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Debattenschau № 53: Putin und Trump auf G20

Kurz vor dem Treffen von Putin und Trump auf dem G20-Gipfel war das Verhältnis zwischen Russland und den USA in Meinungsumfragen erneut auf einem Tiefpunkt angelangt. Kurz vorher hatte Trump in Warschau außerdem noch über das „destabilisierende Verhalten“ Russlands gewettert. Das Gespräch zwischen den beiden Staatschefs am vergangenen Freitag dauerte schließlich aber mit über zwei Stunden deutlich länger als die geplante halbe Stunde. Außer den Übersetzern waren nur die beiden Außenminister dabei, Sergej Lawrow und Rex Tillerson.

Viel drang nicht nach außen, noch während des Gesprächs wurde bekannt, dass beide Länder eine Waffenruhe in Syrien vereinbarten. Außerdem soll ein neuer Kommunikationskanal geschaffen werden, um Gespräche über die Situation in der Ukraine zu führen. Seine Idee, mit Russland eventuell im Kampf gegen Cyberkrimininalität zu kooperieren, zog Trump nach heftiger Kritik aus Washington kurz nach dem Gespräch wieder zurück.

Trump, wie er Putin die Hand hinstreckt, das war ein Bild, das vor allem das Staatsfernsehen immer wieder zeigte. Einen Bericht der New York Times, wonach das Gespräch zwischen beiden „hitzig“ geworden sei, wies Kreml-Sprecher Dimitri Peskow als „absurd“ zurück.

Doch welche konkreten Ergebnisse bringt das Gespräch? Braucht es die überhaupt, oder ist das Zusammentreffen an sich schon ein Erfolg?

dekoder zeigt Debatten-Ausschnitte aus staatsnahen wie unabhängigen Medien.

Источник dekoder

Izvestia: Nicht ohne unseren Leader

In der kremlnahen Izvestia bewertet Politologe Jewgeni Mintschenko das Treffen sowie den Gipfel insgesamt als Erfolg für Putin:

Deutsch
Original
Festzuhalten ist: Der Gipfel in Hamburg war für die russische Delegation und Präsident Wladimir Putin gehaltvoll und produktiv. Keine einzige der wichtigen und in Hamburg gelösten Fragen ist ohne den russischen Leader entschieden worden. Demnach ist das dumme Gerede in den westlichen Medien über eine Isolation Moskaus nicht einfach nur übertrieben, sondern ganz offensichtlich eine Lüge. [...] Das nahezu wichtigste ukrainische Exportgut, die Russophobie, wird man im Westen nicht länger abkaufen. Zumindest nicht in den Mengen wie früher.
Важно отметить, что для российской делегации и президента Владимира Путина гамбургский саммит стал очень насыщенным и продуктивным. Ни один из важных и решенных вопросов в Гамбурге не обошелся без участия российского лидера. В связи с этим глупые разговоры в западных СМИ об изоляции Москвы не просто преувеличены, а выглядят откровенной ложью. [...] Чуть ли не главный экспортный украинский «товар» — русофобию — больше не станут покупать на Западе. По крайней мере в таких количествах, как раньше.

 

erschienen am 09.07.2017

Facebook: Nur „body language“ und Melania

Für den liberalen Oppositionspolitiker und Wirtschaftswissenschaftler Grigori Jawlinski dagegen ist Russland weit abgeschlagen. Auch die Nachricht, dass selbst Melania das Gespräch der beiden Staatschefs nicht rechtzeitig beenden konnte, kommentiert er ironisch:

Deutsch
Original
Trump ist höchst unangenehm und sogar gefährlich für uns. Vor allem, weil er schlicht auf uns pfeift und ein völliger US-Provinzler ist. Wenn wir ihm keine Probleme bereiten oder wenn Russland nicht gerade gebraucht wird, um politische Gegner zu „trollen“ (wie während des Präsidentschaftswahlkampfs), sind wir für ihn einfach Luft [...] Auf dem G20-Gipfel hat Trump wiederum gezeigt, dass Russland in der amerikanischen Außenpolitik weit abgeschlagen nicht den ersten Platz einnimmt. 

Deswegen hat auch das Treffen Putin – Trump nichts mit dem zwischen Gorbatschow und Reagan zu tun. Und nicht mal mit dem zwischen Putin und Bush. Denn mit Bush hat sich Putin getroffen, als bei allen Problemen noch die Hoffnung lebte, dass Russland und die USA ernsthafte Partner werden, beispielsweise im Kampf gegen den internationalen Terrorismus … 
Vom Treffen Putin – Trump waren nun einzig interessante Bilder und Interpretationen der „body language“ zu erwarten. Wenigstens ein kleines Vergnügen und Nahrung für den Grips. Melania schaute kurz bei dem Treffen vorbei – was ‘ne Nachricht.

