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Margarita Simonjan

Ihre steile Karriere begann mit einer Lüge im staatlichen Auftrag. Heute kokettiert die Chefin des Propaganda-Senders RT und der staatlichen Medienholding Rossija Sewodnja offen mit ihrer Rolle als Gesicht der russischen Desinformation. Der Kreml belohnt sie großzügig dafür. 

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Wladimir Solowjow

„ … die wichtigste Aufgabe, für die wir auf dieser Erde existieren und für die allein wir leben können, ist der Kampf für die Gerechtigkeit, für das, was richtig ist. Und richtig ist, wenn du keinen bettelarmen Nachbarn hast, [...] weil du ihm zu essen gegeben hast.“1 Dieser moralische Appell kommt von einem der bekanntesten und zugleich kontroversesten Fernsehmoderatoren Russlands: Wladimir Solowjow. In seinen Sendungen verurteilt der Entertainer immer wieder ausdrücklich die Korruption2, in einem seiner Bücher nennt er Russland gar ein Reich der Korruption.3 Dennoch bezeichnete er russische BürgerInnen, die dem Protest-Aufruf des Oppositionspolitikers Nawalny am 12. Juli 2017 in Moskau gefolgt waren, als „eine Menge von Assis“, „protzige Arschlöcher“ und „ewige zwei Prozent Scheiße“.4

Durch seine Arbeit als Talkmaster beim staatlichen Fernsehsender Rossija-1 ist Solowjow es gewohnt zu provozieren, als Schiedsrichter aufzutreten und die journalistische Objektivität anderer, vorrangig westlicher Journalisten, anzuzweifeln.

Bekannt für seinen durchdringenden Blick und seinen eigentümlichen Kleidungsstil – Moderator Wladimir Solowjow / Foto © kremlin.ru/wikimedia unter CC BY-SA 4.0

Zunächst wies nichts auf eine journalistische Karriere Solowjows hin: 1963 in Moskau geboren, wollte Wladimir Solowjow zuerst an der Moskauer Ingenieur- und Physikhochschule studieren, wo er nach eigenen Angaben aufgrund seiner jüdischen Abstammung nicht aufgenommen wurde.5 Schließlich absolvierte er sein Studium zum Hütteningenieur am Moskauer Institut für Stahl und Legierungen mit Auszeichnung. Im Anschluss daran promovierte er am Institut für Weltwirtschaft und internationale Beziehungen an der sowjetischen Akademie der Wissenschaften in Moskau.

Anfang der 1990er Jahre zog er in die USA und unterrichtete ein Semester lang Ökonomie an der Universität in Alabama. Dort engagierte er sich auch politisch, indem er Geld und Unterschriften für George Bush senior sammelte.6 Nach seinem zweijährigen Aufenthalt in den USA kehrte er nach Russland zurück, wurde als Unternehmer tätig und betrieb beispielsweise eine Firma, die Lichttechnik für Diskotheken herstellte.7

Vom Unternehmer zum TV-Moderator

Seine Medienkarriere begann Solowjow – mittlerweile Vater von acht Kindern – 1997, und zwar beim Radio. Von Beginn an spezialisierte er sich vor allem auf Interviews sowie auf politische Talkshows. So moderierte er bereits ab 1999 zusammen mit Alexander Gordon die Talkshow Prozess auf ORT. Gleichzeitig war er Moderator der Sendung Strasti po Solowjowu (dt. Die Solowjow-Passion) auf TNT, in der er Politiker und Kulturschaffende interviewte. 
Es folgten weitere Talkshows auf den Sendern TV-6 und NTW. Für seine Interviews, unter anderem mit George W. Bush, wurde er 2005 mit dem wichtigsten russischen TV-Preis TEFI als bester Interviewer ausgezeichnet. Für seine Sendungen jedoch erntete Solowjow teilweise Kritik, da darin immer wieder dieselben Personen auftraten.

