Lange war darauf hingearbeitet worden: Am Mittwoch dieser Woche, dem 25. Mai, durfte die ukrainische Militärpilotin Nadija Sawtschenko in die Ukraine ausreisen.
Sie war zwei Jahre in Russland festgehalten und im März zu 22 Jahren Haft verurteilt worden. Nun wurde sie gegen die russischen Staatsbürger Alexander Alexandrow und Jewgeni Jerofejew ausgetauscht. Die beiden waren 2015 im Donbass aufgegriffen worden. Ihnen wurde vorgeworfen, als Angehörige des russischen Militärgeheimdienst gegen die Ukrainische Armee gekämpft zu haben, was Moskau allerdings bestritt. Ein Kiewer Gericht hatte sie noch im April zu je 14 Jahren Haft verurteilt.
Sawtschenko war während ihrer Gefangenschaft zur Ikone in ihrer Heimat aufgestiegen: In Abwesenheit wurde ihr etwa die Auszeichnung „Heldin der Ukraine“ verliehen. Im Fall Jerofejew/Alexandrow dagegen hatte Moskau vor allem betont, dass sie als Freiwillige in der Ukraine gekämpft, ihren Dienst in Russland zuvor quittiert hätten. Offiziell sind keine russischen Einheiten vor Ort.
Entsprechend fiel der Empfang für die drei Freigelassenen in ihren Heimatländern jeweils sehr unterschiedlich aus: Sawtschenko wurde von Präsident Petro Poroschenko und weiteren hochrangigen Politikvertretern geradezu triumphal willkommen geheißen, Jerofejew und Alexandrow dagegen in Moskau lediglich von ihren Frauen begrüßt.
International fand die Freilassung große Resonanz. Hochrangige Politiker, darunter der deutsche Außenminister Frank-Walter Steinmeier, äußerten die Hoffnung, dass der Gefangenenaustausch sich auch auf die weitere Lösung des Konflikts positiv auswirke.
Источник
Rossijskaja Gaseta: Auf Wunsch der Hinterbliebenen
Der Kreml betonte, dass die Freilassung vor allem den Hinterbliebenen der – laut Anklage von Sawtschenko – getöteten Medienleuten zu verdanken sei. Die Witwe und die Schwester zweier Verstorbener hätten Putin bei einem Treffen um Begnadigung Sawtschenkos gebeten und so einen Gefangenenaustausch erst ermöglicht. Die Rossijskaja Gaseta, Amtsblatt der russischen Regierung, berichtet:
Deutsch
Original
Wie der Pressesprecher des Präsidenten Dimitri Peskow erklärte, „waren dem Treffen Schreiben der genannten Personen vom 22. und 23. März an das Staatsoberhaubt vorausgegangen, in denen sie, Marianna Dimitrijewna und Jekaterina Sergejewna, aus humanitären Erwägungen den Präsidenten darum bitten, Sawtschenko zu begnadigen.“ Das Staatsoberhaupt unterschrieb einen Ukas über die Begnadigung der ukrainischen Pilotin.
Как пояснил пресс-секретарь президента Дмитрий Песков, „этой встрече предшествовали обращения на имя главы государства от упомянутых родственниц, которые были написаны еще 22 и 23 марта соответственно, в котором Марианна Дмитриевна и Екатерина Сергеевна исходя из соображений гуманности просят президента помиловать Савченко“. Глава государства подписал указ о помиловании украинской летчицы.
Slon.ru: Verlegenes Schweigen
Nun sind auch die beiden Gefangenen Jerofejew und Alexandrow wieder in ihrer Heimat – Russland wisse jedoch einfach nicht, wie es mit ihnen umgehen soll, kommentiert Oleg Kaschin auf dem unabhängigen Portal Slon.ru:
Deutsch
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Jewgeni Jerofejew und Alexander Alexandrow sind für Russland nicht einfach nur keine Helden, sondern es ist völlig unklar, wer sie überhaupt sind – im besten Fall Opfer des ukrainischen, repressiven Systems . [...]
