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Margarita Simonjan

Ihre steile Karriere begann mit einer Lüge im staatlichen Auftrag. Heute kokettiert die Chefin des Propaganda-Senders RT und der staatlichen Medienholding Rossija Sewodnja offen mit ihrer Rolle als Gesicht der russischen Desinformation. Der Kreml belohnt sie großzügig dafür. 

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Sergej Dorenko

Der russische Fernseh- und Radiomoderator Sergej Dorenko ist tot. Am 9. Mai fuhr er auf seinem Motorrad der Marke Triumph den Moskauer Gartenring entlang, verlor plötzlich das Bewusstsein, geriet auf die Gegenspur und krachte in eine Betonabsperrung. Funktionsstörung des Herzens. Dabei hatten ihm viele stets abgesprochen, ein Herz zu haben. Wenn man über ihn sprach, dann meist eher in technischen Metaphern: „Fröhlich schob er den Regler im Radiostudio nach oben. Mir schien, er hob nicht einfach den Mikrofonständer an, sondern bereitete ein Flugzeug zum Start vor. Und ihm schien es auch so: Wie ein Motor fing er an zu dröhnen: „Guuuuten Morrrrrrrgen, hier ist Rrrrrrrrasworot“, erinnert sich die Journalistin Tonja Samsonowa, die mit ihm eine Zeit lang eine Sendung auf Echo Moskwy moderierte. Mit seiner Energie und seinem Talent, vielleicht sogar journalistischem Genie, was selbst seine Todfeinde wie der Moskauer Ex-Bürgermeister Juri Lushkow anerkennen, galt er als eine TV-Ikone der späten 1990er Jahre, als „Telekiller“, der erst „Putin zum Präsidenten gemacht hat“ und später eine öffentliche Konfrontation mit ihm wagte. 

Sie nannten ihn „Telekiller“ – Journalist Sergej Dorenko galt als TV-Ikone der späten 1990er Jahre / Foto © Gennadi Guljajew

1959 als Sohn eines Militärpiloten und einer Bibliothekarin auf der Krim geboren, schloss Sergej Dorenko ein Dolmetscher-Studium an der Moskauer Universität der Völkerfreundschaft ab und fing 1982 zunächst an, als Portugiesisch-Übersetzer in Angola zu arbeiten. 1984 wird er kurz zur Armee eingezogen, bevor er 1985 beim staatlichen Rundfunk Gosteleradio anheuert. So beginnt seine kontroverse journalistische Karriere. 

Facts were irrelevant

Sein Name ist mit dem Vorgänger des Ersten Kanal, dem Fernsehkanal ORT, verbunden, dessen Abkürzung für „öffentliches russisches Fernsehen“ stand. Anders als in Deutschland, war das „öffentliche Fernsehen“ in den 1990ern ein Privatunternehmen, dessen Besitzer, der Oligarch Boris Beresowski, eine der kontroversesten Figuren der 1990er Jahre und ein Freund Dorenkos, war. 

Von 1996 bis 1999 moderiert Dorenko die bekannte Nachrichtensendung Wremja (dt. „Zeit“), die er mit seiner emotionalen Präsentation und einer journalistisch unsauberen Arbeitsweise boulevardisiert – womit er bei den Zuschauern offensichtlich Erfolg hat. Laut des ehemaligen Moskauer Büroleiters von The Economist  Arkady Ostrovsky, transformiert Dorenko die Nachrichtensendung in eine „Show vernichtender Enthüllungen“, die „den Tonfall verschärfte, Empörung auslöste und Hass stiftete. Aber am Wichtigsten: Sie faszinierte die Zuschauer und brach Tabus“. Dabei gilt: „Facts were irrelevant“.1 Im September 1999 bekommt Dorenko schließlich seine eigene TV-Sendung, nämlich die Programma Sergeja Dorenko (dt. „Sergej-Dorenko-Show“). Auch mit dieser Show sorgt er für politische Kontroversen und arbeitet weiter an seinem Ruf als Skandaljournalist.

Telekiller

1999 stehen in Russland Parlamentswahlen an, bei denen sich zwei große Lager gegenüberstehen: Auf der einen Seite findet sich die Partei Jedinstwo (dt. „Einheit“) des damaligen Präsidenten Boris Jelzin. Jelzin installierte gerade den noch relativ unbekannten Geheimdienstchef Wladimir Putin als Premierminister und Wunschnachfolger und kann auf die Unterstützung von ORT-Eigner Boris Beresowski zählen. Auf  der anderen Seite stehen der Moskauer Bürgermeister Juri Lushkow und der im Mai 1999 abgesetzte Premieminister Jewgeni Primakow mit ihrer Partei Otetschestwo – wsja Rossija (dt. „Vaterland – Ganz Russland“). 

