Spätestens seit Donald Trumps Einzug ins Weiße Haus im Januar 2017 schaut die Welt gespannt auf die wechselhaften Beziehungen zwischen Russland und den USA.
Aktuell sind die politischen Beziehungen anhaltend auf einem Tiefpunkt. Das war nicht immer so, im Gegenteil. Anfang der 1990er Jahre wünschte sich die große Mehrheit noch die USA als Kooperationspartner.
Wie kam dieser radikale Umschwung zustande? In welchem Zusammenhang stehen die Umfragewerte mit politischen Ereignissen im Verlauf der Zeit?
Quelle: Lewada
„Wie stehen Sie zu den USA?“ Diese repräsentative Infografik verdeutlicht die Höhen und Tiefen in den Zustimmungs- und Ablehnungswerten, wie sie das unabhängige Meinungsforschungsinstitut Lewada in regelmäßigen Abständen ermittelt. Wir haben diese Grafik mit einigen Ereignissen versehen, die das Auf und Ab der Linie erklären können. Um ein genaueres Bild zu bekommen, können Sie in bestimmte Zeiträume hineinzoomen.
Es fallen insgesamt vier steile Ausschläge auf, immer zum Zeitpunkt eines Krieges: im Kosovo, Irak, Georgien und in der Ukraine. Auch dazwischen gab es viel Bewegung, doch wenn man das gesamte Bild betrachtet, dann fällt auf, dass bis zur Angliederung der Halbinsel Krim auf jeden Anstieg ein nahezu symmetrischer Wiederabfall folgte.
Die russische Soziologie erklärt das Auf und Ab mit dem besonderen Verhältnis vieler Russen zur Supermacht USA: Die USA seien für sie der wichtigste Referenzpunkt, so etwas wie das Maß aller Dinge – sowohl in positiver wie auch in negativer Hinsicht.
Große Linien
Nach der jahrzehntelangen Feindschaft im Kalten Krieg standen die Zeichen im Russland der frühen 1990er Jahre ganz auf Freundschaft: Wenn Hilfe von außen erwartet wurde – dann vor allem von den USA. Wenn nach einem Land gefragt wurde, mit dem Russland in erster Linie zusammenarbeiten sollte – auch dann wurden die Vereinigten Staaten genannt. Die USA als Feind? Mitte der 1990er Jahre sahen das nur rund sieben Prozent der Befragten so.1 Bis heute hat sich dieses Bild allerdings umgekehrt, und zwar nahezu parallel zum Wandel der bilateralen Beziehung zwischen Russland und den USA.
Der erste Stimmungswandel kam in den Jahren 1998 und 1999. Damals fielen viele Ereignisse zusammen: die Nato-Intervention im Kosovokrieg, die Russland kritisierte, der Zweite Tschetschenienkrieg, der massive Kritik des Westens am russischen Vorgehen nach sich zog, die erste Nato-Osterweiterung vom 12. März 1999, die wiederum für Zerwürfnisse sorgte.
Der demonstrative Schulterschluss nach dem 11. September 2001 verpuffte schnell – Anfang 2002 kündigten die USA an, einseitig vom ABM-Vertrag zurückzutreten, der seit 1972 die Begrenzung von Raketenabwehrsystemen regelte. Hintergrund waren Pläne der Bush-Regierung ein nationales Raketenabwehrsystem zu installieren, was in Russland auf Skepsis traf.
Zum ersten sichtbaren Bruch zwischen den USA und Russland kam es schließlich in den Jahren 2003 und 2004. Der Irakkrieg, die bunten Revolutionen in Georgien und der Ukraine sowie die zweite Nato-Osterweiterung führten zu einer massiven Verschlechterung der Beziehungen zwischen beiden Ländern.
Seit Mitte der 2000er Jahre werden die USA in Meinungsumfragen zu einem der größten Feinde Russlands gezählt. Die Rede, die Präsident Wladimir Putin auf der Münchner Sicherheitskonferenz im Jahr 2007 hielt, wurde vor diesem Hintergrund als eine „Brandrede“ aufgefasst, für viele Beobachter markierte sie eine Wende in der russischen Außenpolitik.
Einen weiteren Tiefpunkt in den Beziehungen markierte der Georgienkrieg 2008. Der Amtsantritt Barack Obamas, der kurz danach proklamierte „Reset“ und der Richtungswechsel hinsichtlich des von George W. Bush forcierten Raketenabwehrschirms bewirkten zwar eine neuerliche Annäherung, doch das war nur ein kurzes Intermezzo. Die Angliederung der ukrainischen Halbinsel Krim, der Krieg in der Ostukraine, die daraufhin als Antwort verhängten Sanktionen und der Krieg in Syrien entzweiten Russland und die USA nachhaltig.
Parallele Linien – was die Grafik nicht sagt
Doch wie hängen all diese Ereignisse mit dem öffentlichen Meinungsbild in Russland zusammen? Warum sind die ermittelten Zustimmungs- und Ablehnungswerte nahezu deckungsgleich mit der jeweiligen politischen Linie des Kreml?
