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Kampf zurück ins Leben

Wie finden ukrainische Kämpfer nach ihrem Armeedienst oder andere, die in russischer Gefangenschaft waren, den Weg zurück ins zivile Leben? Vor allem, wenn sie nach ihrem Einsatz an körperlichen oder psychischen Versehrungen und Traumata leiden und deswegen nicht in ihren alten Beruf zurückkehren können.

Die Journalistin Iryna Oliinyk erzählt für das ukrainische Online-Medium Zaborona die Geschichte eines Betroffenen, der nach der Gefangenschaft einen beruflichen Neuanfang mit Hilfe des zivilgesellschaftlichen Projekts Heart of Asovstal schaffte, das auch Soldaten hilft, die im Frühjahr 2022 bei der Verteidigung des Asow-Stahlwerks in Mariupol im Einsatz waren. 

Источник Zaborona

Gefangenschaft und Neuanfang

Hennadii Assheurow hat über 30 Jahre lang bei der Streifenpolizei von Mariupol gearbeitet. Was Krieg ist, wusste er schon seit 2014 sehr genau, denn seitdem befand sich sein Heimatdorf Hranitne an der Kampflinie. Im Februar 2022 sollte der Mann in den Ruhestand gehen. Er erinnert sich, dass am Abend des 23. Februar mit schwerem Beschuss begonnen wurde: Da gelang es den russischen Streitkräften, das Dorf abzuschneiden und einzukreisen. Wenige Tage später kamen Soldaten aus der sogenannten Donezker Volksrepublik und Luhansker Volksrepublik zu Hennadiis Haus und schnappten sich ohne Erklärung den Polizisten.

„Meine Familie und ich konnten nicht fliehen, alles ging sehr schnell“, erinnert sich Hennadii im Gespräch mit Zaborona. „Als die Besatzer mich holten, wussten sie genau, wer ich war und was ich machte, sie haben nicht einmal das Haus durchsucht. Sie brachten mich zur örtlichen Polizeistelle, wo ich seinerzeit den Dienst angetreten hatte, aber dort wurde ich nicht lange festgehalten.“ 

Dann ging es per Lastwagen in das besetzte Donezk: Zivilisten und Militärs zusammen, insbesondere vom Asow-Regiment und der Nationalgarde. Hennadii Assheurow berichtet, dass die Gefangenen hungerten und ihnen kein Wasser gegeben wurde. Während der Verhöre wurde Gewalt angewendet und psychologischer Druck ausgeübt. Einige Monate später wurde der Mann in die Strafkolonie in Oleniwka geschickt, wo er 40 Tage blieb.

 „Anfang Mai kam ich nach Oleniwka. Zu dieser Zeit war die Kolonie mit ukrainischen Gefangenen überfüllt, aber die Russen brachten weiterhin unsere Leute dorthin, die zu dieser Zeit aus dem Asowstal- und Illich-Werk kamen. Ich wurde viele Male verhört, sie versuchten, wenigstens kleine Hinweise zu bekommen, aber vergebens. Und sie konnten keine Anschuldigungen erheben. Am Ende setzten die Russen mich und über 20 Leute einfach vor die Tür und sagten: Ihr seid frei!“, behauptet der Mann aus Mariupol. Er erhielt eine Aufenthaltsbescheinigung in Oleniwka, aber um persönliche Gegenstände und Dokumente aus Donezk abzuholen, musste er 40 Kilometer zurücklegen. Und dann auf eigene Faust weiter in freies Gebiet. Nach seiner Freilassung hatte Hennadii Assheurow keine Ahnung, was er im zivilen Leben tun würde, da er aufgrund seiner Gesundheit und seines Alters nicht mehr zur Polizei konnte. Zusammen mit seiner Familie trat er in den Freiwilligendienst: Sie verteilten Lebensmittel an die Binnenvertriebenen. Das half, teilweise von den Gedanken an die Gefangenschaft und den Verlust der Heimat abzulenken, ergab aber keinen Plan für die Zukunft.

