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Debattenschau № 86: Neue Eskalationsstufe – und wie geht es jetzt weiter?

„Russland erkennt die beiden selbst ernannten Volksrepubliken DNR und LNR als unabhängig an.“ „Russland schickt Truppen in die Separatistengebiete“ – nach diesen Nachrichten am späten Abend des 21. Februar 2022 kündigten die EU und auch die USA umgehend Sanktionen an. Der UN-Sicherheitsrat trat noch in der Nacht zu einer Dringlichkeitssitzung zusammen. Auch die Bundesregierung sprach von einem klaren Bruch des Minsker Abkommens, am heutigen Dienstag gab sie bekannt, das Genehmigungsverfahren der Pipeline Nord Stream 2 vorerst zu stoppen. Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selensky sagte in seiner Rede an die Nation noch in der Nacht, man setze sich weiter für den diplomatischen Weg ein und erwarte von den Partnern klare Maßnahmen der Unterstützung. „Es ist unser Land und wir haben keine Angst vor niemandem.“ 

Die Dramaturgie des 21. Februar 2022 begann nachmittags mit einer öffentlich ausgestrahlten außerordentlichen Sitzung des Sicherheitsrats. Dieser tagt sonst hinter verschlossener Tür. Viral in Sozialen Medien ging dabei der Auftritt von SWR-Chef Sergej Naryschkin, der sich stark nervös und eingeschüchtert zeigte und zunächst von einem Beitritt des Donbass in die Russische Föderation sprach – worauf Putin ihn korrigierte, es gehe um die Anerkennung der Unabhängigkeit. Die Mitglieder des nationalen Sicherheitsrats sprachen sich geschlossen für eine Anerkennung der beiden selbst ernannten Volksrepubliken aus. Dort hatte am Freitag vergangener Woche die Evakuierung begonnen, nachdem immer wieder von einem vermeintlichen „Genozid“ die Rede gewesen war. 

In einer anschließenden Fernsehansprache erklärte Präsident Putin, die beiden selbst ernannten Volksrepubliken als unabhängig anzuerkennen. In der Rede selbst sprach er dabei nur am Rande vom „Genozid“ und ging vor allem auf die Geschichte und Gegenwart der Ukraine ein, die er – wie schon in seinem Aufsatz aus dem vergangenen Jahr – als einen untrennbaren „Teil unserer Geschichte, unserer Kultur” bezeichnete. Die moderne Ukraine, so behauptete Putin unter anderem, sei „voll und ganz von Russland erschaffen worden, vom kommunistischen, bolschewistischen Russland“. Per Dekret leitete er im Anschluss die Anerkennung der Unabhängigkeit der „DNR“ und „LNR“ ein. Noch in der Nacht entsandte Russland Truppen in Richtung Donbass. 

dekoder bringt russische und belarussische Stimmen aus der Debatte.

Tatjana Stanowaja: Der Tag, an dem Putin auf die dunkle Seite der Geschichte wechselte

Die Politikwissenschaftlerin und Analystin Tatjana Stanowaja prognostiziert auf Telegram den Anfang vom Ende der Ära Putin, zumal es in der russischen Gesellschaft keinen allzu großen Rückhalt für einen Krieg gegen die Ukraine gebe:

Deutsch
Original
Heute ist der Tag, an dem Wladimir Putin auf die dunkle Seite der Geschichte übergewechselt ist. Es ist der Anfang vom Ende seines Regimes, das sich nur noch auf Waffen stützt. Putin irrt sich, was das Ausmaß der potentiellen Unterstützung einer „russischen Rettungsoperation“ in der Ukraine angeht, die mittlerweile offensichtlich folgen wird. Und er überschätzt bei weitem die Unterstützung, die ihm die russische Bevölkerung erweisen wird. Proteste wird es nicht geben, wie ich schon oft geschrieben habe. Doch er bekommt auch keinen breiten Zuspruch.
Сегодня день, когда Владимир Путин перешел на темную сторону истории. Это начало конца его режима, которому остается опираться только на штыки. Путин ошибается в степени потенциальной поддержки "российской спасительной операции" в Украине, которая уже очевидно последует. И он глубоко переоценивает уровень поддержки, которую ему окажет российское население. Протестов не будет, как я много писала. Но и широкой поддержки он не получит.

erschienen am 21.02.2022, Original

Noch vor der Rede Putins hatte Stanowaja – eigentlich bekannt für ihre nüchternen Analysen – auf ihrem Telegram-Kanal mit Blick auf die Ukraine zugleich eine düstere Prognose skizziert:

Deutsch
Original
In den Donbass einmarschieren, sich in den Kampf mit der ukrainischen Armee begeben, bis Kiew vordringen. Und der Ausstiegsplan könnte wie folgt aussehen: Die Ukraine in drei Teile teilen. Der Westen bleibt dem Westen, die Mitte bleibt eine geopolitisch „neutralisierte“ Ukraine, der Donbass wird angegliedert.

Außerdem gibt es ein Minimalziel-Szenario – die DNR und LNR einfach anzuerkennen. Doch darin sehe ich keinen Sinn. Als die Anerkennungs-Initiative der KPRF gerade aufgekommen war, schrieb ich einen Post, dass Moskau die DNR und LNR nur dann anerkennen wird, wenn es auch nach einem beträchtlichen Teil der Ukraine greifen wird. Doch im Endeffekt habe ich den Text nicht veröffentlicht – zu diesem Zeitpunkt wirkte es wie Alarmismus, von dem es überall genug gab. Jetzt erscheint mir das mehr als wahrscheinlich.

