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Der Krieg ist abgesagt

Die Spannungen der letzten Wochen waren groß: zwischen Russland und den USA nach Abbruch der Syrien-Gespräche und zwischen Russland und Europa wegen des weiter schwelenden Kriegs im Donbass. Auf dem internationalen Parkett herrschte Eiszeit, die Verlegung von russischen Iskander-Raketen nach Kaliningrad löste zusätzlich Verunsicherung aus, ebenso die von Raketenabwehrsystemen von Russland nach Syrien. An die internationale Gemeinschaft gerichtet, sagte Präsident Putin nun am Donnerstag im Waldai-Klub, Russland wolle niemanden angreifen und stelle keine Bedrohung für Nato-Länder dar.

Was ist von der Lage zu halten, wenn innerhalb Russlands eine groß angelegte Zivilschutzübung für einen möglichen Ernstfall abgehalten wird, während sich die Fronten international zunehmend verhärten, und der Gouverneur von St. Petersburg beginnt, Brotrationen festzulegen? Wäre man in Russland wirklich bereit für das Schlimmste? Der Schriftsteller Dimitri Gluchowski meint ganz klar: „Nein.“ Mit spitzer Feder pfeift er bei snob die Hysteriker eines neuen großen Krieges zurück.

Источник Snob

Das Ministerium für Katastrophenschutz meldet gehorsamst, dass die Moskauer Luftschutzkeller bereit sind, im Fall einer Bombardierung der Hauptstadt die ganze Stadtbevölkerung aufzunehmen. Für die Leningrader hat man eine neue Lebensmittelration berechnet: täglich dreihundert Gramm Brot. Die Staatsduma führt Evakuierungsübungen durch und macht sich mit den Bunkern vertraut, die man zur Rettung der Eliten in Kriegszeiten gebaut hat. Die Zentralbank übt, wie man unter Kriegsbedingungen arbeitet. Auf allen Kanälen diskutiert man über Krieg – man zeigt die Verlegung von Iskander-Raketensystemen nach Kaliningrad, macht in Syrien eine Live-Reportage aus einem Kampfflugzeug im Sturzflug, ist mit der Kamera bei allen Manövern dabei, beschleckt dabei fast  schwere Mehrfachraketenwerfer, diskutiert genüsslich über einen nuklearen Schlagabtausch, sehnt sich nach dem Krieg wie eine Jungfrau nach der Enthüllung des Mysteriums der Schlafstatt.

Bürger, spendet für Luftschutzkeller!

Die Bevölkerung verzieht deprimiert das Gesicht und findet sich damit ab, dass ein Dritter Weltkrieg unausweichlich scheint: Wenn im Fernsehen gesagt wird, dass er kommt, dann kommt er auch. Man muss sich also vorbereiten. Einen Erdbunker ausheben und im Garten Opas PPSch hervorkramen, Buchweizenvorräte anlegen. Sollte man auch Pilze einmachen? Selbst die Bevölkerung klopft sich auf die Brust – pah, ziehen wir halt noch einmal bis nach Berlin, und auch bis nach Washington. Naja, wir werden sie nicht auffressen, sondern nur ein wenig an ihnen knabbern, hört doch, wie überzeugend die Rede von der radioaktiven Asche aus Kisseljow heraussprudelt.

Ist morgen also Krieg?

Liebe Mitbürger, machen Sie sich nicht in die Hose! Es wird keinen Krieg geben.

Unsere Regierung hat keineswegs vor, gegen Europa oder Amerika Krieg zu führen, was auch immer sie über die Münder der Hypnose-Kröten vom Fernsehen mitteilen lässt. Natürlich denken auch weder Amerika noch Europa daran, gegen uns Krieg zu führen.

Erstens, weil es unmöglich ist, einen Weltkrieg zu gewinnen. Es gibt keine zuverlässigen Raketenabwehrsysteme, und es wird sie in nächster Zeit auch niemand haben. Ein jeder Atomkonflikt würde also unweigerlich zur planetaren Katastrophe und dem Tod der ganzen Menschheit führen. Das nennt man „Prinzip sicherer wechselseitiger Zerstörung” [aus dem Engl. mutually assured destruction - dek] und genau diesem Prinzip verdanken wir es, dass es nie zu einem Weltkrieg gekommen ist, seit die UdSSR die Atombombe hat.