„Ich wandte mich an die Organisation Heart of Asovstal, wo mir kostenlose Schulungen im IT-Bereich angeboten wurden. Eines der Arbeitsfelder, die ich wählen konnte, war Human Resources, also das Personalmanagement. Ich kommuniziere gerne und knüpfe gerne neue Kontakte und Beziehungen, also interessierte mich das. Schließlich haben sich die früheren Erfahrungen aus der Polizeiarbeit als nützlich erwiesen. Die Online-Schulung bei dem Unternehmen Dan.IT dauerte sechs Monate“, sagt Assheurow.

So änderte der Mann sein Betätigungsfeld komplett: Im Alter von 55 Jahren begann er eine Karriere im Recruiting. Jetzt arbeitet Hennadii als Karriere-Mentor bei Heart of Asovstal: Nach dem Prinzip Peer-to-Peer hilft er den ehemaligen Kämpfern von Mariupol, eine interessante Richtung für Ausbildung und Umschulung zu wählen, und bietet umfassende Unterstützung bei der Arbeitsvermittlung. 

Die Organisation „Heart of Asovstal“ unterstützt ehemalige Soldaten, den Weg zurück ins zivile Leben zu finden / Foto © Heart of Asovstal

Psychologische Rehabilitation und Integration von Veteranen 

Tausende ehemalige Soldaten und Kriegsgefangene haben nach ihrer Rückkehr ins zivile Leben Schwierigkeiten: Wie soll man sich an das zivile Leben anpassen und in die Gesellschaft integrieren, fragt die Psychologin Natalja Schewtchenko. Ihr zufolge sind für die effektive Integration von Kriegsdienstleistenden in aller erster Linie die Stabilisierung des psychischen Zustandes und die Aufarbeitung der mit dem Krieg verbundenen Traumata notwendig.

„Die Veteranen spüren das besonders nach Verletzungen. Und dabei es geht nicht unbedingt um die Amputation von Gliedmaßen. Es gibt viele unsichtbare Verletzungen: Schädeltrauma, Gedächtnisverlust, Konzentrationsschwäche, die Gliedmaßen sind nicht voll funktionsfähig oder es gibt Rückenprobleme. Für solche Menschen ist es sehr schwierig, sich vorzustellen, wo sie in Zukunft arbeiten und was sie tun können“, sagt die Psychologin von Heart of Asovstal. — Dies sei insbesondere für Soldaten über 40 Jahre ein Problem. „Sie glauben nicht, dass sie lernen und umschulen können.“ 

Der Spezialistin zufolge dauert die psychologische Rehabilitation mindestens drei Monate. Eine der größten Herausforderungen bestehe darin, Veteranen bei der Überwindung von Folgen einer posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS) zu helfen.

„Die Veteranen versuchen in der Regel einfach, ihre Kriegserfahrungen loszuwerden, indem sie alles verdrängen, was mit ihnen geschehen ist. Psychologen versuchen, ihnen dabei zu helfen, das, was sie durchgemacht haben, zu akzeptieren und zu lernen, damit zu leben. Außerdem haben die Veteranen einen geschärften Sinn für Gerechtigkeit, also werden sie durch alles getriggert, was mit dem normalen zivilen Leben außerhalb des Krieges zu tun hat. Wenn Menschen sich entspannen und irgendwo hingehen und das Leben genießen und woanders geht der Krieg weiter, ist das für sie wie zwei Parallelwelten“, bemerkt Natalja Schewtschenko. Die Verteidiger von Mariupol können von Heart of Azovstal umfassende Unterstützung im Rahmen der psychologischen Rehabilitation erhalten. Man kann sich einer Therapie in einem individuellen Format oder während des Gruppenunterrichts unterziehen.