Das verlegene Schweigen, mit dem Russland Nadeshda Sawtschenko zum Flugzeug begleitet und mit dem es zwei der eigenen Staatsbürger mit unklarem Status empfängt – das ist vielleicht die wichtigste psychologische Folge des Donbass-Krieges für Russland. Der hat Russland gelehrt, verlegen zu schweigen. Und begleitet von diesem Schweigen müssen wir nun immer weiterleben.
Евгений Ерофеев и Александр Александров для России не просто не герои, а вообще непонятно кто, в лучшем случае жертвы украинской репрессивной системы. [...]
Неловкое молчание, которым Россия провожает Надежду Савченко и встречает двух своих граждан с непонятным статусом, – это, может быть, главное психологическое последствие донецкой войны для России. Она приучила Россию неловко молчать, и под аккомпанемент этого молчания нам еще жить и жить.
Spektr: Nadeshda, halte durch!
Auch der Journalist und Kriegsreporter Arkadi Babtschenko vergleicht die unterschiedliche Art und Weise, mit der Sawtschenko, Jerofejew und Alexandrow in ihren Heimatländern jeweils empfangen werden. Auf dem russischen Exil-Medienprojekt Spektr, das unter dem Dach einer lettischen Medien-NGO firmiert, warnt er Sawtschenko:
Deutsch
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Meiner Meinung nach beginnt für die ukrainische Gesellschaft im Fall Sawtschenko jetzt tatsächlich eine der schwierigsten Zeiten: die Entheiligung. Denn ein lebender Mensch wird niemals dem von der Gesellschaft für ihn erdachten Bild entsprechen – und das ist für viele schmerzhaft und schwer. Für manche mag es gar wie Verrat wirken. Und nach Sawtschenkos Temperament zu urteilen – geradeheraus, harsch und nicht gewohnt, sich in Worten und Taten zurückzunehmen – wird sie diesen Vorgang nur beschleunigen.
Also, Nadeshda, halte durch: Jetzt werden sie dich so richtig in die Mangel nehmen, wie noch nicht mal vorm Kadi in Donezk.
На мой взгляд, для украинского общества в вопросе Савченко теперь вообще начинается один из самых трудных периодов — деканонизация. Потому что живой человек никогда не будет соответствовать придуманному ему обществом образу, а это для многих очень болезненно и тяжело. А кем-то воспринимается даже как предательство. И, судя по характеру Надежды — прямому, резкому, не привыкшему сдерживать себя ни в словах, ни в поступках — она этот процесс только ускорит.
Так что, Надежда, держись: как теперь тебя начнут «полоскать» — не полоскали даже на судилище в Донецке.
TASS: Guter Anfang
International wurde der Gefangenenaustausch immer wieder mit der Hoffnung auf weitere Fortschritte im Rahmen der Minsker Vereinbarungen verbunden. Ähnlich äußerte sich auch Pawel Krascheninnikow, Chef des Duma-Ausschusses für Gesetzgebung, den die staatliche Nachrichtenagentur TASS zitiert:
Deutsch
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„Wir lassen unsere Leute nicht im Stich. [...] Sowohl im Fall Sawtschenko als auch bei unseren Jungs wurden alle Verfahrensweisen eingehalten. Alles wurde im Einklang mit der Russischen Verfassung und den Rechtsnormen durchgeführt“, erklärte Krascheninnikow gegenüber der Nachrichtenagentur TASS.
Ihm zufolge sei das ein Ausdruck für die immer noch bestehende Möglichkeit eines Dialogs zwischen Russland und der Ukraine auf völkerrechtlichem Gebiet. „Es ist durchaus erfreulich, dass es auf juristischer Ebene Kontakt zwischen den Ländern gibt“, fügte Krascheninnikow hinzu.
„Мы своих не бросаем. [...] А в случае и с Савченко, и с нашими ребятами все процедуры были соблюдены. Все было проведено в соответствии с Конституцией РФ и правовыми нормами“, - заявил Крашенинников ТАСС.
По его словам, это говорит о сохраняющейся возможности диалога между Россией и Украиной в международно-правовой сфере. „Не так плохо, что есть контакт в правовой области“, - добавил Крашенинников.
