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Mine im Livekanal

Im Petersburger Holiday Inn soll eine Diskussionsveranstaltung beginnen: Michail Chodorkowski, nach Begnadigung und Entlassung aus der Haft inzwischen im Ausland lebend, wird über Video in den Saal geschaltet. Kaum sind die ersten Worte gesprochen, ertönt auch schon ein Alarm und der Saal wird geräumt. Die meisten Besucher sind mit solchen Vorkommnissen bereits vertraut. Der Journalist Ilja Milschtein kommentiert.

Source Grani.ru

Das Gebäude ist vermint. In dem verminten Gebäude sind Strom und Internetverbindung gekappt. Wieder eine Bombe, wieder eine Evakuierung. Menschen werden aus dem Saal geführt, Menschen leisten Widerstand. Vor den Fenstern heult eine Sirene.

Die gestrigen Nachrichten aus dem Petersburger Hotel Holiday Inn Moskowskije Worota stifteten als Genre-Chaos ordentlich Verwirrung: War es eine Übung, wie damals in Rjasan, war es eine Geiselnahme, nur dass die Terroristen irgendwie unentschlossen und sonderbar gekleidet waren – in Polizeiuniform? Es gab aber keinen Anlass, sich ernsthaft Sorgen zu machen. Wie soll man sagen: Die Videoschaltung zwischen russischen Bürgern und Michail Chodorkowski fand nun einmal während einer Art Anti-Terror-Operation statt. War ja nicht das erste Mal, etwas Ähnliches war schon einmal vorgekommen. Mit Stromausfall und unterbrochenem Internet. Man sollte sich wohl einfach daran gewöhnen. Genau das ist jedoch schwierig. Zum einen, weil es schwierig ist, mit jemandem zu sprechen, wenn überall Fremde herumrennen und ihn beim Reden stören: Das spürt man, selbst wenn man nicht im Raum ist. Zum anderen ist unklar, was das alles soll. Wenn die Aufgabe darin bestand, das Treffen von Chodorkowski mit seinen Zuhörern in Russland platzen zu lassen, dann wurde die Aufgabe nicht erfüllt. Wenn man die Absicht hatte, die obersten Chefs als trostlose Deppen zu präsentieren, dann kann man den anonymen Drehbuchautoren gratulieren. Aber war das der Sinn? Es bleibt ein rätselhafter Spuk.

Eine Erklärung ist, dass der ehemalige politische Gefangene Chodorkowski im Kreml gefürchtet ist. So sehr gefürchtet, dass die Kremlherren schon allein beim Gedanken, dass er frei vor Publikum auftreten könnte, ganz blöde werden, und das mündet dann in ein solch herzzerreißendes Spektakel: Auf der Bühne eines verminten Saals, in dem unbehelligt Polizisten, Journalisten, Abgeordnete und normale Bürger herumspazieren, hängt ein Bildschirm, aus dem Chodorkowski zu hören ist.

Aber weshalb hat Wladimir Wladimirowitsch Putin Angst vor Michail Borissowitsch Chodorkowski? Laut allen Beliebtheitsumfragen liegen die Werte des nationalen Führers astronomisch hoch, Chodorkowski aber rangiert unter ferner liefen. Die Landsleute interessieren sich zwar nach wie vor für den ehemaligen YUKOS-Chef, mehr aber auch nicht. Und mit seinen bei dem Auftritt kundgetanen strategischen Gedanken zum Wahlkampf wird er es wohl kaum schaffen, die Grundpfeiler des Putin-Regimes ins Wanken zu bringen. Das teilte Chdorkowski dem verminten Publikum im Grunde auch mit, als er äußerte, die Machthaber würden die Wahlen vollständig kontrollieren und unerwünschten Kandidaten den Zugang verwehren.

