Maxim Shbankou, 1958 in Minsk geboren, hat sich unter anderem mit seinen scharfen und scharfsinnigen Polemiken als Kulturkritiker und -forscher einen Namen in seiner Heimat Belarus gemacht. Zudem ist er einer der Organisatoren des Filmfestivals Bulbamovie, das zwischen 2011 und 2015 in Warschau veranstaltet wurde. In einem Essay voller popkultureller Reminiszenzen, den Shbankou für unser Projekt Spurensuche in der Zukunft geschrieben hat, vollzieht er den geistigen und kulturellen Aufbruch des unabhängigen Belarus nach, den er sich als junger Mensch in der Sowjetunion ersehnt hatte. Ein Aufbruch, der aber häufig konträr zu dominierenden politischen Entwicklungen und erzkonservativen Geisteshaltungen verlief. Vor dem Hintergrund des Krieges in der Ukraine und einer Radikalisierung des politischen Systems in Belarus ergründet er, was das Versprechen der Zukunft überhaupt noch wert ist und bedeuten kann: „Hier gibt es nicht nur keine Zukunft. Hier gibt es nicht einmal eine wirkliche Gegenwart.“
Die Zeitrechnung endete 2020 und George Orwell verging vor Neid. Die Endzeitliteratur wurde vom belarussischen Nachrichtenstream auf den Müll verfrachtet. Gleichzeitig schwanden auch alle anderen Gruselschriften – vom Prozess über Einladung zur Enthauptung bis hin zum Archipel GULag. Das Happy End verreckte, der Himmel voller Diamanten erwies sich als schwarzes Loch. Nirgends konnte man hinschauen. Nirgends konnte man abschreiben. Alle Partituren zurück auf Null. Meme der Saison: Bleib stehen! Hab Angst! Alle auf Stopp. Alles auf Stopp. Nein, die Erde dreht sich weiter. Kaffeepausen laut Plan. Und da Winter ist, wird wahrscheinlich auch wieder Sommer. Nur werden an diesem Bahnhof keine Fahrkarten nach Morgen mehr verkauft. Ob es je welche gab, ist unklar. Vielleicht liegt es daran, dass es gar kein Bahnhof ist. Bloß eine Eisbude neben einem Provinzzirkuszelt.
Wenn ich darüber nachdenke, dann hatte ich niemals eine Zukunft. Wobei – niemals. Das halbe Leben auf jeden Fall. Was sagten sie uns immer? „Schau, wenn du mal groß bist ...“ Und dann? Nichts. Dann bist du eben groß. Als ich klein war, verfrachteten sie mich in den Kindergarten, man musste lange fahren, mein Physiker-Vater kam immer zu spät ins Institut. Später die Schule, ich laufe auf die Kreuzung, stürze mit dem Knie aufs Eis, es tut weh, da kommt ein schwarzes Auto. Bremst gerade noch. Uff. Noch mal heil davon gekommen. Ich schaffe es noch zum Unterrichtsbeginn. Weiter – höher. Neue Kurse. Alles fremd. Wozu? Weil es so sein muss. Zwei Jahre Wehrdienst. Uni. Dissertation (war langweilig, daher brauchte ich nur die Hälfte der Zeit). Professur. Hochzeit. All sowas eben.
Die Zukunft schufen andere: die kommunistischen Zombies von den Paradenporträts, die Chefs in spitzen Schuhen und glänzenden Anzügen, die kühnen Baumeister, die das alte Minsk komplett auskämmten, und die Kulturschmuggler, die pünktlich frische Dosen Rock’n’Roll-Gift ins kommunistische Paradies schmuggelten. Kurz gesagt alle, die wenigstens ein bisschen Einfluss hatten und den globalen Rahmen auf den eigenen Eifer zuschnitten. Sicherlich nicht ich – ein Statist in Jeans in einem Theaterstück unter fremder Regie. Ein frischer Ziegelstein in einer Mauer ungewissen Zwecks. Vielleicht Supermarkt, vielleicht Mausoleum.
