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Video #19: Best of Kleimjonow

Neue Sprache im staatlichen Ersten Kanal: Die Anmoderationen von Kirill Kleimjonow sollten nicht mehr sachlich und nüchtern sein. Das ist ihm gelungen. Ein Best of mit Kommentaren von Oleg Kaschin.

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„Der Beruf des Verräters“, sagt Kleimjonow, „ist einer der gefährlichsten auf der ganzen Welt.“ Dann beginnt ein Beitrag über den vergifteten russischen Ex-Spion Sergej Skripal.
Kirill Kleimjonow war zwischen Februar und Mai wieder Moderator der Abend-Nachrichtensendung Wremja im staatlichen Ersten Kanal. Er hatte sie bereits zwischen 1998 und 2004 moderiert.
Wremja ist nicht irgendeine Nachrichtensendung, sie hat die höchsten Einschaltquoten, erreicht täglich mehrere Millionen Zuschauer. Der Journalist Oleg Kaschin schreibt auf Republic:

Deutsch
Original
Die Sendung Wremja [dt. „Zeit“] ist zweifellos ein Symbol für Russlands TV-Staatlichkeit. Gleichzeitig ist sie wahrscheinlich mit das wichtigste Element des sowjetischen Medienerbes, das bis in unsere Tage überlebt hat. Vergleichen kann man die Sendung Wremja nur mit der Prawda. Während letztere in unserer Zeit zu einem auflagenstarken Firmenblatt der KPRF geworden ist, die nichts mehr mit der wichtigsten und größten Zeitung der Sowjetunion gemein hat, ist Wremja eine derart konstante Größe im Sendungsspektrum – als hätte sich im Land nie etwas geändert, als wäre es ewig 9 Uhr abends Moskauer Zeit.
Программа «Время» – бесспорный символ российской телевизионной государственности и одновременно, вероятно, важнейший элемент советского медийного наследия, доживший до наших дней; сравнить программу «Время» можно только с газетой «Правда», и если последняя в наше время превратилась в корпоративную многотиражку КПРФ, не имеющую ничего общего с главной газетой Советского Союза, то программа «Время» – это такая эфирная константа, как будто в стране никогда ничего не менялось, вечные девять часов вечера по Москве.


Das Gesicht von Wremja ist eigentlich Jekaterina Andrejewa, die die Nachrichtensendung seit 1997 moderierte, außerdem auch Witali Jelisejew. Ab Februar übernahm Kirill Kleimjonow wieder diese Rolle und machte alles anders als bisher: Aus einem neuen modernen Studio heraus ersetzte er die bislang eher nüchterne Nachrichten-Sprache in seinen Anmoderationen durch subjektive Kommentare. Nach der Amtseinführung Putins Anfang Mai diesen Jahres zog sich Kleimjonow, der seit 2016 auch im Direktorenrat des Senders ist, dann wieder hinter die Kamera zurück. Ist sein Experiment, einen neuen Ton zu finden, geglückt? Oleg Kaschin kommentiert: 

Deutsch
Original
Wremja als Abend-Show lässt flache Witze über Grudinins Goldbarren los, bringt das unglaubliche „Fröhlicher-aber-kürzer“ über die Lebenserwartung der Russen und quittiert Skripals Vergiftung mit Schadenfreude, die der westlichen Presse als ein Beweis diente, dass die russische Regierung an dem Mordversuch des ehemaligen Spions beteiligt war.

Sieht man in Kleimjonows Experiment einen Versuch, für die Sendung Wremja eine menschliche Sprache zu finden, dann ist das Ergebnis des Experiments grausig. Es zeigt: Lieber die unmenschliche Sprache, wie bisher in der Sendung üblich, leidenschaftslos, ohne Mimik und treu dem aus fremder Feder oder auch einer Maschine vorgeschriebenen trockenen Text. Denn wenn Wremja anfängt menschlich zu sprechen, kommt dabei eben ein solches „Fröhlicher-aber-kürzer“ heraus.

Программа «Время» как вечернее шоу – это казарменные шуточки про золотые слитки Грудинина, невероятное «веселее, но короче» о продолжительности жизни россиян и злорадство после отравления Скрипалей, ставшее для западной прессы одним из доказательств причастности российских властей к попытке убийства бывшего шпиона. Если считать клейменовский эксперимент попыткой поиска человеческого языка для программы «Время», то итог этого эксперимента жутковат – оказывается, лучше говорить на нечеловеческом, вот как было принято в этой программе до сих пор, бесстрастно, не меняя выражения лица и не отклоняясь от написанного другими людьми, а то и машиной, сухого текста, потому что если программа «Время» начинает говорить по-человечески, то получается вот это «веселее, но короче».