„Wir führen eine sehr effektive Form der psychologischen Rehabilitation für Soldaten durch — das ist Dekompressionstherapie und körperliche sowie psychische Erholung, die sehr gute Ergebnisse zeigt“, erklärt Shewtschenko. „Wir arbeiten mit kleinen Gruppen von zwölf ehemaligen Soldaten und bringen sie in Rehakliniken, wo Psychologen zweimal täglich Gruppentherapie mit ihnen machen – hauptsächlich Kunst- und Reittherapie. So schaffen wir eine Gemeinschaft und zeigen Veteranen, dass sie nicht allein mit ihren Problemen sind, sondern unter anderen Veteranen, die auch diesen Weg hinter sich haben.“

„Die Veteranen versuchen in der Regel einfach, ihre Kriegserfahrungen loszuwerden, indem sie alles verdrängen, was mit ihnen geschehen ist.“ – Soldat in ukrainischer Uniform (Symbolbild) / Foto © IMAGO/Pond5 Images

Demobilisierung und die Perspektiven

Auch wenn es auf dem ukrainischen Arbeitsmarkt derzeit in vielen Branchen an Arbeitskräften mangelt, sind einige Arbeitgeber nicht bereit, demobilisierte Soldaten einzustellen, betont Natalja Slynko, Inhaberin der Consulting Firma Talent Match. Die Expertin erklärt, dass dies teilweise darauf zurückzuführen ist, dass die Arbeitgeber nicht wissen, wie sie mit Veteranen umgehen sollen und dass sie nicht bereit sind, deren Bedürfnisse zu berücksichtigen. Dazu gehört vor allem die Schaffung spezieller Arbeitsplätze für die Bedürfnisse der Veteranen gemäß den gesetzlichen Anforderungen, die von den Unternehmen eingehalten werden müssen. Ein Soldat wird in der Regel aus Gründen der körperlichen oder geistigen Gesundheit demobilisiert, so dass er ein ärztliches Attest und einen Nachweis für Rehamaßnahmen hat. Dort sind insbesondere die Arbeitsbedingungen festgelegt, die bei der Einstellung eines Veteranen zu berücksichtigen sind.

„Der Arbeitgeber ist verpflichtet, einen besonderen Arbeitsplatz zu schaffen – so sagt es das Arbeitsrecht. Dies gilt ausnahmslos für alle Veteranen, die über eine Bescheinigung der Medizinischen und Sozialen Expertenkommission (MSEC) verfügen. In diesem Dokument sind die Bedingungen festgelegt, die erfüllt sein müssen, damit die Rechte eines Veteranen nicht verletzt werden“, betont Natalja Slynko. „Normalerweise sind diese Bedingungen sehr individuell, aber manchmal widersprechen sie dem, was eine Person körperlich tun kann. Für einen Arbeitgeber ist es äußerst schwierig, einen Arbeitsplatz zu schaffen, der der Beschreibung in der Bescheinigung entspricht. Außerdem drohen den Unternehmen hohe Bußgelder, wenn sie diese gesetzlichen Vorgaben nicht einhalten.“

Ausbildung und Schulung von Veteranen

Laut Natalja Slynko sind heute nur große ukrainische Unternehmen und Firmen sozial orientiert und bereit, demobilisierte Soldaten umzuschulen und anzustellen. Und das gilt nur für Personen, die zuvor schon in dem jeweiligen Unternehmen gearbeitet haben, denn in vielen Fällen haben die Arbeitgeber diesen Arbeitsplatz nicht neu besetzt. Die Expertin macht darauf aufmerksam, dass es auf dem Arbeitsmarkt fünf bis sieben solcher Unternehmen gibt, die den Veteranen wirklich helfen, sich an ein neues berufliches Umfeld anzupassen – dafür gibt es spezielle Programme. 

„Ich weiß mit Sicherheit, dass Ukrsalisnyzja viel in dieser Richtung tut, weil man dort den größten Prozentsatz an mobilisierten Mitarbeitern unter den ukrainischen Unternehmen hat. Solche Unternehmen finden einen neuen Arbeitsplatz innerhalb ihrer Strukturen und schulen den Veteranen entsprechend um. Sie haben ein Zentrum für die Schulung und Zertifizierung von Mitarbeitern, und sie tun dies auf eigene Faust und auf eigene Kosten“, sagt die Recruiterin. „Es gibt auch andere Unternehmen, die ehemaligen Soldaten helfen, einen neuen Beruf innerhalb der Strukturen zu finden, aber dies wird durch Mentoring und Beratung von Kollegen umgesetzt.“