Ich habe die Zukunft nicht bestellt, die Zukunft hat mich bestellt. Und es blieben nur drei Möglichkeiten: sich als Bahnschwelle unter diesen Zug legen, vor der Lok herrennen oder an den Rand zu treten. Für jeden Bewohner des Sowjetreichs der späten 1970er Jahre war in der Zone fremder Geräusche und transzendenter Signale, im Bereich der Kultur, die bis an den Rand gefüllt war mit Produkten der Lebensaktivität ausländischer Programmierer, eine Form der Präsenz normal, in der an erster Stelle und unvermeidlich der Pioniereid stand. Dann folgte – das Anderssein des Teenagers. Und schließlich für die dreistesten – die reife und bewusste Abkehr. Praktiken der Selbstidentifikation außerhalb des Systems. Aus der Trias Sex, Drugs and Rock’n’Roll lag das erste noch im Dunkeln, das zweite war unerreichbar. Dafür haute die dritte Komponente mit voller Wucht rein.
An die Stelle des „Zeit, voran!“ unter rotem Banner – schon damals völlig entleert vom Heldenpathos der Anfangszeit und eingetauscht gegen gestammelte Gesänge von hohen Tribünen – trat die private kulturelle Gestaltung: Welche helle Zukunft bitteschön sollte da sein? Welcher Kommunismus? Welche Subbotniks? Die Zeit drehte und kurvte herum. Sie zerstob zu den Tracks von Led Zeppelin und den Mantren der Doors. Der einzig wichtige Tagesplan war das Programm des polnischen Radiosenders. Wo seit ihrem Erscheinen Tag für Tag die komplette Pink-Floyd-Platte The Dark Side of the Moon lief.
Im Land des feierlichen Auf-der-Stelle-Tretens war uns ein kulturelles Plateau zugeteilt, auf dem alles mit Verspätung ankam. Aber doch, oh Wunder, genau rechtzeitig. Lennon und McCartney begann ich vom Ende an zu hören: mit der Kollage des Weißen Albums und dem Grand Finale Abbey Road. Sobald wir die Tonbandkopien in die Hände bekamen, ging es los. Und so lief es weiter. Eine gebundene Fotokopie der Nowy-Mir-Ausgabe von Meister und Margarita fand ich auf einer Parkbank im Stadtzentrum. Ein exzellenter Platz, um den teuflischen Kater mit der Browning lieben zu lernen. Meine weißen T-Shirts färbte ich in einer Schüssel in der Küche, zu einem Knoten verschnürt – wie die britischen Hippies in der zerfledderten Zeitschrift Anglia.
Während die irren Planer uns Perspektiven formten, lebten wir in unserem selbstgemachten Heute. Das reichte uns vollkommen zum Glück.
Hier, in diesem Standbild des Welpendunstes gab es kein Gefühl des Kontrollverlustes. Denn es gab überhaupt keine Kontrolle. Von der Komsomol-Versammlung liefen wir direkt zu den strawberry fields. Dort blieben wir und fingen Käfer und pafften Pusteblumen. Ausflippen im abgekoppelten Waggon.
Wir erwarteten keine Siege, weil der Sieg schon in unseren zotteligen Köpfchen stattfand. Die schwache Selbstidentifikation sprengte jeden Wunsch, Prozesse zu leiten und in Fünfjahresplänen zu denken. Wichtiger war herauszufinden, was da auf der neuesten Kassette der Stones stand – Family oder Country Joe? Und wer hatte sich eigentlich diesen Jungen namens Bananan ausgedacht?
Die Manöver der Staatspitze und das Lächeln vom Mausoleum beherrschten die ersten Spalten der Zeitungen. Letztlich bedeuteten sie aber nicht mehr als die Stunde Morgengymnastik im Radioprogramm. Selbst als Gorbatschow kam. Die Perestroika klang wie eine idiotische Rochade der Regierung. Plus die eingeschalteten Abgeordnetenmikrofone in unserem grenzenlosen Neubaugebiet. Die Zeit gewann nicht an Tempo. Sie gaben einfach Solschenizyn zurück, gaben Brodsky heraus und tauschten in Karabach Sowjetmief gegen Bleikugeln.
Die Volksfronten? Sie kämpften für ein schlecht retuschiertes Gestern und ein trübes Heute. Eigentlich wie ihre Gegner auch. Der Unterschied lag in der Farbe der Flaggen und dem Heldenportfolio. Wieder keine Zukunft. Es war unklar, wer aufrief und unklar, wozu. In diesen Film wollte ich nicht: Ich hatte schon meinen eigenen. Die Choreografie der Reformierer und der Konservierer erschien wie ein Kampf der Papierdrachen, während ich Jimi Hendrix hörte.