Vedomosti: Kein großer Schritt vorwärts
Die Autoren der regierungsunabhängigen Tageszeitung Vedomosti dagegen warnen vor allzu großen Hoffnungen:
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Die Rückkehr von Sawtschenko sowie Jerofejew und Alexandrowitsch zeigt wohl eher, dass Fortschritt prinzipiell möglich ist. Was die Erfüllung des Minsker Abkommens angeht, ist es ein Schritt vorwärts, aber kein großer. Zumal das Minsker Abkommen einen gleichzeitigen Austausch „aller gegen alle“ vorsieht. Andererseits ist nun auch möglich, dass sich etwas bewegt in den Fällen anderer Gefangener, die es auf beiden Seiten gibt. [...] Hat der Kreml Sawtschenko ausgetauscht für eine Lockerung der Sanktionen im Gegenzug? Da wird sich in den nächsten Monaten nichts bewegen. Das ist erst für das Jahr 2017 realistisch, sofern es weitere Fortschritte bei der Konfliktlösung gibt. Vorerst hat sich Russland vor allem damit hervorgetan, dass es Humanität gezeigt hat.
Возвращение Савченко и Ерофеева с Александровым скорее обозначает принципиальную возможность прогресса. Это шаг вперед в плане выполнения минских соглашений, но небольшой. Тем более что минские соглашения предусматривают обмен „всех на всех“ и одномоментно. С другой стороны, теперь возможны подвижки в делах других кандидатов на обмен, которые есть с обеих сторон. [...] Обменял ли Кремль Савченко на ослабление санкций? Не в ближайшие месяцы. Реалистичный срок при условии прогресса в урегулировании – 2017 год. А пока главная награда для России – ощущение проявленного гуманизма.
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Bei dem bewaffneten Konflikt im Osten der Ukraine beziehungsweise im Donbass handelt es sich um einen Krieg, der von seit April 2014 zwischen ukrainischen Streitkräften und Freiwilligenbataillonen auf der einen Seite sowie separatistischen Milizen der selbsternannten Volksrepubliken von Donezk und Luhansk (DNR und LNR) und russischen Soldaten auf der anderen Seite geführt wurde. Am 24. Februar 2022 befahl Putin den Angriff auf das Nachbarland – aus dem verdeckten ist ein offener Krieg geworden.
Die zentralen Vorgänge, die den Krieg in der Ostukraine bis dahin geprägt hatten: Vorgeblich ging es dabei um die Gebietshoheit der beiden ostukrainischen Verwaltungsbezirke Donezk und Luhansk – dem sogenannten Donbass, der zu etwa einem Drittel nicht unter Kontrolle der ukrainischen Regierung ist. In der Ukraine sowie in der Europäischen Union ist man bis heute überzeugt, dass Russland die Separatisten immer finanziell, personell und logistisch unterstützt hat. Demnach hat Russland den Donbass vor allem als Instrument genutzt, um die Ukraine langfristig zu destabilisieren und somit gleichzeitig kontrollieren zu können. Russland hatte eine militärische Einflussnahme und Destabilisierungsabsichten stets bestritten.
Die Entstehung des Krieges und wie die EU und die USA mit Sanktionen darauf in dem jahrelangen Konflikt reagiert hatten – ein Überblick.
Nachdem Ende Februar 2014 der ukrainische Präsident Janukowytsch im Zuge der Maidan-Proteste gestürzt wurde, russische Truppen kurze Zeit später die Krim okkupierten und die Annexion der Halbinsel auf den Weg brachten, ist die Situation im Donbass schrittweise eskaliert.
Zunächst hatten pro-russische Aktivisten im April 2014 Verwaltungsgebäude in mehreren ostukrainischen Städten besetzt. Forderungen, die hier artikuliert wurden, waren diffus und reichten von mehr regionaler Selbstbestimmung bis hin zur Unabhängigkeit von der Ukraine und einem Anschluss an Russland.