Dass der Jelzin-Unterstützer Beresowski Mehrheitseigentümer des Fernsehsenders ORT ist, spielt in der Wahlkampfauseinandersetzung eine nicht zu unterschätzende Rolle; schon länger hat Beresowski den dort arbeitenden Dorenko gefördert, der nicht zu Unrecht als „Beresowskis Bulldogge“2 oder als „perfekter Söldner“3 bezeichnet wird. Dorenko schießt sich in seiner Sergej-Dorenko-Show auf Beresowskis Gegner Lushkow und Primakow ein.4 Nicht zuletzt aus persönlichen Motiven: Dorenko wurde auf Betreiben Primakows bei ORT kurzzeitig gefeuert und war zudem einer Steuerprüfung ausgesetzt, wofür er Lushkow verantwortlich machte.5

https://youtu.be/zkBeIKZTW5A?t=900

 

In seiner Show montiert Dorenko Juri Lushkows Kopf auf ein Bild Monica Lewinskys

In seiner Fernsehshow setzt Dorenko weiter auf Emotion und unlautere Mittel. Er deckt Lushkows Vermögensverhältnisse auf und zeigt dessen luxuriöse Immobilien, veröffentlicht auch angebliche OP-Fotos von Primakow, um dessen Gesundheit in Zweifel zu ziehen, und montiert Lushkows Kopf auf ein Bild Monica Lewinskys. Aufgrund dieser Kampagne wird Dorenko bald als „Telekiller“ bezeichnet: Primakow und Lushkow verlieren die Parlamentswahl 1999 tatsächlich. Nachdem Jelzin am 31. Dezember 1999 überraschend zurücktritt, gewinnt Putin die folgenden Präsidentschaftswahlen spielend, während der ursprünglich chancenreiche Primakow gar nicht erst antritt.

„Dem Volk etwas einzuflüstern“ 

In einem Youtube-Interview von 2018 mit Juri Dud ist Dorenko durchaus stolz auf seine Rolle in den Wahlkämpfen 1999 und 2000. Zwar sei es unrichtig zu behaupten, wie es manche tun, dass er Putin zum Präsidenten gemacht habe, denn „nur das Volk kann einen Menschen zum Präsidenten machen“. Allerdings habe er seine Aufgabe durchaus darin verstanden, „dem Volk etwas einzuflüstern“.6 Er bezeichnet Russland als „geficktes Mädchen“, das „von vielen Menschen gebumst wurde, die seinen Zopf um ihre Faust wickelten und es von hinten stießen. Und dieses Land hat einen Bruder-Soldaten verdient. Und Putin ist dieser Bruder-Soldat … Und dem Land musste man das einflüstern: Es kommt der Bruder und wird sich für dich einsetzen“. 

https://youtu.be/Ufbtj14TdpM?t=525

 

In einem Youtube-Interview zeigt sich Dorenko 2018 stolz auf seine Rolle in den Wahlkämpfen 1999 und 2000

Hat Dorenko also seinen eigenen Favoriten dem Volk erfolgreich „eingeflüstert“ und Beresowski ans Ziel seiner Wünsche gebracht? Wie sich schnell herausstellen sollte, ist dem nicht so. Beresowski bezieht Ende Mai 2000 offen gegen Putin Stellung, und die von ihm kontrollierten Medien – darunter ORT – vollziehen diesen Schwenk nach. Dementsprechend positioniert sich Dorenko nun als lautstarker Kritiker Putins. Diese Entwicklung gipfelt in der Sendung vom 2. September 2000: Dorenko widmet sie der Tragödie um das gesunkene Atom-U-Boot Kursk. Er kritisiert nicht nur das Krisenmanagement der Regierung und die chronische Unterfinanzierung der Marine, sondern bezichtigt Putin höchstpersönlich der Lüge und gibt ihm die Schuld am Tod der Matrosen. „Die Mächtigen gehen nur deshalb so mit uns um, weil wir es zulassen“,  ist der letzte Satz der Sendung.7 Und wie sich schließlich herausstellen sollte, war es für viele Jahre auch der letzte Satz Dorenkos im Fernsehen überhaupt. Der Leiter des Senders, Konstantin Ernst, setzt Dorenkos Sendung kurz danach ab, und Dorenko selbst wird arbeitslos.8 Sein Förderer Beresowski hat bereits im Juli sein Mandat als Abgeordneter abgegeben, verkauft zahlreiche seiner Firmenanteile, darunter jene an ORT, und geht im November 2000 ins Londoner Exil wo er sich 13 Jahre später das Leben nimmt.

