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Pack die Badehose ein

Zum ersten Mal seit acht Monaten ist am vergangenen Samstag ein russischer Urlaubsflieger wieder im türkischen Antalya gelandet. Zuvor lagen die Beziehungen zwischen den beiden Ländern auf Eis, nachdem die Türkei im November einen russischen Kampfjet an der Grenze zu Syrien abgeschossen hatte. Auch sämtliche Charterflüge in das bei Russen beliebte Urlaubsland waren eingestellt.

Ende Juni schließlich standen die Zeichen plötzlich wieder auf Annäherung: Der türkische Premier Recep Tayyip Erdogan hatte in einem Brief sein Bedauern über den Abschuss geäußert, kurz darauf gab es ein 40-minütiges Telefonat zwischen Putin und Erdogan. Noch am gleichen Tag ließ der Kreml verlauten, dass Russen wieder in die Türkei reisen könnten, das Charterflugverbot wurde aufgehoben. Für Ende Juli ist nun sogar ein Treffen auf Ministerebene geplant.

Wie sich mit dem politischen Kurs auch die offizielle Rhetorik auf einen Schlag wieder änderte und warum das schon keinen mehr wundert, analysiert Andrej Archangelski auf slon.ru.

Quelle slon

Der komplette Wandel in den Beziehungen zu einem ganzen Land hängt einzig und allein von einem Anruf Wladimir Putins ab. Das ist keine Neuigkeit, das ist Realität. Wir erinnern uns zum Beispiel daran, wie sich die offizielle Rhetorik nach einem einzigen Satz von Putin änderte: „Nehmen Sie direkten Kontakt zu den Franzosen auf und arbeiten Sie mit ihnen wie mit Verbündeten!“

Das Beeindruckende ist nicht einmal das Tempo, in dem sich die offizielle Tonart ändert. Vielmehr sind innerhalb der sieben Monate, die seit dem Riss in den Beziehungen zur Türkei vergangen sind, dermaßen viele hässliche Worte über das Nachbarland gefallen, dass man meinen sollte, es gäbe kein Zurück mehr. Zahllose Sprecher, Radio- und Fernsehmoderatoren sowie Experten, die zur weiteren Eskalation der Spannungen zum Einsatz kamen, redeten so, als käme nach ihnen die Sintflut, als würde sich die Situation zu ihren Lebzeiten auf keinen Fall mehr ändern. Das Leben zeigt jedoch, dass sich sogar in so konservativen Bereichen wie den internationalen Beziehungen mehr als einmal pro Jahr etwas tun kann.

In solchen Momenten treten fundamentale Widersprüche offen zutage: zwischen dem Weltbild dieser Menschen (Russland ist von Feinden umzingelt, und so war das schon immer) und der Wirklichkeit der modernen Welt – in der der Begriff „Feind“ im Grunde genommen gegenüber keinem einzigen Land angemessen ist. Das Wort „Feind“ ist in Bezug auf den internationalen Terrorismus angemessen, darüber herrscht in der Welt Konsens. Was aber die Beziehungen zwischen den Ländern betrifft, so geschieht alles Mögliche, auch Tragisches – doch irgendwann, und sei es erst nach Jahrzehnten, bitten alle auf die eine oder andere Art einander um Entschuldigung, verzeihen ihrerseits und beginnen Gespräche. Weil es anders nicht geht.

Hate Speech ist reine Formsache

So blitzartig, wie in Russland die eine Rhetorik von der entgegengesetzten abgelöst wird, drängt sich eine Überlegung auf: nämlich, dass die gesamte gegenwärtige Hate Speech mittlerweile als reine Formsache wahrgenommen wird, als eine Art Konvention. Wie ein Fragment der sowjetischen Doppelmoral: Im Partkom muss man den „faulenden Kapitalismus“ anprangern, und dann kauft man auf dem Schwarzmarkt amerikanische Jeans.