Während sich in Charkiw die Situation nach der polizeilichen Räumung der besetzten Gebietsverwaltung rasch entspannte, kam es in Donezk und Luhansk zur Proklamation eigener Republiken. Parallel wurden Polizeistationen und Gebäude des ukrainischen Inlandsgeheimdienstes gestürmt sowie dortige Waffenarsenale gekapert. Wenige Tage später traten in der Stadt Slowjansk (Donezker Verwaltungsbezirk) unter dem Kommando des russischen Geheimdienstoberst Igor Girkin erste bewaffnete „Rebellen“ in Erscheinung. Girkin, der bereits zuvor an Russlands Okkupation der Krim beteiligt gewesen war und zwischen Mai 2014 und August 2014 als Verteidigungsminister der DNR fungierte, behauptete später, dass der Krieg im Donbass mitnichten aus einem Aufstand russischsprachiger Bewohner der Region resultierte. Er betonte indes, dass dieser „Aufruhr“ ohne das Eingreifen seiner Einheit schnell zum Erliegen gekommen wäre.1
Eskalation
Tatsächlich begannen die bewaffneten Kampfhandlungen in dem von Girkins Einheit besetzten Slowjansk. Um die Stadt zurückzugewinnen, startete die ukrainische Regierung eine „Anti-Terror-Operation“ mit Beteiligung der Armee. Während die Separatisten in den von ihnen kontrollierten Orten des Donbass im Mai 2014 sogenannte Unabhängigkeitsreferenden durchführen ließen, weiteten sich in der Folgezeit die Gefechte zwischen ukrainischen Streitkräften und Freiwilligenverbänden auf der einen und den Separatisten auf der anderen Seite stetig aus.
In deutschsprachigen Medien und in der internationalen Diplomatie wurde seither häufig von einer „Krise“ oder einem „Konflikt“ gesprochen. Tatsächlich erreichte die militärische Eskalation unter quantitativen Aspekten, die sich auf eine bestimmte Anzahl von zivilen und nicht-zivilen Opfern pro Jahr beziehen, bereits 2014 den Zustand eines Krieges.2 Auch unter qualitativen Gesichtspunkten erfüllte der bewaffnete Konflikt ab 2014 sämtliche Merkmale eines Krieges, wie ihn beispielsweise die Arbeitsgemeinschaft Kriegsursachenforschung der Universität Hamburg definiert3.
Neben der Involvierung russischer Freischärler und Söldner4 mehrten sich im Verlauf der kriegerischen Auseinandersetzungen Berichte über großkalibrige Kriegsgeräte, die den von den Separatisten kontrollierten Abschnitt der russisch-ukrainischen Grenze passiert haben sollen.5 Hierzu soll auch das Flugabwehrraketensystem BUK gehören, mit dem nach Auffassung des internationalen Ermittlungsteams das Passagierflugzeug MH17 im Juli 2014 über Separatistengebiet abgeschossen wurde.6 Reguläre russische Streitkräfte sollen indes ab August 2014 erstmalig in das Geschehen eingegriffen haben, nachdem die ukrainische Seite zuvor stetige Gebietsgewinne verbuchen und Städte wie Kramatorsk, Slowjansk, Mariupol und Awdijiwka zurückerobern konnte.7
Die EU verhängte im Sommer 2014 aufgrund der „vorsätzlichen Destabilisierung“8 der Ukraine weitreichende wirtschaftliche Sanktionen gegen Russland. Russland stritt eine Kriegsbeteiligung eigener regulärer Soldaten jedoch stets ab: So hätten sich beispielsweise Soldaten einer russischen Luftlandlandedivision, die in ukrainische Gefangenschaft geraten waren, nach Angaben des russischen Verteidigungsministeriums verlaufen und die Grenze zur Ukraine nur aus Versehen überquert.9 Die russische Menschenrechtsorganisation Komitee der Soldatenmütter Russlands indes beziffert die Zahl russischer Soldaten, die im Spätsommer 2014 auf ukrainischem Territorium im Einsatz gewesen seien, mit rund 10.000.10