Jede Zusammenarbeit bringt beiden Seiten viel größeren Nutzen

Zweitens gibt es keinen Grund für einen Weltkrieg. Durch die heutige Welt verlaufen keine ideologischen Gräben. Russland wird trotz seines plakativen imperialen Revanchismus nicht von Ideologen regiert, sondern von zynischen Geschäftsleuten und reinen Pragmatikern, die nicht im Geringsten an das glauben, was der Bevölkerung über die Mattscheibe vermittelt wird. Amerika wirkt zwar oft so, als wäre es von einer Ideologie gesteuert, aber auf dem internationalen Parkett lässt es sich von nationalen Interessen leiten, das heißt vom Nutzen, und nicht von Prinzipien. In der heutigen globalisierten, durch Myriaden ökonomischer Transaktionen verbundenen Welt, in der nur Staaten wie etwa Bhutan unabhängig sind, gibt es nichts, was man mit dem Westen aufteilen müsste, jede Zusammenarbeit bringt beiden Seiten viel größeren Nutzen als irgendeine Eroberung.

Eine Zerstörung, ein Auseinanderfallen Russlands, endlose Bürgerkriege auf unserem Flickenteppich von Staat, die unkontrollierte Verbreitung von Atomwaffen, dass diese in die Hände irgendwelcher Lokalfürsten gelangen könnten – das ist sowohl für Europa als auch die USA und China ein Alptraum. Deswegen kann es keine kriegerischen Lösungen geben, ganz unabhängig davon, was man dort über die Vergangenheit unserer Regierung weiß und wie das Verhältnis zu ihr ist.

Der Westen will Russland gar nicht unterwerfen. Alles, was sie von uns brauchen, ist Konsistenz und Berechenbarkeit – das heutige Russland reizt den Westen gerade durch seine hysterische Unberechenbarkeit. Aber das ist keine Unberechenbarkeit, die zu einem globalen Krieg führen könnte.

Nordkorea provoziert den Westen seit vielen Jahren: Es entwickelt Atomwaffen und ballistische Raketen, unterstützt Terroristen, druckt falsche Dollars, produziert und exportiert Amphetamine in industriellen Mengen, droht Amerika mit präventiven Atomschlägen – na, und? Man reagiert auf diese ständigen Anfälle vorsichtig und mit der Milde und Umsicht eines Arztes. Man weiß, dass Pjöngjang sich damit nicht an Amerika richtet, sondern an die eigenen Bürger. Man weiß, dass das nicht Besessenheit ist, sondern Epilepsie.

Wie das Regime von Kim Jong Un verfolgt auch das unsere im Grunde nur zwei wichtige Ziele: Es will sicherstellen, dass die Bevölkerung gehorsam bleibt, und dass sich niemand in unsere innere Angelegenheiten einmischt. Auch unsere inneren Angelegenheiten weisen Parallelen zu Nordkorea auf: Es gilt, die Leute möglichst geschickt zu unterdrücken und für dumm zu verkaufen, um ewig an der Macht zu bleiben. Nur sind die Methoden bisher noch andere.

Noch. Denn die Methode der ewigen Vorbereitung auf den Krieg gegen Amerika wurde nirgends so gut erprobt wie in Nordkorea. Das Land lebt seit sechzig Jahren im Kriegszustand. Beinahe wöchentlich gibt es dort Probealarme: Die amerikanischen Kampfflugzeuge könnten jeden Moment angeflogen kommen. Damit wird die Spannung in der Bevölkerung hochgehalten. Und wenn Amerika die Diktatur einmal vergessen sollte, bringt man sich eifersüchtig in Erinnerung: He, und wir? Oder wenn die Reisernte schlecht ausfällt und es nichts zu fressen gibt. Wenn Pjöngjang die UNO kokett um humanitäre Hilfe bitten will, dann macht es Atomwaffenversuche und schreit, dass man für sich nicht verantwortlich ist.

