Ende Februar hat das Repräsentantenhaus der Vereinigten Staaten den sogenannten Vladimir Putin Transparency Act beschlossen. Die Aufgabe des Gesetzes H. R. 1404 besteht darin, mutmaßliche korrupte Machenschaften des russischen Präsidenten aufzudecken. Als Antwort auf russische Einmischung in US-Wahlen werden damit die Nachrichtendienste beauftragt, Vermögenswerte von Wladimir Putin zu durchleuchten, die er sich laut Verdacht gesetzeswidrig aneignete.
In Russland wird schon seit Jahren gemunkelt, dass Putin sich seit dem Amtsantritt im Jahr 2000 märchenhafte Reichtümer angehäuft habe. Einige meinen, dass er sogar der reichste Mensch der Welt sei. Beweise für solche Thesen gibt es nicht. Dass die US-Nachrichtendienste sie nun durch das Gesetz H. R. 1404 erbringen werden, ist aber zweifelhaft. Das meint der Wirtschaftswissenschaftler Wladislaw Inosemzew. Auf The Insider argumentiert er, warum der Transparency Act aber dennoch durchschlagend sein wird.
Putin ist äußerst wohlhabend – daran zweifelt keiner, weder in Russland noch sonstwo auf der Welt. Und die finanziellen Mittel, die er nach Lust und Laune in Bewegung setzen kann, stehen in keinerlei Beziehung zu seinen offiziellen Einkünften. Die Schätzungen über Putins Privatvermögen liegen in den letzten Jahren zwischen 40 und mehr als 200 Milliarden US-Dollar. Doch keiner von denen, die diese Schätzungen abgaben, lieferte Informationen zur Methode oder nannte konkrete Vermögensgegenstände und zuständige Gerichtsstände. (Genau deshalb weigert sich die Zeitschrift Forbes konsequent, Putin in ihre Listen der reichsten Menschen der Welt aufzunehmen.) Wobei sogar offizielle Vertreter westlicher Regierungen offen gesagt haben, sie wüssten, dass Putin korrupt sei und würden diesen Umstand in ihrer Arbeit als gegeben sehen und berücksichtigen. Gleichzeitig bezweifle ich stark, dass die nun begonnene Untersuchung etwas Konkretes zutage bringen wird – vor allem angesichts der Fragestellung.
Putins Privatvermögen liegt Schätzungen zufolge zwischen 40 und mehr als 200 Milliarden US-Dollar
In dem kürzlich erlassenen Gesetz des US-amerikanischen Kongresses heißt es, dass laut Meinung „externer Experten“ Putins Vermögen „im Milliardenbereich“ liege und maßgeblich von den offiziellen Zahlen über seine Einkünfte abweiche. Diese Behauptung wirkt schwach, denn sie ist nicht mehr als eine Hypothese. Die Suche und namentliche Auflistung „rechtmäßig oder widerrechtlich erworbenen Vermögens“, das „Putin und seinen Familienmitgliedern gehört“, ist, wenn man es wörtlich nimmt, nicht machbar.
Russlands Beamte haben in den vergangenen Jahren das letzte Bisschen an Vorsicht abgelegt – das unterstreicht auch ihre [dutzendfache – dek] Präsens in den sogenannten Panama Papers. Allerdings betrifft das nicht den Präsidenten Russlands. Seine angeborene Wachsamkeit hat sich wahrscheinlich nur noch verstärkt durch die Ermittlungen, die noch in den 1990ern in Russland gegen ihn liefen: Seinerzeit ging es um mutmaßliche Verbindungen zu kriminellen Strukturen sowie um eine enorme Zahl ihm persönlich ergebener Personen, die er in politische Ämter brachte und zu Superreichen machte. All das gibt Anlass zu der Annahme, dass Putins Vermögenswerte auf Privatpersonen und Firmen ausgestellt sind, die sich urkundlich nicht mit ihm oder seinen Verwandten in Verbindung bringen lassen.
Im Unterschied zu einem gewöhnlichen korrupten Beamten in Russland, der seine „blutig erkämpften Verdienste“ vor allem vor den russischen Silowiki zu verstecken sucht, geht es dem russischen Präsidenten in erster Linie um die Sicherheit seines Vermögens vor äußeren Mächten. Putin ist sich gewiss im Klaren darüber, welche Aufmerksamkeit seine Person erregt und wie angreifbar das westliche „Bankgeheimnis“ ist, wenn es um die Machenschaften eines korrupten Politikers seines Ranges geht. Was die Haltung ihm gegenüber in den Hauptstädten der Welt betrifft, hegt er, erst recht seit 2014, keine Illusionen. Putins Geld auf westlichen Banken zu finden, würde daher niemandem gelingen.
Putin kann nicht davon ausgehen, im Ausland sicher zu sein
Zweitens dürfen wir nicht vergessen, dass besonders diejenigen Politiker ihr Vermögen gern im Ausland ansparen, die sich Sorgen um den Fortbestand des eigenen Regimes machen und gleichzeitig keinen Zweifel an der Möglichkeit haben, selbst relativ sicher ins Ausland flüchten zu können (so war es etwa bei Mobutu, Ben Ali, Marcos und Reza Pahlavi). Das kann man im Fall von Putin nicht behaupten – in den letzten Jahren hat er in der Außenpolitik etliche abenteuerliche Schritte unternommen und kann daher nicht davon ausgehen, im Ausland sicher zu sein.
