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September: Fischfang auf Sachalin

Quelle dekoder

Satt und speckig wölbt sich das Ölzeug des Fischers auf Deck, der Kabeljau im Tanzschwung schwebt prall vorm glasigen Himmel, eine bleigraue Welle scheint wie gewischtes Wachs, wie der Rand eines übergroßen Fingerabdrucks hinter der schwankenden Schaluppe zu stehen: In den Fotografien von Oleg Klimov gibt es kaum einmal eine Bildfläche. Die Gegenstände seiner Fotografie sind in höchstem Maße plastisch, es sind Dinge, Volumina, die Aufnahmen strotzen geradezu vor Relief und Tiefe.

Mit solcher empfindungsstarker, sinnlicher Dokumentarfotografie ist Oleg Klimov (geb. 1964 in Tomsk, nun in Moskau lebend) zu einem der renommiertesten Reportagefotografen Russlands geworden. In den 1990er Jahren hat er als Kriegsfotograf die Konflikte des postsowjetischen Raums dokumentiert. Doch sein Thema ist schon immer auch das Wasser. Er machte die Wolga zum Inhalt seiner Arbeiten, drei Mal verbrachte er Monate am Weißmeer-Ostsee-Kanal, um sich mit einem fotografisch-forscherischen Projekt – Klimov ist studierter Astrophysiker – auf die Spuren des Zusammenhangs zwischen Bild und Politik zu begeben: Der Kanal wurde von Strafarbeitern erbaut, der Bauvorgang selbst vom großen sowjetischen Fotografen Alexander Rodtschenko in hochgradig ästhetisierender Weise dokumentiert, ohne jegliche Achtung des menschlichen Leids und Unrechts. Klimov, der einige Zeit Dozent an der zu Ehren Rodtschenkos benannten Schule für Fotografie und Multimedia in Moskau war, hat sich diesen Fall ethischer Blindheit des fotografischen Dokumentalisten auch schreibend zum Thema gemacht.

Seit 2007 erforscht Klimov mit der Kamera die Meeresgrenzen Russlands, immer wieder kehrt er auf die Kurilen und die Insel Sachalin zurück. Dort, nördlich von Japan im Ochotskischen Meer, hat er die Fischer auf ihren Fahrten begleitet. Von den dabei entstandenen Aufnahmen werden einige hier erstmals gezeigt.

Die Insel Sachalin gehört zur Oblast Sachalin – der einzigen Region Russlands, die sich vollständig über 59 Inseln erstreckt.

Alles, was man aus der Oblast Sachalin verkaufen kann, ist Erdöl, Gas und Fisch.

​​Ein Fischer wirft einen Rochen über Bord, der sich zufällig im Netz verfangen hatte. Die Arten der Fische und ihre Anzahl sind durch Quoten begrenzt, weswegen der Rochen nur Platz wegnimmt auf dem Fischerboot № 47.
 

Eigentlich fängt nur einer auf dem Schiff den Fisch – und zwar der Kapitän. Alle anderen helfen ihm dabei.Es werden „Küsten-“ von „Meeresarbeitern“ unterschieden. Letztere nennt man auch Mobr, von Matros-Obrabotschik: Matrose, der den Fisch zerlegt. Hier bereitet ein Mobr erstmal das Fangnetz vor.

Fischer „schütten“ ihren Fang in den Laderaum des Fangschiffes Taimanija. Als Mobry arbeiten vor allem Einheimische.

Die einfachen Obry, Fischverarbeiter zu Lande, brauchen keinerlei Qualifikation und sind meist Zugereiste, auf der Suche nach dem schnellen Geld.

​​Die Mobry erhalten ein Vielfaches an Gehalt gegenüber den Obry. Letzten Endes hängt die Höhe des Lohns auch von der Fangmenge ab.

Ein gefangener Hai an Bord des Fangschiffs Star.

Fischwilderer in der Terpenija-Bucht bei Poronaisk auf Sachalin. Wer kann, verkauft den Fang nicht in Russland, sondern in Japan, China oder Korea. Auch die Wilderer. Denn das bringt bedeutend mehr ein.

Dorsch und Seelachs sind so rentabel wie die Öl- und Gasförderung auf Sachalin. 

Die Menschen auf den Inseln leben in Armut und vom Fisch. Den verkaufen sie in Russland und Japan, die bis heute darüber streiten, zu wem die Inseln eigentlich gehören.

​​Fisch überall – selbst im Aufenthaltsbereich.

Beliebter Zeitvertreib zwischen den Fangzeiten: Domino-Spiel auf einem Fischerboot.

Die Fischer werden ähnlich wie Zeitarbeiter eingesetzt – sie bleiben für die gesamte Dauer der Fangfahrt auf dem Meer.

Fisch satt: Eine Lachszucht auf den Kurilen.

An der Küste gibt es kaum genügend Infrastruktur, wie sie die Sowjetbehörden nach 1945 eigentlich geplant hatten.

