studio fast wortwörtlich die Klischees der Sowjetpropaganda nach: „Putin liebt nicht nur Kinder, er liebt alle Menschen … Er ist überhaupt ein sehr menschlicher Mensch“, sagt Peskow. Die Majakowski-Worte über Lenin als „Der menschlichste Mensch“, sind in Wörterbüchern und Zitat-Sammlungen meist mit der Bemerkung „in der Regel ironisch verwendet“ versehen, doch hier ist von Ironie nicht viel zu spüren.
In den Schilderungen Peskows kommt Putin einem mythischen Helden gleich
Peskow geizt auch nicht mit Lob für seinen Vorgesetzten: Der würde „in Sekundenschnelle auf neue Umstände reagieren“, eigenhändig an seinen Reden arbeiten; er sei „ein Mensch wie jeder andere“, könne jedoch „mit seinen Emotionen ganz feinsinnig umgehen“. Putin schwimme täglich eine Stunde, trainiere im Fitnessstudio, spiele Eishockey usw. In den Schilderungen Peskows kommt Putin einem legendären, mythischen Helden gleich – so habe er zum Beispiel eine ganz besondere Verbindung zu Tieren: „Der Bär ist ja nicht dumm. Wenn er Putin sieht, benimmt er sich natürlich anständig“, sagt Peskow, und aus seinem Munde klingt das nur teilweise wie ein Scherz.
Der Bär ist nicht dumm. Wenn er Putin sieht, benimmt er sich anständig
Das Finale von Solowjows Sendung bilden aktuelle Videoaufnahmen von Putins letztem Urlaub in Tuwa, die man sich offenbar eigens für die Premiere von Solowjows Sendung aufgespart hat. Putin wandert durchs Sajan-Gebirge („Acht Kilometer ist er gelaufen!“, begeistert sich wiederum Pawel Sarubin, diesmal aus dem Off), sammelt Beeren und Pilze, geht „bis an den Abgrund“, kocht sich eigenhändig Tee und rettet junge Bäume. Und wieder diese animalischen Motive: Ein Bergadler schwebt über Wladimir Putin, er selbst beobachtet Steinböcke, und auch die haben überhaupt keine Scheu vor dem Staatsoberhaupt, ganz, als hielten sie ihn für einen Artgenossen.
Auch die Steinböcke haben überhaupt keine Scheu vor dem Staatsoberhaupt
Nachdem man die Sendung gesehen hat, bleibt ein großes Fragezeichen: Was war das? Der Versuch einen Personenkult zu etablieren, wie manche Kommentatoren sofort danach behaupten? Doch die medialen Techniken, die zu Zeiten von Lenin und Stalin noch durchaus Erfolg hatten, riefen schon in der Breshnew-Periode eher Ärger und Sarkasmus in der Bevölkerung hervor: Zu groß war die Kluft zwischen dem Propaganda-Bild und dem wirklichen Leben. Schwer vorstellbar, dass im Jahre 2018, in Zeiten von Internet, Trollen und allgegenwärtiger Ironie, selbst der konservativste Teil der Bevölkerung einer solchen Berichterstattung glaubt.
Die staatlichen Sender waren das Zaubermittel, Putins Beliebtheit aufrecht zu erhalten
Vielmehr wirkt es wie ein ungeschickter Versuch, auf die Schnelle die sinkenden Zustimmungswerte des Präsidenten zu retten. Wladimir Putin und seine PR-Leute scheinen weiterhin bedingungslos an die magische Kraft des Fernsehens zu glauben. Die staatlichen Sender haben Putin 1999-2000 auf den Gipfel der Macht befördert und waren seitdem das Zaubermittel, das die Beliebtheit des Staatsoberhaupts allen Schwierigkeiten zum Trotz aufrecht erhielt.
Aber die Entwicklung des Internets hat Jahr um Jahr das Monopol der TV-Kanäle untergraben, und die aktuelle Situation um die Rentenreform zeigt, dass das Fernsehen nicht mehr das effektivste Propaganda-Werkzeug ist. Alle Bemühungen der staatlichen TV-Sender konnten die Menschen bisher nicht von der Richtigkeit der Reform überzeugen, und Putins Zustimmungswerte stagnieren auf einem ungewohnt niedrigen Niveau.
Wenn die Menschen Putin weniger lieben, muss man mehr und besser von ihm sprechen
Angesichts dessen sind die Kreml-Propagandisten aber nicht so sehr darum bemüht, neue Methoden zu entwickeln – sie intensivieren einfach die erprobten. Wenn die Menschen Putin weniger lieben, dann muss man eben mehr und besser im Fernsehen von ihm sprechen. Doch scheint eine so grobschlächtige, schlecht zusammengezimmerte Propaganda selbst für den unbedarften russischen Zuschauer ein zu großer Fake. Oder denken wir zu gut über ihn?