Und was kam dann? Dann kam das Gestern. Immer dasselbe, nur dass anstelle des rotgebannerten sowjetischen Morgen das belarussische Kolchosen-Retro zu uns kam. Das, was sich heute aktiv als polizeilich-militärischer Triumph hervortut.
Die große Zeit blieb nicht stehen, sondern begann ihren eigenen Schwanz zu jagen wie ein beklopptes Kätzchen. Erst kamen die Demonstranten. Dann die Gefangenentransporter. Dann wurden Kredite verteilt und die Zinsen wucherten. Danach wieder Demonstranten. Und noch mehr Gefangenentransporter. Und fünfzehn Tage für einen Repost. Und dann durfte selbst die Kartoffel das Land nicht mehr verlassen. Und in der Ukraine sind wieder „Nazis“.
Damals aber, an der Jahrhundertwende, war in der netten Kulturwelt alles greller und bunter. Wir durchforsteten die Archive und studierten das Verpasste. Der Eiserne Vorhang hatte sich irgendwohin verzogen. Die Zensur war eingetrocknet. Für Rock’n’Roll wurde man nicht mehr verhaftet. Europa kam näher, die Grenzen wurden transparenter. Die Bohème bekam britische Journale, schwarze Jeans und polnische Platten. Vor diesem Hintergrund des popkulturellen Glücks war es den abgesonderten aktiven Bürgern noch gleichgültiger, wohin die Machtspitze uns manövrierte. Gleichgültig und unverändert unklar.
Die Bewegung im Stil der lässigen beautiful People blieb die beste Technik des psychischen Wohlbefindens und ein sicherer Selbstschutz vor den weiteren Mobilisierungen. Die minimalen Karriereoptionen und null Einflussmöglichkeiten auf die bestehende Ordnung wurden vollständig kompensiert durch die Absage des Staates, sich in deine persönlichen Pläne einzumischen. Man konnte weiterhin als Dekor leben, da immer mehr Dekor hinzukam. Der Lebensraum deiner Transitträume erstreckte sich von Porto bis Stockholm.
Doch hier geht es wieder nicht um die Zukunft. Nicht ums Morgen. Denn all dieser Jazz ertönte hier und jetzt. In unseren unteren Etagen.
Und wer weiß, was die da oben rauchten? Und ob dort überhaupt noch jemand am Leben war?
Man kann das leicht als stagnierenden Stupor oder nationale Depression betrachten. Als abgekartetes Spiel der sozialen Stabilität: „Ihr lasst nichts anbrennen – wir üben keinen Druck aus.“ Doch ich würde eine solche Ordnung eher als kulturelle Gleichgültigkeit bezeichnen. Als flackernde Präsenz einzelner Piratensender dort, wo Störsender nicht hin reichen.
Ja, das ist ein Spiel mit Metaphern, aber keine verbale Effekthascherei. Einfach nur der Versuch Bedeutungsnuancen mit Wortkonstruktionen zu erfassen. Der hybride Zustand kulturellen Tauchens mit Übergang zum emotionalen Strudel.
Dabei haben auch Sinnbrüche einen Sinn. Und in parallelen Sphären findet sich manchmal Licht. So hatte auch unsere nach dem grenzwertigen Präsidenten benannte Provinzdiktatur ihre samtene Periode. Irgendwo in der zweiten Dekade dieses Jahrhunderts ergab sich eine inoffizielle Parität zweier Unabhängigkeiten – derjenigen der Basis und derjenigen der Spitze. Die stille Anerkennung der gegenseitigen Unvereinbarkeit des Old-School-Regimes und der neuen kreativen Klasse. Wir können so gut ohneeinander, dass wir einander nicht auf die Mokassins treten.
Nahe, aber nicht zusammen. Eine scheinbar integrierte Nation. Bis zum ersten Protest. Bis zur ersten Verhaftung.
Es war eine wunderbare Welt an der Welt vorbei. Ein choreografierter, ineinandergreifender Übergang von Hochtechnologie und Machtbalett. Hi-Tech-Dancing im Affenhaus. Die Außerirdischen sind schon angekommen und lassen sich bereitwillig als Minderheit und rein dekorative Rasse halten.
No News from Belarus – wie ein belarussischer Künstler melancholisch konstatierte. Wieder Sowjetunion, nur durchtrainiert. Zwei ausgebremste Realitäten – den administrativen Wahnsinn und das kreative Hub – nähten Staatssicherheit und Venediger Biennale periodisch aneinander.