ORGANISATION FÜR DIE UNTERSTÜTZUNG VON VETERANEN

Das Projekt Heart of Azovstal läuft seit Februar 2023, um Soldaten zu unterstützen, die seit Beginn der groß angelegten Invasion der Russischen Föderation an der Verteidigung von Mariupol teilgenommen haben. Seitdem erhielten etwa 6000 Verteidiger der besetzten Stadt im Rahmen der Rehabilitation umfassende Hilfe nach ihrer Gefangenschaft. 

Laut Tetjana Kuchozka, ebenfalls bei Heart of Azovstal beschäftigt, bekommen die Soldaten nach ihrer Entlassung mit Hilfe des Projekts eine langfristige physische und psychische Behandlung. Die NGO hilft Veteranen auch bei einer schnellen Anpassung an das zivile Leben, insbesondere bietet sie drei Optionen an: 

  • eine kostenlose Ausbildung oder Besuch von Kursen an Hochschulen der Ukraine
  • einen Arbeitsplatz der jeweiligen Fachrichtung mit der Möglichkeit der Aus- und Weiterbildung
  • Gründung eines eigenen Unternehmens.

„Im Rahmen unseres Zukunftsprogramms werden derzeit 145 ehemalige Soldaten ausgebildet, um neue berufliche Fähigkeiten zu erlernen oder ihre Qualifikationen zu erweitern. Das sind vor allem Berufe im Bereich IT und Cybersicherheit sowie Fahrerberufe“, sagt Tetjana Kuchozka. Im Umschulungsprozess durchläuft ein Soldat alle Phasen mit Unterstützung eines Psychologen und eines beruflichen Mentors. Letzterer ist notwendig, um dem Veteranen zu helfen, aus den verschiedenen Berufen eine interessante und vielversprechende Richtung zu wählen, in der er sich erfolgreich einbringen kann. Der Mentor hilft auch dabei, die militärische Erfahrung im Lebenslauf korrekt und für den Arbeitgeber verständlich und überzeugend darzustellen.

„Während des Projekts haben wir festgestellt, dass Soldaten und andere Militärangehörige über sehr gute Managementfähigkeiten verfügen, die im zivilen Leben benötigt werden“, sagt die NGO-Vertreterin. „Sie haben auch Erfahrung mit der Arbeit in Krisensituationen und Kenntnisse in militärischer Dokumentation.“ Nach der Demobilisierung seien die Veteranen oft verwirrt und gestresst, denn der Dienst an der Front und das zivile Leben seien eben zwei verschiedene Welten. Nach einer Weile würden die Veteranen von Unsicherheit erfasst: „Oft können sie aufgrund von Verletzungen und dem sich verschlechternden Gesundheitszustand nicht mehr das gleiche tun wie vor dem Krieg.“

Hennadii Assheurow, beruflicher Mentor bei Heart of Azovstal, analysiert die Bedürfnisse, Fähigkeiten und Präferenzen jedes Kandidaten, um ein interessantes Tätigkeitsfeld anbieten zu können. Seiner Meinung nach können sich die ehemaligen Kämpfer von Mariupol in vielen Bereichen erfolgreich verwirklichen, indem sie ihre militärischen Vorerfahrungen nutzen. „Nach der Rückkehr ins zivile Leben hat man den Wunsch, sich in demselben Bereich weiterzuentwickeln, in dem man vor der russischen Invasion gearbeitet hat. Die meisten ehemaligen Soldaten lebten und arbeiteten in Mariupol. Daher binden wir im Rahmen des Projekts unsere Partnerunternehmen ein und suchen nach einem neuen Arbeitsplatz. Zu den beliebtesten gehören Sicherheitsdienste, weil die Jungs wissen, wie man mit Waffen umgeht und Befehle befolgt.“

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Krieg im Osten der Ukraine

Bei dem bewaffneten Konflikt im Osten der Ukraine beziehungsweise im Donbass handelt es sich um einen Krieg, der von seit April 2014 zwischen ukrainischen Streitkräften und Freiwilligenbataillonen auf der einen Seite sowie separatistischen Milizen der selbsternannten Volksrepubliken von Donezk und Luhansk (DNR und LNR) und russischen Soldaten auf der anderen Seite geführt wurde. Am 24. Februar 2022 befahl Putin den Angriff auf das Nachbarland – aus dem verdeckten ist ein offener Krieg geworden.

