Stanislaw Petrow starb bereits im Mai 2017 nahe Moskau. Erst im September wurde sein Tod zufällig bekannt. Stanislaw Wer?
Als eines der ersten Medien überhaupt berichtete die deutsche WAZ über seinen Tod, nachdem der Oberhausener Karl Schumacher, der Petrow persönlich kannte, auf seinem Blog darüber geschrieben hatte. Petrows Geschichte ist bis heute kaum bekannt, dabei hatte er während des Kalten Krieges eine folgenschwere Entscheidung getroffen.
Meduza über den Mann, „der den Atomkrieg verhinderte“.
Die Nacht zum 26. September 1983, Geheim-Einheit Serpuchow-15, unweit von Moskau. Stanislaw Petrow ist verantwortlicher Diensthabender auf dem Befehlsstand des Raketen-Frühwarnsystems. Um 0:15 Uhr gibt der Computer das von den sowjetischen Militärs am meisten gefürchtete Signal: Von US-amerikanischem Gebiet ist eine ballistische Rakete abgeschossen worden, Ziel ist die UdSSR.
Laut Anweisung hätte Petrow der Führung umgehend Meldung davon machen müssen, um den Befehl für einen Gegenschuss zu erhalten – doch das tat er nicht.
„Das System zeigte an, dass die Information höchst zuverlässig ist“, erinnert sich Petrow in einem seiner Interviews. „An der Wand leuchteten große rote Buchstaben: START. Also war die Rakete ganz sicher losgeflogen. Ich schaute auf meinen Aktionsplan. Einige waren von ihren Plätzen aufgesprungen. Ich erhob die Stimme, befahl allen, umgehend ihre Plätze einzunehmen. Das musste alles nachgeprüft werden. Es war unmöglich, dass tatsächlich eine Rakete mit Sprengköpfen ...“
Das System meldet einen US-Raketenangriff
Vom Moment des feindlichen Raktenabschusses an bis zur Entscheidung über einen Gegenschlag hatte die sowjetische Führung nicht mehr als 28 Minuten Zeit. Petrow selbst hatte 15 Minuten, um die richtige Entscheidung zu treffen. Er bezweifelte, dass die USA sich zu einem Atomschlag gegen die Sowjetunion entschieden hatten. Er wie auch die anderen Offiziere waren instruiert, dass, im Falle eines echten Angriffs, Raketen von mehreren Basen gestartet werden müssten. Petrow meldete über die Hochsicherheitsleitung, dass der Computer eine Störung hätte. Untersuchungen ergaben später, dass die sowjetischen Sensoren von Wolken reflektierte Sonnenstrahlen als amerikanischen Raketenabschuss gewertet hatten.
Petrow, so erinnerte er sich später, sollte befördert werden, gar einen Orden bekommen, doch stattdessen bekam er einen Verweis – sein Dienstprotokoll war nicht vollständig.
1984 trat Petrow außer Dienst und ließ sich mit seiner Familie in Frjasino bei Moskau nieder. Bis 1993 war der Vorfall von Serpuchow-15 ein Staatsgeheimnis; von dem Dienst an diesem Tag wusste nicht einmal seine Frau.
Im September 1998 las Karl Schumacher aus Oberhausen, von Beruf Bestatter und ein politisch aktiver Mensch, eine kleine Zeitungsnotiz in der Bild, in der Petrows Name erwähnt wurde. „Da hieß es: Der Mensch, der einst den Atomkrieg verhindert hat, lebe in einer ärmlichen Wohnung in der Stadt Frjasino, seine Pension reiche nicht zum Leben, und seine Frau sei an Krebs gestorben“, erzählt Schumacher Meduza.
Schumacher lud Stanislaw Petrow zu sich ein. Er wollte, dass Petrow den Ortsansässigen von jener Episode aus dem Kalten Krieg erzähle. Stanislaw Petrow folgte der Einladung und, dort angekommen, gab er ein Interview in einem lokalen Fernsehsender. Einige Regionalzeitungen berichteten über seinen Besuch.
„Dem Menschen, der den Atomkrieg verhinderte“
So erfuhr nach und nach die Welt von Stanislaw Petrows Geschichte. Nach dem Besuch in Oberhausen schrieben Medien weltweit über ihn, darunter Der Spiegel, Die Welt, Die Zeit, CBS, Radio1, die Washington Post und Daily Mail. Am 19. Januar 2006 bekam er im UNO-Hauptquartier eine kleine Kristallskulptur überreicht: eine Hand, die die Weltkugel hält. Darin war der folgende Schriftzug eingraviert: „Dem Menschen, der den Atomkrieg verhinderte.“
Am 17. Februar 2013 wurde ihm der Dresdner Friedenspreis verliehen, für die Abwendung bewaffneter Konflikte. Der einzige weitere russische Preisträger dieser internationalen Auszeichnung war Michail Gorbatschow im Jahr 2010.
Im Jahr 2014 erschien der dokumentarische Spielfilm Der Mann, der die Welt rettete. Petrow sagte in einem Interview mit der Komsomolskaja Prawda, Kevin Costner, der darin mitgespielt hat, habe ihm, Petrow, 500 Dollar überwiesen und sich bei ihm bedankt, dass er die Raketen mit Atomsprengköpfen nicht gestartet hatte.
500 Dollar und ein Dank von Kevin Costner
In Interviews mit russischen Medien erklärte Petrow, er habe die Welt nicht gerettet. Das sei einfach ein schwieriger Arbeitsmoment gewesen. So lebte er weiter dort in Frjasino. Ende der 1990er Jahre habe er angefangen auf dem Bau zu arbeiten – als einfacher Wachmann.
Am 19. Mai 2017 ist Stanislaw Petrow gestorben. Weder russische noch ausländische Medien haben darüber berichtet. Warum – das ist schwer zu sagen. Petrows deutscher Bekannter Karl Schumacher hat zufällig von seinem Tod erfahren. Er rief Petrow jedes Jahr am 7. September an, um ihm zum Geburtstag zu gratulieren. Doch diesmal teilte ihm Petrows Sohn mit, dass sein Vater gestorben sei, bereits im Mai.
„Mich hat seine Geschichte bis tief in die Seele berührt“, sagte Schumacher Meduza. „Ich habe in Westdeutschland gelebt, 35 Jahre lang habe ich die reale Bedrohung des Kalten Krieges gespürt. Ich war sicher, wenn die UdSSR Raketen abfeuert, dann landen die auf meinem Haus. Ich finde, dass Stanislaw den Friedensnobelpreis mehr als jeder andere verdient hat. Ehrlich gesagt habe ich einst ein [Nominierungsverfahren] organisieren wollen. Aber Stanislaw sagte zu mir, wenn er den Nobelpreis bekomme, dann werde er keine einzige Minute mehr Ruhe haben.“