In Belarus rattert nach wie vor die Repressionsmaschinerie, nahezu täglich gibt es zahlreiche Festnahmen und drakonische Urteile. Vor dem Hintergrund scheine es, schreibt Alexandra Schakowa, „als ob um uns herum nichts Gutes geschieht“. Die Journalistin hat sich für Mediazona Belarus deswegen auf die Suche begeben und Geschichten von Menschen aufgeschrieben, die zeigen, dass es auch in Belarus nach wie vor das Gute im Kleinen gibt. Wir haben die Protokolle aus dem Russischen und Belarussischen übersetzt.
Alle Namen wurden von der Redaktion geändert.
Darja, Oblast Mogiljow
Ich wollte eine Freundin in Polen besuchen, die schon vor einigen Jahren unfreiwillig emigriert ist. Ich ging also belarussische Süßigkeiten einkaufen. Im Geschäft Krasny Pischtschewik kaufte ich praktisch alles – die Freundin hatte nach Neuheiten gefragt. Eine ziemlich große Tüte war zusammengekommen. Die Damen an der Kasse fragten: „Für wen kaufen Sie denn so viel?“ Ich erzählte, dass ich einer Freundin im Ausland Süßigkeiten aus der Heimat mitbringen wolle. Die Verkäuferinnen begannen mich auszufragen, wohin es gehe, Polen oder Georgien, und gaben mir dann schließlich noch eine Packung einer neuen Geleesorte für die Freundin mit – einfach so, aus Solidarität, als Geschenk von ihnen.
Swetlana, Minsk
Im Winter ging ich in ein Geschäft im Einkaufszentrum und probierte eine Mütze auf. Normalerweise gefällt mir selten etwas, und ich trage auch kaum Mützen, aber diese war wie für mich gemacht. Ich wollte sie unbedingt kaufen. Aber ich hatte nur die Geldkarte, Bargeld trage ich selten bei mir. Ich kramte zusammen, was noch im Portemonnaie steckte – es fehlte ein Rubel. In diesem Augenblick rief meine Schwester an. Ich erzählte ihr von der tollen Mütze, die ich gefunden habe, aber nicht kaufen kann, weil mir genau ein Rubel fehlt. Ich wollte den Laden gerade verlassen, da hielt mich eine Verkäuferin auf und gab mir einen Rubel: „Hier, nehmen Sie, das ist eine Kleinigkeit, machen Sie sich die Freude.“ Ich bedankte mich natürlich bei ihr, darauf sagte sie: „Seit 2020 helfen die Belarussen einander doch noch ganz anders.“ Mir wurde gleich sehr leicht ums Herz.
Jelena, Minsk
Ich musste das Land verlassen. Ohne jetzt ins Detail zu gehen: Es brannte noch nicht, aber sie hätten jeden Moment vor meiner Tür stehen können. Ich musste im Notfallmodus alles verkaufen und verschenken, was in unserer Mietwohnung stand. Möbel, einen großen Kühlschrank, eine Waschmaschine – und einen Haufen Kleinkram.
Ein Freund arbeitete in einem Laden für Haushaltstechnik, dort gab es einen Transporter und Möbelträger. Ich verabredete mit ihm, dass er mir hilft und ich ihn und die Möbelpacker bezahle. Sie fuhren die Möbel zu Freunden, die technischen Geräte zu meinen Eltern, eine ordentliche Runde durch die ganze Stadt. Den schweren Kühlschrank trugen sie in den fünften Stock, auch ein paar Tische. Am Ende der Fahrt fragte ich, was ich schuldig sei. Er antwortete: „Ich sag’s dir später, wir müssen erst rechnen.“ Ich dachte mir, okay, sie werden ihre Tarife haben, abhängig vom Stockwerk, in das sie tragen mussten, und so weiter. Als ich ihn zwei Tage später anrief, sagte er: „Wir haben uns mit den Jungs beraten und beschlossen, dass du uns in Anbetracht der Situation nichts schuldest, wir haben das umsonst gemacht.“ Ganz ehrlich – ich musste weinen.
Sergej, Oblast Mogiljow (belarussisch)
Bei uns kam es ganz unerwartet zu einer Welle der Solidarität. In einem der Einkaufszentren gab es eine Aufnahmestelle für herrenlose Haustiere. Natürlich gibt es in der Stadt auch große Tierheime. Das hier war nur eine kleine Unterkunft, in der Kätzchen und Hündchen auf neue Besitzer warteten, und gleichzeitig mit ihren niedlichen Schnäuzchen Spenden für alle anderen sammelten. Ich weiß, dass viele Tiere von dort in ein neues Zuhause fanden. Aber dann passierte irgendetwas und die Aufnahmestelle schrieb auf Instagram, dass die Verwaltung beschlossen habe, ihnen den Mietvertrag zu kündigen. Da ging es aber los! Nicht einfach nur Likes und Kommentare – die Leute gingen persönlich zur Hausverwaltung oder riefen dort an, um ein gutes Wort für die Tierunterkunft einzulegen. Die Verwaltung lenkte ein, will den Vertrag nun nicht mehr kündigen und bat darum, bloß nicht mehr anzurufen.