​​Die Fischverarbeiter sind meist Saisonkräfte. Sie kommen aus allen möglichen ehemaligen Sowjetrepubliken, aus Russland, aus China oder aus ärmeren Inselgegenden des Stillen Ozeans.

Die Einheimischen nennen die Saisonarbeiter die „Zugezogenen“. Obwohl es auf den Kurilen keine wirklich Einheimischen gibt, letzten Endes besteht die große Mehrheit aus „Zugezogenen“.

Da ein Teil des Fisches exportiert und nicht in Sachalin auf den Markt gebracht wird, ist der Fisch in den Geschäften vor Ort nicht günstiger als zum Beispiel in Moskau, manchmal sogar teurer.

Ein Fischer fängt Lodden (die dort „Ujok“ genannt werden) an der Küste des Ochotskischen Meeres, unweit des Dorfes Wsmorje auf Sachalin.

Fotos: Oleg Klimov
Bildredaktion: Nastya Golovenchenko
einführender Text: Martin Krohs
Veröffentlicht am 02.09.2016

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Arbeitsmigration in Russland

Trotz der anhaltenden Rezession bleibt Russland ein Magnet für ausländische Arbeitskräfte und reihte sich im vergangenen Jahrzehnt stets in die Top-Fünf der Rangliste von Ländern mit der größten Anzahl von Immigranten ein.1 Die Mehrheit dieser Einwanderer stammt aus den ehemaligen Sowjetrepubliken Zentralasiens. Arbeitsmigranten aus Usbekistan, Kirgistan und Tadschikistan fanden in Zeiten des Gas- und Ölbooms der 2000er Jahre Anstellung im Baugewerbe, dem Straßenbetrieb und dem Dienstleistungssektor. Doch die anhaltende wirtschaftliche Flaute stellt viele dieser, mit dem deutschen Lehnwort als Gastarbaitery bezeichneten, Migranten vor eine schwierige Wahl.
Die schwache heimische Wirtschaft und die autokratischen Regime Zentralasiens geben wenig Anlass zur Rückkehr. Gleichzeitig lassen die komplexe Rechtslage, der anhaltend schwache Rubel und oftmals miserable Arbeitsbedingungen das Arbeiten in Russland immer weniger lohnend erscheinen.

Der Zerfall der Sowjetunion brachte nicht nur die Entstehung von 15 unabhängigen Nationalstaaten mit sich, sondern verwandelte die vormals bloß verwaltungstechnischen Abgrenzungen zwischen den Ex-Sowjetrepubliken in konkrete Staatsgrenzen. Das GUS-Abkommen ermöglichte ehemaligen Sowjetbürgern, diese neuen Grenzen zu überqueren und sich bis zu drei Monate ohne Visum in anderen GUS-Mitgliedsstaaten aufzuhalten. Die schnell voranschreitende Deindustrialisierung, in Verbindung mit rasantem Bevölkerungswachstum in der Peripherie des früheren Sowjetreichs, machte aus diesem Recht auf Freizügigkeit häufig sogar eine Notwendigkeit.

Eine neue Generation postsowjetischer Bürger, zum Großteil aus dem ökonomisch hart getroffenen Zentralasien, versuchte im wirtschaftlich boomenden Russland der 2000er Jahre als Wanderarbeiter ihr Glück. Groß angelegte Bauprojekte und der zunehmende Bedarf an Serviceleistungen der neuen russischen Mittelschicht, sorgten für eine hohe Nachfrage nach ungelernten Arbeitskräften, die Russlands schrumpfende Bevölkerung selbst nicht befriedigen konnte.

ABHÄNGIG VON RÜCKÜBERWEISUNGEN

Dabei lassen sich allerdings nur die wenigsten der geschätzten vier bis fünf Millionen Saisonarbeiter aus Zentralasien dauerhaft in Russland nieder. Während der Wintermonate kehren viele Migranten zu ihren Familien zurück, die oft wirtschaftlich völlig von dem Einkommen aus der Saisonarbeit abhängig sind. Dementsprechend hoch ist der Anteil von Geldsendungen am Bruttoinlandsprodukt Zentralasiens. Rücküberweisungen von Migranten entsprachen zu Zeiten des russischen Wirtschaftswunders der Hälfte des BIP im ökonomischen Schlusslicht der ehemaligen UdSSR: Tadschikistan. Ähnlich in Kirgistan – hier entsprachen die Heimatüberweisungen nahezu einem Drittel des BIP.2