Die zentralen Vorgänge, die den Krieg in der Ostukraine bis dahin geprägt hatten: Vorgeblich ging es dabei um die Gebietshoheit der beiden ostukrainischen Verwaltungsbezirke Donezk und Luhansk – dem sogenannten Donbass, der zu etwa einem Drittel nicht unter Kontrolle der ukrainischen Regierung ist. In der Ukraine sowie in der Europäischen Union ist man bis heute überzeugt, dass Russland die Separatisten immer finanziell, personell und logistisch unterstützt hat. Demnach hat Russland den Donbass vor allem als Instrument genutzt, um die Ukraine langfristig zu destabilisieren und somit gleichzeitig kontrollieren zu können. Russland hatte eine militärische Einflussnahme und Destabilisierungsabsichten stets bestritten.

Die Entstehung des Krieges und wie die EU und die USA mit Sanktionen darauf in dem jahrelangen Konflikt reagiert hatten – ein Überblick. 

Nachdem Ende Februar 2014 der ukrainische Präsident Janukowytsch im Zuge der Maidan-Proteste gestürzt wurde, russische Truppen kurze Zeit später die Krim okkupierten und die Annexion der Halbinsel auf den Weg brachten, ist die Situation im Donbass schrittweise eskaliert.

Zunächst hatten pro-russische Aktivisten im April 2014 Verwaltungsgebäude in mehreren ostukrainischen Städten besetzt. Forderungen, die hier artikuliert wurden, waren diffus und reichten von mehr regionaler Selbstbestimmung bis hin zur Unabhängigkeit von der Ukraine und einem Anschluss an Russland.

Während sich in Charkiw die Situation nach der polizeilichen Räumung der besetzten Gebietsverwaltung rasch entspannte, kam es in Donezk und Luhansk zur Proklamation eigener Republiken. Parallel wurden Polizeistationen und Gebäude des ukrainischen Inlandsgeheimdienstes gestürmt sowie dortige Waffenarsenale gekapert. Wenige Tage später traten in der Stadt Slowjansk (Donezker Verwaltungsbezirk) unter dem Kommando des russischen Geheimdienstoberst Igor Girkin erste bewaffnete „Rebellen“ in Erscheinung. Girkin, der bereits zuvor an Russlands Okkupation der Krim beteiligt gewesen war und zwischen Mai 2014 und August 2014 als Verteidigungsminister der DNR fungierte, behauptete später, dass der Krieg im Donbass mitnichten aus einem Aufstand russischsprachiger Bewohner der Region resultierte. Er betonte indes, dass dieser „Aufruhr“ ohne das Eingreifen seiner Einheit schnell zum Erliegen gekommen wäre.1

Eskalation

Tatsächlich begannen die bewaffneten Kampfhandlungen in dem von Girkins Einheit besetzten Slowjansk. Um die Stadt zurückzugewinnen, startete die ukrainische Regierung eine „Anti-Terror-Operation“ mit Beteiligung der Armee. Während die Separatisten in den von ihnen kontrollierten Orten des Donbass im Mai 2014 sogenannte Unabhängigkeitsreferenden durchführen ließen, weiteten sich in der Folgezeit die Gefechte zwischen ukrainischen Streitkräften und Freiwilligenverbänden auf der einen und den Separatisten auf der anderen Seite stetig aus.