Alexander, Oblast Grodno
Im Winter kam ich mal wieder in Kurzzeithaft. Vor den Wahlen holen sie bekanntermaßen überall die Aktivisten. Aber diesmal machten sie es anständig, nur zwei Personen, ich konnte im Auto sitzen. Man merkte gleich – das waren Bullen von hier, keine zugereisten.
Während der Kurzzeithaft wird man jetzt manchmal für Arbeiten eingesetzt, Müllsortieren oder Ähnliches. Früher konnten wenigstens die Verwandten zu dieser Arbeitsstelle kommen und Essen und Arbeitskleidung vorbeibringen. Jetzt ist das verboten. Aber die Arbeiter, die dort waren, teilten ihr Mittagessen mit uns und brachten uns sogar mal extra was von zu Hause mit, obwohl sie selbst nur ganz wenig verdienen. So war das.
Maxim, Mogiljow
Bis zu meiner Festnahme im Jahr 2022 half ich einem Jungen mit einer schweren Erkrankung, Geld für Medikamente und die Behandlung zu sammeln. Es gibt sehr wenige Kinder mit dieser Diagnose in Belarus, und nach 2020 gab es auch keinerlei Aufmerksamkeit mehr für ihre Anliegen. Nicht, dass alle sie vergessen hätten, aber vermutlich bekamen sie weniger Spenden, weil im Land die politischen Gefangenen und die Haftgeschädigten hinzugekommen waren. Ich hatte mich in seine Geschichte stark reingehängt, obwohl das schwerfiel, weil der Kleine wirklich schwerkrank war und es nicht leicht hatte. Als ich wieder freikam, sah ich, dass die notwendige Summe zusammengekommen war, der Junge hatte mit seinen Eltern zur Behandlung ins Ausland reisen können, und sein Zustand war jetzt sogar stabil. Er hatte mir sogar ein Bild gemalt, zum Dank für die Beteiligung an der Sammlung. Bislang konnten wir uns aber – aus bekannten Gründen – noch nicht treffen.
Irina, Oblast Brest (belarussisch)
2023 kam ich aus dem Straflager frei. Kürzlich rief der Ehemann einer politischen Gefangenen an, die noch einsitzt. Er hatte sie dort besucht und die Ehefrau hatte ihn gebeten, mich zu finden – sie machten sich im Straflager Sorgen, wie es mir in der Freiheit gehe ... Ich erzählte ihm von der Führungsaufsicht und der Miliz. Das Wissen kann nützlich für sie sein, in der Zukunft.
Diese Frau wurde in letzter Zeit mehrfach gemeldet, musste in den Strafisolator. Sie ist krank, aber um mich macht sie sich Sorgen, wie es mir in der Freiheit geht.
Katerina, Minsk
Ich hatte ein Vorstellungsgespräch bei einem Online-Supermarkt und die Managerin sprach Belarussisch. Ohne nach Worten suchen zu müssen, richtig gut und flüssig. Es war schön, in Belarus Belarussisch zu hören. Ich glaube, man hört es jetzt häufiger im Ausland, es in Belarus zu sprechen, kommt praktisch einem Einzelprotest gleich.
Dimitri, Oblast Mogiljow
Die Inhaber eines der hiesigen Cafés organisierten in ihren Räumen Ausstellungen lokaler Künstler. Kürzlich gab es schon die dritte Vernissage. Ich war dort – einfach super! Viele Leute, Live-Musik, Gespräche, es wurde getanzt. Und alles ohne einen Schluck Alkohol auf den Tischen. Da sage noch einer, in Belarus sei alles verstummt. Für unsere Kleinstadt war das ein großes Ereignis. Man musste keinen Eintritt zahlen, konnte Kunst sehen und Kaffee trinken. Die Wirtin des Cafés kennt sich schon in der lokalen Kunstszene aus und kann alles über die Bilder erzählen.
Bei einem der Bilder soll man sich etwas wünschen können. Aber wie denn, frage ich, man kann es doch nicht anfassen? Darauf antwortet sie: Sprechen Sie einfach mit ihm.
Waleri, Oblast Brest (belarussisch)
Alles wie immer und gehabt – gute, mutige Leute tun, was getan werden muss. Als ich in Haft war, kümmerte sich ein Freund die ganze Zeit über um meine Frau, rief sie einmal pro Woche an und brachte mir ohne Not weiß-rot-weiße Pastila [eine Süßigkeit aus Fruchtpüree] in die Untersuchungshaft. Zum Ende hin war sie dann schon weiß-kirschrot-weiß, weil der Produzent das Rezept geändert hatte. Als ich in der Strafarbeit war, sammelten zwei andere Leute, die ich kaum kannte, zwei riesige Taschen voll Sachen für mich: Pullover, Hemden, Schuhe, Arbeitskleidung, mehrere Paar Handschuhe. Leute aus unterschiedlichen Kontexten halfen mir buchstäblich die gesamte Zeit über: mit Geld, Obst und Gemüse, allem.