Das Gesetz H. R. 1404 lässt sehr viel Interpretationsspielraum, indem es US-amerikanische Amtspersonen anweist, Vermögensgegenstände zu untersuchen, die „unter W. Putins Kontrolle stehen, auf die er Zugriff hat oder die in seinem Interesse verwendet werden können“. Das und nur das kann in meinen Augen Gegenstand tatsächlicher Ermittlungen sein. Bestenfalls gelingt es also, nicht die Höhe des Vermögens zu messen, das dem russischen Präsidenten persönlich gehört, sondern das Ausmaß seines „wirtschaftlichen Einflusses“, der eine unbestrittene Tatsache ist.
Das Ausmaß von Putins wirtschaftlichem Einfluss
Wird der Kongressbeschluss vom staatlichen Geheimdienst, dem Finanz- und dem Außenministerium ausgeführt, kann ein breites Bild davon entstehen, wie sich Russlands Präsident alle Staatskonzerne unterworfen hat. Binnen zweier Jahrzehnte hat er seinen Freunden und Vertrauensleuten Eigentum im Wert von zig Milliarden US-Dollar in die Hände gespielt, das früher dem Staat gehörte; er hat ein gewieftes System zur Verteilung staatlicher Mittel zugunsten seiner Vertrauensleute geschaffen, den Beschluss und die Anwendung von Gesetzen bewilligt, die „ihm nützlichen Personen“ eine grenzenlose Bereicherung ermöglichten; er hat Mittel aus der Staatskasse zu persönlichen Zwecken verwendet und um seinen Verwandten Annehmlichkeiten zu verschaffen, und er tut das weiterhin. Die Systematisierung dieser Informationen wird für Amerika keinen besonderen Aufwand bedeuten, das Ergebnis wird der naheliegende Schluss sein: Putin hat aus Russland ein Werkzeug gemacht, mit dem er für sich und die Seinen ein Leben im Wohlstand sicherstellt. Jedoch werden zwei grundlegende Probleme dadurch nicht von der Tagesordnung gestrichen.
Russland als Werkzeug zur Wohlstandssicherung
Einerseits hat in Russland das Thema Korruption meiner Meinung nach längst seine Aktualität eingebüßt. Kaum jemand bezweifelt, dass Putin einer der reichsten Menschen im Land ist – als etwas Unerhörtes wird das nicht wahrgenommen. Putins Kontrolle über gigantische Finanzströme werden die Russen immer mit den Besonderheiten der Verwaltung ihres Landes rechtfertigen. Und selbst wenn jemand beweist, dass der Präsident über Mittelsmänner zum Beispiel eine Kontrollmehrheit über den geheimnisvollen Konzern Surgutneftegas innehat, so wird dieses Aktiv als „Airbag“ für das Land als Ganzes angenommen.
Meiner Einschätzung nach werden Informationen aus dem Ausland über die Reichtümer des russischen Präsidenten in keiner Weise seine Legitimität innerhalb Russlands beeinträchtigen.
Das westliche Establishment wird die Wichtigkeit der Beziehungen zum Kreml zusätzlich begründen müssen
Andererseits kann der Westen auf weitere Beweise für Putins Korruptheit stoßen – obwohl diese auch jetzt nicht bezweifelt wird. Und trotzdem wird weiterhin Kontakt zum russischen Staatschef gehalten und das wird mit der wichtigen Rolle erklärt, die Russland in der internationalen Politik spiele. Ich kann mir schwer vorstellen, dass sich nach der Analyse des vom Nachrichtendienst gesammelten Materials der Umgangston westlicher Politiker mit Putin ändern wird. Eher umgekehrt: Wenn die Erstellung dieses vom Kongress geforderten Berichts jemandem das Leben schwer macht, dann dem Establishment Amerikas und Europas, das die Wichtigkeit ihrer Beziehungen zum Kreml zusätzlich wird begründen müssen. Und es wird sie begründen, da bin ich persönlich ganz sicher.
Ich komme also zu dem Schluss, dass das Ergebnis dieser Untersuchung Licht auf die Geschäfte von Putins nächstem Umfeld werfen wird und darauf, wohin die daraus erzielten Gewinne fließen und/oder wohin sie konvertiert werden. Es werden massenhaft mit Geldwäsche betraute Mittelsmänner auftauchen (in letzter Zeit spricht man auch ohne spezielle Untersuchung von ihnen, wie im Fall von Troika Dialog), und es werden die nominellen Halter von milliardenhohen Summen festgestellt werden, deren Herkunft auf die eine oder andere Art Russland zu verdanken ist. Aber mehr werden die Amerikaner nicht erreichen. Putin ist und bleibt der geheimnisumwobenste unter den reichsten Menschen des Planeten ...