Schwere Rezession, hohe Inflationsrate und eine starke Abwertung des Rubels: Die russische Wirtschaft ist auf Talfahrt. Russland, das über knapp 17 Prozent der weltweiten Gas- und 5,5 Prozent der Ölreserven verfügt, ist zu stark abhängig von Rohstoffexporten und zeigt strukturelle Schwächen. Seit dem Krieg in der Ukraine tun außerdem die westlichen Sanktionen ihr Übriges.
Dabei hatte Putin, gemeinsam mit dem damaligen Wirtschaftsminister Alexej Kudrin, vor knapp einem Jahrzehnt vorgesorgt: Staatsfonds, gespeist aus Einnahmen der Energieexporte, wurden eingerichtet. Hintergrund war damals auch die Angst, durch stetige Verschuldung immer weiter in die Abhängigkeit von Oligarchen und globalen Investoren zu geraten. Nun gibt es bereits den Ministeriumsvorschlag, an diese Reserven zu gehen und einen der Fonds im kommenden Jahr aufzulösen.
In dieser Situation rät Wirtschaftsexperte Wladislaw Inosemzew in seinem Artikel auf dem unabhängigen Portal snob.ru, von China zu lernen: In den 1980er und vor allem 1990er Jahren hatte die sozialistische Volksrepublik den privatwirtschaftlichen Sektor freigegeben und den staatlichen strikt von ihm getrennt. So wurden die Weichen für einen gewaltigen Entwicklungssprung gestellt.
Trotz der unermüdlichen Erklärungen russischer Beamter bleibt die wirtschaftliche Situation in Russland äußerst angespannt: Eine Rückkehr zum Wachstum ist bislang nicht absehbar; sogar die erfolgreichsten Unternehmer bezeichnen das Business-Klima als „äußerst feindlich“; Wirtschaftsreformen werden zumindest dieses Jahr nicht mehr in Gang gebracht; die Spannungen zwischen Russland und der übrigen Welt nehmen nicht ab. Das Haushaltsjahr wird mit einem Defizit abgeschlossen, und die bestehenden Rücklagen werden in anderthalb bis zwei Jahren erschöpft sein, vorausgesetzt, die Rohstoffpreise fallen nicht wieder.
Keine Lösung in Sicht – und so vergeht die Zeit
Es ist allgemein bekannt, dass heute zwei Gruppen von Ökonomen um den Einfluss auf den Präsidenten konkurrieren. Die einen setzen auf Liberalisierung, die anderen wollen die Rolle des Staates stärken, unter anderem durch zusätzliche Geldemission.
In einigen Fragen ähneln sich die Positionen der Kontrahenten, doch es gibt mehr Unterschiede als Gemeinsamkeiten. Der Präsident schwankt, da ihm klar ist, dass beide Varianten erhebliche Risiken bergen. Und so vergeht die Zeit.
Seit dem Beginn der Krise 2008 – für das Putinsche System in gewisser Hinsicht der erste Warnschuss – sind zehn Jahre vergangen. Aber seitdem ist das Land praktisch auf der Stelle geblieben, insbesondere, wenn man seine „Errungenschaften“ mit dem vergleicht, was in China und Singapur, in Dubai und Riad erreicht worden ist.
In einer solchen Situation kann man, denke ich, auch einmal sehr ungewöhnliche Vorschläge machen. Einer davon läuft auf etwas hinaus, das sicherlich umgehend mit der Bezeichnung „wirtschaftliche Opritschnina“ versehen würde: die formelle Aufteilung der Volkswirtschaft in einen staatlichen und einen privaten Sektor.
Trennung der Wirtschaft in einen staatlichen und einen privaten Sektor – „staatliche Opritschnina“?
Eine kurze Beschreibung dieses Vorschlags sollte meines Erachtens so beginnen: Es ist gar nicht einmal der übermäßig große staatliche Anteil an den Aktiva, der ein ernsthaftes Problem für Russland darstellt, sondern die Verschwommenheit der Grenzen dieses staatlichen Sektors. Dies führt dazu, dass sich die Interessen der Unternehmen und des Staates ständig überkreuzen. Und der Schutz der Staatsinteressen läuft darauf hinaus, dass die Unternehmer in die Enge getrieben werden. Dabei erzielt die Regierung den Großteil der Einnahmen weder durch die mittelständischen oder kleinen Unternehmen noch durch die Besteuerung von Bürgern, sondern aus der Tätigkeit der Großunternehmen oder aus Steuern auf Export und Import. Deswegen besteht der Vorschlag im Wesentlichen darin, die Großunternehmen weiter zusammenzuführen (obwohl man hier einwenden könnte – geht es noch weiter?) und den Druck auf private Unternehmen zu mindern.