Трамп крайне неприятен и даже опасен для нас. Прежде всего тем, что ему на нас наплевать и он глубокий американский провинциал. Когда мы не создаем ему проблем или когда тему России нельзя использовать для того, чтобы «троллить» оппонентов (как во время президентской кампании), мы для него вообще исчезаем. [...] На саммите G-20 Трамп еще раз показал, что в американской внешней политике Россия занимает далеко не первое место. Поэтому и встреча Путин-Трамп — это совсем не Горбачев-Рейган. И даже не Путин-Буш. Потому что с Бушем Путин встречался, когда при всех проблемах еще была жива надежда на то, что Россия и США станут серьезными партнерами, например, в борьбе с международным терроризмом… А вот от встречи Путина с Трампом только и можно было ожидать, что интересных картинок и расшифровок «body language». Хоть какое-то развлечение и пища для размышлений. Мелания зашла на встречу — вот и новость.

 

erschienen am 09.07.2017

Moskowski Komsomolez: Die Angst ist weg

Im staatsnahen Moskowski Komsomolez vergleicht Michail Rostowski die Euphorie einiger seiner Kollegen mit dem Hochgefühl unmittelbar nach der Wahl Donald Trumps. Er selbst sieht in dem Treffen jedoch keinen wirklichen Durchbruch, auch wenn es Anlässe für leise Hoffnungen gebe:

Deutsch
Original
Der „neue Impuls“, den das Treffen von Putin und Trump unseren Beziehungen bringen sollte, besteht ganz einfach in Folgendem: Die kleinen Staatsbeamten beider Länder – insbesondere die US-amerikanischen – sollen einen Anreiz bekommen, innerhalb der von den Präsidenten skizzierten Agenda konkret zusammenzuarbeiten.

Vor dem Rendezvous von Putin und Trump hatten amerikanische Staatsbeamte keinen solchen Anreiz. Stattdessen herrschte Angst: Wenn ich auch nur den kleinsten Schritt auf die Russen zugehe, wird man mich gleich zum „Agenten Moskaus“ erklären. Nach Hamburg ist diese Angst natürlich nicht vollständig verschwunden. Aber immerhin haben die Beamten und Diplomaten nun ein „Schutzmittel“, eine Ausrede: Ich führe nur die Anweisung meines unmittelbaren Chefs aus. Falls Ihnen etwas nicht gefällt, wenden Sie sich an ihn. 

[...] Was in Hamburg geschah, das ist gut. Und möge dieses „gut“ eine Fortsetzung finden.

«Новый импульс», который встреча Путин-Трамп должна придать нашим отношениям, заключается в очень простой вещи. У нижестоящих чиновников двух стран — особенно у нижестоящих американских чиновников — должен появиться стимул к конкретной работе друг с другом в рамках очерченной президентами повестки.

До рандеву Путина и Трампа такого стимула у американских чиновников не было. Зато был страх: если я сделаю хоть крошечный шажок навстречу русским, меня тут-же объявят « агентом Москвы». После Гамбурга такой страх, естественно, полностью никуда не исчез. Но у чиновников и дипломатов появилось хоть какое-то «средство защиты», отмазка и отговорка: я выполняю прямое указание своего непосредственного начальника. Если вам что-то не нравится, то обращайтесь к нему.

[...] то, что произошло в Гамбурге — это хорошо. И дай бог, чтобы это «хорошо» получило свое продолжение.

 

erschienen am 09.07.2017

Republic: Wenn du gar nicht weiter weißt …

Außenpolitik-Experte Wladimir Frolow sieht wenig konkrete Ergebnisse, wie er auf dem unabhängigen Portal Republic schreibt:

Deutsch
Original
Klar, dass keine Einigungen erreicht werden, die Seiten interpretieren die Aufgaben der Gruppe sehr unterschiedlich. [...] Doch hier findet sich ein bekannter Lösungsansatz: Willst du ein Problem begraben, gründe einen Arbeitskreis. Und das wäre ein wichtiges positives Ergebnis des Treffens: die Isolierung des Destruktiven und die Bereitschaft voranzugehen. [...]
Es war ein Treffen zweier geopolitischer Konkurrenten, die ein einziges Thema fanden, bei dem die Interessen eine Zusammenarbeit erlauben – Syrien. Das gesamte restliche Gebiet ist voller Konfliktstoff, dessen Überwindung von beiden Leadern gehörige Abstriche und Begrenzung ihrer Ambitionen verlangt. Die Zeit dafür ist noch nicht gekommen.
Понятно, что ни о чем договориться не получится, стороны по-разному интерпретируют задачи такой группы (Москва традиционно хочет обсуждать национальный суверенитет над интернетом от американского информационного влияния, США – хакерские атаки на объекты критической инфраструктуры, включая теперь уже и избирательные системы в американских штатах). Но тут действует известный подход: хочешь похоронить проблему – создай комиссию. И это было бы важным позитивным итогом встречи – изоляция деструктива, готовность двигаться дальше, – весьма выгодным для России. [...] 
Это была встреча двух геополитических соперников, нашедших одну тему, где интересы позволяют работать вместе, – Сирия. Все остальное пространство занято конфликтной повесткой, преодоление которой потребует от обоих лидеров содержательных уступок и ограничения амбиций. Время для этого пока не пришло.

