Olga Skabejewa tut Dinge, die Politik-Journalisten normalerweise nicht tun: Sie geht in den Vollkontakt, lauert Menschen auf, wird körperlich, nicht selten brüllt sie ihr Gegenüber einfach nieder.1 Als 2019 die Parlamentarische Versammlung des Europarats in Straßburg tagte, drängte sich Skabejewa in ein Interview des ukrainischen Kanals Prjami mit dem damaligen ukrainischen Vize-Präsidenten der Versammlung. Die Journalistin des Senders stoppte die Russin resolut: „Wir lassen nicht zu, dass Sie unsere Live-Übertragung annektieren. Wir wissen sehr genau, wie Ihre Klospülung rauscht, die bei normalen Leuten ‚Mund‘ genannt wird.“ Den Spitznamen „Klospülung“ (sliwnoi batschok) wird Skabejewa seitdem nicht mehr los.2
Olga Skabejewa auf Sendung / Screenshot © YouTube/Tvrain
So lange zu provozieren, bis andere ausrasten, ist Skabejewas Spezialität. Bei den Verhandlungen zu Minsk II im Februar 2015 nahm ein Personenschützer Skabejewa kurzerhand in den Schwitzkasten, nachdem sie den vorbeieilenden ukrainischen Präsidenten Petro Poroschenko angebrüllt hatte.3 2016 brachte sie den ARD-Doping-Experten Hajo Seppelt bei einem Interview in Köln so zur Weißglut, dass der sie aus dem Hotelzimmer jagte und ihr das Mikrofon entriss – der Tumult gab ein ideales Sujet für die russische Propaganda ab.4 Noch am selben Tag veröffentlichte ihr Sender das Videomaterial und das nicht freigegebene Interview in den Hauptabendnachrichten von Rossija-1.
Das eiserne Püppchen
Olga Skabejewa hält sich auch in ihren TV-Auftritten an ihr Motto: „Wer am lautesten schreit, dem gehört die Wahrheit“.5 Sie liebt es, mit chauvinistischen und skandalösen Aussagen zu provozieren, westliche Medien vergleichen sie mit dem amerikanischen Skandal-Journalisten Tucker Carlson: Nur dass dieser mit seinen Verschwörungserzählungen bei Fox News rausflog, während das russische Staatsfernsehen von Skabejewa nicht genug kriegen kann.6 Wenn Skabejewa vom täglichen Blutvergießen und anderen Gräueltaten an der Front berichtet, klingt ihre Stimme tonlos und metallisch, ihr Blick wirkt hart, ihr Mund ist zu einem verächtlichen Grinsen verzogen. Maria Sacharowa, die Sprecherin des russischen Außenministeriums, hat Skabejewa deshalb mit einem weiteren Spitznamen bedacht: „eisernes Püppchen“.7 Ihre Sendungen moderiert Skabejewa wie eine Staatsanwältin, die Beschuldigte vor Publikum überführt. Erbarmungslos schmettert sie jeden Versuch nieder, ihr zu widersprechen.8 Sie beleidigt und erniedrigt Gäste, die oft nur deshalb in die Sendung geholt werden, um abweichende Ansichten vorzutragen, die umgehend von der Moderatorin niedergebügelt werden.9
Nachrichten im Sinne des Staats
Den Weg in den Journalismus hat die 1984 in der Provinzstadt Wolschski im Gebiet Wolgograd geborene Olga Skabejewa schon als Schülerin eingeschlagen. Ihre Kindheit in einer Mittelschicht-Familie – der Vater Bauingenieur, die Mutter Architektin – war von strenger Disziplin geprägt.10 Sie besuchte eine russisch-US-amerikanische Schule und arbeitete währenddessen bei der lokalen Gratiszeitung Nedelja Goroda, später bei der Wolschskaja Prawda. 2003 zog Skabejewa nach Sankt Petersburg, um dort an der staatlichen Universität Journalismus zu studieren. Gleichzeitig begann sie, für die Nachrichtensendung Westi Reportagen zu machen. Damit startete Skabejewas Karriere im Dienst der Regierung: Westi läuft auf dem Sender Rossija-1, der zur Medienholding WGTRK gehört. Ihr Talent und ihre Bereitschaft, es in den Dienst des Staates zu stellen, fielen bald auf: 2006 erhielt sie den Jugendpreis der Regierung von Sankt Petersburg im Bereich Journalismus, ein Jahr später die „Goldene Feder“ in der Kategorie „Perspektive des Jahres“.