Zum einen kann der Zusammenhang damit erklärt werden, dass die Befragten sich bei solchen Umfragen unter Anpassungsdruck wähnen und deshalb nicht ihre eigentliche Meinung äußern, sondern die sozial erwartbare. Soziale Erwünschtheit nennt man diesen Effekt. Zum anderen sind Amerikakritik und Antiamerikanismus global anzutreffende Haltungen, die sich bei solchen Ereignissen wie dem Irakkrieg in vielen Ländern verstärken, nicht nur in Russland.2
Außerdem spiegeln sich in Umfragen auch vielschichtige individualpsychologische Phänomene, wie zum Beispiel eine Neigung zu Stereotypen oder Verschwörungstheorien.
Jenseits solcher Erklärungen stellen viele unabhängige Beobachter – sowohl in Russland als auch im Westen – einen weiteren möglichen Zusammenhang fest: Seit über zehn Jahren werden mit jeder Verschlechterung der bilateralen Beziehungen auch mittels Propaganda die gewünschten Stimmungen in der Gesellschaft erzeugt.3 Staatliche und kremlnahe Medien konstruieren demnach Feindbilder und tragen so zum Selbstbild Russlands als „belagerter Festung“ bei. Dies lenke erstens von innenpolitischen Problemen ab und stelle zweitens „Gefahren“ her, die eine einende Kraft entfalten und das Volk hinter dem Präsidenten versammeln.
Mit dem Amtsantritt Donald Trumps schien sich die Situation zunächst zu ändern. Der neue amerikanische Präsident gab sich bisweilen betont Putin-freundlich. Und in den unabhängigen russischen Medien häufte sich schon die Frage, wie das russische Herrschaftssystem ohne ein Feindbild auskommen könne.
Die großen Erwartungen an eine Annäherung zerschlugen sich aber bereits während Trumps ersten Monaten im Amt. Anfang August 2017 setzte er seine Unterschrift unter die neuen Sanktionen gegen Russland, die sich unter anderem für die Angliederung der Krim und die mutmaßliche Einmischung in die US-Präsidentschaftswahlen richten.
Vor allem Russlands Rohstoffgeschäft, das einen großen Teil des Staatshaushalts ausmacht, kann durch diese Sanktionen betroffen werden. Der Außenpolitik-Experte Wladimir Frolow kommentierte die erste Reaktion der politischen Elite Russlands als Panik.4
Panik kam auch auf, nachdem die USA im April 2018 neue Sanktionen beschlossen: Wegen mutmaßlicher Einmischung in den US-Präsidentschaftswahlkampf fielen 24 russische Oligarchen und mehr als ein Dutzend Unternehmen unter die neuen Sanktionen. Die Finanzmärkte in Moskau taumelten, der Rubel verlor rund zehn Prozent gegenüber dem Euro, manche Analysten sprachen vom Schwarzen Montag an der Moskauer Börse.
Einige Tage zuvor hatten die USA außerdem beschlossen, 60 russische Diplomaten auszuweisen. Damit demonstrierten sie einen Schulterschluss mit anderen westlichen Ländern, die wegen des Falls Skripal ebenfalls russische Diplomaten des Landes verwiesen.
Den vorläufigen Tiefpunkt in der Eskalationsspirale bildete der von den USA im April 2018 initiierte Luftangriff auf syrische Lager und Forschungseinrichtungen für Chemiewaffen. Die Angriffe waren eine Reaktion auf den mutmaßlichen Giftgaseinsatz durch das syrische Regime. Einige russische Politiker drohten im Vorfeld des Luftangriffs mit einem Gegenschlag, sodass manche Beobachter schon die zweite Kuba-Krise heraufziehen sahen. Da Russland nicht mit militärischen Mitteln auf den Angriff reagierte, trat das Szenario nicht ein. Trotz Aufatmens bedeutete der Angriff aber dennoch eine neue Verschärfung des Konflikts zwischen Russland und den USA.
Vor dem Hintergrund anhaltend schlechter Beziehungen zwischen Russland und den USA staunten viele Beobachter, als die antiamerikanischen Stimmungen in der russischen Gesellschaft nach der Fußball-WM 2018 rapide sanken. Das Ab in der Kurve erklärten sie mit rund drei Millionen ausländischen WM-Touristen, die das seit Jahren verbreitete Bild des russophoben Ausländers ins Wanken brachten. Die renommierte russische Politologin Lilija Schewzowa etwa meinte in diesem Zusammenhang, dass die propagandistischen Feindbilder mitsamt der Formel belagerte Festung immer weniger Anklang fänden: „Allem nach zu urteilen ist den russischen Bürgern sehr bewusst, dass die Konfrontation Russlands mit dem Westen ein Ablenkungsmanöver ist: von innenpolitischen Problemen und von der Unfähigkeit der Regierenden, diese zu lösen“, so Schewzowa.
Text: Anton Himmelspach
aktualisiert am 19.04.2018