Войти на Донбасс, ввязаться в бои с украинской армией, дойти до Киева. На выходе план может быть такой: расчленить Украину на три части. Запад оставить Западу, центр оставить геополитически "нейтрализованной" Украиной, Донбасс присоединить. 

При этом есть и сценарий минимум - признать просто ДНР и ЛНР, но, как я уже много раз писала, я не вижу в этом никакого смысла. Еще когда только появилась эта инициатива КПРФ с признанием, я написала пост, что Москва признает ДНР и ЛНР только в одном случае - если замахнется на значительную часть Украины. Но в итоге этот текст я так и не опубликовала - на тот момент это казалось искусственным нагнетанием, которого и там было много вокруг. Теперь мне это кажется более чем вероятным.

erschienen am 21.02.2022, Original

Artyom Shraibman: Posttraumatische Belastungsstörung

Der belarussische Journalist Artyom Shraibman sieht im Vorgehen Russlands das Symptom einer posttraumatischen Belastungsstörung einer ehemaligen Großmacht. Er fragt auf Telegram, was das für Belarus bedeuten könnte.

Deutsch
Original
Die Rede Putins zeigt deutlich, wie wichtig es ist, ehemaligen Imperien gleich nach dem Kollaps zu helfen, einen Ausweg aus der posttraumatischen Belastungsstörung zu finden (oder gar nicht erst hineinzugeraten).

Bleibt das aus, entsteht für die Leader traumatisierter Gesellschaften nach einiger Zeit eine unwiderstehliche Versuchung umzuschalten und nicht mehr die eigenen Fehler zu korrigieren, sondern die erlittenen historischen Ungerechtigkeiten.

Für Belarus weniger wichtig ist der kleine Spatz Donbass, den Putin offensichtlich beschlossen hat zu verschlingen, nachdem er dem Westen die zuvor geforderten Zugeständnisse nicht abringen konnte. Wichtiger ist der Ansatz dieses Mannes und seiner Gefolgschaft, was die Zweitrangigkeit des gegenwärtigen Status quo, seiner Grenzen und „zufällig entstandenen Staaten“ angeht und die Priorität von Traumata und Erniedrigungen, die seine Generation von Sowjetmenschen erlitten hat.

Wir sollten uns die Fehler merken, die seinerzeit in der Aufarbeitung dieser Traumata gemacht wurden, als sie noch heilbar waren. Vielleicht wird unsere Generation einst solche Probleme verhindern müssen bei denen, für die das Ende von Putins Russland und Lukaschenkos Belarus zum Trauma wird.

Речь Путина - это очень четкая демонстрация того, как важно помогать бывшим империям сразу после коллапса выйти из пост-травматического синдрома (или не войти в него). 

Если этого не сделать, мы получаем на какой-то дистанции непреодолимый соблазн лидеров травмированного общества переключиться с коррекции себя на коррекцию исторических несправедливостей по отношению к себе. 

Для Беларуси не так важен донбасский чижик, которого, кажется, решил съесть Путин, не добившись от Запада затребованных уступок. Важнее сам подход этого человека и его окружения к вторичности современного статус-кво, его границ и «случайных государств» при первичности травм и унижений, которые перенесло его поколение советских людей. 

Важно запомнить ошибки работы с этими травмами в то время, пока их можно было лечить. Возможно, нашему поколению придется предотвращать такие же проблемы у тех, чьей травмой будет конец России Путина и Беларуси Лукашенко.

erschienen am 21.02.2022, Original

 

Gasan Gusejnov: Der kollektive Putin

Der Kulturhistoriker und Philologe Gasan Gusejnov sieht nicht nur einen, sondern einen „kollektiven Putin“ am Werk – und ruft in einem Post auf Facebook nach der Verantwortung jedes Einzelnen, auch jedes einzelnen Bürgers:

Deutsch
Original
Das ist nicht ein einzelner Mensch mit einer gewissen psychiatrischen Diagnose. Das ist ein ganzer Corps, eine ganze Population von Tschekisten, deren Uhren gleich ticken.
Und dieses Spektakel der Sicherheitsratssitzung am 21. Februar hat in Reinform das anthropologische Experiment gezeigt, an dem wir alle durch Arbeit, Leben und Verirrungen im postsowjetischen Russland beteiligt sind. All diese Männer und eine Frau bildeten einen kollektiven Putin, komplett entledigt von jeglicher politischer Subjekthaftigkeit. 
[...] 

Die Ukraine hat ihrem deutlich mächtigeren Nachbarn nichts angetan. Sie ist ein Land, das von diesem stärkeren Nachbarn beraubt wurde, obwohl jener 1994 [im Budapester Memorandum – dek] Schutz geschworen hatte (da steht bis heute Lawrows Unterschrift drunter!). Aber das ist nichts Neues für die Leute in Russland.

Was soll man machen, wenn man begreift, dass das Diebesland dein eigenes Vaterland ist? Nicht der Staat, sondern das Land. Ich weiß nicht, auf diese Frage gibt es diverse Antworten. 

In der heutigen Sitzung des konstruierten Nawalny-Falls wurde ein Zeuge der Anklage unerwartet zum Zeugen der Verteidigung: Fjodor Goroshanko beschuldigte die Ermittler der Fälschung und Einschüchterung, er bezeichnete den ganzen Prozess als Betrug. Die Sitzung wurde vertagt. 
Was ist, wenn Goroshankos Tat ansteckend ist – auch für einige in die Ukraine kommandierte russische Soldaten? Die dieses Land dann womöglich vor ihren eigenen Leuten beschützen wollen?

