Leonid Breshnew war von 1964 bis 1982 Vorsitzender der KPdSU und prägte als erster Mann im Staat fast zwei Jahrzehnte lang das Geschehen der Sowjetunion. Seine Herrschaft wird einerseits mit einem bescheidenen gesellschaftlichen Wohlstand assoziiert, gleichzeitig jedoch auch als Ära der Stagnation bezeichnet.
Leonid Iljitsch Breshnew (1906–1982) war von 1964 bis 1982 Parteivorsitzender (anfangs Erster Sekretär, nach der Umbenennung des Postens 1966: Generalsekretär) der KPdSU und seit 1977 auch Vorsitzender des Präsidiums des Obersten Sowjets, kurz: Staatspräsident. Da die kommunistische Partei in der Sowjetunion weisungsberechtigt gegenüber der Regierung war, galt der Parteichef auch im Staat als mächtigster Mann. Breshnews 18 Herrschaftsjahre werden gemeinhin als „Stagnation“ bezeichnet, als Zeit, in der vor allem die Wirtschaft die Umstellung von der Schwerindustrie auf neue Technologien verpasste und in Staat und Partei keine jungen Kräfte mehr nachrückten. Daher wurde ab Ende der 1970er Jahre die Parteiführung auch als Herrschaft der Gerontokraten oder des „Marxismus-Senilismus“ (statt „Leninismus“) verspottet. Weiter steht Breshnew für die Niederschlagung des Prager Frühlings 1968, die Verfolgung, Exilierung und Verbannung der Dissidenten wie Solschenizyn und Sacharow und den Einmarsch in Afghanistan 1979.
Aufstieg: Geboren wurde er 1906 in der Ukraine in der Industriestadt Kamenskoe, ab 1936 Dneprodsershinsk, als Sohn eines russischen Metallarbeiters. Seine Eltern träumten davon, er werde eine bürgerliche Karriere machen und schickten ihn aufs Gymnasium. Doch nach seinem Schulabschluss 1921, der in die Zeit nach Revolution und Bürgerkrieg fiel, arbeitete er zunächst als Packer, während der Kollektivierung der Landwirtschaft als Landneuordner und schloss 1935 ein Studium als Ingenieur ab. Nach kurzem Wehrdienst begann im Jahr 1937 seine politische Karriere:
Durch Verhaftungen während des Großen Terrors 1937/38 wurden Posten in der Stadtverwaltung und in Parteigremien frei, sodass Breshnew schon 1938 Parteisekretär im Gebietskomitee von Dnepropetrowsk war. Im Krieg diente er als Politkommissar (1941–1946), der dicht hinter der Frontlinie mit den Truppen bis in die ČSSR vorrückte.
Breshnews eigentlicher Aufstieg begann, als Chruschtschow ihn – nachdem er wichtigen Gebieten und Republiken als Parteisekretär vorgesessen hatte – 1956 als Sekretär des Zentralkomitees nach Moskau holte und ihn 1958 mit der Leitung der wichtigen Abteilung für Rüstungsindustrie und Raketentechnologie betraute. Breshnew wurde nicht nur Chruschtschows rechte Hand; er war auch 1960 bis 1964 Präsident der UdSSR. Am 14. Oktober 1964 setzte das Zentralkomitee der KPdSU unter der Anführung Breshnews Chruschtschow ab.
Innenpolitik: Chruschtschow wurde angelastet, die UdSSR in der Kubakrise blamiert, die Landwirtschaft ruiniert und die Parteikader schikaniert zu haben. Breshnews Kurs war daher keine Re-Stalinisierung, wie immer wieder behauptet wird, sondern der Versuch, die Sowjetunion in „ruhiges Fahrwasser“ zu lenken: Sein erstes Ziel war es, die Landwirtschaft und Konsumgüterindustrie so zu beleben, dass alle Menschen in geringem Wohlstand leben konnten. Er erhöhte die Löhne, die Renten und führte die Fünf-Tage-Woche ein. Jeder Sowjetmensch sollte ein Auto und eine Datsche haben und in Ruhe und Frieden leben und arbeiten können. Dennoch blieben die Erfolge gering, die Produktivität niedrig und die Zahl der Defizit-Waren groß.
Außenpolitik: Breshnews Eintritt in die Außenpolitik war der Einmarsch in Prag 1968 und damit die Etablierung der Breshnew-Doktrin: die Souveränität und Unabhängigkeit eines Landes im Warschauer Pakt endete dort, wo die Sicherheitsinteressen des Bündnisses in Gefahr gerieten. Gleichwohl war Breshnews eigentliches Anliegen eine stabile Friedensordnung in Europa: Als Veteran des Zweiten Weltkriegs, der viel Grauen gesehen hatte, wollte er um jeden Preis einen Dritten Weltkrieg verhindern. Unter seiner Leitung wurden die Moskauer Verträge verhandelt, in denen die Sowjetunion und die BRD gegenseitig ihre Grenzen anerkannten; ein weitreichendes Abkommen über wirtschaftliche, kulturelle und wissenschaftliche Zusammenarbeit konnte er 1972 mit dem US-Präsidenten Richard Nixon unterzeichnen. Auf seine Initiative hin wurde 1975 die KSZE-Schlußakte in Helsinki signiert und die ersten zwei Verträge zur Begrenzung von Atomwaffen unterschrieben (SALT I 1972 und SALT II 1978).
Siechtum und Tod: Breshnew litt an einer Schlaftablettensucht, die ihn seit 1974 sichtlich in seinem politischen Handeln beeinträchtigte. Im Westen wurden Schlaganfälle oder Herzinfarkte als Ursache für seinen physischen Verfall und die zunehmenden Abwesenheiten vermutet. Die Bemühungen um weitere Abrüstungsabkommen und mehr Entspannung blieben daher stecken; gewonnenes Vertrauen zerbrach angesichts Breshnews rätselhaftem Schweigen. Als das Politbüro im Dezember 1979 den Beschluss fasste, in Afghanistan einzumarschieren, war er nicht anwesend. Er starb an einer Hirnblutung im Amt am 10. November 1982.
Wirkung: Gorbatschow verdammte, als er 1985 an die Macht kam, die Zeit unter Breshnew als Stagnation. Doch heute werden die Jahre unter Breshnew als „goldenes Zeitalter“ verklärt; zudem gilt er als starker Führer, unter dem die Sowjetunion im Ausland noch als Supermacht gefürchtet war und auf den sich auch Putin gern bezieht. Bei Nationalisten steht er heute in einer Reihe mit Lenin und Stalin, die die Sowjetunion stark machten, während Chruschtschow, Gorbatschow und Jelzin sie in den Ruin getrieben hätten.