Seit dem Jahr 2020, als die belarussischen Machthaber begannen, die Proteste niederzuschlagen, wurden mehr als 1400 NGOs liquidiert, berichtet das Online-Medium Pozirk. Auch die Festnahmen gehen weiter, längst werden auch Angehörige von bekannten Dissidenten, die sich im Ausland befinden, festgenommen. Kürzlich der Vater des Schriftstellers Sasha Filipenko.
Die Repressionen in Belarus haben mittlerweile ein Maß erreicht, über das sich selbst russische Journalisten und Dissidenten wundern. Sie befürchten, dass das System Putin die Maßnahmen aus dem Nachbarland in voller Gänze übernehmen könnte. Die russische Journalistin Katja Janschina hat am eigenen Leib erfahren, wie die belarussischen Machthaber gegen unliebsame Personen vorgehen. Sie wurde bei einer Recherchereise verhaftet und musste für 15 Tage ins Gefängnis. Was sie dort gesehen und erlebt hat, beschreibt sie in einem Beitrag für das russische Online-Portal no Future.
Wie weit sind wir vom belarussischen Regime entfernt?
Anfang des Jahres 2023 verschwand die russische Journalistin Katja Janschina. Sie war nach Belarus geflogen, um über den Gerichtsprozess der Mitarbeiter des Menschenrechtszentrums Wjasna zu schreiben. Sie standen vor Gericht, weil sie Menschen halfen. Nach der Verhandlung forderte man Janschina auf mitzukommen. Der Kontakt zu Katja brach ab und ihre Kolleg:innen von Memorial, Adwokatskaja uliza und das Team von no Future begannen, ihr einen Anwalt zu organisieren. Es stellte sich heraus, dass es in Belarus noch schwieriger ist, einen Anwalt zu finden, als in Russland – es gibt nahezu keine mehr. Zudem hat ihre Arbeit im Polizeistaat kaum Aussicht auf Erfolg. Nach 15 Tagen in einer überfüllten Zelle für politische Häftlinge wurde Katja nach Russland deportiert. Im Gespräch mit no Future bittet sie darum, ihre Erlebnisse nicht zu heroisieren und bezeichnet sie als „touristischen Ausflug“ – in eine Zukunft, in der man dafür verurteilt wird, dass man einen Telegram-Kanal abonniert hat, in der grundlos Wohnungen durchsucht, alte Menschen geschlagen und beleidigt werden und Polizisten voller Stolz die Bezeichnung „Oberfaschist“ tragen.
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Zuerst sprach ein merkwürdiger Mann mit mir, er trug keine Uniform, aber seine Visage sagte ganz klar Staatssicherheit. Man merkte sofort, dass dieser Typ es gewohnt war, mit anderen Menschen auf eine ganz bestimmte Art zu sprechen. Er setzt sich hin, spricht dich sofort mit „du“ an und sagt dann mit so einer fordernden Stimme: „Vorstellen, Pass her“. Also völlig überzeugt davon, dass man ihm sofort alles gibt, alles aushändigt. Weil er es so gewohnt ist, er muss sich überhaupt nicht anstrengen. Als ich ihn im Gegenzug bat, sich vorzustellen, sagte er: „Da ich im Gericht war, sollte ja wohl klar sein, wer ich bin?“ Er muss sich also nicht vorstellen. Er fragte: „Kennst du überhaupt die belarussischen Gesetze, die Gesetze des Landes, in das du eingereist bist?“ Ich verstand, worauf er hinauswollte, aber mich ärgerte furchtbar, was gerade ablief. „Ich werde mit Ihnen nicht über Gesetze diskutieren, ich habe Jura studiert“, antwortete ich. Er fragte mich nach extremistischen Telegram-Kanälen aus. Ob ich wüsste, dass es in Belarus solche gibt. Ich erinnere mich noch, wie mich das auf die Palme brachte. Was sollte diese Frage überhaupt? Ich antwortete also: „Wenn Sie wirklich für die Rechtsschutzorgane arbeiten, dann stellen Sie normale Fragen, nicht so seltsame.“ Dann wollte er an mein Handy: „Gib mir dein Telefon und das Passwort, wir schauen mal rein.“ Ich sagte: „Auf keinen Fall.“ Er schaute mich an, als sei ich verrückt, winkte ab und sagte: „Bringt sie weg.“
Man brachte mich auf eine typische Moskauer Polizeistation. Hätte ich nicht gewusst, dass ich in Belarus bin, hätte ich gedacht, ich sitze auf einer russischen Wache. Dieselben Typen, dieselben Gespräche, dasselbe Gefluche nach jedem Wort ... Ihre Bullen sind wie unsere. Mit dem einzigen Unterschied, dass es viele junge Männer gibt, die mit politischen Fällen befasst sind. In Russland sind es meiner Erfahrung nach nur wenige junge Leute, die meisten sind Männer über 30.