Mehr zur Medienlandschaft in Russland:

Alles Propaganda? Russlands Medienlandschaft

Mehr zur schwarz-orangenen Schleife im zweiten Teil:

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dekoder-Redaktion
erschienen am 24.5.2018

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Erster Kanal

Die Geschichte des Senders reicht bis in die Sowjetunion zurück. Der Perwy Kanal (dt. Erster Kanal) des Zentralen Sowjetischen Fernsehens war bis 1965 der einzige, der in alle elf Zeitzonen des Landes ausgestrahlt wurde. Einige Sendungen von damals sind noch heute im Programm – etwa die einflussreiche Nachrichtensendung Wremja (dt. Zeit), das Studentenkabarett KWN (Klub Wesjolych i Nachodtschiwych, dt. Club der Lustigen und Findigen) oder die Kult-Spielshow Tschto? Gde? Kogda? (dt. Was? Wo? Wann?), nach deren Vorbild im ganzen Land und in der russischen Diaspora begeisterte Spielzirkel entstanden.

Auch seit dem Zerfall der Sowjetunion ist das Programm aus Informations- und Unterhaltungssendungen ausgesprochen beliebt. Anders als viele Privatsender, die in den Machtkämpfen der 1990er Jahre teilweise zu Waffen politischer Herausforderer des Kreml wurden, befand sich der Erste Kanal dabei stets unter direkter oder indirekter Kontrolle des Staates. Als eine seiner ersten Amtshandlungen formte Präsident Boris Jelzin im Dezember 1991 den sowjetischen Rundfunk zur staatlichen Fernseh- und Radioanstalt Ostankino um. 1994 wurde Ostankino in eine Aktiengesellschaft umgewandelt und in Russisches Öffentliches Fernsehen (ORT) umbenannt. Der Staat besaß und besitzt noch immer 51 Prozent der Aktien, den Rest hielten Banken und Konzerne verschiedener Großunternehmer, unter anderem des Oligarchen Boris Beresowski.1 Der Sender unterstütze mit Beresowskis aktiver Beteiligung 1996 die Wahlkampagne des politisch angeschlagenen Jelzin und verhalf in den Jahren 1999 und 2000 dem noch relativ unbekannten Wladimir Putin zu hoher Popularität – und damit zum Wahlsieg. Als Beresowski kurze Zeit später aufgrund einer Auseinandersetzung mit der politischen Elite das Land verlassen musste, verkaufte er seine ORT-Aktien an den kremlnahen Oligarchen Roman Abramowitsch.2  Im Jahr 2011 gab dieser rund die Hälfte davon an die Nationale Mediengruppe des Unternehmers Juri Kowaltschuk ab.3 2016 beschloss die Duma eine Gesetzesänderung, wonach ausländische Bürger nur 20 Prozent der Anteile an einem russischen Medium halten dürfen. Da Abramowitsch 2018 israelischer Staatsbürger wurde, verkaufte er weitere vier Prozent der Aktien an die Nationale Mediengruppe. Schließlich trennte er sich im März 2019 von den restlichen 20 Prozent der Anteile: Das Paket ging an die Bank VTB Kapital, die zur Staatsholding VTB gehört.

2002 wurde ORT in Perwy Kanal  (dt. Erster Kanal ) umbenannt, auch um an die Bezeichnung aus sowjetischer Zeit anzuknüpfen.4 Er ist auch aufgrund seiner oft aufwendig produzierten Serien und Filme in der Bevölkerung enorm populär – und erreicht eine überwältigende Mehrheit der Haushalte. Einer Umfrage des Lewada-Zentrums zufolge ist das Fernsehen für 93 Prozent der Russen die wichtigste Informationsquelle. Die Nachrichtensendungen des Ersten Kanals nehmen dabei eine Spitzenstellung ein: 82 Prozent der Fernsehzuschauer gaben an, sie regelmäßig zu sehen. Zudem vertrauen 50 Prozent der Befragten den Informationen, die sie im Fernsehen erhalten.5