Auf die Schnelle. Situativ. Notdürftig. Thema hinbiegen und Problem abhaken, solange niemandem Leid zugefügt werden musste.
Was geschah im stürmischen Jahr 2020? Bruch der Konventionen. Die oberste Etage krachte unter Schreien, Schimpfen und Schüssen runter. Wahrscheinlich bildeten sie sich ein, dass der Keller den Umsturz angezettelt hatte, um zum Penthouse zu werden. Vielleicht war es an einem gewissen Punkt auch so. Wirklich, wie kann man nicht das Penthouse sein wollen? Das wollen doch alle.
Der aufgebrachten Vertikale der trüben Macht waren zwei einfache Ideen nicht zugänglich. Erstens: Es gibt nichts Schlechtes an der Horizontalen. Und zweitens: Der größte Feind der Vertikalen ist die Vertikale selbst. Eine aggressive Gopnik-Band hat die Führung des Landes ruiniert, schuld aber sollten die sein, die Mandarinen schälen oder einfach das Kinderzimmer neu tapezieren wollten.
In der Folge wurde nicht darüber gestritten, wo man leben wollte, sondern mit wem man sein will. Alles ist ganz einfach: Sie können uns nicht vergeben, dass wir ohne sie zurechtkommen.
Die Kolchos-Elite wird von ihrer eigenen Geistesarmut, ihrer aggressiven Selbstverliebtheit und der völligen Phantasielosigkeit erstickt. Daher der Wille, alles zurückzudrehen. Wo es noch verständlich war. Aufzeigen, dass die horizontalen Menschen ein statistischer Fehler sind. Alles, was in diesen unglücklichen, vom Fernseher ramponierten Köpfen ankommt: „Sie lieben uns nicht, weil sie gekauft wurden“. Hier gibt es nicht nur keine Zukunft. Hier gibt es nicht einmal eine wirkliche Gegenwart.
Worin liegt also der Sinn einer belarussischen Perspektive? Darin, dass hier keine für alle gültige Version entstanden ist. Die Nation lebt dauerhaft im dauerhaften Ungleichtakt. Tür an Tür, aber in verschiedene Richtungen.
Fast wie die Konstellation in Berlin: S-Bahn versus U-Bahn. Verkehr auf verschiedenen Ebenen. Oben der Versuch zu regieren – eine (scheinbar) pragmatische Polit-Choreografie und/oder ein hysterischer Tanz kriegspropagandistischen Vokabulars. Unten – das private Mosaik aus Bruchstücken des vergangenen Lebens.
Die Züge fahren nicht nur auf verschiedenen Ebenen. Sie fahren in verschiedene Richtungen und mit unterschiedlichen Passagierzahlen. Es gibt grundsätzlich nie einen Zug für alle. Auch die Waggons sind verschieden. Und dabei geht es nicht um besser oder schlechter. Es sind verschiedene Systeme von Organismen. Verschiedene Lebensformen. Wie Fische und Kaninchen.
Die Zukunft wächst gleichzeitig in alle Richtungen. Es kann nie nur eine geben. Zum Glück.
Und nun kommt das Wichtigste: Die Zukunft gibt es nicht deshalb, weil jemand sie besser als ein anderer erdacht hat. Sie ist kein Plan und kein Szenario. Sie ist ein gegebener Verlauf jenseits toter Konzepte. Ein anderes Leben, das keine Angst hat sich zu verändern. Die natürliche Erfahrung eines vorübergehenden Bewohners instabiler sozialer Verschiebungen. Ihr Sinn ist die Unschärfe der Route und ein nicht offensichtlicher Bedeutungshorizont. Der Zustand der offenen Suche und der permanenten Degustation von Optionen.
Sie kann nicht regiert werden, und sie hat keinen Chef. Sie ist eine unumkehrbare Abfolge von Dias und ein permanentes Upgrade von Inspirationsquellen und Energieressourcen. Die echte Zukunft killt unsere Illusionen. Und sie gelingt niemals hundertprozentig. Die Zukunft ist der Anstieg von Problemen und Katastrophen. Ein Training am Komplizierten. Oder Dramedy Non-Stop.
