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Der Rubel bleibt unter der Matratze

Die jüngste Umfrage des Lewada-Zentrums zeigt, dass die Konsumbereitschaft der Privathaushalte weiter sinkt. Es mangelt an Ressourcen. Marina Krassilnikowa, Leiterin der Abteilung für Einkommens- und Konsumstudien des unabhängigen Instituts, erläutert die Daten. Alles deutet darauf hin: Die Krise ist in den Köpfen angekommen.

Источник Ogonjok

Im Verlauf des vergangenen Jahres haben die von uns befragten Personen über sinkende Einkommen berichtet, die Einschätzung des eigenen Wohlstands hat sich kontinuierlich verschlechtert. Beides beeinflusste selbstverständlich das Konsumklima. Unsere Mitbürger haben endgültig realisiert, dass die Krise lange anhalten wird: 75 % der Bevölkerung sind überzeugt, dass sie erst in einigen Jahren überwunden werden kann, während der Anteil der Optimisten, die glauben, dass sich die Lage schon in etwa anderthalb Jahren verbessern könnte, bei ca. 20 %  liegt.

Diese Stimmungen beeinflussen auch das Verhalten: Der Dezember – eigentlich der Monat, in dem seit jeher die Neujahrsgeschenke1 gekauft werden – war im Jahr 2015 geradezu ein Fiasko. Der Anstieg des Konsums fiel mit lediglich 2 % geringer aus als zu dieser Jahreszeit üblich. Hier schließe ich mich der Meinung einiger Kollegen an, dass die Konsumenten in einen Sparmodus geschaltet haben. Wobei das natürlich jeder auf seine Weise tut, je nach materieller Situation. Allerdings sparen so gut wie alle bei den Lebensmitteln.

Ressourcenmangel zwingt zur Konsumbeschränkung

Mit Sparen ist hier jedoch nicht gemeint, dass weniger gekauft wird. Oft versuchen die Menschen einfach, günstiger einzukaufen. Der Preis ist inzwischen das wichtigste Kriterium bei der Produktwahl. Was schade ist: Die russischen Verbraucher hatten sich gerade ein kleines Stück von diesem „Armutsschema“ entfernt und angefangen, mehr auf Qualität und Marke zu achten, und schon geht es wieder rückwärts.

Wird das Verbraucherverhalten rationaler? In gewissem Sinne ja, aber es ist eine erzwungene Rationalität, wenn man spart, nicht, weil man geschickt mit Geld umgeht und seine Haushaltskasse kalkuliert, sondern einfach, weil man kein Geld hat.

Einen festen Platz hat weiterhin der Geltungskonsum – die Demonstration von sozialem Status durch Anschaffungen. Allerdings können wir hier strukturelle Veränderungen beobachten. In den Nullerjahren, vor der Krise, gehörten zum demonstrativen Massenkonsum die Anschaffung von Kleidung und Urlaubsreisen ins Ausland. Heute demonstrieren Menschen, deren Geld gerade so zum Leben reicht, ihren Konsumstatus eher, indem sie teurere Lebensmittel kaufen. Das spricht natürlich Bände.

Kaum Aussicht auf Belebung des Konsums

Was die Prognose für die kommenden Monate angeht, gibt es bisher keine guten Nachrichten. Im Januar ist der Index des Konsumklimas, den das Lewada-Zentrum monatlich auf Basis von Umfragen unter der Bevölkerung Russlands erhebt, im Vergleich zum Dezember um 13 % gesunken. Dies deutet darauf hin, dass die Menschen vermehrt auf Konsumausgaben verzichten werden. Zugleich werden die Inflationserwartungen weiter ansteigen und der „Sparmodus“ andauern.

Bisher hatten die Menschen in einer Wirtschaftskrise versucht, Geld auszugeben, um die Ersparnisse in Sachgüter zu verwandeln und sie so vor der Inflation zu schützen. Dieses Verhaltensmuster verschwindet jetzt. Heute hält man an seinen Ersparnissen fest, auch wenn sie bescheiden sind. Und darin liegt das Dilemma der aktuellen Krise: Es gibt Ersparnisse, aber niemand möchte sie ausgeben. Deshalb bleibt die Hoffnung, dass sich die Wirtschaft durch Ankurbeln des Konsums wieder in Schwung bringen ließe, vorerst nur eine Hoffnung.


1.In Russland werden die meisten Geschenke nicht zu Weihnachten, sondern zum Neujahrsfest gemacht.
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Russische Wirtschaftskrise 2015/16

Die Wirtschaftskrise im Herbst 2014 hatte Russland ökonomisch vor eine unsichere Zukunft gestellt. Drei unabhängige Entwicklungen setzten die russische Wirtschaft gleichzeitig unter Druck: der Einbruch des Ölpreises, wirtschaftliche Sanktionen gegen Russland sowie strukturelle Probleme, das heißt fehlende Anreize zu Investitionen und zur Steigerung der Produktivität. Erst mit der Erholung des Ölpreises 2017 kam es wieder zu einem leichten Wirtschaftswachstum.