Auch er selbst war nicht unumstritten. Im Winter 2008/2009 schadeten Werbekampagnen seinem Image: Unter anderem warb er im Internet für die „Kabbalaschule von Wladimir Solowjow“ und für „Magenballons“, mithilfe derer er abgenommen haben soll.8

2017 geriet Solowjow, nachdem er die Demonstrierenden am 12. Juni 2017 unter anderem als „Kinder von Korrumpierten“ bezeichnet hatte, selbst in einen Korruptionsskandal: Ihm wurde vorgeworfen, Aufträge über einige hundert Millionen Rubel von der Sberbank für „Beratertätigkeiten“ angenommen zu haben. Diese sollen nicht dokumentiert und mutmaßlich mit Hilfe des Ehemanns seiner Tochter beschlossen worden sein.9 Zudem wurde ihm seine Leidenschaft für Immobilien zum Verhängnis: Er besitzt mehrere Häuser und Wohnungen im Wert von über 40 Millionen Dollar – was angesichts seiner relativ niedrigen Einkünfte als ein Hinweis auf Korruption gedeutet wurde.10

Talkmaster und Manipulator

Seit 2010 moderiert Solowjow die Sendung Polni kontakt (dt. Vollkontakt) beim Radiosender Vesti-FM und arbeitet beim staatlichen Fernsehsender Rossija-1. Als Moderator einiger Sendungen, vor allem der quotenstarken Talkshow (Woskresni) Wetscher s Wladimirom Solowjowym (dt. (Sonntag-)Abend mit Wladimir Solowjow) ist er im russischen Fernsehen sehr präsent.

In seinen Sendungen agiert er wie ein Schiedsrichter und betont gerne, dass er selbst bestimmt, worüber die Gäste reden. Diese Rolle spiegelt sich auch in den Namen seiner Sendungen wider: Neben Vollkontakt moderiert er seit 2002 die politische Talkshow Pojedinok (dt. Duell) – ein Fernsehduell nach dem Beispiel von Wahlkampfdebatten.11

Solowjow hat einen eigentümlichen Kleidungsstil: Meistens trägt er ein schwarzes oder sehr dunkles Hemd oder einen sogenannten Frentsch, bis zum Hals zugeknöpft, und weite schwarze Hosen. Seine schwarz-grauen Haare sind stets kurz geschoren, und sein durchdringender Blick in die Kamera wird von vielen als streng und bedeutungsschwer empfunden.

In seinen Talkshows, in denen der Fokus auf den aktuellsten Themen der vergangenen Woche liegt, zeigen sich die Eloquenz, die Ironie und der Zynismus des Moderators. Solowjow versteht es, die jeweiligen KontrahentInnen in seinen Sendungen zu provozieren, mit Hilfe von Wortspielen liberal gesinnte Teilnehmer geschickt zu diffamieren, und er liebt es zu polarisieren.12 In seinen Büchern und Sendungen tritt er als Vertreter traditionell-konservativer und patriotischer Werte auf.13 Wenn nötig, legt er seinen Gästen auch Sätze in den Mund, die sie gar nicht gesagt haben und manipuliert damit gekonnt das Bewusstsein des Publikums.14

Solowjows Feindbilder

Zielscheibe in seinen Sendungen sind die Liberalen und der Westen. Darüber hinaus werden in seinem Buch Wragi Rossii (dt. Feinde Russlands), das 2011 erschien, weitere Feindbilder deutlich: Oppositionspolitiker wie der ermordete Boris Nemzow, Eduard Limonow oder Garri Kasparow stehen in einer Reihe mit Oligarchen, korrupten Beamten, Nationalisten und Pädophilen.15

Solowjow ist einer der Journalisten, die die Politik des Kreml stets unterstützen. So erhielt er bereits einige Auszeichnungen, unter anderem 2014 den Alexander-Newski-Orden für „hohe Professionalität und Objektivität in der Berichterstattung über die Republik Krim“.16
Auch seine Einstellung zum Ukraine-Krieg stimmt mit dem offiziellen Tenor überein. Er vertritt die Meinung, dass „in Noworossija Antifaschisten gegen Faschisten kämpfen“.17 Wegen dieser Haltung steht er seit 2014 auf der Sanktionsliste der Ukraine.

Höhepunkt in der Karriere von Wladimir Solowjow waren zwei Exklusiv-Interviews mit dem russischen Präsidenten, die er 2015 führte. Eines davon wurde Teil des propagandistischen Dokumentarfilms Präsident.18 In diesem Film behauptet Solowjow zweieinhalb Stunden lang mit donnerndem Pathos, dass Russland unter Putins langjähriger Präsidentschaft wieder zu einer Großmacht geworden sei.