2008 schloss Skabejewa ihr Studium mit Auszeichnung ab und ging nach Moskau, wo sie als Korrespondentin für Westi und die Wochenendausgabe Westi Nedeli berichtete. Die abstrusen Behauptungen, die Skabejewa regelmäßig in ihren Beiträgen aufstellte, machten sie überregional bekannt. Eine davon: Kinder von Homosexuellen würden unter Geschlechtskrankheiten leiden.11
60 Minuten Hass
Ihre bedingungslose Loyalität zahlte sich aus: 2015 bekam Skabejewa eine eigene Talkshow: Westi.doc. Seit 2019 vertritt sie außerdem Dimitri Kisseljow als Moderatorin von Westi und Westi Nedeli. Kisseljow ist für seine Hetze gegen Homosexuelle bekannt sowie für seine antiwestliche Propaganda und die Drohung, Russland sei in der Lage, die USA „in radioaktive Asche zu verwandeln“. Im Vergleich zu Skabejewa wirke Kisseljow jedoch wie ein „gemütlicher, netter Rentner“, urteilt die Medienkritikerin der Novaya Gazeta, Slawa Taroschtschina.12
Nach einem Jahr hatte Westi.doc ausgedient. Man hatte sich ein besseres Format ausgedacht: 60 Minut, angelehnt an die gleichnamige amerikanische Talkshow – mit der 60 Minut sonst nichts vereint. Olga Skabejewa moderiert die Show gemeinsam mit ihrem Ehemann Jewgeni Popow, der nicht nur Moderator im staatlichen Fernsehen ist, sondern gleichzeitig auch Abgeordneter für die Kreml-Partei Einiges Russland. Entgegen ihrem Namen dauert eine Folge nicht nur eine sondern ganze 2,5 Stunden und wird zwei Mal am Tag ausgestrahlt. Unabhängige russische Journalisten bezeichnen die Sendung als „60 Minuten des Hasses“ gegen alles Ukrainische und Westliche – in Anspielung auf das Ritual „Zwei Minuten Hass“ in George Orwells Dystopie 1984.13 In einer Ausgabe ließ Skabejewa ein Video einspielen, das angeblich die junge britische Königin Elisabeth II dabei zeigte, wie sie Kindern „wie Tieren im Zoo“ Essen hinwerfe. Die Aufnahme zeigte jedoch – entgegen Skabejewas Behauptung – nicht die junge Monarchin, sondern eine Filmszene.14 Im Februar 2022 forderte Skabejewa , dass Russland die baltischen Staaten besetzen solle. Ein andermal erklärte sie, Russland müsse die gesamte NATO entmilitarisieren.15 2023 reiste Skabejewa nach Nordkorea, um von dort den laut eigenen Angaben „ersten Live-Bericht aus der nordkoreanischen Hauptstadt” zu senden. Das Fazit des Berichts: alles nicht so schlimm. Bösen Behauptungen zum Trotz gäbe es in Nordkorea Internet, niemand habe ihrem Team verboten zu filmen, oder würde sie kontrollieren. Und trotz der alptraumhaften Sanktionen, so Skabejewa, würden die Nordkoreaner ziemlich gut leben.16
Ihren Beitrag zur Verteufelung des Westens und zur Reinwaschung Russlands und anderer Diktaturen belohnt der russische Staat großzügig: 2017 wurden Skabejewa und Popow für 60 Minut mit der „Goldenen Feder“ ausgezeichnet. Den wichtigsten Fernsehpreis des Landes, TEFI, konnte sich das Paar gleich zweimal abholen. Darüber hinaus erhielten sie 2023 den Medienpreis der russischen Regierung.
„Ich diene Russland!“
Für Skabejewa gibt es nur ein Ziel: immer weiter nach oben. Ihre Arbeit, das betont das Ehepaar gerne, stehe bei beiden an erster Stelle. Das änderte weder ihre Hochzeit, die sie – weil es gerade in ihren Dienstplan gepasst habe – allein in New York feierten, noch die Geburt ihres Sohnes, der die ersten Jahre bei den Großeltern aufgewachsen sei.
Hass und Desinformation zahlen sich aus: Laut Recherchen des Portals The Insider beträgt Skabejewas monatliches Einkommen mehr als 12,8 Millionen Rubel [derzeit etwa 122.000 Euro – dek] 17. In Moskau soll sie laut Recherchen des belarussischen Medienprojekts NEXTA vom März 2022 Immobilien im Wert von 300 Millionen Rubel [damals etwa 3,3 Millionen Euro] besitzen.18
Die Propagandistin steht unter anderem auf den Sanktionslisten von Kanada, der EU, Großbritannien und den USA. „Es ist eine Ehre, die erste verbotene russische Journalistin in Amerika zu werden“, schrieb sie dazu auf ihrem Telegram-Kanal, „Washington tritt das Erbe seiner Gründungsväter mit Füßen, um gegen Russland zu kämpfen. Wir wünschen ihnen viel Glück bei ihrer Selbstvernichtung. Ich diene Russland! Und ich tue gern mein Bestes!“19