Schon 2013 war die russische Wirtschaft trotz hoher Ölpreise kaum gewachsen (+1,8 Prozent)1. Da in Russland schon seit vielen Jahren weniger investiert wird als in vergleichbaren Ländern, wird pro Arbeitsstunde in Russland noch immer nur halb so viel hergestellt wie im EU-Durchschnitt.2 Durch die fehlende Wachstumsdynamik und weniger Spielraum im Staatshaushalt war die Ausgangslage vor der aktuellen Krise deutlich schlechter als im Vorfeld der globalen Finanzkrise 2009 (Wachstum in Russland 2008: +5,2 Prozent3).

Als der Ölpreis sich 2014 innerhalb weniger Monate halbierte, zog dies den Wert der russischen Exporte und damit auch die Nachfrage nach dem Rubel nach unten. Zusätzlich schwächten die westlichen Wirtschaftssanktionen die Währung. Großkonzerne wie Rosneft mussten Rubel in Dollar eintauschen, um ihre Kredite bei westlichen Banken zurückzuzahlen. Insgesamt flossen aus Russland 2014 netto 154 Milliarden US-Dollar Kapital ab – mehr als doppelt so viel wie 2013.4 Der Rubel verlor in der zweiten Jahreshälfte knapp 50 Prozent seines Werts zum Dollar.

 

Über den schwachen Rubel wurde die Krise für die russische Bevölkerung deutlich spürbar. Fast alle importierten Güter verteuerten sich schlagartig. Dies betraf keineswegs nur die bei der Mittelschicht beliebten Waren wie Elektronik, Möbel und Autos, sondern auch Lebensmittel und Medikamente. Die Beschränkung des Lebensmittel-Angebots durch die russischen Gegensanktionen verschärften diese Entwicklung noch. Die Inflation stieg in der Folge auf über 15 Prozent, für Lebensmittel auf über 20 Prozent.5 Da die Gehälter stagnierten, senkte die Inflation die realen Einkommen der russischen Bevölkerung, was den privaten Konsum im ersten Quartal 2015 um 8,8 Prozent einbrechen ließ.6 Im Vergleich zum Vorjahr erhöhte sich die Zahl der von Armut betroffenen Menschen in Russland um 2,1 Millionen.7

Der schwache Rubelkurs und die Inflation bewegten die russische Zentralbank im Dezember 2014 zu einer radikalen Erhöhung des Leitzinses auf 17 Prozent (zum Vergleich: In der Eurozone waren es zu diesem Zeitpunkt 0,05 Prozent).8 Höhere Zinsen können zwar eine Währung stärken und die Inflation dämpfen, allerdings erhöhen sich mit ihnen auch die Kosten der Kreditfinanzierung für Unternehmen und Privathaushalte. Durch den hohen Leitzins, das weiter sinkende Realeinkommen und die wetterbedingt besonders üppige Ernte stiegen die Verbraucherpreise im Jahr 2017 um nur noch 2,5 Prozent – für Russland ein historisch niedriger Wert.

Die fehlende Konsumnachfrage und die gestiegenen Finanzierungskosten stellten die russischen Unternehmen in der Wirtschaftskrise vor große Probleme.9 Im Jahr 2015 schrumpfte die russische Wirtschaft um 2,5 Prozent. Auch für 2016 gab die russische Statistikbehörde ROSSTAT noch ein leichtes Minus bei der Wachstumsrate bekannt (-0,2 Prozent).10

Das russische Finanzministerium verzeichnete 2015 ein Defizit im Staatshaushalt in Höhe von 3,4 Prozent des BIP. 2016 fiel der Fehlbetrag mit 3,7 Prozent des BIP noch größer aus, wobei die Regierung ihre Bilanz durch (Teil)Privatisierung von Staatskonzernen um etwa ein Prozent des BIP aufbesserte. Bei dem Fehlbetrag schlagen vor allem die gesunkenen Einnahmen aus Öl-Exporten sowie die um ein Drittel gestiegenen Militärausgaben zu Buche. Das Defizit verringerte sich 2017 auf 1,5 Prozent und wurde, wie bereits in der Krise 2009, aus dem Reserve-Fonds finanziert, der etwa 5 Prozent des russischen BIPs beträgt. Im Jahr 2018 erwartet das Finanzministerium durch den wieder gestiegenen Ölpreis einen leichten Haushaltsüberschuss.11