Als die große Propaganda begann, im Februar/März 2014, konnte man sich gar nicht vorstellen, dass das eine reine Formsache ist. Im Gegenteil, die ganze Wirkung beruhte auf dem Eindruck, dass hier nur echte Gefühle im Spiel seien, eine neue Aufrichtigkeit sozusagen. Entrüstung, Empörung – das alles konnte man doch wohl nicht vortäuschen. Die Vorstellung, dass die Empörung einfach ein Werkzeug ist, das man jeden Moment wieder abschalten kann, hätte vor zwei Jahren noch bedeutet, den Glauben daran zu verlieren, dass auf der Welt überhaupt irgendetwas ernsthaft existiert.    

Es ist ein schwerer Schlag gegen die Eitelkeit der Benutzer jener Hate Speech, dass die Menschen Propaganda mittlerweile schon als rhetorisches Mittel wahrnehmen: Jedes Mal, wenn das geschieht, wird den Menschen nämlich klar, dass einfach nur ihre Gefühle missbraucht werden (die ihnen eben jene Propaganda untergejubelt hat).

Wenn der Staat eine 180 Grad-Wende vornimmt, kann man das als „derzeit für uns von Vorteil“ auffassen, doch rein menschlich ist es schwierig, damit zurechtzukommen.

„Sie waren im Mai in der Türkei? Schämen Sie sich nicht?“, wirft ein regierungstreuer Radiomoderator einem Hörer vor.

„Ich war nicht bei Erdogan“, antwortet der. „Ich war bei Freunden, die in der Türkei leben.“

Ein Jubelschrei geht durch die Tourismusbranche

Es ist bezeichnend, dass die Entspannung ihren Anfang in der Tourismusbranche nahm. In den Medien verbreitete sich schnell, dass diese Branche die Nachricht „mit einem Jubelschrei“ aufgenommen hätte. Auch das ist eine Emotion, nur diesmal eine positive. Und das Wichtigste an dieser Geschichte ist, dass die im Tourismus Beschäftigten ihre Freude nicht verbergen – obwohl ihnen wahrscheinlich klar ist, dass das nicht allen gefallen wird.

Die Pressesprecherin des Tourismusverbandes sagt im Interview: „Das Charter-Programm (in die Türkei) lässt sich innerhalb eines Monats wieder voll aufnehmen. Und dass die Leute fahren werden, steht sowieso außer Zweifel.“ Ähnliches meint sogar Vizepremierministerin Golodez.

Der Grund dafür ist ganz einfach: Die Türkei bietet das ideale Preis-Leistungs-Verhältnis für den Touristen aus Russland, sie ist das ganze Jahr über das beliebteste Urlaubsziel. Ein Schlag gegen dieses Ziel bedeutet den langsamen Tod der Branche. Und umgekehrt: Die Wiederaufnahme bedeutet ihr Leben. Wir respektieren die Entscheidung des Staates, sagt die Branche, doch wir machen kein Hehl aus unserer Freude darüber, dass die Welt besser geworden ist und nicht schlechter, und versucht doch mal, uns vorzuwerfen, dass wir uns freuen, dass die Welt besser und nicht schlechter geworden ist.       

Das Paradox des Lebens in Russland besteht darin, dass es der hiesigen Geschäftswelt lange Zeit nicht nur an politischen, sondern auch an weltanschaulichen Überzeugungen komplett fehlte. Sie konnte nur immer wieder wiederholen: „Wir sind keine Politiker.“

In den vergangenen Jahren konnten die Unternehmer sich dann davon überzeugen, dass es zwischen Wirtschaft und Politik eine direkte Verbindung gibt. Und dieses Verständnis, so wagen wir zu hoffen, hat wenigstens in manchen Köpfen für einen Umschwung gesorgt. Von der Politik hängt im Fall der Türkei das Leben Tausender Reiseagenturen im ganzen Land ab und außerdem das Befinden von Millionen Touristen.   

Humanisten und Pazifisten des Jahres 2016: die Reiseveranstalter

Ein weiteres Paradoxon besteht darin, dass Pazifismus und Humanismus in Russland keine Tradition haben. Das heißt, sie haben keinen auch nur irgendwie ernstzunehmenden Platz im Massenbewusstsein, ungeachtet dessen, dass diese Wörter in den 80er Jahren gehäuft verwendet worden waren. Die ersten wirklichen Humanisten und Pazifisten des Jahres 2016 waren keine Persönlichkeiten aus Kultur oder Sport, keine Intellektuellen mit Brille oder ohne (manche von ihnen haben sich als Eins-a-Militaristen entpuppt), sondern die völlig neutralen Reiseveranstalter.