Multitalent und Verwandlungskünstler

Gelegentlich tritt Solowjow auch als Film- und Theaterschauspieler sowie als Sänger auf – er gab bereits zwei Soloalben heraus.19 Außerdem ist er Autor mehrerer Bücher zu gesellschaftlichen und politischen Themen, wie beispielsweise dem 2009 erschienenen Buch My – Russkije! S nami Bog! (dt. Wir sind Russen! Gott ist mit uns!). Neben seinen künstlerischen Aktivitäten ist Solowjow auch sportlich umtriebig: Er spielt in der Fußballmannschaft der russischen Regierung, hat den schwarzen Gürtel in Karate und interessiert sich für Bodybuilding und Autos.20

Mittlerweile zählt Solowjow neben Dimitri Kisseljow zu den effektivsten und einflussreichsten Akteuren der russischen Medienwelt. Dabei wird er sehr kontrovers beurteilt: Einerseits tut er sich durch scharfe Polarisierungen und Provokationen hervor, er diffamiert öffentlich gerne sogenannte „Feinde“. Andererseits appelliert er oft an die Gerechtigkeit und das Gewissen und traut sich, auch dem Präsidenten unbequeme Fragen zu stellen.21 Zudem gibt er sich zwar antinationalistisch, bezeichnet sich aber zugleich als „russischen Patrioten“. Wegen dieser Anpassungsfähigkeit und Vielseitigkeit sprechen viele von Solowjow als einem „Chamäleon“.22


1.Vsoloviev.ru: My russkie! S nami Bog
2.vgl. Vsoloviev.ru: Kniga: Imperija korrupcii
3.Solov’ev, Vladimir (2012): Imperija korrupcii: Territorija russkoj nacional’noj igry, Moskau
4.Radiovesti.ru: Bunt mažoro
5.Lenta.ru: Solov’ev, Vladimir
6.Ebenda
7.vgl. 24smi.org: Vladimir Solov’ev
8.vgl. Lenta.ru: Solov’ev, Vladimir
9.vgl. Noodleremover.news: Veduščij Vladimir Solov’ev, reklamno-kollektorskoe agentstvo Sberbanka
10.Moscow-post.ru: O sravnitel’no čestnych sposobach zarabatyvanija deneg V. Solov’evym
11.In den ersten zwei Jahren lief die Show auf TVS, 2003 bis 2009 wurde sie unter dem Namen K bareru! (dt. Zur Barriere! – eine Anspielung auf die Barriere beim Schießen) auf NTW ausgestrahlt. Seit 2010 läuft die Talkshow wieder unter dem Titel Poedinok (dt. Duell) auf Rossija-1.
12.So charakterisierte Solov'ev beispielsweise am Ende der Sendung Poedinok vom 04.04.2014 die Kluft zwischen den westlichen und russischen Werten folgendermaßen: „Im Westen sind die Werte oftmals Geilheit und Lust, und in Russland sind die Werte die Abstammung und der Staat.“
13.vgl. Vsoloviev.ru: Istorija v real´nom vremeni
14.vgl. Čerepova (2015): Rol´ televisionnych političeskich tok-šou v propagande novoj rossijskoj ideologii, in: Žurnalistskij ežegodnik, S. 56
15.Krupaspb.ru: Tjomnye sily nas zlobno gnetut …
16.vgl. Vedomosti.ru: Za vzjatie Kryma
17.vgl. Argumenty i fakty: Logika zverja
18.vgl. Radiovesti.ru: Interv’ju s Prezidentom - Olimpiada dlja žurnalista
19.Solov’inye treli (dt. Nachtigallenschlager, eine Anspielung auf seinen Nachnamen Solov’jev, abgeleitet von Nachtigall) und Volšebnik (dt. Der Zauberer)
20. Jourdoum.ru: On Chameleon
21.vgl. Youtube: Solov’ev zadal neudobnyj vopros Putinu
22.vgl. zum Beispiel Youtube: On chameleon
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Ein kurzer Augenblick von Normalität und kindlicher Leichtigkeit im Alltag eines ukrainischen Soldaten nahe der Front im Gebiet , © Mykhaylo Palinchak (All rights reserved)