 

erschienen am 08.07.2017

RBC: Moskau steuert auf großen Konflikt zu

Auch Politologe Alexander Morosow sieht auf RBC kein Ende der Konfrontation – ein Hauptproblem sei dabei Putins Außenpolitik, die an die der Breshnew-Jahre anknüpfe

Deutsch
Original
Putin ist dabei, eine russische „Souveränität“ aufzubauen – das ist sein deklariertes Hauptziel. Er denkt sich die Souveränität praktisch im sowjetischen Sinn, nach Art der 1960er und 1970er Jahre, also als eine militärische und politische Parität. Obwohl die UdSSR real gesehen weder militärisch noch politisch gleichauf waren mit den USA, hat die Geschichte gezeigt, dass der erfolgreiche Bluff und eine aktive Außenpolitik ein Gleichgewicht geschaffen haben, welches zum Ende der 1970er Jahre in einer Reihe von Verträgen und Abmachungen verankert wurde.

In den Jahren 2014 bis 2017 hat Putin derart krasse Schritte unternommen, dass kein Zweifel besteht, wohin die Reise geht: Krim, Donbass, Aufrüstung der Armee, Militäreinsatz in Syrien, Schaffung globaler Propaganda-Instrumente – all das zeigt, dass Moskau über verschiedene kleine Zusammenstöße mit den USA konsequent auf einen großen Konflikt vom Maßstab einer Kubakrise zusteuert. Nur bei einer solchen Entwicklung der Ereignisse hat der russische Präsident eine Chance, seine eigene Politik als Politik des Erfolgs zu festigen.

Путин находится в процессе постройки российского «суверенитета» — это его главная декларируемая цель. Он мыслит себе суверенитет практически по-советски, на манер 1960–1970-х годов, то есть как военный и политический паритет. История показала, что хотя в те годы у СССР не было реального военного паритета с США, но успешный блеф и активная внешняя политика привели к установлению равновесия, которое к концу 1970-х было закреплено целым рядом договоров и соглашений.

В 2014–2017 годах Путин сделал целую серию шагов настолько резких, что нет никаких сомнений в том, куда он ведет дело: Крым, Донбасс, перевооружение армии, военная операция в Сирии, создание инструментов глобальной пропаганды — все это показывает, что Москва настойчиво движется через различные мелкие точки столкновений с США к масштабному конфликту типа Карибского кризиса. Только при таком развитии событий у российского президента есть шанс закрепить всю свою политику в качестве политики успеха.

 
erschienen am 09.07.2017

Carnegie.ru: Geschenk an das eigene Land und die Menschheit

Auf Carnegie.ru meint Alexander Baunow, dass es konkrete Vereinbarungen und Zugeständnisse zwischen den beiden Staatschefs derzeit gar nicht brauche, um dennoch eine Entspannung zu erreichen:

Deutsch
Original
Wenn Russland so stark und gefährlich ist, wie es in den letzten Monaten gezeichnet wird, ist keinerlei konkreter Tauschhandel nötig. Ein Erfolg ist schon die Aufhebung der Spannungen in den Beziehungen zu dem schrecklichen Feind, der fähig ist, gleichzeitig in der Welt und in den USA zerstörerisch zu handeln. Mit einem Nicht-Freund in Feindschaft leben will niemand – weder die Wirtschaftswelt noch der einfache Wähler, dem die Politiker Rechenschaft schuldig sind. Die Ausmerzung von Gefahr ohne konkreten Tauschhandel – das ist in einem solchen Fall schon ein Geschenk an das eigene Land und die Menschheit.
Если Россия так сильна и опасна, как ее изображают в последние месяцы, никакого конкретного размена и не нужно. Успехом будет уже снятие напряженности в отношениях со страшным противником, способным разрушительно действовать одновременно в мире и в самой Америке. Жить во вражде с недругом не хочется никому – ни бизнесу, ни простому избирателю, перед которым отчитываются политики. Устранение угрозы без конкретного размена по пунктам в таком случае – уже подарок собственной стране и человечеству.