Es gibt auch die Erklärung, dass die Machthaber Chodorkowski nicht fürchten, sondern schlicht hassen. Und eine solche Abneigung gegen den Betroffenen hegen, dass ihnen der Appetit vergeht und sie jeden seiner Auftritte vor russischem Publikum als persönliche Beleidigung empfinden. Und wenn Wladimir Wladimirowitsch Putin erfährt, dass Michail Borisowitsch Chodorkowski schon wieder plant, vor russischem Publikum aufzutreten, dann gehen die Mitarbeiter des Innenministeriums automatisch in Alarmbereitschaft und die besten Mineure des Landes, Seite an Seite mit Elektrikern und, wie heißen sie noch, Providern, entschärfen rasch die Bombe, den Strom, das Internet und den Feind.

Aber man hasst ja im Kreml momentan ausnahmslos alle: von Obama bis zu den kleinsten Banderowzy in der Ukraine. Es ist also vollkommen unverständlich, weshalb ausgerechnet Chodorkowski eine solche Ehre erwiesen wird. Außerdem ist er bei weitem nicht der radikalste Regimegegner, und wenn es um kalte Rache ginge, hätte Putin dann nicht an Chodorkowskis zehn Jahren in fernen Lagern sein Mütchen kühlen können? Wenn Wladimir Wladimirowitsch Michail Borisowitsch tatsächlich so sehr hassen würde, wie man es immer wieder hört, dann hätte kein Genscher dem Gefangenen helfen können und wir würden heute totgelangweilt den zäh verlaufenden dritten YUKOS-Prozess verfolgen.

Also, worum geht es? Wahrscheinlich könnte man die Situation viel einfacher und mit weitaus schwächeren Emotionen als Angst und Hass beschreiben. Beispielsweise mit dem Bestreben, Chodorkowski und seinen Mitstreitern, die die Führungsriege heftig ärgern, einfach ordentlich in die Suppe zu spucken. Tja, solcher Sadismus zeigt sich nicht nur in den Beziehungen des Kremls zu Chodorkowski. Er zeigt sich auf den unterschiedlichsten Ebenen.

Nehmen wir die „zivilgesellschaftliche“ Eigeninitiative eines Dimitri Enteo, der Plakate auf Ausstellungen oder Rock-Konzerten zerreißt, oder eines Witali Milonow mit seinen orthodoxen Aktivisten, die überall dort provozieren, wo sie Schwule und Lesben wittern. Es kommt auch vor, dass die Leute des Landesherren, eben jene Policemen, eine Liveschaltung mit Kiew kappen – wobei völlig klar ist, dass die Moskauer Teilnehmer dieser Liveschaltung weder tierische Angst noch bodenlosen Hass bei den Machthabern auslösen. Aber ihnen den Abend zu verderben, die Liveschaltung abstürzen zu lassen, die Zuschauer in einen Polizeitransporter zu sperren, die eigene Allmacht zu genießen und den anderen in die Suppe und auf das Gesetz zu spucken – das ist doch ganz angenehm, geben Sie’s zu. Es ist eine Winzigkeit, aber sie kitzelt sanft die Herzen der Mächtigen im Land, die von den tagtäglichen Sanktionen und heiligen Siegen ganz erschöpft sind.

Daher kommt der ganze Spuk – vom Wort spucken.

Kurz, es muss äußerst gute Gründe für solche Aktionen geben, wenn die Machthaber sogar riskieren, wie komplette Idioten dazustehen, und diese Gründe gibt es. Keine großartigen, aber jedem verständliche, der die Regierung über die letzten anderthalb Jahrzehnte beobachtet hat: Eben jenen Wunsch, jeden, der nicht einverstanden ist, mit einer Sirene auszuschalten, jegliches andere Gedankengut niederzutrampeln und jede Ansammlung von Menschen, die einem Dissidenten zuhören wollen, aufzulösen – der Wunsch ist klar und übermächtig. In gewisser Weise sogar rührend, wenn auch ermüdend. Denn Bürger, die nicht einverstanden sind, gibt es immer noch ziemlich viele und auf alle muss man aufpassen, indem man ihnen irgendeine Fiesheit serviert.