Wer arbeitet im Tourismus? Ganz normale Leute, deren Ansichten man wahrscheinlich größtenteils als patriotisch bezeichnen kann. Andererseits sind sie Menschen von Welt, denen man nicht so leicht einreden kann, dass überall Feinde lauern. Und der Militarismus stellt eine Bedrohung für ihre Branche dar.

Nimmt man all diese Dinge zusammen, kommt einem unweigerlich das bekannte Zitat von Marx in den Sinn, dass das Sein das Bewusstsein bestimmt. Der Jubelschrei bezeugt, dass die Gesellschaft Russlands komplexer geworden ist. Derzeit sind die im Tourismus Beschäftigten die überzeugtesten Humanisten unseres Landes, sie wissen jetzt, warum Frieden besser ist als Krieg, denn sie haben es am eigenen Leib gespürt. Und je weniger Feinde Russland hat, desto besser ist es – für sie und für alle.

Sobald die Konvention nicht mehr zwingend ist, ist sie plötzlich spurlos verschwunden

Aufschlussreich wird ein Blick auf die Zahlen der Türkei-Touristen schon im nächsten Monat sein – die werden den Kriegstreibern eine Lehre sein, die dazu aufrufen, „trotzdem keinen Urlaub in der Türkei zu machen“. Ausgehend von diesen Zahlen wird man auch Rückschlüsse ziehen können, wie stark oder schwach die Propaganda das Verhalten der Menschen beeinflusst.

Es wird sich auch zeigen, dass die Leute jetzt schon wissen, dass sämtliche, auch die härtesten, Worte nichts wert sind und nichts von dem Gesagten es verdient, besonders ernst genommen zu werden. Allen ist klar, dass das eine Konvention ist, die sie einhalten, solange die Notwendigkeit besteht. Doch konnte diese Konvention die grundlegenden Gesetze des Marktes nicht aushebeln. Wie in der Sowjetzeit wird sie als ärgerliche Beeinträchtigung des Lebens aufgefasst. Und sobald die Einhaltung der Konvention nicht mehr zwingend ist – ist sie plötzlich spurlos verschwunden.

So erklärt sich wohl auch das Tempo, in dem man in unserem Land aufhört, von jemandem schlecht zu sprechen, und beginnt, neutral oder sogar mit Sympathie von ihm zu reden – und so erklärt sich die Bereitschaft der Mehrheit, einen anderen Gang einzulegen.

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Krim nasch

Im Zuge der Angliederung der Krim hat sich in Russland eine euphorische Stimmung verbreitet, die mit kaum einem zweiten Begriff so eng assoziiert wird wie Krim nasch – die Krim gehört uns. Der Ausdruck wird inzwischen nicht nur aktiv im Sprachgebrauch verwendet, sondern ziert auch zahlreiche beliebte Merchandise-Artikel.  

Infolge des Euromaidans in der Ukraine erklärte Wladimir Putin am 18. März 2014, dass die ukrainische Halbinsel Krim nach einem (international umstrittenen) Referendum einen Antrag auf Angliederung an Russland gestellt habe. Nach Putins Unterschrift unter den Beitrittsvertrag wurden die Republik Krim sowie die Stadt Sewastopol am 21. März 2014 offiziell zu russischen Föderationssubjekten erklärt. Diese Entscheidung, die international nicht anerkannt wurde und zu westlichen Sanktionen führte, löste in Russland eine Welle der Begeisterung aus, für die sich schnell die Formel „krim nasch“ – die Krim gehört uns – einbürgerte.

Der Begriff Krimnasch ist inzwischen in den aktiven Sprachgebrauch eingegangen und wird auch für verschiedene Merchandise-Artikel verwendet. Er findet sich auf T-Shirts, Taschen und Tassen ebenso wieder wie im öffentlichen Raum auf Schildern, Hauswänden usw.