Großunternehmen konsolidieren, Druck auf private Unternehmen mindern
Was ist damit gemeint? Nehmen wir einige Großunternehmen wie Rosneft, Gazprom, Bashneft, Transneft, die russische Eisenbahn RZhD, Aeroflot, VTB und Sberbank, Rostechnologii und einige andere: Die ersten beiden haben 2015 jeweils über 2 Billionen Rubel [etwa 30 Milliarden Euro] an Steuern und anderen Abgaben in den Staatshaushalt eingezahlt, was insgesamt circa ein Drittel der Staatseinnahmen ausmachte. Alle großen Staatsunternehmen zusammen sichern dem Staatshaushalt über die Hälfte seiner Gesamteinnahmen. Dabei wirtschaften einige von ihnen, sagen wir, nicht besonders effizient. Gazprom etwa hat nach Untersuchungen von Experten innerhalb von sechs Jahren über 2,4 Billionen Rubel [nach heutigem Kurs etwa 35 Milliarden Euro] sinnlos vergeudet. Gleichzeitig sind die Selbstkosten für Produktion und Leistungen des Unternehmens gestiegen und einige Märkte verlorengegangen.
Der Börsenwert aller „volkseigenen Betriebe“ ist in den vergangenen acht Jahren um mehr als das Fünffache von einer Billion auf unter 200 Milliarden US-Dollar gefallen.
Der Staat sollte lieber mit dem wirtschaften, was er schon hat, anstatt aus privaten Unternehmen die letzte Kopeke herauszuquetschen, Steuern und Abgaben zu erhöhen, unzählige Inspektionen durchzuführen und so im Endeffekt Unternehmen und Arbeitsplätze zu vernichten.
Giganten wie Gazprom: cash machines für den Staatshaushalt
Heute wird im Kreml die Frage diskutiert, ob man einen Teil der Aktien von Staatsunternehmen veräußern sollte, um das Haushaltsdefizit zu decken. Ein anderer Weg wäre besser:
Die staatlichen Aktienkontrollpakete müssten in einen nationalen Investmentfonds überführt werden. In der Art, wie er gerade in Saudi-Arabien geschaffen wird, oder wie es ihn bereits in Singapur oder in den Vereinigten Arabischen Emiraten gibt. Dieser Fonds sollte sich vorrangig um das Füllen der Staatskasse und um die Effizienzsteigerung staatlicher Unternehmen kümmern und nicht in Fußballclubs, nie in Betrieb gehende Pipelines und Flugzeuge für Manager „investieren“.
Der Aufsichtsrat, gerne unter dem Vorsitz von Präsident Putin, sollte ausschließlich aus internationalen Profis bestehen, die bislang keine Verbindung zum russischen Business hatten. Schließlich sollte die Leitung aller Unternehmen der Holding erfolgreichen internationalen Managern anvertraut werden, um somit die kommerzielle Tätigkeit dieser Firmen komplett zu entpolitisieren.
Heute ist es schwer zu verstehen, was Gazprom oder RZhD eigentlich sind. Sind es Sponsoren von großen sportlichen und außenpolitischen Aktionen? Oder Unternehmen, deren Aufgabe in der Steigerung von Core Results besteht? Das Reformziel sollte darin bestehen, diese Giganten in eine Art Cash Machines für den Staathaushalt zu verwandeln.
Das Gas sollte nicht „nach Osten umgelenkt werden“, sondern dorthin verkauft, wo es am meisten Geld bringt; Ölunternehmen sollten keine Schiffswerften bauen, sondern die Förderung flexibel und gleichmäßig steigern; von Zimmern voller Pelzmäntel ganz zu schweigen.
Unter Berücksichtigung der Tatsache, dass Finanzpläne von russischen Staatsunternehmen die Pläne ähnlicher Unternehmen im Ausland um einiges übersteigen, könnten die Kosten mindestens um ein Drittel gesenkt, die Einnahmen spürbar gesteigert und eine Menge unnötiger Ausgaben gestrichen werden.
Innerhalb von drei bis fünf Jahren wäre es denkbar, dass sich die Einnahmen aus Steuern, Abgaben und insbesondere Dividenden von 10 bis 15 Staatsunternehmen verdoppeln.
Mindestens genauso wichtig erscheint ein weiteres Ziel: Die Kapitalausstattung des gesamten nationalen Investmentfonds um das Zwei- bis Dreifache zu steigern und 20 bis 25 Prozent seiner Aktien an ausländische Großinvestoren zu verkaufen.
Anders ausgedrückt, es ist an der Zeit, einen wirklich staatsmäßigen (und nicht verwaltungsmäßigen) Ansatz für den Umgang mit dem staatlichen Großeigentum zu finden. Das kann dazu führen, dass die Steuereinnahmen dank einer solchen Opritschnina auf mindestens zehn Billionen Rubel [etwa 140 Milliarden Euro] jährlich steigen und somit zwei Drittel des Staatshaushaltes ausmachen. Darüber hinaus würde die Kapitalausstattung der staatlichen Aktiva um 150 bis 250 Milliarden US-Dollar wachsen, was einem Jahreswert an Haushaltseinnahmen entspricht.