Это не один человек с неким психиатрическим диагнозом, а целая корпорация-популяция сверяющих друг с другом часы чекистов.
Зрелище заседания Совета безопасности РФ 21.02.2022 как раз и интересно чистотой антропологического эксперимента над всеми нами - причастными к постсоветской РФ работой, жизнью, заблуждениями. Все эти мужчины и одна женщина - один коллективный Путин, начисто лишенный политической субъектности. 
[...]
[Украина] не сделала своей куда более мощной соседке ничего плохого, страна, которую эта более сильная соседка ограбила, хотя сама поклялась в 1994 году защищать (там даже подпись Лаврова до сих пор на своем месте!).
Но ведь и тут нет ничего нового для россиян.
Что же делать, когда осознаешь, что страна-грабительница - твое собственное отечество? Не государство, а именно страна. Не знаю: на этот вопрос можно ответить по-всякому.
Сегодня на процессе по сфабрикованному делу Навального один свидетель обвинения - Федор Горожанко - неожиданно стал свидетелем защиты, обвинив следователей в подлоге и запугивании, а весь процесс назвавший фальсификацией. Заседание суда было прервано.
А что если шаг Федора Горожанко окажется заразительным и для некоторых российских военных, брошенных на Украину? И они захотят защитить эту страну от самих себя?

erschienen am 22.02.2022, Original

 

Sergej Parchomenko: Putins peinliche Niederlage

War die Anerkennung der Separatistengebiete von langer Hand geplant oder war es eher eine spontane Entscheidung? Diese Frage stellen sich derzeit zahlreiche Analysten. Manche haben Putins Eskalationsstrategie als Chicken Game beschrieben – aus ihrer Sicht ist jetzt klar, dass Putin die Mutprobe mit dem Westen verloren hat und nun aus der Kränkung heraus handelt. Auch der Journalist Sergej Parchomenko teilt diese Einschätzung.

Deutsch
Original
Noch vor zwei Wochen hatte niemand vor, das zu tun. Russland braucht diese Gebiete nach wie vor nicht (und auch wenn das zynisch klingt: Für Russland ist es viel profitabler, wenn diese zwei rostigen Nägel aus dem Körper der Ukraine herausstaken und ihr Qualen bereiten), und die künstlich zu diesem Anlass und auf Bestellung geschaffenen „Flüchtlingszüge” braucht es erst recht nicht. Es ist eine reaktive Entscheidung: erzwungen, forciert und entstanden aus den Ereignissen der letzten Wochen – eine situative Reaktion, die nötig wurde, um sich aus einer peinlichen Niederlage herauszustehlen.

Doch jetzt kann man plötzlich sagen: Das war der Plan, so haben wir uns das gedacht, so clever haben wir das alles eingefädelt, haben alle kleingekriegt und an der Nase herumgeführt. Und sogar: „Sie fragen, warum haben wir im Dezember den ganzen Unfug mit den irrsinnigen Ultimaten gestartet? Warum wohl, hahaha? Dachtet ihr etwa, wir würden das ernst meinen?”

Es ist Wahnsinn, dass das Schicksal eines fremden Stückchens Erde, zusammen mit dem Schicksal von vier Millionen Menschen, mit Provokationen und militärischer Aneignung entschieden wird – um öffentlichkeitswirksam die Initiative in einem verlorenen Propagandakrieg an sich zu reißen. Biden hat diesen Krieg in den Zeitungen, auf Websites, bei Briefings und Pressekonferenzen geführt. Putin hat ihn kaltblütig auf lebendige Erde mit lebendigen Menschen verlagert.

никто ещё две недели назад не собирался этого делать. Эти территории России по-прежнему не нужны (для России, как ни цинично это звучит, гораздо выгоднее, чтобы эти два ржавых гвоздя торчали  из тела Украины и мучали ее), и этот искусственно созданный к случаю и по заказу поток “беженцев» - не нужен тем более. Это реактивное решение, вынужденное, форсированное, выросшее из событий последних недель, - ситуационный ответ, потребовавшийся, чтобы вывернуться из стыдного поражения. 
Но вот теперь можно будет сказать: так и было задумано, вот как мы хитро все устроили, всех нагнули и вокруг пальца обвели.

И даже - “Вот вы спрашивали, зачем мы устроили эту выходку с безумными ультиматумами в декабре? А вот зачем, ха-ха, а вы думали, мы всерьез, да?..”

Это дикая ситуация, когда судьба куска чужой земли, вместе с судьбами четырех миллионов людей, решается при помощи провокаций и силового захвата с сугубо “информационной” целью, - чтоб перехватить инициативу в проигранной пропагандистской войне. Байден эту войну вел на страницах газет, на сайтах, в залах брифингов и пресс-конференций. Путин хладнокровно ее перенес на живую землю и живых людей.

erschienen am 21.02.2022, Original

 

Russia in Global Affairs: Die Kriegsgefahr ist kleiner

Auf dem Telegram-Kanal des kremlnahen Magazins Russia in Global Affairs heißt es in einem Beitrag, die Anerkennung und Truppenentsendung bedeute eine offizielle Legitimierung des de facto-Zustands: 

Deutsch
Original
Neue Sanktionen sind angekündigt. Die wichtigste Frage ist, ob der Einsatz russischer Streitkräfte in der DNR/LNR als Invasion angesehen und mit einem bereits vorbereiteten Sanktionspaket, einschließlich Nord Stream 2, beantwortet wird. Wenn sie streng formell angegangen werden – ja, wenn sie flexibel sind – nicht unbedingt.

