Polittechnologija bezeichnet in Russland und anderen postsowjetischen Staaten ein Menü von Strategien und Techniken zur Manipulation des politischen Prozesses. Politik – als Theater verstanden – wird dabei als virtuelle Welt nach einer bestimmten Dramaturgie erschaffen. Politische Opponenten werden mit kompromittierenden Materialien in den Medien bekämpft, falsche Parteien oder Kandidaten lanciert oder ganze Bedrohungsszenarien eigens kreiert.
Zwar sehen sich russische Polittechnologen mitunter in europäischer, auf das alte Rom und später Niccolò Machiavelli1 zurückgehender, Tradition. Verwandt ist der Begriff auch mit dem US-amerikanischen Konzept des political Consulting, also der Politikberatung beziehungsweise den spin Doctors: 1996 beispielsweise war ein Team um den Clinton-nahen Richard Dresner kurzzeitig für Boris Jelzin2 tätig, und die Russische Assoziation der Politikberater3 um Igor Mintusow oder Jewgeni Mintschenko versteht sich als Vertretung der PR- und GR4-Berater. Dennoch ist Polittechnologija als ein eigenständiges Konzept zu verstehen, dessen Wurzeln bis auf die Geheimpolizei Ochrana im Zarenreich, auf die psychologische Kriegsführung (aktive Maßnahmen) des KGB und auf die Sowjetpropaganda zurückzuführen sind. Zugleich spielt es auf Werbesprache und französische postmoderne Denker wie Jean Baudrillard oder Roland Barthes an. In Viktor Pelewins Generation P wurde es zudem literarisch verewigt.
Die Hochzeit der Polittechnologen waren die 1990er und frühen 2000er, in denen Politik über das Fernsehen mit einer entsprechenden Dramaturgie als virtuelle Welt in einem Theater5 vermittelt wurde, ganz nach dem Motto „Nichts ist wahr und alles ist möglich“6. Mehr oder minder kompetitive Wahlen waren von Informationskriegen begleitet, für die Politiker aus Quellen jenseits der legalen Wahlfinanzierung für oft horrende Summen Polittechnologen anheuerten, die den Gegner bekämpften. Zu den Mitteln gehörten graue und schwarze PR7 (Provokationen durch öffentlich gewalttätige Gruppen, das Unschädlichmachen von Medienressourcen des Gegners, das Lancieren von spoiler-Parteien und Doppelgängerkandidaten und so weiter) oder Kompromat – „kompromittierende Materialien“. Diese werden in den Medien über Schmiergeld als sogenannte Sakasucha oder Dshinsa platziert und diskreditieren den Gegner mithilfe frei erfundener Geschichten oder illegal beziehungsweise geheimdienstlich beschaffter Informationen, suggerieren Nähe zur organisierten Kriminalität oder geben Details aus dem Privatleben preis. Zu neueren Formen der Polittechnologie im Internet gehören Hackerattacken und Trollfarmen8, die content entweder lahmlegen oder inhaltlich manipulieren.
In der gelenkten Demokratie der 2000er Jahre greifen zudem Präsidialadministration (vor allem die Abteilung für Innenpolitik), amtierende Gouverneure oder Bürgermeister auf Administrative Ressourcen zurück, um Wahlen manipulativ für sich zu entscheiden. Dies beinhaltet ungleiche Wahlkampffinanzierung, Instruktionen an staatliche Medien (Temniki), Einschalten von Gerichten und Staatsanwaltschaft gegen Opponenten oder Betrug am Wahltag (wie Zwangsabstimmung bei Staatsangestellten, mehrfache Abgabe von Stimmzetteln oder Fälschungen beim Auszählen).
In den 1990er und frühen 2000er Jahren gehörten Gleb Pawlowski, Marat Gelman, Igor Mintusow und Sergej Markow mit der Stiftung für effektive Politik zu den einflussreichsten Polittechnologen. Alexej Chesnakow, Konstantin Kostin oder Dimitri Badowski verbanden in ihrer Karriere den Staatsdienst in der Präsidialadministration mit einer Beratungstätigkeit für staatliche Akteure und Einiges Russland oder die Allrussische Volksfront. Andere, wie Dimitri Orlow, spezialisieren sich vor allem auf Parteien oder, wie Michail Winogradow oder Jewgeni Mintschenko, auf die russischen Regionen.
In der Wahrnehmung der Bevölkerung ist Polittechnologie meist negativ konnotiert und wird oft auch mit Politologie, also Politikwissenschaft, verwechselt, was nicht nur vom manipulativen Charakter des politischen Prozesses im postsowjetischen Russland, sondern auch von der tiefen Krise der Geistes- und Sozialwissenschaften zeugt9.