Zensur oder Sicherheitsmaßnahme? In einem Dekret hatte der ukrainische Präsident Petro Poroschenko Anfang der Woche angekündigt, dass mehrere russische Internetseiten, darunter Soziale Netzwerke und Email-Provider, in der Ukraine gesperrt werden – für mindestens drei Jahre. Betroffen sind unter anderen das russische Facebook-Pendant VKontakte, Odnoklassniki, die Suchmaschine Yandex oder der Email-Provider mail.ru – sie gehören zu den Top-10 der beliebtesten Seiten in der Ukraine.
Quelle: TNS Ukraine
Die überraschende Ankündigung entfachte entsprechend aufgeregte Debatten in der Ukraine und auch in Russland. Vor allem seitens der ukrainischen Zivilgesellschaft und junger liberaler Politiker hat das Vorhaben viel Kritik geerntet. Sie sehen die Meinungsfreiheit bedroht. Befürworter dagegen bewerten es als notwendigen Schritt für die nationale Sicherheit und zur Abgrenzung gegenüber Russland. All diese Argumente werden auch in russischen Medien diskutiert: dekoder bringt Debatten-Ausschnitte aus beiden Medienlandschaften.
Blog Ukrainska Pravda: Sicherheitslücke füllen
Der Westukrainer Maksym Sawanewskyj, Online-Experte und Leiter der PR-Agentur PlusOneDa, unterstützt im Blog der Ukrainska Pravda das Verbot vor allem aus Sicherheitsgründen:
Люди часто не усвідомлюють, який масив інформації вони передають соцмережам:
- інформація про коло друзів
- переписка з ними
- ваші уподобання – що ви лайкаєте, поширюєте, коментуєте
- сайти, які ви відвідуєте [...]
erschienen am 16.05.2017
Meduza: Tipps vom russischen Staats-TV
Beim Exilmedium Meduza wundert man sich, dass ausgerechnet der staatliche Fernsehsender Rossija 24 in seinem Programm erklärt hat, wie man mit Hilfe von Anonymizern und anderen Tricks die Sperren umgehen kann:
Hervorzuheben ist, dass die Anleitung für die Ukrainer auf einem Kanal gezeigt wurde, der seit 2014 in der Ukraine verboten ist.
Отдельно следует отметить, что инструкцию для украинцев показали на телеканале, который с 2014 года запрещен на Украине.
erschienen am 16.05.2017
Vedomosti: Doppelte Standards
Auch im Wirtschaftsblatt Vedomosti sprechen Pawel Aptekar und Nikolay Epplée von einer widersprüchlichen Haltung russischer Offizieller zum Thema Internetsperren:
erschienen am 17.05.2017
Echo Moskwy: Eine Identitätsfrage
Alexander Baunow, Chefredakteur von Carnegie.ru, sieht im Interview mit Echo Moskwy die Entscheidung vor allem in der ukrainischen Identitätsfrage begründet:
Bei der ganzen Geschichte geht es darum, dass dieses Land tatsächlich spürt: Es kann seine Identität nicht aufbauen, solange es in engem Kontakt mit Russland steht, weil die Ähnlichkeit so groß ist, das Gravitationszentrum aber aufgrund der unterschiedlichen Masse in jedem Fall in Richtung Moskau rückt. Der gemeinsame russisch-ukrainische Raum sollte deswegen so wenig wie möglich gemein haben.
Это все история про то, что действительно это страна чувствует, что свою идентичность, находясь в тесных связях с Россией, она не может построить в связи с тем, что сходство велико, а центр тяжести из-за разности масс все равно, так или иначе, будет откатываться в сторону Москвы. Этого общего российско-украинского пространства поэтому должно быть как можно менее общим.
erschienen am 16.05.017
Nowoje Wremja: Poroschenkos Pseudo-Patriotismus
Serhij Leschtschenko, einer der führenden liberalen Politiker der Ukraine und Abgeordneter des Block Petro Poroschenko, kritisiert in der ukrainischen Nowoje Wremja das Vorhaben heftig:
Hauptsache ist, möglichst laut über „Moskaus Hand“ zu schimpfen und alle, die nicht einverstanden sind, als „Putins Agenten“ zu bezeichnen.
[...] Главное – погромче кричать о "руке Москвы" и называть "агентами Путина" всех несогласных.
erschienen am 16.05.2017
Facebook: Social-Media-Flüchtlinge
Oleksij Tschupa, Poetry-Slammer aus der Ostukraine, gehört zu denen, die die Aufregung wegen des Verbots eher lächerlich finden und ironisch kommentieren:
Лышенько-лышенько
Ганьба диктаторові Порошенку.
[...]
Коли з'являться табори для біженців із ВК та ОК - дайте знати, перекажу їм булочку.
erschienen am 16.05.2017
Sekret Firmy: Infrastruktur fehlt
Sergej Petrenko, Ex-CEO des ukrainischen Yandex, äußert im Interview mit dem russischen Business-Portal Sekret Firmy Zweifel in Bezug auf die Umsetzbarkeit des Vorhabens:
Die einzig reale Möglichkeit für eine solche [Sperrung] wäre es, die 1500 Provider (oder wieviele wir hier haben) abzuklappern und sie davon zu überzeugen, bestimmte IP-Adressen zu sperren. Ich weiß nicht mehr, wieviele IP-Adressen Yandex genau hat, aber ein paar Zehntausend sind es sicher.
Единственный реальный способ это сделать — ногами обойти 1500 (или сколько там у нас) провайдеров и уговорить их заблокировать определённые IP-адреса. Я не помню, сколько именно IP-адресов у «Яндекса», но несколько десятков тысяч точно есть.
erschienen am 16.05.2017
dekoder-Redaktion, Inga Pylypchuk