Das Hashtag #крымнаш bzw. #krymnash hat sich auf Twitter und anderen sozialen Medien schnell etabliert.1 Die überwiegende Mehrheit der euphorischen Befürworter der Angliederung der Krim (die manchmal auch als krimnaschisty bezeichnet werden) verwendet ihn, um Stolz und Freude über die Rückkehr der Halbinsel zu Russland auszudrücken. Aber auch die Minderheit der Kritiker der Angliederung nutzt diesen Hashtag, jedoch vorrangig im Zusammenhang mit negativen Konsequenzen wie ausbleibenden Touristen, hohen Transferzahlungen oder den internationalen Sanktionen. Den Ausdruck #krymnash haben sie zudem wortspielerisch zu #namkrysh abgewandelt, was sich ungefähr mit und wir müssen dran glauben wiedergeben ließe (im Sinne von: aufgrund der Angliederung der Krim geht es uns nun an den Kragen).


1.Suslov, Mikhail (2014). "Crimea is ours!": Russian popular geopolitics in the new media age, in: Eurasian Geography and Economics (6), Washington D.C., S. 588-609
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Krim

Es war kein Zufall, dass die russische Präsidentschaftswahl 2018 am 18. März stattfand. Die Wahlbeteiligung und die rund 90-prozentige Zustimmung für Putin auf der Krim stellt der Kreml als eine Art zweites Referendum über die Zugehörigkeit der Halbinsel zu Russland dar. Gwendolyn Sasse über die mythenumwobene Region, das Narrativ der „russischen Krim“ und die Selbstwahrnehmung der Krim-Bewohner nach der Angliederung an Russland. 

 

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St. Georgs-Band

Das St. Georgs-Band ist ein schwarz-orange gestreiftes Band, das auf eine militärische Auszeichnung im zaristischen Russland zurückgeht. Heute gilt es als Erinnerungssymbol an den Sieg über den Hitler-Faschismus, besitzt neben dieser historischen aber auch eine politische Bedeutung.

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Anti-Krisen-Marsch „Frühling“

Im Zuge der wirtschaftlichen Rezession, der militärischen Auseinandersetzungen in der Ostukraine und der westlichen Sanktionen rief ein breites Oppositionsbündnis für den 1. März 2015 zu landesweiten Demonstrationen auf. Der Anti-Krisen-Marsch Frühling sollte in 16 Städten zugleich stattfinden und dem Widerstand gegen die Politik Wladimir Putins Ausdruck verleihen, die nach Meinung der Initiatoren zu dieser Krise geführt hatte.

Zu den offiziellen Forderungen der Demonstranten zählten u. a. ein Ende des Konflikts mit der Ukraine, freie und faire Wahlen, Bekämpfung der Korruption und die Aufhebung der staatlichen Zensur.

Wenige Tage vor der Protestaktion wurde mit Boris Nemzow einer der Hauptinitiatoren ermordet. Anstatt des geplanten Anti-Krisen-Marschs fand in Moskau ein Trauermarsch statt, an dem etwa 50.000 Menschen teilnahmen.

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Boris Nemzow

Er war einer der bekanntesten Politiker Russlands und galt als scharfer Kritiker Wladimir Putins. In zahlreichen Publikationen machte er auf Misswirtschaft und Korruption in Russland aufmerksam, was ihm viele einflussreiche Gegner einbrachte. Eduard Klein über den Oppositionspolitiker, der am 27. Februar vor acht Jahren ermordet wurde.

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Allrussische Staatliche Fernseh- und Radiogesellschaft / WGTRK

Die Allrussische Staatliche Fernseh- und Radiogesellschaft WGTRK ist eine staatlich kontrollierte Medienholding. Sie besitzt mehrere landesweit empfangbare Fernseh- und Radiosender sowie Internetmedien, außerdem knapp 100 regionale Medienanstalten in den Föderationssubjekten der Russischen Föderation.

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Ein kurzer Augenblick von Normalität und kindlicher Leichtigkeit im Alltag eines ukrainischen Soldaten nahe der Front im Gebiet , © Mykhaylo Palinchak (All rights reserved)