 

erschienen am 07.07.2017

Rossijskaja Gaseta: So sehen Demokratie und Pluralismus aus

Die staatsnahe Rossijskaja Gaseta beschäftigt sich auch mit den Ausschreitungen in Hamburg während des Gipfels:

Deutsch
Original
Ungeachtet der Erfolge der G20 werden den vielen in die Stadt gereisten ausländischen Delegationen auch andere Bilder im Gedächtnis bleiben: brennende Barrikaden und bewaffnete Spezialeinheiten, Wasserwerfer auf Demonstranten, das ständige Dröhnen der über der Stadt kreisenden Hubschrauber, das Knallen von Böllern, die Schreie der unter Polizeiknüppel geratenen Protestler und die verschreckten Bewohner friedlicher Bezirke …

All das war auch der Gipfel in Hamburg, der, so hatte die deutsche Kanzlerin Angela Merkel versprochen, den Triumph der deutschen Demokratie und den in der Bevölkerung existierenden Meinungspluralismus demonstrieren sollte.

Genau wie die in den Tagen des Summit auf der Straße ertönte 9. Symphonie von Beethoven. Ein absurdes Zusammentreffen: Während der Chor eifrig die Worte „Alle Menschen werden Brüder“ hervorbrachte, bewarfen Teilnehmer der Protestaktionen auf Hamburgs Straßen die Polizisten mit Flaschen, Steinen und schossen mit Steinschleudern ... Und die in Rage gekommenen Hüter der Ordnung antworteten mit dem gesamten Arsenal.

Die Hamburger sahen wilde Szenen: brennende Barrikaden, aufgerissene Bürgersteige, geplünderte Geschäfte.

An den Tagen des Gipfels verwandelte sich die Stadt in eine Hölle. Das also sind die Folgen des demokratischen Spektakels, das sich die Frau Kanzlerin ausgedacht hat.

Несмотря на успехи “двадцатки“, у приехавших в город многочисленных иностранных делегаций в памяти останутся картины горящих баррикад и вооруженных спецназовцев, падающих под струями водометов демонстрантов, гул постоянно кружащих над городом вертолетов, хлопки петард, крики попавших под полицейские дубинки протестующих, и испуганные жители мирных кварталов... Все это - тоже саммит в Гамбурге, который, как обещала канцлер Германии Ангела Меркель, должен был продемонстрировать торжество немецкой демократии и царящий в обществе плюрализм мнений. Так же, как и сыгранная в дни саммита на улице девятая симфония Бетховена. Абсурдное совпадение: в то время как хор старательно выводил слова “Все люди станут братьями“, участники акций протеста на улицах Гамбурга кидали в полицейских бутылки, камни, стреляли из рогаток. А вошедшие в раж стражи порядка отвечали им всем арсеналом спецсредств. Жители Гамбурга наблюдали жуткие картины: горящие баррикады, развороченные тротуары, разграбленные магазины. На дни саммита город превратился в ад. Такими оказались последствия того демократического спектакля, который задумала фрау канцлер.

 

erschienen am 09.07.2017

dekoder-Redaktion

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Sergej Lawrow

Sergej Lawrow ist ein Profi, wie es keinen zweiten gibt auf der internationalen Bühne: Im März 2024 sind es 20 Jahre, die er als Außenminister Wladimir Putins Politik in der Welt vertritt. In dieser Zeit hat er sieben US-Außenministerinnen und Außenminister kommen und gehen sehen. Trotzdem sind die Momente rar, in denen sichtbar wurde, wofür Lawrow selbst eigentlich steht. Seine Rolle ist die eines äußerst erfahrenen, eloquenten und blitzgescheiten Beamten, der seine Talente ganz in den Dienst seines Präsidenten stellt und dessen Willen mit aller Härte durchsetzt – aber auch mit Tricks und Lügen.

Mit seinen maßgeschneiderten Anzügen umweht Lawrow eine Aura des weltgewandten Gentlemans / Foto © kremlin.ru

Das einzige Mal, als Sergej Lawrow Wladimir Putin öffentlich widersprochen hat, liegt inzwischen zwölf Jahre zurück: 2012 setzt der US-Kongress die Namen russischer Politiker und Beamter, die an schweren Menschenrechtsverletzungen beteiligt waren, auf eine Sanktionsliste. Als Antwort auf dieses sogenannte Magnitski-Gesetz will der Kreml die Adoption russischer Waisenkinder durch US-Bürger verbieten. Das trifft vor allem schwer kranke und behinderte Kinder, für die in Russland keine Adoptiveltern gefunden werden und für die es in russischen Kliniken keine angemessene medizinische Versorgung gibt.