Einen Wendepunkt des Kriegsverlaufs stellte schließlich die Schlacht um die ukrainische Kleinstadt Ilowajsk dar, bei der die ukrainische Seite im September 2014 eine herbe Niederlage erfuhr und mehrere hundert gefallene Soldaten zu beklagen hatte.11
Die ukrainische Regierung hat die NATO mehrfach vergeblich um Waffenhilfe gebeten. Allerdings legte die NATO spezielle Fonds an, die zu einer Modernisierung der ukrainischen Streitkräfte beitragen sollen. Diese Fonds dienen unter anderem der Ausbildung ukrainischer Soldaten, der Verbesserung von Kommunikationsstrukturen, der Stärkung von Verteidigungskapazitäten im Bereich der Cyberkriegsführung sowie der medizinischen Versorgung von Soldaten.12 Darüber hinaus erhält die Ukraine Unterstützung in Form von sogenannter nichttödlicher Militärausrüstung wie Helmen und Schutzwesten, Funkgeräten und gepanzerten Geländewagen, unter anderem von den USA.13
Verhandlungen
Die zunehmende Eskalation des Krieges brachte eine Intensivierung internationaler Vermittlungsbemühungen mit sich. Bereits im März 2014 hatte der Ständige Rat der OSZE eine zivile Sonderbeobachtermission für die Ukraine beauftragt und wenig später eine trilaterale Kontaktgruppe zwischen der Ukraine, Russland und der OSZE ins Leben gerufen. Auf Ebene der Staats- und Regierungschefs etablierte sich das sogenannte Normandie-Format zwischen der Ukraine, Russland, Deutschland und Frankreich. Im September 2014 machte es die Unterzeichnung des sogenannten Minsker Protokolls durch die OSZE-Kontaktgruppe möglich.
Nach anhaltenden Kämpfen, vor allem um den Flughafen von Donezk sowie die Stadt Debalzewe, kam es im Februar 2015 zu einem erneuten Zusammentreffen des Normandie-Formats in Minsk. Im Minsker Maßnahmenpaket (Minsk II) konkretisierten die Parteien sowohl einen Plan zur Entmilitarisierung als auch politische Schritte, die zur Lösung des Konflikts beitragen sollten.
Das Maßnahmenpaket umfasst dreizehn Punkte, die schrittweise unter Beobachtung der OSZE umgesetzt werden sollen. Hierzu gehört der Waffenstillstand sowie der Abzug schwerer Kriegsgeräte und sogenannter „ausländischer bewaffneter Formationen“. Außerdem soll in der ukrainischen Verfassung ein Sonderstatus für die Separatistengebiete verankert werden. Nicht zuletzt sieht das Maßnahmenpaket vor, dass Kommunalwahlen in diesen Gebieten abgehalten werden. Außerdem soll die ukrainisch-russische Grenze wieder durch die ukrainische Regierung kontrolliert werden.14
Entwicklung seit Minsk II
Auch unmittelbar nach der Unterzeichnung des Minsker Abkommens hielten jedoch vor allem in Debalzewe heftige Gefechte an, bis die Stadt schließlich wenige Tage später unter die Kontrolle der Separatisten fiel. Auch hier soll – wie bereits zuvor in Ilowajsk – reguläres russisches Militär massiv in das Kriegsgeschehen eingegriffen haben.15 Erst nach dem Fall von Debalzewe nahmen die Kampfhandlungen ab. Zu Verletzungen der Waffenruhe, Toten und Verletzten entlang der Frontlinie kam es seither dennoch beinahe täglich.16 Dies macht eine Umsetzung des Minsker Maßnahmenpakets bis heute unmöglich.