Als ich im Protokoll las, ich hätte die Milizionäre beleidigt, angeschrien, sie provoziert und ihre Verwarnungen ignoriert, konnte ich mich nicht beherrschen. Ich wollte ihnen einfach zu verstehen geben, dass ich sehe, dass sie mir etwas anhängen wollen. Ich sagte: „Verstehen Sie eigentlich, woran Sie sich da beteiligen?“ Und die sagten nur: „Katja, du verstehst das doch alles, du bist doch ein erwachsener Mensch.“ Ich erwiderte: „Nichtsdestotrotz fabrizieren Sie hier gerade einen Fall. Auch wenn ihr nicht die Initiatoren seid, heißt das nicht, dass ihr unschuldig seid.“ Ich konnte deutlich sehen, dass es ihnen unangenehm war und sie auch alles verstehen. Sie wollten das ja gar nicht ... „Du verstehst das doch“, „du bist doch erwachsen“, „wenn es nach uns ginge ...“ – dieselben Reaktionen wie bei den russischen Bullen.
Nach der Gerichtsverhandlung schickten sie mich für 15 Tage in den Strafisolator auf der Akreszina-Straße. Dort gibt es zwei Arten von Mitarbeitern: Die einen kommen, arbeiten und gehen wieder, und einige von ihnen haben sogar Mitleid mit dir. Die anderen finden es einfach geil, dass sie hier das Sagen haben. Als Masse sind sie gesichtslos in ihren Uniformen, aber einen konnte ich mir wegen seiner markanten Augenbrauen und besonderen Grausamkeit merken. „Sieh dir das an, die Smahary sehen schon genauso aus wie die Obdachlosen, genauso dreckig und verwahrlost, kein Unterschied“, sagte er zu einem Gehilfen. Smahar ist das belarussische Wort für Kämpfer – so werden die Protestteilnehmer abfällig genannt. Später erfuhr ich, dass sein Name Jewgeni Wrublewski und er tatsächlich als einer der grausamsten Mitarbeiter bekannt war. Er selbst nannte sich den „Oberfaschisten“ von Akreszina.
Als die Zellentür aufging, waren da Menschen über Menschen. Sie saßen auf dem Bett, auf dem Tisch, auf der Bank, auf dem Boden ... Es waren Frauen verschiedenen Alters, von 20 bis über 60 Jahre alt. Es gab eine Architektin, eine Buchhalterin, eine Klavierlehrerin, eine IT-Frau, eine Wirtschaftsanalytikerin, eine Projektleiterin, eine Mikrobiologin ... Es waren keine herausstechenden Aktivistinnen – die sitzen schon alle im Gefängnis oder haben das Land verlassen. Es waren einfach Frauen, die ihr normales Leben lebten, zur Arbeit gingen und sich nicht vorstellen konnten, dass eines Tages jemand kommen und sie verhaften würde.
Viele werden für Reposts verhaftet. Das ist oft nicht einmal ein Post in den sozialen Netzwerken, sondern eine private Nachricht. Wenn du zum Beispiel einem Freund etwas aus einem verbotenen Telegram-Kanal weiterleitest. Und das muss nicht einmal etwas Politisches sein. Eine Frau saß in der Zelle, weil sie ihrem Freund den aktuellen Wechselkurs aus einem „extremistischen“ Kanal geschickt hatte. Aber es reicht auch schon, einfach in einer Chatgruppe zu sein, um eine Wohnungsdurchsuchung zu bekommen. Manchmal finden sie überhaupt nichts, aber dann wären sie ja umsonst da gewesen! Also schreiben sie 15 Tage Haft für Widerstand gegen die Polizei auf, holen sich dein Telefon und Passwort und suchen weiter.