Lawrows Ministerium hat mit den Amerikanern in jahrelangen Verhandlungen Regeln für Adoptionen solcher Kinder ausgearbeitet. Als er auf einer Pressekonferenz im Dezember nach dem geplanten Adoptionsverbot gefragt wird, sagt er knapp: „Das ist falsch.“ Zehn Tage später unterschreibt Putin das Gesetz. Russische Medien berichten, der Präsident habe ein „hartes Gespräch“ mit seinem Außenminister geführt. Lawrow widerruft öffentlich und behauptet, er sei nie gegen das Adoptionsverbot gewesen.

Die Magnitski-Liste und das darauf folgende Dima-Jakowlew-Gesetz markieren den endgültigen Schlusspunkt hinter dem Neustart-Versuch, den die Obama-Regierung vier Jahre zuvor mit Moskau unternommen hatte. Am 6. März 2009 hatten Lawrow und die US-Außenministerin Hillary Clinton in Genf einen symbolischen „Reset“-Knopf gedrückt, auf den die Amerikaner irrtümlich das Wort „перегрузка“ (peregruska, dt. Überlastung) geschrieben hatten anstelle von „перезагрузка“ (peresagruska) für Neustart. Nach dem Georgien-Krieg sollte noch einmal ein Versuch unternommen werden, das Verhältnis mit Russland zu retten. Der neue Präsident Dimitri Medwedew, so hoffte man in Washington, könnte dafür eine Gelegenheit bieten. Dieses Kapitel war mit der Rückkehr Putins in den Kreml abgeschlossen. Und genauso loyal wie Lawrow unter dem Interims-Präsidenten Medwedew mit den Amerikanern neue Abkommen verhandelt hatte, wickelte er nun die Annäherung wieder ab und schaltete um auf Konfrontation. 

Der öffentliche Widerspruch an die Adresse seines Chefs blieb ein einmaliges Ereignis. Seitdem folgt Sergej Lawrow der außenpolitischen Linie, die in der Präsidialverwaltung vorgegeben wird, bis zur Selbstverleugnung. Als er 2015 auf der Münchner Sicherheitskonferenz vor der versammelten außenpolitischen Elite der Welt die „Angliederung“ der Krim mit der deutschen Wiedervereinigung verglich und behauptete, sie sei konform mit der UN-Charta verlaufen, muss ihm klar gewesen sein, wie absurd diese Behauptung war. Tatsächlich vergaßen die anwesenden Diplomaten für einen Moment ihre Höflichkeit und brachen in spontanes Gelächter aus. Das muss schmerzhaft gewesen sein für einen, der über mehr Erfahrung im außenpolitischen Geschäft verfügt als irgendjemand sonst im Saal, und der Gesprächspartner auch gern seine Überlegenheit spüren lässt.

Selfmade Tschinownik

Möglicherweise kommt Sergej Lawrows großes Selbstbewusstsein auch daher, dass er weiß, dass er seine Karriere niemand anderem als sich selbst zu verdanken hat. Die Familie, in der er 1950 geboren wurde, gehörte nicht zur Sowjet-Nomenklatura. Über seine Eltern ist wenig bekannt. Als Abiturient schuftete er auf der Baustelle für den Moskauer Fernsehturm in Ostankino – wer keine Beziehungen hatte, konnte mit solchen Arbeitseinsätzen seine Chancen auf einen Studienplatz verbessern.

Eigentlich habe er vorgehabt, Physik zu studieren, erzählte Lawrow vor einigen Jahren. Aber weil die Aufnahmeprüfungen für das Institut für Internationale Beziehungen schon früher stattfanden, habe er sich auf den Rat seiner Mutter hin dort beworben. Das Moskauer Staatliche Institut für Internationale Beziehungen (MGIMO) war die Kaderschmiede der sowjetischen Diplomatie und ist heute die Kaderschmiede der russischen Diplomatie. Sie hat ein eigenes kleines Museum, das inzwischen auch ein bisschen ein Lawrow-Museum ist: Hier hängt die Fahne seiner studentischen Wandergruppe und die Hymne der MGIMO, die Lawrow geschrieben hat und die heute von den Studierenden gesungen wird. Im eigenen Haus ist Lawrow mehr als ein Chef, er ist auch ein Vorbild. 