Es ist schwierig, die Verlegung von Truppen in den Donbass als Angriff auf die Ukraine zu bezeichnen. Zumal die allgemeine Kriegsgefahr kleiner geworden ist. Die Wahrscheinlichkeit einer Eskalation in der Kontaktzone ist gering, wenn dort die russische Armee ist. Und es gibt derzeit keinen Grund, den Einsatz der russischen Streitkräfte im Donbass als Vorbereitung eines weiteren Brückenkopfes für einen Angriff auf die Ukraine zu betrachten. Der unternommene militärisch-politische Schachzug ist zwar ziemlich gewagt, aber für die Beziehungen zum Westen nicht fatal. Vielmehr wird damit eine Situation legitimiert, die de facto schon vorher bestand. 

Обещаны новые санкции, основной вопрос – будет ли размещение российских сил в ДНР/ЛНР интерпретировано как вторжение и встречено уже подготовленным пакетом санкций, включая «Северный поток-2». Если подходить строго формально – будут, если гибко – не обязательно. Атакой на Украину перемещение сил в Донбасс назвать трудно. Более того, общая опасность войны снизилась. Вероятность обострения в зоне соприкосновения при условии, что там находится российская армия, невелика. А считать дислокацию ВС РФ в Донбассе подготовкой ещё одного плацдарма нападения на Украину оснований на данный момент нет. Предпринятый военно-политический ход достаточно ярок, но не фатален с точки зрения отношения с Западом. По сути, легитимирует ситуацию, существовавшую де-факто и раньше.

erschienen am 21.02.2022, Original

 

Arkadi Babtschenko: Gott schütze Biden

Ähnlich sieht es auch der Journalist Arkadi Babtschenko – allerdings zieht er daraus in seinem Kommentar auf Facebook ganz andere Schlüsse: 

Deutsch
Original
De facto hat sich nichts geändert. Überhaupt nichts. Die russischen Truppen sind genauso da wie schon zuvor. ORDLO bleibt Ordlo. Die Ukraine hatte keine Kontrolle über diese Gebiete und hat sie jetzt auch nicht. Es gab schon einen Krieg, jetzt geht er bloß weiter. Das einzige was sich geändert hat, ist, dass die Russen nun Militärabzeichen tragen. Endlich. 

Aus diesem de facto ergeben sich nun ein gewisses de jure. 
Das grundlegendste: Die Minsker Vereinbarungen [...] existieren endlich nicht mehr. Gott sei Dank. [...]
Die Minsker Vereinbarungen wurden einzig und allein zu dem Zweck getroffen, den Vormarsch der russischen Panzerkolonnen zu stoppen: Diesen konnte die Ukraine zu diesem Zeitpunkt nicht physisch aufhalten, wohl aber mit diesem Stück Papier, das nie jemand wirklich umsetzen wollte. [...]
Jede Truppenverlegung in das ORDLO-Gebiet [...] bedeutet für die ganze Welt und insbesondere für das Völkerrecht EINMARSCH RUSSISCHER TRUPPEN IN DAS GEBIET DER UKRAINE. 
Niemand wird das anders interpretieren. 
Das heißt – eine Invasion. 
Genau die „kleine Invasion“, von der Biden gesprochen hat. Wisst ihr noch, wie alle über ihn gelacht haben? Guten Morgen. Gott schütze den Alten.

де-факто не изменилось ничего. Вообще ничего. Российские войска как были там, так и есть. ОРДЛО как было ордлом, так и осталось. Украина как не контролировала эти территории, так и не стала. Война как шла, так и будет. Единственное изменение - русские надели шевроны. Наконец-то. 

А вот из этого де-факта вытекает уже несколько де-юре. 
Самое базисное: Минские договоренности, [...] наконец прекратили свое существование. Слава те, господи. [...]
Минские и так были созданы с одной единственной целью - остановить продвижение русских танковых колонн, которые Украина остановить тогда не могла физически, но смогла при помощи этой бумажки, филькиной грамоты, которую выполнять никто и не собирался. [...]
любой ввод войск на территорию ОРДЛО [...] для всего мира и для международно права в частности означает ВВОД РОССИЙСКИХ ВОЙСК НА ТЕРРИТОРИЮ УКРАИНЫ. 
И никак иначе это интерпретироваться не будет. 
То есть - вторжение. 
То самое «небольшое вторжение», о котором говорил Байден. Помните, как над ним все хихикали? Доброе утро. Боже, храни деда.

erschienen am 22.02.2022, Original 

Kirill Rogow: Putin ist eine Bedrohung für das eigene Land

Für den russischen Politologen und Journalisten Kirill Rogow steht das, wofür Putin lange seinen politischen Kurs gerechtfertigt hat – die versprochene Stabilität Russlands – mehr denn je zur Debatte:

Deutsch
Original
Es ist schon erstaunlich, dass ein Mann, der als Pragmatiker an die Macht kam, dessen Berufung es war, Russland zu stabilisieren – dass der seine Präsidenten-Karriere in dieser manischen Idee eines Krieges mit der Ukraine hat kulminieren lassen. Er hat da eine fixe Idee.
Niemand darf länger als acht Jahre den Präsidentenposten bekleiden, sonst wird er zur Bedrohung für das eigene Land.
Все-таки это удивительно и потрясающе, что человек, который пришёл к власти в образе прагматика, чьё призвание было стабилизировать Россию, свёл свою президентскую карьеру к маниакальной идее войны с Украиной. Это просто навязчивая идея у него.
Нельзя никому находиться на президентском месте более 8 лет, иначе он превращается в угрозу для собственной страны.

erschienen am 21.02.2022, Original 

Jegor Lebedok: Lukaschenko rechnet den Preis aus

In Belarus sind seit dem jüngsten gemeinsamen Militärmanöver mit Russland mehrere zehntausend russische Soldaten präsent. Lukaschenko stand in den von belarussischen Staatsmedien verbreiteten Bildern der Raketentests fest an der Seite Putins. Wird der belarussische Machthaber eine Unabhängigkeit der selbst ernannten Volksrepubliken DNR und LNR ebenfalls anerkennen? Das fragt sich der belarussische Politikexperte Jegor Lebedok.

Deutsch
Original
Für Lukaschenko ist die Frage nach der Anerkennung von DNR und LNR eine finanzielle. Möglich ist der Wegfall von zwei bis vier Milliarden Dollar aus dem Export durch früher verhängte Sanktionen gegen Belarus, die gerade beginnen, ihre Wirkung zu zeigen. Eine Anerkennung könnte neue Sanktionen nach sich ziehen, die noch nicht ganz abzusehen sind. Um da klarer zu sehen und den Schaden im Falle einer Anerkennung der Republiken zu bewerten, macht es für Lukaschenko Sinn, noch ein bisschen zu warten, bevor er Putin die „Rechnung ausstellt“. Wobei: Bisher bringt Putins Politik gegenüber Lukaschenko kaum mehr Geld als für ein Paar Hosen (bis zu den aktuellen Ereignissen wurden statt der [von Belarus – dek] gewünschten 3,6 Milliarden US-Dollar gerade mal 1 Milliarde versprochen). Und dabei hat Belarus militärpolitisch bisher alles, was Putin als notwendig galt, umgesetzt. Eine schnelle Anerkennung der DNR und LNR von seiten Lukaschenkos könnte dann vor allem davon zeugen, dass der Preis bereits vereinbart wurde und passabel ist – oder dass Lukaschenko keinen Vorrat an politischem und ökonomischem Halt hat, um Putins Willen Kontra zu geben.
Для Лукашенко сейчас вопрос признания Л/ДНР - это вопрос финансов. Возможно выпадение 2-4 млрд $ экспорта в Украину на фоне начала заметного действия ранее введенных санкций на Беларусь (хотя Украина скорее всего продолжит все основное закупать, особенно по прошествии обострения: у Л/ДНР же закупали). Признание может повлечь за собой новые санкции, которые пока не совсем ясны. Как раз чтобы понять их и оценить ущерб от признания, и имеет смысл для Лукашенко несколько подождать с признанием, для "выставления счета" Путину. Хотя пока видна политика Путина по отношению к Лукашенко выделять средства не более чем на поддержание штанов (до текущих событий из желаемых 3,6 млрд $ только 1 млрд $ обещан) и это при том, что в военно-политическом смысле в Беларуси реализуется все необходимое Путину. Быстрое признание со стороны Лукашенко Л/ДНР свидетельствовало бы о том, что либо цена уже оговорена и приемлема, либо что запаса политической и экономической прочности перечить воле Путина у Лукашенко нет.

erschienen am 22.02.2022, Original 

 

Viktor Tereschtschenko: Belarus wird zusehends militarisiert

Der belarussische Politiker und Präsidentschaftskandidat des Jahres 2010 Viktor Tereschtschenko geht darauf ein, was der Verbleib der russischen Truppen in Belarus, im Zusammenhang mit der aktuellen Zuspitzung der Lage, heißen könnte. Er zeigt sich überzeugt, dass die Truppen ein Instrument für Lukaschenko sind, die eigene Macht sichern zu können. Gleichzeitig helfe es Putin, das Drohszenario gegenüber den NATO-Staaten aufrecht zu erhalten

Deutsch
Original
Die russischen Truppen bleiben für unbestimmte Zeit auf dem Territorium von Belarus. Erklärt wird diese Entscheidung mit der Präsenz von NATO-Truppen an den westlichen Grenzen [von Belarus]. Aber, ich bin sicher, dass eine Verstärkung der russischen Truppen nicht nur hinsichtlich personeller, sondern auch militärtechnischer Ressourcen erfolgt. Mit anderen Worten, Belarus wird zusehends militarisiert und mit den bewaffneten Truppen eines anderen Landes zugestellt. Und ist es unmöglich, die Folgen einer solchen Militarisierung vorauszusagen. Die Diplomatie funktioniert nicht. Aber vor allem gibt die Führung des Landes der Bevölkerung keine Informationen und trifft Entscheidungen entsprechend des eigenen Stands von Kultur und Bildung. Ich denke, dass die Entscheidung (die russischen Truppen in Belarus zu belassen) nicht von der belarussischen Seite getroffen wurde; sie hat nur zugestimmt, um die eigene Macht zu sichern. Ich sage mal so: Es ist eine einvernehmliche Entscheidung mit der Russischen Föderation. Russland plant seit langem, Truppen in Belarus zu stationieren – um seine eigenen Interessen zu sichern.
Российские войска остаются на территории Беларуси на неопределенный срок. Такое решение объясняют наличием войск НАТО у западных границ. Но, я убежден, за этим последует усиление российских войск не только человеческими ресурсами, но и техникой. Иными словами, Беларусь все больше милитаризуется, заполняется вооруженными силами другой страны. А предсказать результаты подобной милитаризации невозможно. Дипломатия не работает. Но самое главное, что руководство страны не доносит информацию до населения и принимает решения в соответствии с собственным уровнем культуры и образования. Думаю, решение (oставить российские войска в Беларуси) принимала не беларусская сторона; она согласилась только с тем, чтобы сохранить себя у власти. Скажу так: это обоюдное решение с Российской Федерацией. Россия давно, особенно сегодня, планировала разместить войска в Беларуси – для обеспечения своих интересов.