In deutschsprachigen Medien und in der internationalen Diplomatie wurde seither häufig von einer „Krise“ oder einem „Konflikt“ gesprochen. Tatsächlich erreichte die militärische Eskalation unter quantitativen Aspekten, die sich auf eine bestimmte Anzahl von zivilen und nicht-zivilen Opfern pro Jahr beziehen, bereits 2014 den Zustand eines Krieges.2 Auch unter qualitativen Gesichtspunkten erfüllte der bewaffnete Konflikt ab 2014 sämtliche Merkmale eines Krieges, wie ihn beispielsweise die Arbeitsgemeinschaft Kriegsursachenforschung der Universität Hamburg definiert3.

Neben der Involvierung russischer Freischärler und Söldner4 mehrten sich im Verlauf der kriegerischen Auseinandersetzungen Berichte über großkalibrige Kriegsgeräte, die den von den Separatisten kontrollierten Abschnitt der russisch-ukrainischen Grenze passiert haben sollen.5 Hierzu soll auch das Flugabwehrraketensystem BUK gehören, mit dem nach Auffassung des internationalen Ermittlungsteams das Passagierflugzeug MH17 im Juli 2014 über Separatistengebiet abgeschossen wurde.6 Reguläre russische Streitkräfte sollen indes ab August 2014 erstmalig in das Geschehen eingegriffen haben, nachdem die ukrainische Seite zuvor stetige Gebietsgewinne verbuchen und Städte wie Kramatorsk, Slowjansk, Mariupol und Awdijiwka zurückerobern konnte.7

Die EU verhängte im Sommer 2014 aufgrund der „vorsätzlichen Destabilisierung“8 der Ukraine weitreichende wirtschaftliche Sanktionen gegen Russland. Russland stritt eine Kriegsbeteiligung eigener regulärer Soldaten jedoch stets ab: So hätten sich beispielsweise Soldaten einer russischen Luftlandlandedivision, die in ukrainische Gefangenschaft geraten waren, nach Angaben des russischen Verteidigungsministeriums verlaufen und die Grenze zur Ukraine nur  aus Versehen überquert.9 Die russische Menschenrechtsorganisation Komitee der Soldatenmütter Russlands indes beziffert die Zahl russischer Soldaten, die im Spätsommer 2014 auf ukrainischem Territorium im Einsatz gewesen seien, mit rund 10.000.10

Einen Wendepunkt des Kriegsverlaufs stellte schließlich die Schlacht um die ukrainische Kleinstadt Ilowajsk dar, bei der die ukrainische Seite im September 2014 eine herbe Niederlage erfuhr und mehrere hundert gefallene Soldaten zu beklagen hatte.11

Die ukrainische Regierung hat die NATO mehrfach vergeblich um Waffenhilfe gebeten. Allerdings legte die NATO spezielle Fonds an, die zu einer Modernisierung der ukrainischen Streitkräfte beitragen sollen. Diese Fonds dienen unter anderem der Ausbildung ukrainischer Soldaten, der Verbesserung von Kommunikationsstrukturen, der Stärkung von Verteidigungskapazitäten im Bereich der Cyberkriegsführung sowie der medizinischen Versorgung von Soldaten.12 Darüber hinaus erhält die Ukraine Unterstützung in Form von sogenannter nichttödlicher Militärausrüstung wie Helmen und Schutzwesten, Funkgeräten und gepanzerten Geländewagen, unter anderem von den USA.13 

Verhandlungen

Die zunehmende Eskalation des Krieges brachte eine Intensivierung internationaler Vermittlungsbemühungen mit sich. Bereits im März 2014 hatte der Ständige Rat der OSZE eine zivile Sonderbeobachtermission für die Ukraine beauftragt und wenig später eine trilaterale Kontaktgruppe zwischen der Ukraine, Russland und der OSZE ins Leben gerufen. Auf Ebene der Staats- und Regierungschefs etablierte sich das sogenannte Normandie-Format zwischen der Ukraine, Russland, Deutschland und Frankreich. Im September 2014 machte es die Unterzeichnung des sogenannten Minsker Protokolls durch die OSZE-Kontaktgruppe möglich.