Die Zukunft gibt es nicht, weil sie schon da ist. Und unser allgemeines Theater bleibt Theater, nur kann man die Show jetzt anschauen, ohne die Angst kotzen zu müssen. Was rettet? Wir haben das Recht auf eine Stimme, Bewegungsfreiheit und Zutritt zur Bühne. Was stört? Genau dasselbe.
Gut daran – regelmäßiger Spielerwechsel, die Freiheit abzuhauen, der Effekt der Mitleidenschaft und die ständige Wahl der Helden der Saison. Schlecht ist, dass ständig jemand den Einsatz verpasst, in den Saal platzt, die Rolle verwechselt und scharf drauf ist rumzuballern.
Heute lebt jeder sein Morgen – so gut er kann – für sich. Die Nation ist keine Paradeabordnung, sondern einfach ein gut ausgestattetes Feld für gemeinsamen Jazz. Statt einer verängstigten Kaserne – ein zerfranster Stapel bunter Identitäten. Postkino. Telegram-Style für die posttotalitäre Gesellschaft.
Apokryphen sind unvermeidlich. Mutationen erwünscht. Dezentralisierung garantiert.
Das totalitäre Theater brennt – aber im Großen und Ganzen gibt es niemanden, der ihm nachweinen würde. Außer Feuerwehrleuten, Platzanweiserinnen und Jongleuren ballistischer Raketen.
Die Matrix ist zerlegt. Die Kreativität ist geblieben. Sie haben nichts mehr miteinander zu schaffen.
Stellt euch die Titanic vor, deren Decks wie ein Strandhaus im Hurricane auseinanderfliegen. Welche gemeinsame Zukunft sollten sie haben? Sie haben nichts gemeinsam: Ozean, Sturm, Eisberg. Und eine absolut vorhersehbare Scheiße. Deren Fahrplan wiederum für jedes Deck ein anderer ist. Die Bedeutung dieser Zukunftsversion liegt am Ende einer gemeinsamen Route und eines gemeinsamen Märchens. Und auch im gemeinsamen Unglauben an Märchen und Märchenerzähler. Nein, die Bullshit User werden bleiben. Aber die Realität wird sie schnell korrigieren.
Sie kommt auf Putins Panzern angefahren und bringt die nächste Brigade derer, die mit einer ausgedachten Vergangenheit vergiftet wurden. Um sie in kalten ukrainischen Feldern zu vergraben. Oder sie führt dich in der Geschützpause raus zum Rauchen. Damit du die Sterne am Himmel zählst – Gold auf Blau. Und dich freust, dass du die Morgendämmerung noch erlebst.
Was eint? Was verbindet uns alle in diesen Erschießungsstürmen? Keine neue Ganzheit, sondern ein neuer Schwall von Brüchen. Die Stabilität der Instabilität. Wir sind schon morgen. Weiter zu denken ist unmöglich.
Die Bewohner der Gegenwart wurden in eine unerwartete, katastrophal schöne Konstellation geworfen – Flüchtlinge und politische Gefangene, Schützen und Poeten, Performer und Cyber-Partisanen, IT-Jedi und Straßencellisten, rebellische Gastronomen und Underground-Künstler – sie alle werden nicht durch ein neues Zirkuszelt gerettet, sondern durch seine glänzende Abwesenheit.
Zeit für aufrechten Aufbau und messerscharfe Wahl. Die Möglichkeit für seltsame Reime und spontane Konsonanzen. Ein mosaikhaftes Draußen. Raum der situativen Kollaborationen. Logik der Easy Riders.
Nächster Orientierungspunkt? Zugluft und Mangel als Zone des persönlichen Antriebs und der privaten Obsessionen verstehen und lieben.
Der grundlegende Sinn? Kontrolle über die eigene private Situation. Einrichtung der Selbstbestimmung. Der persönlichen – also der öffentlichen.
„Imagine there’s no heaven …“ Der bebrillte Beatle Johnny-John wusste, was er sagen sollte.
Es ist einfacher, in einen leeren Himmel zu fliegen.
Wie also existieren? Leben nach der verbrannten Show. Sich schärfen für eine neue Welt. Schusswaffen und Messer verbinden. Asche kosten. Hülsen aufsammeln und Matrizen begraben.
Es gibt keine Kanons, es gibt einen Baukasten der Bedeutungen. Einen Garten sich gabelnder Pfade. Jeder ist sein eigener Borges. Jeder ist sein eigener Buddha.
Danke, Chaos. Die Ordnung tötet sich selbst.