erschienen am 22.02.2022, Original 

 

Irina Prochorowa: Eine Schande 

Die Publizistin und Philologin Irina Prochorowa, eine der wichtigsten russischen Intellektuellen, braucht auf Facebook nur wenig Worte:

Deutsch
Original
Mein Gott, wie konnten wir es zu solcher Schande und Ehrlosigkeit kommen lassen … Es ist beschämend und bitter, in diesem Teil der Welt zu leben, meine Herrschaften …
Боже мой, как мы могли докатиться до такого позора и бесчестия...Стыдно и горько жить на этой части света, господа…

erschienen am 21.02.2022, Original 

 

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Krieg im Osten der Ukraine

Bei dem bewaffneten Konflikt im Osten der Ukraine beziehungsweise im Donbass handelt es sich um einen Krieg, der von seit April 2014 zwischen ukrainischen Streitkräften und Freiwilligenbataillonen auf der einen Seite sowie separatistischen Milizen der selbsternannten Volksrepubliken von Donezk und Luhansk (DNR und LNR) und russischen Soldaten auf der anderen Seite geführt wurde. Am 24. Februar 2022 befahl Putin den Angriff auf das Nachbarland – aus dem verdeckten ist ein offener Krieg geworden.

Die zentralen Vorgänge, die den Krieg in der Ostukraine bis dahin geprägt hatten: Vorgeblich ging es dabei um die Gebietshoheit der beiden ostukrainischen Verwaltungsbezirke Donezk und Luhansk – dem sogenannten Donbass, der zu etwa einem Drittel nicht unter Kontrolle der ukrainischen Regierung ist. In der Ukraine sowie in der Europäischen Union ist man bis heute überzeugt, dass Russland die Separatisten immer finanziell, personell und logistisch unterstützt hat. Demnach hat Russland den Donbass vor allem als Instrument genutzt, um die Ukraine langfristig zu destabilisieren und somit gleichzeitig kontrollieren zu können. Russland hatte eine militärische Einflussnahme und Destabilisierungsabsichten stets bestritten.

Die Entstehung des Krieges und wie die EU und die USA mit Sanktionen darauf in dem jahrelangen Konflikt reagiert hatten – ein Überblick. 

Nachdem Ende Februar 2014 der ukrainische Präsident Janukowytsch im Zuge der Maidan-Proteste gestürzt wurde, russische Truppen kurze Zeit später die Krim okkupierten und die Annexion der Halbinsel auf den Weg brachten, ist die Situation im Donbass schrittweise eskaliert.

Zunächst hatten pro-russische Aktivisten im April 2014 Verwaltungsgebäude in mehreren ostukrainischen Städten besetzt. Forderungen, die hier artikuliert wurden, waren diffus und reichten von mehr regionaler Selbstbestimmung bis hin zur Unabhängigkeit von der Ukraine und einem Anschluss an Russland.

Während sich in Charkiw die Situation nach der polizeilichen Räumung der besetzten Gebietsverwaltung rasch entspannte, kam es in Donezk und Luhansk zur Proklamation eigener Republiken. Parallel wurden Polizeistationen und Gebäude des ukrainischen Inlandsgeheimdienstes gestürmt sowie dortige Waffenarsenale gekapert. Wenige Tage später traten in der Stadt Slowjansk (Donezker Verwaltungsbezirk) unter dem Kommando des russischen Geheimdienstoberst Igor Girkin erste bewaffnete „Rebellen“ in Erscheinung. Girkin, der bereits zuvor an Russlands Okkupation der Krim beteiligt gewesen war und zwischen Mai 2014 und August 2014 als Verteidigungsminister der DNR fungierte, behauptete später, dass der Krieg im Donbass mitnichten aus einem Aufstand russischsprachiger Bewohner der Region resultierte. Er betonte indes, dass dieser „Aufruhr“ ohne das Eingreifen seiner Einheit schnell zum Erliegen gekommen wäre.1

Eskalation

Tatsächlich begannen die bewaffneten Kampfhandlungen in dem von Girkins Einheit besetzten Slowjansk. Um die Stadt zurückzugewinnen, startete die ukrainische Regierung eine „Anti-Terror-Operation“ mit Beteiligung der Armee. Während die Separatisten in den von ihnen kontrollierten Orten des Donbass im Mai 2014 sogenannte Unabhängigkeitsreferenden durchführen ließen, weiteten sich in der Folgezeit die Gefechte zwischen ukrainischen Streitkräften und Freiwilligenverbänden auf der einen und den Separatisten auf der anderen Seite stetig aus.