Eine Tretmine unterjubelt, bildhaft gesprochen. Sie zum Verhör bestellt, und dann sollen sie mal, während sie gemütlich russische Bücher lesen, grübeln, was sie vor den Steuerbehörden verheimlicht haben. Das sind kleine Schweinereien, im Grunde unbedeutend im Hinblick auf die Interessen einer Atommacht, aber sie wärmen die Seele. Die kalte, man kann ruhig sagen, eingefrorene Seele des Herrschers und seiner treuen – unverfrorenen – Diener. Wie dem auch sei, es ist ihnen ein Vergnügen und davon haben sie momentan nicht viele.

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Menty

Menty (sg. Ment) ist eine umgangssprachlichе, überwiegend abwertend verwendete Bezeichnung für Polizisten.

Der Begriff Ment entstammt dem Kriminellenjargon und war bereits in vorrevolutionärer Zeit als Bezeichnung sowohl für Polizisten als auch für Gefängniswärter verbreitet. Erstmals lexikographisch festgehalten wurde Ment 1909 im Wörterbuch der Gaunersprache von W. Lebedew. Die Herkunft des Wortes liegt weitgehend im Dunkeln, es könnte auf einen ungarischen Begriff für „Armeemantel“, aber auch auf ein polnisches Wort für „Bodensatz“ zurückgehen.1 Darauf könnte auch die heute oft im Jargon anzutreffende Ersetzung des Wortes Ment durch musor (Abfall) hindeuten.

Der Begriff war zunächst in der Sowjetunion im allgemeinen Sprachgebrauch weniger verbreitet, erst ab den 1970er Jahren fand er mehr und mehr Eingang in die Umgangssprache. Spätestens seit den 1990er Jahren hat er sich weitläufig eingebürgert, wobei sich zwei allgemeine Tendenzen herausgebildet haben. Einerseits erwies sich die „ursprünglich abfällige Bedeutung“ des Begriffs als außerordentlich treffend für „[...] die Charakterisierung der verwerflichen Rolle der Polizei in unterschiedlichsten Kriminalgeschichten.“2 Andererseits wurde durch die zunehmende Popularisierung der Figur des Ment in Literatur, Film und Fernsehen (etwa in der Serie Straße der zerbrochenen Laternen - Menty) die ursprünglich rein negative Bedeutung aufgebrochen und der Ment zu einer ambivalenten Gestalt, z. B. bezeichnen sich mitunter Polizisten selbst untereinander mit einem gewissen Stolz als Menty. In der Gegenwart verlor die Bezeichnung also zumindest einen Teil ihrer früheren, ausschließlich abwertenden Konnotation, auch wenn sie im allgemeinen Sprachgebrauch weiterhin vor allem als Schimpfwort benutzt wird.


1. Moldovan, A.M. (2011). K ėtimologii slova ment, in: Russkij jazyk v naučnom osveščenii 2011 (2), Moskau, S. 49
2. Ebd.
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Mentowka ist eine umgangssprachliche, eher abwertend konnotierte Bezeichnung für ein Polizeirevier. Entstammt ursprünglich dem Kriminellenjargon und ist vom Jargon-Begriff Ment (Polizist) abgeleitet.

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AGORA ist eine bekannte russische Menschenrechtsorganisation, die sich juristisch für die Rechte von Aktivisten, Journalisten, Bloggern und Künstlern einsetzt. In jüngster Zeit geriet die Organisation in die Schlagzeilen, da sie vom Justizministerium als sog. ausländischer Agent registriert wurde.

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Wladimir Markin (1956–2021) war lange Zeit Leiter der Presseabteilung und als solcher ein prägnantes Gesicht des einflussreichen Ermittlungskomitees, einer mit dem US-amerikanischen FBI vergleichbaren Behörde. Er gab besonders zu prominenten Ermittlungsfällen Auskunft und wurde oft als inoffizielles „Sprachrohr des Kreml“ bezeichnet.

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Ein kurzer Augenblick von Normalität und kindlicher Leichtigkeit im Alltag eines ukrainischen Soldaten nahe der Front im Gebiet , © Mykhaylo Palinchak (All rights reserved)