In Belarus läuft das wie am Förderband – sie holen sich einen, dadurch finden sie die nächsten. Diese Arbeit ist dermaßen systematisiert, dass alle schon wissen: Die Razzien gegen Politische laufen am Donnerstag, also kommt immer freitags ein neuer Schwung Menschen in die Zelle …
Die Toilette in der Zelle war zum Glück mit einer Metallwand mit Tür abgetrennt, aber alle Gerüche gingen in die Zelle, vor allem, wenn die Lüftungsanlage abgestellt war. Um sich zu waschen, gibt es in der Toilette eine Flasche, du füllst sie mit Wasser und kannst dich dann hinter der Wand der Körperpflege widmen. Man wäscht sich also am Waschbecken, dafür geben sie Haushaltsseife aus, aber man muss tagelang darum betteln. Zum Zähneputzen muss man bei der Krankenschwester um Aktivkohle bitten, und die Zähne dann alle paar Tage mit dem Finger schrubben. Damenhygiene ... du fragst die Krankenschwester nach Binden, und sie gibt dir zwei ganz dünne pro Tag. Wenn die anderen Frauen nicht ihre eigene kleine Reserve hätten, wäre es kaum zu ertragen. Haarewaschen kann man dort eigentlich gar nicht, womit auch, deshalb flochten sich alle in der Zelle gegenseitig Zöpfe. Wir trugen alle diese Zöpfe.
In der Zelle gibt es drei sehr grelle Lampen, die ständig an sind. Wenn sich alle in eine Reihe auf den Boden schlafen legen, du deinen Kopf unter das Bett schiebst und oben jemand liegt, dann ist das Licht verdeckt ... Oder man legt sich eine Socke auf die Augen. Aber, ehrlich gesagt, das Licht war noch das geringste Übel im Vergleich zu allem anderen, vor allem der stickigen Luft.
Sie steckten immer wieder „asoziale“ Frauen in unsere Zelle. Sie brachten Läuse mit, und alle anderen bekamen sie dann auch. Manche Verwandten kamen auf die Idee, Läusemittel mitzuschicken, und so wuschen wir diesen Frauen die Haare, und uns selbst auch. Sie wurden wahrscheinlich in unsere Zelle gesteckt, um es uns noch unangenehmer zu machen und Streit zu schüren, aber das gelang nicht. Es waren ganz normale Frauen, nur eben mit gebrochenem Schicksal. Letztlich waren sie die Gestraften, denn in den anderen Zellen hätten sie ein eigenes Bett gehabt, ausgeschaltetes Licht und eine funktionierende Lüftung.
Die Zelle für die Politischen ist immer voll. Aber das Schlimmste sind weder der unerträgliche Alltag noch die fünfzehn Menschen auf engstem Raum, nicht einmal die Läuse und Wanzen oder die stickige Luft. Das Schlimmste ist, dass du 15 Tage bekommen hast und bis zuletzt nicht weißt, ob du danach rauskommst oder ein Strafverfahren auf dich wartet … vielleicht bekommst du auch noch mal 15 Tage, oder sie finden in deinem Handy etwas gegen jemand anderen ... Ich werde mir nie vorstellen können, was diese Frauen fühlten, die in dieser Zelle saßen und nicht wussten, ob sie am Ende rauskommen würden oder nicht. Und selbst wenn sie rauskommen, werden sie ständig in der Erwartung leben, wieder verhaftet zu werden.
Ich hörte mir die Geschichten dieser Frauen an und dachte: „Was für ein Mist, das sind wunderbare Menschen, sie haben nicht verdient, dass das mit ihnen passiert, sie haben diesen Staat nicht verdient.“ Ich dachte darüber nach, warum so wenig darüber gesprochen wird, wo all das doch genau jetzt passiert. In dieser Zelle sitzen auch heute noch 15 Menschen, und manche werden da nicht mehr rauskommen, weil im Anschluss das Strafverfahren wartet.
Warum erzähle ich das alles? Natürlich wird es nichts an der Regierung in Belarus ändern, es wird auch die Haftbedingungen der Politischen in Akreszina nicht menschlicher machen, aber wenigstens schaltet und waltet das Böse nicht in aller Stille und bei ausgeschaltetem Licht. Wir haben nicht viele Instrumente, um den Belarussen, besonders von Russland aus, zu helfen, aber wir sind verpflichtet, darüber zu sprechen. Und wenn es nur dazu führt, dass dieser Jewgeni Wrublewski, der Möchtegern-„Oberfaschist“, sich später seiner Verantwortung nicht entziehen kann, dass alles, was passiert, dokumentiert wird und es wenigstens später Gerechtigkeit geben kann. Damit die Menschen, die jetzt in diesem Moment das alles durchmachen müssen, das nicht umsonst tun.