Nach anhaltenden Kämpfen, vor allem um den Flughafen von Donezk sowie die Stadt Debalzewe, kam es im Februar 2015 zu einem erneuten Zusammentreffen des Normandie-Formats in Minsk. Im Minsker Maßnahmenpaket (Minsk II) konkretisierten die Parteien sowohl einen Plan zur Entmilitarisierung als auch politische Schritte, die zur  Lösung des Konflikts beitragen sollten.

Das Maßnahmenpaket umfasst dreizehn Punkte, die schrittweise unter Beobachtung der OSZE umgesetzt werden sollen. Hierzu gehört der Waffenstillstand sowie der Abzug schwerer Kriegsgeräte und sogenannter „ausländischer bewaffneter Formationen“. Außerdem soll in der ukrainischen Verfassung ein Sonderstatus für die Separatistengebiete verankert werden. Nicht zuletzt sieht das Maßnahmenpaket vor, dass Kommunalwahlen in diesen Gebieten abgehalten werden. Außerdem soll die ukrainisch-russische Grenze wieder durch die ukrainische Regierung kontrolliert werden.14

Entwicklung seit Minsk II

Auch unmittelbar nach der Unterzeichnung des Minsker Abkommens hielten jedoch vor allem in Debalzewe heftige Gefechte an, bis die Stadt schließlich wenige Tage später unter die Kontrolle der Separatisten fiel. Auch hier soll – wie bereits zuvor in Ilowajsk – reguläres russisches Militär massiv in das Kriegsgeschehen eingegriffen haben.15 Erst nach dem Fall von Debalzewe nahmen die Kampfhandlungen ab. Zu Verletzungen der Waffenruhe, Toten und Verletzten entlang der Frontlinie kam es seither dennoch beinahe täglich.16 Dies macht eine Umsetzung des Minsker Maßnahmenpakets bis heute unmöglich.

Schwere Gefechte mit dutzenden Toten brachen zuletzt rund um die Stadt Awdijiwka aus. Awdijiwka, das im Sommer 2014 von ukrainischer Seite zurückerobert wurde und dem Minsker Protokoll entsprechend unter Kontrolle der ukrainischen Regierung steht, hat als Verkehrsknotenpunkt sowie aufgrund der dort ansässigen Kokerei eine besondere strategische und ökonomische Bedeutung. Die Stadt ist in der Vergangenheit immer wieder unter Beschuss geraten.17 Im Januar 2017 kam es dort auch zur Zerstörung kritischer Infrastruktur: Dabei fielen in der Stadt bei Temperaturen von unter minus 20 Grad mehrere Tage die Strom-, Wasser- und Wärmeversorgung aus. Allein am 31. Januar 2017 berichtete die Sonderbeobachtermission der OSZE von mehr als 10.000 registrierten Explosionen – die höchste von der Mission bisher registrierte Anzahl an Waffenstillstandsverletzungen.18

Laut Schätzungen der Vereinten Nationen aus dem Jahr 2019 sind seit Beginn des Krieges im Donbass rund 13.000 Menschen gestorben. Die Anzahl der Verletzten beziffern die Vereinten Nationen mit über 24.000. Bei mehr als 2000 Todesopfern sowie etwa 6000 bis 7000 Verletzten handelt es sich um Zivilisten.19 Menschenrechtsorganisationen geben zudem an, etliche Fälle von Menschenrechtsverletzungen und Kriegsverbrechen dokumentiert zu haben.20 Im November 2016 erklärte die Chefanklägerin des Internationalen Strafgerichtshofs (ICC) in Den Haag, dass Anzeichen für einen internationalen bewaffneten Konflikt zwischen Russland und der Ukraine vorliegen.21 Die russische Regierung zog daraufhin ihre Unterschrift unter dem Statut des ICC zurück. 