In deutschsprachigen Medien und in der internationalen Diplomatie wurde seither häufig von einer „Krise“ oder einem „Konflikt“ gesprochen. Tatsächlich erreichte die militärische Eskalation unter quantitativen Aspekten, die sich auf eine bestimmte Anzahl von zivilen und nicht-zivilen Opfern pro Jahr beziehen, bereits 2014 den Zustand eines Krieges.2 Auch unter qualitativen Gesichtspunkten erfüllte der bewaffnete Konflikt ab 2014 sämtliche Merkmale eines Krieges, wie ihn beispielsweise die Arbeitsgemeinschaft Kriegsursachenforschung der Universität Hamburg definiert3.

Neben der Involvierung russischer Freischärler und Söldner4 mehrten sich im Verlauf der kriegerischen Auseinandersetzungen Berichte über großkalibrige Kriegsgeräte, die den von den Separatisten kontrollierten Abschnitt der russisch-ukrainischen Grenze passiert haben sollen.5 Hierzu soll auch das Flugabwehrraketensystem BUK gehören, mit dem nach Auffassung des internationalen Ermittlungsteams das Passagierflugzeug MH17 im Juli 2014 über Separatistengebiet abgeschossen wurde.6 Reguläre russische Streitkräfte sollen indes ab August 2014 erstmalig in das Geschehen eingegriffen haben, nachdem die ukrainische Seite zuvor stetige Gebietsgewinne verbuchen und Städte wie Kramatorsk, Slowjansk, Mariupol und Awdijiwka zurückerobern konnte.7

Die EU verhängte im Sommer 2014 aufgrund der „vorsätzlichen Destabilisierung“8 der Ukraine weitreichende wirtschaftliche Sanktionen gegen Russland. Russland stritt eine Kriegsbeteiligung eigener regulärer Soldaten jedoch stets ab: So hätten sich beispielsweise Soldaten einer russischen Luftlandlandedivision, die in ukrainische Gefangenschaft geraten waren, nach Angaben des russischen Verteidigungsministeriums verlaufen und die Grenze zur Ukraine nur  aus Versehen überquert.9 Die russische Menschenrechtsorganisation Komitee der Soldatenmütter Russlands indes beziffert die Zahl russischer Soldaten, die im Spätsommer 2014 auf ukrainischem Territorium im Einsatz gewesen seien, mit rund 10.000.10

Einen Wendepunkt des Kriegsverlaufs stellte schließlich die Schlacht um die ukrainische Kleinstadt Ilowajsk dar, bei der die ukrainische Seite im September 2014 eine herbe Niederlage erfuhr und mehrere hundert gefallene Soldaten zu beklagen hatte.11

Die ukrainische Regierung hat die NATO mehrfach vergeblich um Waffenhilfe gebeten. Allerdings legte die NATO spezielle Fonds an, die zu einer Modernisierung der ukrainischen Streitkräfte beitragen sollen. Diese Fonds dienen unter anderem der Ausbildung ukrainischer Soldaten, der Verbesserung von Kommunikationsstrukturen, der Stärkung von Verteidigungskapazitäten im Bereich der Cyberkriegsführung sowie der medizinischen Versorgung von Soldaten.12 Darüber hinaus erhält die Ukraine Unterstützung in Form von sogenannter nichttödlicher Militärausrüstung wie Helmen und Schutzwesten, Funkgeräten und gepanzerten Geländewagen, unter anderem von den USA.13 

Verhandlungen

Die zunehmende Eskalation des Krieges brachte eine Intensivierung internationaler Vermittlungsbemühungen mit sich. Bereits im März 2014 hatte der Ständige Rat der OSZE eine zivile Sonderbeobachtermission für die Ukraine beauftragt und wenig später eine trilaterale Kontaktgruppe zwischen der Ukraine, Russland und der OSZE ins Leben gerufen. Auf Ebene der Staats- und Regierungschefs etablierte sich das sogenannte Normandie-Format zwischen der Ukraine, Russland, Deutschland und Frankreich. Im September 2014 machte es die Unterzeichnung des sogenannten Minsker Protokolls durch die OSZE-Kontaktgruppe möglich.

Nach anhaltenden Kämpfen, vor allem um den Flughafen von Donezk sowie die Stadt Debalzewe, kam es im Februar 2015 zu einem erneuten Zusammentreffen des Normandie-Formats in Minsk. Im Minsker Maßnahmenpaket (Minsk II) konkretisierten die Parteien sowohl einen Plan zur Entmilitarisierung als auch politische Schritte, die zur  Lösung des Konflikts beitragen sollten.

Das Maßnahmenpaket umfasst dreizehn Punkte, die schrittweise unter Beobachtung der OSZE umgesetzt werden sollen. Hierzu gehört der Waffenstillstand sowie der Abzug schwerer Kriegsgeräte und sogenannter „ausländischer bewaffneter Formationen“. Außerdem soll in der ukrainischen Verfassung ein Sonderstatus für die Separatistengebiete verankert werden. Nicht zuletzt sieht das Maßnahmenpaket vor, dass Kommunalwahlen in diesen Gebieten abgehalten werden. Außerdem soll die ukrainisch-russische Grenze wieder durch die ukrainische Regierung kontrolliert werden.14

Entwicklung seit Minsk II

Auch unmittelbar nach der Unterzeichnung des Minsker Abkommens hielten jedoch vor allem in Debalzewe heftige Gefechte an, bis die Stadt schließlich wenige Tage später unter die Kontrolle der Separatisten fiel. Auch hier soll – wie bereits zuvor in Ilowajsk – reguläres russisches Militär massiv in das Kriegsgeschehen eingegriffen haben.15 Erst nach dem Fall von Debalzewe nahmen die Kampfhandlungen ab. Zu Verletzungen der Waffenruhe, Toten und Verletzten entlang der Frontlinie kam es seither dennoch beinahe täglich.16 Dies macht eine Umsetzung des Minsker Maßnahmenpakets bis heute unmöglich.