Russland braucht eine stabile, autarke Wirtschaft
Das Hauptziel besteht nicht nur in der Lösung aktueller Probleme. „Oberstleutnant Putin zu retten“ vor dem unausweichlichen Zusammenbruch des Wirtschaftssystems kann nur dann gelingen, wenn das Land in 10 bis 15 Jahren (und dieser Horizont entspricht meiner Meinung nach seinen Plänen, was seine Regierungszeit angeht), wenn nämlich die weltweite Nachfrage nach fossilen Energieressourcen und anderen Rohstoffen aus Russland rapide fallen wird, über eine stabile, autarke Wirtschaft ohne oligarchischen Einfluss verfügt. Hiermit würde die vorgeschlagene Strategie das wiederholen, was bei der ersten Etappe der chinesischen Reformen von 1980–1990 geleistet worden ist.
Die russische Führung verfügt über eine stabile Steuerquelle und kann im Falle eines Ölpreisverfalls flexibel reagieren, indem sie den Währungskurs anpasst. Dadurch könnte sie außerhalb des staatlichen Sektors eine maximale Liberalisierung der wirtschaftlichen Tätigkeit zulassen.
Anders ausgedrückt: Man sollte sich nicht darauf konzentrieren, die existierenden russischen Unternehmen gewinnbringend zu verkaufen, sondern darauf, dass in Russland tausende neue gegründet werden.
Die Steuerlast für private Unternehmen sollte gesenkt werden, damit dort Raum für neue Arbeitsplätze entstehen kann. So können auch Arbeitskräfte aufgenommen werden, wenn diese von Staatsbetrieben freigestellt werden.
Es ist doch ein Unding, dass Gazprom, verglichen mit Shell, nur ein Drittel des Gewinns bringt, dabei aber drei Mal mehr Personal beschäftigt! Oder RZhD, die zwölf Mal mehr Personal beschäftigt als die vergleichbare kanadische Eisenbahn!
Russland als große Offshore-Zone
Die Entwicklung des privaten Sektors wird an die Effizienzsteigerung des staatlichen gekoppelt sein. Mehr noch, eine längerfristige Steuerbefreiung sollte Russland für eine gewisse Zeit in eine große Offshore-Zone verwandeln, in die sowohl ausländische als auch einheimische Unternehmen gerne investieren. Dabei sollten sie wissen, dass in 10 bis 15 Jahren, wenn sich das goldene Zeitalter der große Konzerne dem Ende zuneigen wird, die Steuern wieder erhöht werden.
Indem sie einen effizienten staatlichen Sektor als Stütze schafft, könnte die russische Staatsführung das Land für Investoren attraktiv machen – und weltweit ist der staatliche Sektor durchaus effektiv, wenn der Staat zwar formell Eigentümer ist, die Unternehmen sich aber nach Marktgesetzen entwickeln können.
Innerhalb dieser 10 bis 15 Jahre könnten unabhängige Investoren, denen sinnlose Kämpfe mit Silowiki erspart blieben, die Grundlage für eine Wirtschaft schaffen, die später die hauptsächliche Steuerlast übernehmen würde – selbstverständlich in kleinen Schritten und sehr vorsichtig.
Die Erfahrung Chinas als Vorbild
Ich wiederhole: Die Erfahrung Chinas hat gezeigt, dass die politische Führung zwar die Großunternehmen komplett kontrollieren, gleichzeitig aber eine vorrangige Entwicklung des privaten Sektors erlauben kann. Unabhängig davon, wie erfolgreich sich dieser entwickelt, wird er keineswegs die von oben verordnete „Stabilität“ in Gefahr bringen.
Russland hat offensichtlich nicht vor, zu einem europäischen Land zu werden, nicht einmal in wirtschaftlicher Hinsicht. Das ist traurig, aber nicht katastrophal. Asien liefert eine Menge beeindruckender Beispiele, wie ein Staat, angefangen mit China bis hin zu Saudi-Arabien, sich vernünftigerweise für die Strategie entscheidet, Wirtschaft und Politik voneinander zu trennen, was mehrheitlich zu beeindruckenden Ergebnissen führt.
Ich bin überzeugt, dass wir endlich damit beginnen müssen, von anderen zu lernen – wenn schon nicht vom Westen, dann zumindest vom Osten. Denn meiner Meinung nach vermag kein ideologisches Projekt in Reinform, weder eine neue liberale Revolution noch die Rückkehr zur Planwirtschaft, das heutige Regime noch zu retten.