Mehrere Leben nach dem Fernsehen 

Nach seiner Entlassung kehrt Dorenko dem Fernsehen gezwungenermaßen den Rücken; bis auf zwei kurze Intermezzi bei REN TV (2011) und TV-Zentr (2013) ist er nicht mehr als Fernsehmoderator tätig. Anfang der 2000er Jahre engagiert sich Dorenko vielmehr politisch, tritt 2003 der Kommunistischen Partei der Russischen Föderation (KPRF) bei und hält 2004 im Zuge der Orangenen Revolution eine Rede auf dem Kiewer Maidan, wo er ankündigt: „An jenem Tag, an dem wir gewinnen, sperren wir Putin in einen eisernen Käfig“.9 2005 verfasst er den dystopischen Roman 2008, in dem er eine Revolution gegen Putin beschreibt. 
Daneben beginnt Dorenko 2004 wieder, als Moderator zu arbeiten, diesmal allerdings beim Radio. Von 2004 bis 2008 arbeitet er beim Radio Echo Moskwy, 2008 gründet er die Radiostation Russkaja slushba nowostej (dt. „Russischer Nachrichtendienst“), wo er auch als Moderator und Chefredakteur fungiert. Gleichzeitig versuchte Dorenko, auch im Internet Fuß zu fassen; zunächst als Blogger im Livejournal, später ist er als Videoblogger auf Youtube und Instagram vertreten. Seine Spitznamen sind rasstriga (dt. „Abtrünniger“) und pastushok (dt. „Hirtenjunge“). 2014 wechselt Dorenko sowohl als Moderator als auch als Chefredakteur zum neugegründeten Radio Govorit Moskva (dt. „Hier spricht Moskau“), das auch zu seiner letzten Station werden sollte.  

Auffallend ist, dass Dorenko in den letzten Jahren wieder von seinem Anti-Putin-Kurs abrückte. Nicht nur, dass er an Putins Inauguration am 7. Mai 2018 teilnimmt. Wie er Juri Dud berichtet, kaufte er sich auch eine Wohnung im Haus am Ufer, mit direktem Blick auf den Kreml.10 Dieses Haus wurde in den 1920ern errichtet, um für Günstlinge der Sowjetmacht Luxuswohnungen im Moskauer Zentrum zur Verfügung zu stellen. Mit seiner Übersiedlung in dieses geschichtsträchtige Haus hatte es Dorenko – spät, aber doch – zumindest symbolisch wieder zurück ins Zentrum der russischen Macht geschafft.


1.Ostrovsky, Arkady (2017): The Invention of Russia: The Rise of Putin and the Age of Fake News, New York, S. 248 
2.Burrett, Tina (2011): Television and Presidential Power in Putin’s Russia, London/New York, S. 49 
3.Ostrovsky, S. 247 
4.Dorenko unterstützt Beresowski im Parlamentswahlkampf aktiv durch Wahlkampfauftritte und hilft ihm, einen Sitz als Abgeordneter der Republik Karatschai-Tscherkessien zu erlangen, vgl.: Colton, Timothy J./McFaul, Michael (2002): Popular Coice and Managed Democracy: The Russian Elections of 1999 and 2000, Washington, S. 269 
5.Ostrovsky, S. 249 
6.Youtube: vDud’ 2018: Dorenko – o russkom narode, Putine i  den’gach 
7.Youtube: Obschtschestwenno-polititscheskij kanal / RVISION 2014. Poslednaja peredatscha Dorenko na ORT (Schjostkaja kritika Putina po powodu  APL „Kursk“) 
8.Norris, Stephen M. (2012): Blockbuster History in New Russia: Movies, Memory, and Patriotism. Indianapolis (IN), S. 275 
9.YouTube: a. fomenko. Dorenko: “My posadim Putina w kletku” 
10.vDud’ 2018 
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