Schwere Gefechte mit dutzenden Toten brachen zuletzt rund um die Stadt Awdijiwka aus. Awdijiwka, das im Sommer 2014 von ukrainischer Seite zurückerobert wurde und dem Minsker Protokoll entsprechend unter Kontrolle der ukrainischen Regierung steht, hat als Verkehrsknotenpunkt sowie aufgrund der dort ansässigen Kokerei eine besondere strategische und ökonomische Bedeutung. Die Stadt ist in der Vergangenheit immer wieder unter Beschuss geraten.17 Im Januar 2017 kam es dort auch zur Zerstörung kritischer Infrastruktur: Dabei fielen in der Stadt bei Temperaturen von unter minus 20 Grad mehrere Tage die Strom-, Wasser- und Wärmeversorgung aus. Allein am 31. Januar 2017 berichtete die Sonderbeobachtermission der OSZE von mehr als 10.000 registrierten Explosionen – die höchste von der Mission bisher registrierte Anzahl an Waffenstillstandsverletzungen.18

Laut Schätzungen der Vereinten Nationen aus dem Jahr 2019 sind seit Beginn des Krieges im Donbass rund 13.000 Menschen gestorben. Die Anzahl der Verletzten beziffern die Vereinten Nationen mit über 24.000. Bei mehr als 2000 Todesopfern sowie etwa 6000 bis 7000 Verletzten handelt es sich um Zivilisten.19 Menschenrechtsorganisationen geben zudem an, etliche Fälle von Menschenrechtsverletzungen und Kriegsverbrechen dokumentiert zu haben.20 Im November 2016 erklärte die Chefanklägerin des Internationalen Strafgerichtshofs (ICC) in Den Haag, dass Anzeichen für einen internationalen bewaffneten Konflikt zwischen Russland und der Ukraine vorliegen.21 Die russische Regierung zog daraufhin ihre Unterschrift unter dem Statut des ICC zurück. 

Neben tausenden Toten und Verletzten hat der Krieg auch zu enormen Flüchtlingsbewegungen geführt. Das ukrainische Ministerium für Sozialpolitik registrierte bis Mitte 2016 über 1,6 Millionen Binnenflüchtlinge; das Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen geht in seinen eigenen Berechnungen derweil von 800.000 bis einer Million Binnenflüchtlingen aus.22 Daneben haben knapp 1,5 Millionen Ukrainer seit Ausbruch des Krieges Asyl oder andere Formen des legalen Aufenthalts in Nachbarstaaten der Ukraine gesucht. Nach Angaben russischer Behörden sollen sich rund eine Million Ukrainer in der Russischen Föderation registriert haben.23


1.vgl.: Zavtra.ru: «Kto ty, «Strelok»?» und Süddeutsche Zeitung: „Den Auslöser zum Krieg habe ich gedrückt“
2.vgl. University of Uppsala: Uppsala Conflict Data Program
3.vgl. Arbeitsgemeinschaft Kriegsursachenforschung der Universität Hamburg: Laufende Kriege
4.Neue Zürcher Zeitung: Nordkaukasier im Kampf gegen Kiew
5.The Guardian: Aid convoy stops short of border as Russian military vehicles enter Ukraine sowie Die Zeit: Russische Panzer sollen Grenze überquert haben
6.vgl. Frankfurter Allgemeine Zeitung: Minutiös rekonstruiert
7.Für eine detaillierte Auflistung der im Krieg in der Ukraine involvierten regulären russischen Streitkräfte siehe Royal United Services Institute: Russian Forces in Ukraine
8.vgl. europa.eu: EU-Sanktionen gegen Russland aufgrund der Krise in der Ukraine
9.vgl. tass.ru: Minoborony: voennoslzužaščie RF slučajno peresekli učastok rossijsko-ukrainskoj granicy
10.vgl. TAZ: Es gibt schon Verweigerungen
11.vgl.Frankfurter Allgemeine Zeitung: Ein nicht erklärter Krieg
12.vgl. nato.int: NATO’s support to Ukraine
13.vgl. Die Zeit: US-Militärfahrzeuge in Ukraine angekommen
14.vgl. osce.org: Kompleks mer po vypolneniju Minskich soglašenij
15.vgl. ViceNews: Selfie Soldiers: Russia Checks in to Ukraine
16.vgl. Frankfurter Allgemeine Zeitung: Wer bricht den Waffenstillstand?
17.vgl. Die Zeit: Wo Kohlen und Geschosse glühen
18.osce.org: Latest from the OSCE Special Monitoring Mission to Ukraine (SMM), based on information received as of 19:30, 31 January 2017
19.vgl.: Office of the United Nations High Commissioner for Human Rights: Report on the human rights situation in Ukraine: 16 August to 15 November 2016
20.vgl. Helsinki Foundation for Human Rights/Justice for Peace in Donbas: Surviving hell - testimonies of victims on places of illegal detention in Donbas
21.vgl. International Criminal Court/The Office of the Prosecutor: Report on Preliminary Examination Activities 2016
22.vgl. unhcr.org: Ukraine
23.vgl. unhcr.org: UNHCR Ukraine Operational Update
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