Dementsprechend hart traf der wirtschaftliche Abschwung im Zuge fallender Ölpreise und westlicher Sanktionen gegen Russland die zentralasiatischen Volkswirtschaften. Ähnlich schnell wie der Rubelkurs fielen auch die Rücküberweisungen von Arbeitsmigranten. In US-Dollar gemessene Geldsendungen nach Tadschikistan brachen 2016 auf weniger als 50 Prozent des Vorkrisenniveaus ein; für Usbekistan liegt dieser Wert bei 40 Prozent.3
Jüngste Reformen im russischen Arbeits- und Migrationsrecht haben zudem den Erwerb einer Arbeitserlaubnis erheblich verkompliziert und verteuert. Einwanderer müssen seit 2015 innerhalb eines Monats nach Ankunft einen russischen Geschichts- und Sprachtest ablegen, ein Gesundheitszertifikat erwerben und einen Nachweis über Krankenversicherung vorlegen, bevor sie sich um die gebührenpflichtige Arbeitserlaubnis bemühen können.4
Kirgistans Bürger allerdings profitieren seit dem Eintritt in die Eurasische Wirtschaftsunion im August 2015 von der Arbeitnehmerfreizügigkeit innerhalb des Staatenverbunds und sind von diesen Auflagen befreit. So wurde Kirgistan weniger hart von der Krise getroffen – was der Regierung des widerwilligen Beitrittskandidaten Tadschikistan sicherlich nicht entgangen ist.

VERSCHÄRFTE GESETZE

Die Reformen im russischen Migrationsrecht waren ursprünglich dazu gedacht, Arbeitsmigranten, die oft unter prekären Bedingungen in einer rechtlichen Grauzone arbeiten, einen regulären Aufenthaltsstatus zu verschaffen. Doch es bestehen weiterhin Zweifel am Erfolg dieser Maßnahmen. So befinden sich mehrere hunderttausend Ausländer auf der sogenannten schwarzen Liste der russischen Migrationsbehörde. Ihnen wird aufgrund von Vergehen gegen das Aufenthaltsrecht oder anderer Gesetzesverstöße die erneute Einreise nach Russland für drei bis fünf Jahre untersagt. 

Migranten im Mediendiskurs

Nachdem der Ukraine-Konflikt lange Zeit das russische Fernsehen dominiert hatte, drohten 2017 wieder Migranten aus Zentralasien verstärkt zur Zielscheibe medialer Stigmatisierung zu werden. Nach dem tragischen Anschlag in der Sankt Petersburger U-Bahn, dessen mutmaßlicher Täter aus Kirgistan stammte, mehrten sich Stimmen, die ein „Russland für Russen“ fordern. Obwohl die fremdenfeindlichen Stimmungen in der russischen Gesellschaft seit 2016 rückgängig sind, sind sie immer noch auf einem sehr hohem Niveau.5 Auch vonseiten der russischen Regierung ist mit verschärften Kontrollen und größerer Überwachung zu rechnen, da nach Einschätzung des FSB Arbeitsmigranten aus GUS-Staaten zu den Hauptdrahtziehern der in Russland aktiven Terrororganisationen gehören.6

Die fremdenfeindliche Atmosphäre schreckt jedoch nur wenige ab, auch der krisenbedingte Rückgang der Zuwanderungszahlen war nur von kurzer Dauer. Von 2016 bis 2019 stiegen diese mitsamt der Heimatüberweisungen in die zentralasiatischen Länder auf neue Rekordhöhen7. 2019 betrug die Gesamtsumme der Rücküberweisungen von Migranten aus Russland laut Weltbank8 22,2 Milliarden US-Dollar – rund 1,3 Prozent des Bruttoinlandsprodukts Russlands. 
Das Corona-Jahr 2020 stoppte diese Entwicklung weitgehend: Verglichen mit dem Vorjahr reisten von Januar bis November  nur halb so viele Ausländer nach Russland ein9, in Moskau lebten offiziellen Angaben zufolge rund 40 Prozent weniger Gastarbaitery als 2019. Viele von ihnen wurden arbeitslos10, ihre ohnehin schwierige Lebenslage in Russland wurde noch prekärer11
Zu Hause erwartet die zentralasiatischen Gastarbeiter aber eine kaum bessere Situation. Das insbesondere in Usbekistan und Tadschikistan von Repressionen geprägte politische Klima und die trüben wirtschaftlichen Aussichten werden trotz der schwächelnden russischen Wirtschaft und Corona wohl dafür sorgen, dass das Phänomen von Gastarbaitery in Russland auf absehbare Zeit bestehen bleibt.

aktualisiert am 19.01.2021


1.migrationpolicy.org: Russia: A Migration System with Soviet Roots 
2.The World Bank: Personal remittances, received (% of GDP) 
3.Cbr.ru: Statistika 
4.Aljazeera America: Ruble ripple: New Russian laws make Life difficult for migrant workers​ 
5. levada.ru: Ksenofobija v 2017 godu 
6.Echo.msk.ru: Direktor FSB A.Bortnikow: Trudovyje migranty načinajut sostavljat osnovnoj kostjak terrorističeskich grupp v Rossii 
7.oxussociety.org: Introducing the Central Asia Migration Tracker 
8.The World Bank: Migration and Remittances Data 
9.Ministerstvo vnutrennich del Possijskoj Federazii: Svodka osnovnych pokazatelej dejatel'nosti po migrazionnoj situazii v Rossijskoj Federazii za janvar' – nojab' 2020 goda 
10.RBK: Gastarbajtery podveli perevozku i dostavku 
11.Human Rights Watch: As Russia Faces an Economic Downturn, Migrant Workers are Paying the Price 

 

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