Angesichts dieser Zahlen verwundert es nicht, dass die staatlich kontrollierten Fernsehsender6 eine zentrale Rolle in der politischen Kommunikation des Kreml spielen. Die Kontrolle über die politischen Aussagen und gesellschaftlichen Werte,7 die durch das Fernsehen an die Bevölkerung transportiert werden, erlaubt es dem Staat nach Ansicht der Politikwissenschaftler Petrow, Lipman und Hale, in den übrigen Medien Pluralismus zu tolerieren. Durch positive Darstellung der Regierung im Fernsehen könne Legitimität erzeugt werden, ohne dass man vollständig auf die investigativen Recherchen freier Medien, die auch für die Regierung wichtige Informationen enthalten, verzichten müsse.8

Als wichtige Stütze der staatlichen Informationspolitik vertritt der Sender die Regierungslinie und übt Kritik an der politischen Opposition sowie – seit den Massendemonstrationen von 2011/12 und dem Ukraine-Konflikt – an der so genannten Fünften Kolonne. Wichtige Formate bei der Verbreitung politisch gewünschter Positionen sind die Talkshows Politika und Wremja pokashet (dt. Die Zeit wird es zeigen), die der explizit regierungstreue Journalist Pjotr Tolstoj moderiert. Im Zuge des Ukraine-Konflikts verbreitete der Erste Kanal außerdem Falschmeldungen über die Handlungen der neuen Kiewer Regierung sowie die Gründe für den Absturz des Fluges MH-17 über der Ostukraine.9 Gleichwohl gibt es auch im Ersten Kanal begrenzten Raum für regierungskritische Stimmen. So hat der Journalist Wladimir Posner dort im Nachtprogramm eine Nische für seine professionellen und empathischen Interviews10 gefunden. In diesen Gesprächen äußert Posner auch eigene Positionen, die sich – insbesondere in gesellschaftspolitischer Hinsicht – stark vom offiziell sanktionierten Konservatismus unterscheiden. Posner selbst hat jedoch im Mai 2015 erklärt, dass der Sender die Auswahl seiner Gesprächspartner strikt kontrolliere und sein Format jederzeit auf Drängen der Regierung absetzen könne.11 Mindestens ein Fall von direkter Zensur eines Interviews ist bekannt: Aus einem Interview wurde eine Passage über die Medienfreiheit und den Blogger und Oppositionspolitiker Alexej Nawalny entfernt.12

Stand: 12.03.2019


1.Oates, Sarah (2006): Television, democracy and elections in Russia, London, S. 36f.
2.The Moscow Times: Abramovich buys 49% of ORT
3. Kommersant: Jurij Kovalčuk +1
4.The European Audiovisual Observatory (2003): Television in the Russian Federation - Organisational structure, programme production and audience, Strasbourg, S. 37
5.Die zitierten Lewada-Statistiken sind in den Russland-Analysen Nr. 294 (S. 8ff.) in deutscher Übersetzung erschienen
6.Neben dem Ersten Kanal sind das der Zweite Kanal, die Sender Rossija-1 und Rossija-24 sowie einige Dutzend regionale Sender.
7.Für eine Darstellung zur Verbreitung gesellschaftlicher Normen durch fiktionale Mini-Serien siehe Rollberg, Peter (2014): Peter the Great, Statism, and Axiological Continuity in Contemporary Russian Television, in: Demokratizatsiya, 22 (2), S. 335-355
8.Petrov, Nikolay, Lipman, Maria & Hale, Henry E. (2014): Three dilemmas of hybrid regime governance: Russia from Putin to Putin, S. 7 in: Post-Soviet Affairs, 30 (1), S. 1-26
9.Eine Gruppe russischer Intellektueller forderte im Oktober 2014 Konstantin Ernst, den Chef des Senders, dazu auf, die Falschmeldungen zuzugeben, siehe: The Moscow Times: Russian intellectuals ask state run TV to acknowledge falsifications in Ukraine-Reports
10.Eine Auswahl der Gespräche gibt es auf Youtube – einige auch mit englischen Untertiteln.
11.Dw.com: Wladimir Posner: W Rossii segodnja net shurnalistiki
12.Siehe dazu einen Artikel der russischen Nachrichtenagentur auf Interfax aus dem Jahr 2012: Posneru nadoela zensura (dt. Posner ist die Zensur leid).
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Ein kurzer Augenblick von Normalität und kindlicher Leichtigkeit im Alltag eines ukrainischen Soldaten nahe der Front im Gebiet , © Mykhaylo Palinchak (All rights reserved)