Satt und speckig wölbt sich das Ölzeug des Fischers auf Deck, der Kabeljau im Tanzschwung schwebt prall vorm glasigen Himmel, eine bleigraue Welle scheint wie gewischtes Wachs, wie der Rand eines übergroßen Fingerabdrucks hinter der schwankenden Schaluppe zu stehen: In den Fotografien von Oleg Klimov gibt es kaum einmal eine Bildfläche. Die Gegenstände seiner Fotografie sind in höchstem Maße plastisch, es sind Dinge, Volumina, die Aufnahmen strotzen geradezu vor Relief und Tiefe.
Mit solcher empfindungsstarker, sinnlicher Dokumentarfotografie ist Oleg Klimov (geb. 1964 in Tomsk, nun in Moskau lebend) zu einem der renommiertesten Reportagefotografen Russlands geworden. In den 1990er Jahren hat er als Kriegsfotograf die Konflikte des postsowjetischen Raums dokumentiert. Doch sein Thema ist schon immer auch das Wasser. Er machte die Wolga zum Inhalt seiner Arbeiten, drei Mal verbrachte er Monate am Weißmeer-Ostsee-Kanal, um sich mit einem fotografisch-forscherischen Projekt – Klimov ist studierter Astrophysiker – auf die Spuren des Zusammenhangs zwischen Bild und Politik zu begeben: Der Kanal wurde von Strafarbeitern erbaut, der Bauvorgang selbst vom großen sowjetischen Fotografen Alexander Rodtschenko in hochgradig ästhetisierender Weise dokumentiert, ohne jegliche Achtung des menschlichen Leids und Unrechts. Klimov, der einige Zeit Dozent an der zu Ehren Rodtschenkos benannten Schule für Fotografie und Multimedia in Moskau war, hat sich diesen Fall ethischer Blindheit des fotografischen Dokumentalisten auch schreibend zum Thema gemacht.
Seit 2007 erforscht Klimov mit der Kamera die Meeresgrenzen Russlands, immer wieder kehrt er auf die Kurilen und die Insel Sachalin zurück. Dort, nördlich von Japan im Ochotskischen Meer, hat er die Fischer auf ihren Fahrten begleitet. Von den dabei entstandenen Aufnahmen werden einige hier erstmals gezeigt.
Die Insel Sachalin gehört zur Oblast Sachalin – der einzigen Region Russlands, die sich vollständig über 59 Inseln erstreckt.
Alles, was man aus der Oblast Sachalin verkaufen kann, ist Erdöl, Gas und Fisch.
Ein Fischer wirft einen Rochen über Bord, der sich zufällig im Netz verfangen hatte. Die Arten der Fische und ihre Anzahl sind durch Quoten begrenzt, weswegen der Rochen nur Platz wegnimmt auf dem Fischerboot № 47.
Eigentlich fängt nur einer auf dem Schiff den Fisch – und zwar der Kapitän. Alle anderen helfen ihm dabei.Es werden „Küsten-“ von „Meeresarbeitern“ unterschieden. Letztere nennt man auch Mobr, von Matros-Obrabotschik: Matrose, der den Fisch zerlegt. Hier bereitet ein Mobr erstmal das Fangnetz vor.
Fischer „schütten“ ihren Fang in den Laderaum des Fangschiffes Taimanija. Als Mobry arbeiten vor allem Einheimische.
Die einfachen Obry, Fischverarbeiter zu Lande, brauchen keinerlei Qualifikation und sind meist Zugereiste, auf der Suche nach dem schnellen Geld.
Die Mobry erhalten ein Vielfaches an Gehalt gegenüber den Obry. Letzten Endes hängt die Höhe des Lohns auch von der Fangmenge ab.
Ein gefangener Hai an Bord des Fangschiffs Star.
Fischwilderer in der Terpenija-Bucht bei Poronaisk auf Sachalin. Wer kann, verkauft den Fang nicht in Russland, sondern in Japan, China oder Korea. Auch die Wilderer. Denn das bringt bedeutend mehr ein.
Dorsch und Seelachs sind so rentabel wie die Öl- und Gasförderung auf Sachalin.
Die Menschen auf den Inseln leben in Armut und vom Fisch. Den verkaufen sie in Russland und Japan, die bis heute darüber streiten, zu wem die Inseln eigentlich gehören.
Fisch überall – selbst im Aufenthaltsbereich.
Beliebter Zeitvertreib zwischen den Fangzeiten: Domino-Spiel auf einem Fischerboot.
Die Fischer werden ähnlich wie Zeitarbeiter eingesetzt – sie bleiben für die gesamte Dauer der Fangfahrt auf dem Meer.
Fisch satt: Eine Lachszucht auf den Kurilen.
An der Küste gibt es kaum genügend Infrastruktur, wie sie die Sowjetbehörden nach 1945 eigentlich geplant hatten.
Die Fischverarbeiter sind meist Saisonkräfte. Sie kommen aus allen möglichen ehemaligen Sowjetrepubliken, aus Russland, aus China oder aus ärmeren Inselgegenden des Stillen Ozeans.
Die Einheimischen nennen die Saisonarbeiter die „Zugezogenen“. Obwohl es auf den Kurilen keine wirklich Einheimischen gibt, letzten Endes besteht die große Mehrheit aus „Zugezogenen“.
Da ein Teil des Fisches exportiert und nicht in Sachalin auf den Markt gebracht wird, ist der Fisch in den Geschäften vor Ort nicht günstiger als zum Beispiel in Moskau, manchmal sogar teurer.
Ein Fischer fängt Lodden (die dort „Ujok“ genannt werden) an der Küste des Ochotskischen Meeres, unweit des Dorfes Wsmorje auf Sachalin.
Fotos: Oleg Klimov
Bildredaktion: Nastya Golovenchenko
einführender Text: Martin Krohs
Veröffentlicht am 02.09.2016