Am MGIMO lernt er neben Englisch und Französisch auch Singhalesisch. Nach seinem Abschluss wird der junge Nachwuchsdiplomat 1972 auf seine erste Station an die sowjetische Botschaft in Sri Lanka geschickt. Vier Jahre später kehrt er zurück nach Moskau ins Außenministerium. 1981 wird er Erster Sekretär der sowjetischen Vertretung bei den Vereinten Nationen. Als er in New York ankommt, haben sich die Beziehungen zwischen der Sowjetunion und dem Westen gerade wieder verschlechtert: Nachdem Breshnew zunächst zaghafte Entspannungspolitik betrieben hatte, hat sich der Kalte Krieg mit dem Einmarsch sowjetischer Truppen nach Afghanistan 1979 wieder verschärft. Auf ihrer sechsten Dringlichkeitssitzung forderte die  Generalversammlung mit 104 zu 18 Stimmen den sofortigen Abzug der sowjetischen Truppen aus Afghanistan. Lawrow vertritt stoisch die Linie der sowjetischen Propaganda: Die Soldaten leisteten „friedliche Aufbauarbeit und sozialistische Bruderhilfe“. 1982 stirbt Breshnew, zwei Nachfolger kommen und gehen, erst ab 1985 erfahren die Menschen in der Sowjetunion im Zuge von Glasnost vom tatsächlichen Krieg und den zahlreichen Toten. 

Perestroika

Lawrow bleibt bis 1988 bei der UNO. Derweil läuft zuhause die Perestroika auf Hochtouren. Zurück in Moskau wird er im Außenministerium stellvertretender Verantwortlicher für Wirtschaftsbeziehungen, später Referatsleiter für internationale Organisationen, stellvertretender Außenminister, und ab 1994 zehn Jahre lang UN-Botschafter. Bemerkenswert ist: In den Jahren des großen Umbruchs sind Wladimir Putin und Sergej Lawrow beide im Auslandseinsatz. Doch während der KGB-Offizier Putin im „Tal der Ahnungslosen“ des sozialistischen Bruderlandes DDR lebt und versucht, Gaststudenten für den KGB anzuwerben, lernt der Diplomat Lawrow in New York den American Way of Life kennen und Whiskey und Zigarren schätzen. Heute spricht noch immer der Gopnik aus Putin. Derweil ist sein Außenminister als Mann von Welt ein Unikat in der russischen Elite.

Nach der jahrzehntelangen Feindschaft im Kalten Krieg stehen die Zeichen zu Beginn der 1990er Jahre ganz auf Freundschaft: Wenn Hilfe von außen erwartet wird, dann vor allem von den USA. Wenn bei einer Meinungsumfrage nach einem Land gefragt wird, mit dem Russland in erster Linie zusammenarbeiten sollte, auch dann nennen die Befragten in Russland zuerst die Vereinigten Staaten von Amerika. Die USA als Feind? Mitte der 1990er Jahre sehen das nur rund sieben Prozent der Befragten so.1 

Wie die meisten Politiker durchlebt auch Lawrow eine eigene Perestroika und wird zu einem Freund Amerikas. Sozialisiert unter dem Außenminister des Kalten Krieges Andrej Gromyko – dem berüchtigten „Mister Njet“ – muss Lawrow von nun an die Vorgaben des neuen Außenministers Kosyrew erfüllen. Dieser gilt als „Mister Ja“, Kritiker werfen ihm den Ausverkauf russischer Interessen vor, Michail Gorbatschow klagte gar, das russische Außenministerium sei unter Kosyrew eine Filiale des US-amerikanischen gewesen.2 

Neustart 

Der erste Stimmungswandel kommt in den Jahren 1998 und 1999. Damals fallen viele Ereignisse zusammen: die NATO-Intervention im Kosovokrieg, der Zweite Tschetschenienkrieg und die erste NATO-Osterweiterung vom 12. März 1999. Die Wogen hatten sich gerade geglättet, da beginnen die USA 2003 den Krieg im Irak: Lawrow stimmt im Sicherheitsrat gegen ein militärisches Eingreifen und weiß dabei China, Frankreich und Deutschland an seiner Seite. Nach der großen internationalen Solidarität in der Folge des Terrors vom 11. September 2001 nimmt in vielen Ländern die kritische Einstellung zu den USA wieder zu. 

Am 9. März 2004 ernennt Wladimir Putin Sergej Lawrow zum Außenminister. Mit seinen maßgeschneiderten Anzügen inszeniert sich der hochgewachsene Lawrow als ein weltgewandter Gentleman. Längst hat er einen Ruf als blitzgescheiter Verhandler, bei dem sich Sachkenntnis und ein kluger Humor paaren. Diplomaten aus aller Welt haben ihn bereits als UN-Botschafter respektiert.3 Putin pflegt eine Männerfreundschaft mit dem deutschen Kanzler Gerhard Schröder, Lawrow – mit seinem Counterpart Frank-Walter Steinmeier. Der Amtsantritt des neuen US-Präsidenten Barack Obama im Juli 2009, der kurz danach proklamierte „Reset“ und der Richtungswechsel hinsichtlich des von George W. Bush forcierten Raketenabwehrschirms bewirken zunächst eine neuerliche Annäherung. Doch es bleibt nur ein kurzes Intermezzo.