Eine Wonne, Amerika wieder den Fehdehandschuh hinzuwerfen

Der Magen beginnt jetzt auch bei uns zu knurren. Auch wir müssen jetzt in die Luftschutzkeller laufen, müssen für den Fall einer Blockade unsere Brotration berechnen und schon in der ersten Klasse lernen, wie man sich eine Gasmaske überstülpt. Der Krieg soll sich ständig am Horizont abzeichnen, und wir werden uns resigniert auf ihn vorbereiten, und zugleich Lieder vom friedlichen Himmel über unseren Köpfen singen und jeden Augenblick unseres heutigen unblutigen Lebens schätzen. Diese Methode hat sich in der UdSSR bestens bewährt und wird auch heute funktionieren. Die Menschen sind ja die gleichen geblieben.

Auch wir werden fortan immer einen Feind brauchen. Die Ukrainer waren eine Zeitlang unsere Feinde, ebenso die Türken, aber das alles ist irgendwie nicht das Richtige. Wir wollen ja nicht Goliath sein, sondern David.

Was für eine Wonne ist es da, dem mächtigen Amerika mit seinen scharfen Zähnen wieder den Fehdehandschuh hinzuwerfen! Mein Gott, wie herrlich ist das! Es ist so einfach, das von Sadornow so treffend beschriebene Amerika zu hassen! Wir haben es so sehr vermisst!

Es liegt ja an den amerikanischen Sanktionen, dass unser Käse scheiße ist, der Buchweizen immer teurer wird und der Sparanteil der Renten seit mehreren Jahren eingefroren ist! Wegen all ihrer Rockefellers hat uns unsere Ukraine verlassen! Auch bei uns haben diese Dreckskerle alles zunichte gemacht! Gott, segne Amerika dafür, dass es für uns ein so ewiger, bequemer, zuverlässiger Feind ist! Für uns und überhaupt für jede beliebige Diktatur.

Wir selbst sind ja nie an irgendetwas schuld, das ist klar. Wir werden nie an etwas schuld sein, weil in einem imaginierten Krieg genauso wie in einem tatsächlich stattfindenden all diejenigen, die nicht für uns sind, gegen uns sind – und die Zweifler gehören vors Feldgericht.

An die Waffen!

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Dimitri Kisseljow

Der Journalist Dimitri Kisseljow spielt im gelenkten russischen Staatsjournalismus eine zentrale Rolle. 2008 wurde er Vizedirektor der staatlichen Medienholding WGTRK. Seit 2014 leitet er die staatliche Nachrichtenagentur Rossija Sewodnja.

Nach seinem Studium der Skandinavistik an der Universität Leningrad begann Dimitri Kisseljow (geb. 1954) seine journalistische Karriere beim sowjetischen Staatsfernsehen. In den 1990er Jahren galt er als Sprachrohr der liberalen Post-Perestroika-Bewegung und moderierte die populäre Talkshow Tschas Pik (Rushhour). Wie viele andere enttäuschte Liberale auch, wandte er sich nach den wilden 1990ern zunehmend von der Vorstellung eines demokratischen Russlands ab. Inzwischen vertritt er eine konservative, orthodoxe und autokratische Ideologie.

Seine patriotische Weltanschauung trägt Kisseljow vor allem über den Sender Rossija 1 ins Volk, wo er seit 2012 den sonntäglichen Nachrichtenrückblick Westi nedeli moderiert. Dort verkörpert Kisseljow die neue Art der schrillen Propaganda: Er steht für Aussagen wie die, dass man die Herzen von Homosexuellen „vergraben und verbrennen“ solle, oder die Drohung, dass Russland die USA jederzeit in „radioaktive Asche verwandeln“ könne. Die russische Opposition diskreditiert er ebenso regelmäßig wie die ukrainische Maidan-Bewegung, die er als faschistische Verschwörung des Westens darstellt.

 

https://www.youtube.com/watch?v=JBMXcQxrBH8

 

Über Ethik im Journalismus: Kisseljow in den 1990er Jahren.