Neben tausenden Toten und Verletzten hat der Krieg auch zu enormen Flüchtlingsbewegungen geführt. Das ukrainische Ministerium für Sozialpolitik registrierte bis Mitte 2016 über 1,6 Millionen Binnenflüchtlinge; das Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen geht in seinen eigenen Berechnungen derweil von 800.000 bis einer Million Binnenflüchtlingen aus.22 Daneben haben knapp 1,5 Millionen Ukrainer seit Ausbruch des Krieges Asyl oder andere Formen des legalen Aufenthalts in Nachbarstaaten der Ukraine gesucht. Nach Angaben russischer Behörden sollen sich rund eine Million Ukrainer in der Russischen Föderation registriert haben.23


1.vgl.: Zavtra.ru: «Kto ty, «Strelok»?» und Süddeutsche Zeitung: „Den Auslöser zum Krieg habe ich gedrückt“
2.vgl. University of Uppsala: Uppsala Conflict Data Program
3.vgl. Arbeitsgemeinschaft Kriegsursachenforschung der Universität Hamburg: Laufende Kriege
4.Neue Zürcher Zeitung: Nordkaukasier im Kampf gegen Kiew
5.The Guardian: Aid convoy stops short of border as Russian military vehicles enter Ukraine sowie Die Zeit: Russische Panzer sollen Grenze überquert haben
6.vgl. Frankfurter Allgemeine Zeitung: Minutiös rekonstruiert
7.Für eine detaillierte Auflistung der im Krieg in der Ukraine involvierten regulären russischen Streitkräfte siehe Royal United Services Institute: Russian Forces in Ukraine
8.vgl. europa.eu: EU-Sanktionen gegen Russland aufgrund der Krise in der Ukraine
9.vgl. tass.ru: Minoborony: voennoslzužaščie RF slučajno peresekli učastok rossijsko-ukrainskoj granicy
10.vgl. TAZ: Es gibt schon Verweigerungen
11.vgl.Frankfurter Allgemeine Zeitung: Ein nicht erklärter Krieg
12.vgl. nato.int: NATO’s support to Ukraine
13.vgl. Die Zeit: US-Militärfahrzeuge in Ukraine angekommen
14.vgl. osce.org: Kompleks mer po vypolneniju Minskich soglašenij
15.vgl. ViceNews: Selfie Soldiers: Russia Checks in to Ukraine
16.vgl. Frankfurter Allgemeine Zeitung: Wer bricht den Waffenstillstand?
17.vgl. Die Zeit: Wo Kohlen und Geschosse glühen
18.osce.org: Latest from the OSCE Special Monitoring Mission to Ukraine (SMM), based on information received as of 19:30, 31 January 2017
19.vgl.: Office of the United Nations High Commissioner for Human Rights: Report on the human rights situation in Ukraine: 16 August to 15 November 2016
20.vgl. Helsinki Foundation for Human Rights/Justice for Peace in Donbas: Surviving hell - testimonies of victims on places of illegal detention in Donbas
21.vgl. International Criminal Court/The Office of the Prosecutor: Report on Preliminary Examination Activities 2016
22.vgl. unhcr.org: Ukraine
23.vgl. unhcr.org: UNHCR Ukraine Operational Update
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Donezker Volksrepublik

Die Donezker Volksrepublik ist ein von Separatisten kontrollierter Teil der Region Donezk im Osten der Ukraine. Sie entstand im April 2014 als Reaktion auf den Machtwechsel in Kiew und erhebt zusammen mit der selbsternannten Lugansker Volksrepublik Anspruch auf Unabhängigkeit. Seit Frühling 2014 gibt es in den beiden Regionen, die eine zeitlang Noworossija (dt. Neurussland) genannt wurden, Gefechte zwischen den Separatisten und der ukrainischen Armee.

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Grüne Männchen

Als kleine grüne Männchen, manchmal auch höfliche Menschen, werden euphemistisch die militärischen Spezialkräfte in grünen Uniformen ohne Hoheitsabzeichen bezeichnet, die Ende Februar 2014 strategisch wichtige Standorte auf der Krim besetzt haben. Bestritt Moskau zunächst jegliche direkte Beteiligung und verwies auf „lokale Selbstverteidungskräfte“, so gab Präsident Putin später zu, dass es sich dabei um russische Soldaten gehandelt hat. Die grünen Männchen sind inzwischen zu einem kulturellen Symbol geworden.

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