Schwere Gefechte mit dutzenden Toten brachen zuletzt rund um die Stadt Awdijiwka aus. Awdijiwka, das im Sommer 2014 von ukrainischer Seite zurückerobert wurde und dem Minsker Protokoll entsprechend unter Kontrolle der ukrainischen Regierung steht, hat als Verkehrsknotenpunkt sowie aufgrund der dort ansässigen Kokerei eine besondere strategische und ökonomische Bedeutung. Die Stadt ist in der Vergangenheit immer wieder unter Beschuss geraten.17 Im Januar 2017 kam es dort auch zur Zerstörung kritischer Infrastruktur: Dabei fielen in der Stadt bei Temperaturen von unter minus 20 Grad mehrere Tage die Strom-, Wasser- und Wärmeversorgung aus. Allein am 31. Januar 2017 berichtete die Sonderbeobachtermission der OSZE von mehr als 10.000 registrierten Explosionen – die höchste von der Mission bisher registrierte Anzahl an Waffenstillstandsverletzungen.18
Laut Schätzungen der Vereinten Nationen aus dem Jahr 2019 sind seit Beginn des Krieges im Donbass rund 13.000 Menschen gestorben. Die Anzahl der Verletzten beziffern die Vereinten Nationen mit über 24.000. Bei mehr als 2000 Todesopfern sowie etwa 6000 bis 7000 Verletzten handelt es sich um Zivilisten.19 Menschenrechtsorganisationen geben zudem an, etliche Fälle von Menschenrechtsverletzungen und Kriegsverbrechen dokumentiert zu haben.20 Im November 2016 erklärte die Chefanklägerin des Internationalen Strafgerichtshofs (ICC) in Den Haag, dass Anzeichen für einen internationalen bewaffneten Konflikt zwischen Russland und der Ukraine vorliegen.21 Die russische Regierung zog daraufhin ihre Unterschrift unter dem Statut des ICC zurück.
Neben tausenden Toten und Verletzten hat der Krieg auch zu enormen Flüchtlingsbewegungen geführt. Das ukrainische Ministerium für Sozialpolitik registrierte bis Mitte 2016 über 1,6 Millionen Binnenflüchtlinge; das Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen geht in seinen eigenen Berechnungen derweil von 800.000 bis einer Million Binnenflüchtlingen aus.22 Daneben haben knapp 1,5 Millionen Ukrainer seit Ausbruch des Krieges Asyl oder andere Formen des legalen Aufenthalts in Nachbarstaaten der Ukraine gesucht. Nach Angaben russischer Behörden sollen sich rund eine Million Ukrainer in der Russischen Föderation registriert haben.23
7.Für eine detaillierte Auflistung der im Krieg in der Ukraine involvierten regulären russischen Streitkräfte siehe Royal United Services Institute: Russian Forces in Ukraine
Die Donezker Volksrepublik ist ein von Separatisten kontrollierter Teil der Region Donezk im Osten der Ukraine. Sie entstand im April 2014 als Reaktion auf den Machtwechsel in Kiew und erhebt zusammen mit der selbsternannten Lugansker Volksrepublik Anspruch auf Unabhängigkeit. Seit Frühling 2014 gibt es in den beiden Regionen, die eine zeitlang Noworossija (dt. Neurussland) genannt wurden, Gefechte zwischen den Separatisten und der ukrainischen Armee.
Um den 20. Februar 2014 eskalierten die Ereignisse auf dem Kiewer Maidan. Welche Rolle spielten dabei Schüsse von Maidan-Aktivisten auf die Regierungskräfte? Ein brisantes Interview, das im russischen wie im ukrainischen Internet für Aufruhr sorgte.
Vor einem halben Jahr wurde in Minsk ein neuer Waffenstillstand für die Ostukraine beschlossen. An der Front wird noch geschossen, aber in Donezk ist es ruhig geworden. Ein Bericht aus der Hauptstadt der selbstproklamierten Volksrepublik.
Als kleine grüne Männchen, manchmal auch höfliche Menschen, werden euphemistisch die militärischen Spezialkräfte in grünen Uniformen ohne Hoheitsabzeichen bezeichnet, die Ende Februar 2014 strategisch wichtige Standorte auf der Krim besetzt haben. Bestritt Moskau zunächst jegliche direkte Beteiligung und verwies auf „lokale Selbstverteidungskräfte“, so gab Präsident Putin später zu, dass es sich dabei um russische Soldaten gehandelt hat. Die grünen Männchen sind inzwischen zu einem kulturellen Symbol geworden.
Awdijiwka und Donezk sind die Chiffren, die die Gefechte im Donbass zurück ins Bewusstsein bringen. Die russische Gesellschaft bleibe dabei seltsam teilnahmslos, meint Oleg Kaschin auf Republic und prognostiziert: Das Desinteresse wird sie noch einholen.
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