Gleichzeitig lobt Kisseljow besonders Wladimir Putin: So hielt er zum Beispiel an dessen Geburtstag 2012 eine zwölfminütige Eloge auf den Präsidenten, in der er Putin positiv mit Stalin verglich1. Kisseljow beurteilte bei einem Treffen mit den Mitarbeitern der staatlichen Nachrichtenagentur RIA Nowosti die Idee der Objektivität im Journalismus als einen „Mythos“ und stellte dem entgegen, dass gerade staatliche Medienagenturen und ihre Redaktionspolitik der „Liebe zum Vaterland“ verpflichtet sein müssten.2

Nach der Angliederung der Krim und der Eskalation des Ukraine-Konflikts, hat die EU Kisseljow, als einzigen Journalisten, auf ihre Sanktionsliste gesetzt.

Kisseljow in der Sendung „Der direkte Draht mit Wladimir Putin“ 2014 - Foto © Kremlin.ru

Der einst mit Kisseljow befreundete Schriftsteller Viktor Jerofejew schrieb Ende 2013: „Kisseljow hatte sich in letzter Zeit hervorgetan durch schonungslose und bewusst provokative Kritik an allem, was der Kreml bekämpft.“3 Im Jahr 2014 wurde Kisseljow zum Leiter der staatlichen Nachrichtenagentur Rossija Sewodnja ernannt, die für eine kremlfreundliche Medienberichterstattung auch über Russlands Grenzen hinaus sorgen soll. Somit ist Kisseljow nicht nur zu einem der bekanntesten Fernsehgesichter in Russland geworden, sondern auch zu einem der einflussreichsten Akteure in der kreml-finanzierten Berichterstattung. Deswegen und aufgrund seiner umstrittenen Aussagen wird Kisseljow in westlichen Medien oft als „Chefpropagandist des Kreml“ bezeichnet.


1.Kommersant: Vladimira Putina pozdravili po televizoru
2.Rbk: D. Kisseljėv naučit Rossiju segodnja ljubit Rodinu
3.Frankfurter Allgemeine Zeitung: Russland in der Offensive
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Allrussische Staatliche Fernseh- und Radiogesellschaft / WGTRK

Die Allrussische Staatliche Fernseh- und Radiogesellschaft WGTRK ist eine staatlich kontrollierte Medienholding. Sie besitzt mehrere landesweit empfangbare Fernseh- und Radiosender sowie Internetmedien, außerdem knapp 100 regionale Medienanstalten in den Föderationssubjekten der Russischen Föderation.

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Die Präsidialadministration (PA) ist ein Staatsorgan, das die Tätigkeit des Präsidenten sicherstellt und die Implementierung seiner Anweisungen kontrolliert. Sie ist mit beträchtlichen Ressourcen ausgestattet und macht ihren Steuerungs- und Kontrollanspruch in der politischen Praxis geltend.

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Dimitri Peskow ist seit dem Machtantritt Putins für dessen Pressearbeit zuständig und gilt als offizielles Sprachrohr des Kreml. Üblicherweise für die Krisen-PR verantwortlich, sorgte er mehrfach selbst für negative Schlagzeigen, unter anderem im Rahmen der Panama Papers.

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Es war kein Zufall, dass die russische Präsidentschaftswahl 2018 am 18. März stattfand. Die Wahlbeteiligung und die rund 90-prozentige Zustimmung für Putin auf der Krim stellt der Kreml als eine Art zweites Referendum über die Zugehörigkeit der Halbinsel zu Russland dar. Gwendolyn Sasse über die mythenumwobene Region, das Narrativ der „russischen Krim“ und die Selbstwahrnehmung der Krim-Bewohner nach der Angliederung an Russland. 

 

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Das Ermittlungskomitee (Sledstwenny komitet/SK) ist eine russische Strafverfolgungsbehörde. Sie gilt als politisch überaus einflussreich und wird häufig mit dem US-amerikanischen FBI verglichen.

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Osero (Datschenkooperative)

Osero (dt. See) wird eine Datschenkooperative genannt, die Mitte der 1990er Jahre in der Nähe von St. Petersburg gegründet wurde. Einer der Bewohner, Wladimir Putin, wurde wenige Jahre später Präsident. Heute zählen viele aus dem Osero-Kreis zu den wohlhabensten und einflussreichsten Personen in Russland. Da viele von ihnen keinen bestimmten politischen Flügeln zugerechnet werden, wird die Kooperative häufig als eine eigene Fraktion innerhalb der wirtschaftspolitischen Elite Russlands bezeichnet.

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