Antiwestliche Wende

Die Frage, wann der Kreml die antiwestliche Wende vollzogen hat, ist strittig: Viele sehen in Putins Rede auf der Münchner Sicherheitskonferenz 2007 den Startschuss. Die anderen argumentieren, dass der ab 2009 vollzogene Reset die Wogen tatsächlich zunächst geglättet habe, und die antiwestliche Kontinuität erst mit der Reaktion des Kreml auf die Massenproteste gegen Wahlfälschung und Machtmissbrauch im Winter 2011/12 ihren Lauf nahm. Der Kreml brandmarkte die Protestwelle damals schnell als ein Ergebnis des amerikanischen Einflusses. Dann folgten die Magnitski-Liste und das Dima-Jakowlew-Gesetz. 

Seit er in der Frage der Adoption russischer Waisenkinder vor Putin eingeknickt ist, verwandelt sich Lawrows Rolle mehr und mehr von der eines geschickten Verhandlers und respektieren Diplomaten zu einem Werkzeug seines Präsidenten, der die Außenpolitik dazu nutzt, von innenpolitischen Problemen abzulenken und neue Feindbilder zu schaffen, um darüber seine Herrschaft zu legitimieren. Als hybrider Krieger dreht Lawrow gemeinsam mit Putin die Eskalationsspirale. Seit der Krim-Annexion und den ersten Sanktionen, die als Antwort darauf verhängt wurden, dreht sie sich noch schneller. Der russische Politikwissenschaftler Sergej Medwedew verglich in diesem Zusammenhang die russische Außenpolitik mit dem Verhalten eines Gopnik und schrieb: „Die hauptsächliche Exportware Russlands ist nicht Öl oder Gas, sondern Angst.“ 

Drohung und Beleidigung als neue Mittel der Diplomatie 

Wenn Diplomaten für die Kunst der Verhandlung und des Dialogs stehen, dann sind Gopniki ihr Gegenteil: Sie sind Meister der Drohung, der gewaltsamen Sprache und des Monologs. Tatsächlich wurde der Ton der russischen Außenpolitik im Zuge der Bolotnaja-Proteste derber, und spätestens seit der Krim-Annexion gehören Gossenjargon und Beleidigungen zum festen Repertoire russischer Diplomaten. Die Propaganda-Organe preisen ihre verbalen Ausfälligkeiten als „Bestrafungen“, Kritiker werten den ostentativen Hang zu stilistisch derberen Registern als Dialogverweigerung und kalkulierten Bruch mit der Welt. In Russland kommt dieses Auftreten derweil gut an: „Die haben (wieder) Angst vor uns“ wird zu einer gängigen Propagandaformel, „Lawrow hat … ausgelacht“ zu einem beliebten Motiv der Propagandamedien.4 

Gentleman und Gopnik – Lawrow beherrscht beide Rollen

Lawrow hat in seiner Karriere zahlreiche Kehrtwenden mitgemacht Er begann unter Gromyko als ein scharfer Gegner des US-Imperialismus, vollzog während der Perestroika eine Kehrtwende und wurde 2014 zu einem Wiedergänger Gromykos, wobei er mit den häufigen Vergleichen durchaus kokettiert.5 Lawrow beherrscht den Spagat zwischen Gentleman und Gopnik, Sachargument und Whataboutism. Er kann beides sein: Intellektueller und Apparatschik, Stimme der Vernunft und Scharfmacher. Letzteren gibt er etwa im Fall Lisa, als er 2016 deutschen Behörden vorwirft, ein von Ausländern begangenes Verbrechen zu vertuschen. Sein einstiger Duz-Freund Frank-Walter Steinmeier wirft ihm daraufhin Propaganda vor.

Außenminister Lawrow (links) und der russische Präsident Wladimir Putin während des Afrika-Gipfels in Sankt Petersburg im Juni 2023 / Foto © Yevgeny Biyatov/POOL/IMAGO/ITAR-TASS

Lügen gehören inzwischen ebenso zu Lawrows Handwerkszeug wie die Litanei internationaler Spielregeln, Verträge und Präzedenzfälle, die er bei Bedarf im Schlaf aufsagen könnte. Seit der Krim-Annexion hat der Außenminister eine lange Liste von Lügengeschichten erzählt: Von der Behauptung, russische Soldaten kämpften nicht in der Ostukraine über die Fakes, die russische Auslandsvertretungen verbreiten6 bis hin zu den Vorwürfen, Washington betreibe Labore für Biowaffen in der Ukraine und arbeite an der „Endlösung der Russenfrage“7. Doppeldenk, Täter-Opfer-Umkehr, krude Verschwörungsmythen und primitiver Antiamerikanismus – das alles ist einem Ziel untergeordnet: Bewirtschaftung des Feindbildes zur Herstellung eines Ausnahmezustands und Rally ‘round the Flag Effekts. Die Argumentation ist schlicht und lässt sich auf fünf Punkte8 herunterbrechen:

1. Die USA haben die NATO bis vor Russlands Grenzen ausgedehnt. Sie betreiben Revolutionsexport und führen Europa an der Leine. Im Ergebnis sind wir von Feinden (Nazis) umzingelt und müssen uns verteidigen (wie im Großen Vaterländischen Krieg).
2. Sie („Pindossy“, „Gayropa“) sind moralisch verfault, wir stehen für die wirklichen Werte (Duchownost, Skrepy).
3. Sie sind Heuchler und haben Doppelstandards (Kosovo, NATO-Osterweiterung, Irak), wir stehen für Gerechtigkeit („in der Wahrheit liegt die Kraft“, „Gott ist mit uns“, „Krim nasch“).
4. Sie sind an allem Schuld, weil sie schon immer andere unterworfen und ausgebeutet haben (Kolonialismus, Imperialismus, Irak) – wir kämpfen immer für die Entrechteten und sind deshalb ihr nächstes Ziel.
5. Wir haben die Atombombe. 

Wofür Lawrow selbst steht, das lässt sich hinter dieser Rhetorik immer schwerer erahnen. Gewiss ist nur, dass Lawrows persönliches Interesse in einem Punkt deckungsgleich ist mit dem Interesse seines Landes: Lawrow erwartet Respekt. Früher wurde er ihm für seine Gescheitheit und seine Erfahrung entgegengebracht. Die Lacher auf der Münchner Sicherheitskonferenz 2015 haben gezeigt, dass der Respekt verloren geht, je weiter Russland die Wahrheit verdreht. Im März 2023 wiederholte sich die Situation, als Lawrow auf einer Konferenz in Indien behauptete, Russland sei in der Ukraine der Angegriffene. Immer öfter greift Lawrow daher zur Drohung, um sich Respekt zu verschaffen. Am Ende dieser Entwicklung bleibt die Angst, die Russland mit seinen Atomkriegs-Szenarien auszulösen in der Lage ist, als letzter außenpolitischer Erfolg, den die Regierung noch erzielen kann.

Überarbeitet am 8. März 2024


1.cyberleninka.ru: Igra s pogrusheniem v kosmos 
2.zit. nach: forbes.ru: Andrej Kozyrev: nastojaščij kamikadze 
3.The Standard: His women, war lies and life as a world stage pariah – who is Sergey Lavrov? 
4.yandex.com: search "lavrov vysmejal" 
5. gazeta.ru: Lavrovu lestno sravnenie s glavoi MID SSSR Gromyko 
6.apnews.com: For Russian diplomats, disinformation is part of the job 
7.kommersant.ru: Mnogopoljarnoe rasstroistvo 
8.dorsch.hogrefe.com: Feindbilder 
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Dimitri Peskow

Dimitri Peskow ist seit dem Machtantritt Putins für dessen Pressearbeit zuständig und gilt als offizielles Sprachrohr des Kreml. Üblicherweise für die Krisen-PR verantwortlich, sorgte er mehrfach selbst für negative Schlagzeigen, unter anderem im Rahmen der Panama Papers.

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Nachdem Putin im September 2011 angekündigt hatte, wieder Präsident werden zu wollen, und im Dezember zahllose Wahlbeobachter über massive Wahlfälschungen berichteten, bildete sich in Russland die größte Protestbewegung seit dem Ende der Sowjetunion. Sie bewies erstaunliches Durchhaltevermögen, versiegte jedoch im Jahr 2013 aufgrund von inneren Streitigkeiten und der repressiven Reaktion des Staates.

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Vor 14 Jahren brach der Russisch-Georgische Krieg aus. Er forderte rund 850 Tote und tausende Verletzte und machte etwa 100.000 Menschen zu Flüchtlingen. Der Krieg zementierte die de facto-Unabhängigkeit Abchasiens und Südossetiens von Georgien. Sonja Schiffers über Ursachen, Auslöser und Folgen des Konflikts.

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Das militärische Eingreifen der Sowjetunion in Afghanistan dauerte von 1979 bis 1989 an. In der sowjetischen Armee dienten neben den Eliteeinheiten vor allem junge Wehrpflichtige. Auf der sowjetischen Seite wurden 15.000 Soldaten getötet und 54.000 verwundet. Der Krieg führte bei der Bevölkerung zu einem Trauma, das bis heute nachwirkt und die Deutung des aktuellen Einsatzes der russischen Luftwaffe in Syrien nicht unerheblich beeinflusst.

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