1.The World Bank: GDP growth (annual %) 
2.OECD.Stat: Level of GDP per capita and productivity 
3.The World Bank: Russia Economic Report 33: The Dawn of a New Economic Era? (hier interessant: S. 5) 
4.International Monetary Fund: Russian Federation: 2015 Article IV Consultation – Press Release; And Staff Report 
5.OECD.Stat: Consumer prices – annual inflation und OECD.Stat: Consumer prices – annual inflation, food 
6.OECD.Stat: Key Short-Term Economic Indicators: Private consumption (volume) 
7.The World Bank: Russia Monthly Economic Developments, August 2015 
8.The World Bank: Russia Economic Report 33: The Dawn of a New Economic Era? (hier interessant: Figure 19) 
9.Eine Ausnahme sind exportierende Unternehmen außerhalb der Ölindustrie, die vom schwachen Rubelkurs profitieren.
10.Bis Juli 2015 belief sich das Defizit allerdings bereits auf 2,8 % des BIP, siehe: Ria Novosti: Deficit federalʼnogo bjudžeta Rossii za janwarʼ-ijulʼ sostavil 2,8 % VVP 
11.Kluge, Janis (2018): Russlands Haushalt unter Druck, Berlin: Stiftung Wissenschaft und Politik, SWP-Studie 14/2018 
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Sanktionen

Als Reaktion auf die Angliederung der Krim und Russlands militärisches Eingreifen in der Ostukraine verhängten die EU und die USA im Jahr 2014 Sanktionen gegen Russland. 2018 beschlossen die USA neue Sanktionen, unter anderem wegen Hackerangriffen und Syrien. Seitdem wird diskutiert: Sind Sanktionen sinnvolle Mittel, um Moskau Grenzen aufzuzeigen? Oder schüren sie nur die Eskalation? Janis Kluge über die Strafmaßnahmen und ihre Wirkung.

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Gegensanktionen

Als Reaktion auf die westlichen Sanktionen, die nach der Angliederung der Krim gegen Russland verhängt wurden, reagierte Russland mit Gegensanktionen. Das russische Handelsembargo beinhaltet vor allem Einfuhrverbote für Lebensmittel. Während westliche Hersteller Exportverluste erlitten, verteuerten sich in Russland, nicht zuletzt durch die umstrittene Vernichtung von Lebensmitteln, die Preise für zahlreiche Nahrungsmittel.

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Zentralbank

Die Russische Zentralbank ist die Hüterin der Währungsstabilität. War die vorrangige Aufgabe der Zentralbank in den 1990ern, die Inflation des Rubels zu begrenzen,so konnte sie im letzten Jahrzehnt dank steigender Rohstoffexporte große Währungsreserven anhäufen. Ende 2014 musste die Zentralbank einen Teil der Reserven jedoch verkaufen, um den drastischen Kursverfall des Rubels zu verhindern.

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Higher School of Economics

Die Higher School of Economics zählt zu den wichtigsten russischen Hochschulen im Bereich der Wirtschafts- und Sozialwissenschaften. Die Reformuniversität wurde Anfang der 1990er gegründet, um Wirtschaftsexperten für den Aufbau der Marktwirtschaft auszubilden. Heute zählt die Hochschule zu den führenden Forschungsuniversitäten in Russland und nimmt auch politisch eine wichtige Rolle ein.

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Jewgeni Jasin

Jewgeni Jasin (1934–2023) war ein liberaler russischer Ökonom, der zunächst als Berater von Boris Jelzin und von 1994 bis 1997 dann als Wirtschaftsminister die Wirtschaftsreformen der Jelzinzeit entscheidend mitprägte. Auch nach seinem Ausscheiden aus der aktiven Politik war er weiterhin gesellschaftspolitisch aktiv: Jasin war Forschungsdirektor der Higher School of Economics, leitete die Stiftung Liberale Mission und war Kolumnist beim unabhängigen Radiosender Echo Moskwy. Als Vertreter der wirtschaftsliberalen Elite kritisierte er die zunehmende Autokratisierung in Putins Regime und forderte mehr Rechtsstaatlichkeit ein.

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Jegor Gaidar

Jegor Gaidar (1956–2009) war einer der wichtigsten Reformer der 1990er Jahre und gilt als Vater der russischen Marktwirtschaft. In der russischen Gesellschaft ist Gaidar sehr umstritten: Während seine Befürworter ihm zugute halten, dass er die Rahmenbedingungen für das private Unternehmertum in Russland schuf und das Land vor dem totalen wirtschaftlichen Kollaps bewahrte, lastet ihm der Großteil der Bevölkerung die Armut der 1990er Jahre an. Nach Gaidars Tod wurde ihm zu Ehren eine Stiftung gegründet: Diese fördert unter anderem (Wirtschafts)Wissenschaftler und engagiert sich für eine liberale Grundordnung. 

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Krim

Es war kein Zufall, dass die russische Präsidentschaftswahl 2018 am 18. März stattfand. Die Wahlbeteiligung und die rund 90-prozentige Zustimmung für Putin auf der Krim stellt der Kreml als eine Art zweites Referendum über die Zugehörigkeit der Halbinsel zu Russland dar. Gwendolyn Sasse über die mythenumwobene Region, das Narrativ der „russischen Krim“ und die Selbstwahrnehmung der Krim-Bewohner nach der Angliederung an Russland. 

 

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