Regelmäßig führt das renommierte Lewada-Zentrum repräsentative Umfragen durch, in denen es – unter anderem – im weitesten Sinne um kollektive Identitäten (und ihre Definitionen) geht. Auch 2017 und zuletzt im November und Dezember 2018 wurden 1600 Personen in Interviews zu Hause befragt.
Die Ergebnisse der vergangenen Jahre hat dekoder in Infografiken aufbereitet, detaillierte Informationen und Hintergründe zum Phänomen gibt es in den Russland-Analysen Nr. 365: Lusine Grigoryan und Vladimir Ponizovskiy analysieren die Entwicklung der nationalen Identität anhand der Einstellungen der Russen Immigranten gegenüber; Elizaveta Gaufman untersucht den modernen Nationalismus in sozialen Netzwerken in Russland.
Wie zuverlässig können Meinungsumfragen sein – im Allgemeinen und in Russland im Besonderen? Sozialwissenschaftler Grigori Judin im Interview auf Colta.ru – Teil 1.
Die verlustreiche Erfahrung des Krieges hatte tiefe Spuren im Gedächtnis der sowjetischen Kriegsgeneration hinterlassen. Ekaterina Makhotina über den Großen Vaterländischen Krieg in der russischen Erinnerungskultur – und über heutige vielschichtige Tendenzen zwischen Siegesstolz und Trauer.
Ist Russland nur Abklatsch westlicher Vorbilder oder aber erlösendes Vorbild für ein fehlgeleitetes Europa? Ulrich Schmid über kontroverse Debatten und ein Fenster, das zeitweilig auf und wieder zugeht.
Am 12. September 1959 ist die Raumsonde Luna-2 gestartet. Nach knapp eineinhalb Tagen schlug sie auf dem Mond auf – ihr Vorgänger war noch vorbeiflogen. Matthias Schwartz über das Raumfahrtprogramm der UdSSR.
In der Sowjetunion gab es keine soziologische Meinungsforschung. Erst mit der Gründung des Zentrums für Studien der Öffentlichen Meinung (WZIOM) im Jahr 1987 begann man, wissenschaftlich fundierte Bevölkerungsumfragen durchzuführen und Meinungsbilder zu erstellen. 1988 kam der Professor für Soziologie Juri Lewada an das Institut, unter dessen Leitung es ab 1992 zum führenden Meinungsforschungsinstitut Russlands wurde. Nach einer staatlichen Einmischung in die Zusammensetzung des Direktoriums verließ die gesamte Belegschaft 2003 das WZIOM und gründete das Analytische Zentrum Juri Lewada, kurz Lewada-Zentrum, mit Hauptsitz in Moskau. Dass auch das neue Institut regelmäßig die politischen Fehlentwicklungen in Russland kritisierte, sorgte für Unmut bei staatlichen Behörden. Bereits 2013 wurde es aufgefordert, sich freiwillig als ausländischer Agent zu registrieren. Das Institut wehrte sich, im September 2016 hat das Justizministerium es jedoch in das Agenten-Register aufgenommen. Damit befindet sich das Zentrum nun unter circa 140 stigmatisierten Organisationen. Wie vielen von ihnen droht nun auch dem Lewada-Zentrum das Ende.
Neben Umfrageergebnissen veröffentlicht das Lewada-Zentrum regelmäßig Analysen und Dossiers zum Zustand der russischen Gesellschaft. Zu den zentralen Publikationen zählt das Jahrbuch Öffentliche Meinung, das über längere Zeiträume Umfragedaten zu den Bereichen Politik, Wahlen und Wirtschaft, aber auch zu kulturellen und sozialen Themen erfasst. Für die Soziologie ist das Jahrbuch das Standardwerk zur öffentlichen Meinung.
Im Gegensatz zu den anderen großen russischen Meinungsforschungsinstituten, dem WZIOM und der Stiftung Öffentliche Meinung (FOM), gilt das Lewada-Zentrum nicht nur als unabhängig1, sondern auch als höchst professionell. Juri Lewada zählte zu den Begründern der modernen Soziologie Russlands, das Institut führt sein wissenschaftliches Vermächtnis soziologisch-sattelfest fort und bietet weitgehend ausgewogene und gut recherchierte Erkenntnisse über den Staat und die Gesellschaft Russlands.
Vor allem der langjährige Leiter des Zentrums Lew Gudkow kritisiert regelmäßig und in einer sehr pointierten Weise die politischen und gesellschaftspolitischen Fehlentwicklungen in Russland.2Dies brachte dem Institut in jüngerer Vergangenheit Probleme mit staatlichen Behörden ein. Da das Lewada-Zentrum auch für ausländische Auftraggeber Studien durchführt und dafür Honorare erhält, wurde es im Mai 2013 vom Justizministerium aufgefordert, sich in das Register ausländischer Agenten einzutragen. Das Zentrum lehnte dies mit der Begründung ab, es gehe keiner politischen Tätigkeit nach, sondern erforsche lediglich die öffentliche Meinung.
Aufgrund der Befürchtung, das Lewada-Zentrum könnte geschlossen werden, kam es im Sommer 2013 zu einer internationalen Protestwelle zahlreicher namhafter Wissenschaftler, die sich mit dem Institut solidarisierten.3 Ihr Druck konnte nicht lange aufrechterhalten werden: Kurz vor der Dumawahl verkündete das Justizministerium am 5. September 2016 in einem Fünfzeiler den Eintrag des Instituts in das Agenten-Register.4
Der damalige Leiter des Zentrums Lew Gudkow nahm die Nachricht mit einer Mischung aus „Verstimmung und Wut“ auf. Die Entscheidung bedeute das Ende unabhängiger soziologischer Forschung in Russland, so Gudkow. Das Zentrum habe nämlich keine anderen Möglichkeiten, als sich aus ausländischen Marktforschungsaufträgen zu finanzieren.5
Derzeit ist die Zukunft des Instituts komplett offen.
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AGORA ist eine bekannte russische Menschenrechtsorganisation, die sich juristisch für die Rechte von Aktivisten, Journalisten, Bloggern und Künstlern einsetzt. In jüngster Zeit geriet die Organisation in die Schlagzeilen, da sie vom Justizministerium als sog. ausländischer Agent registriert wurde.
Gesellschaft – Arnold Chatschaturow , Wjatscheslaw Polowinko
Soziologe Grigori Judin im Interview mit der Novaya Gazeta über die Atomisierung der russischen Gesellschaft, ihre Sehnsucht nach Zusammenhalt, und „TV-Solidarität“ als behelfsmäßiger Ersatz, dessen Wirkung schwindet.
Jewgeni Jasin (1934–2023) war ein liberaler russischer Ökonom, der zunächst als Berater von Boris Jelzin und von 1994 bis 1997 dann als Wirtschaftsminister die Wirtschaftsreformen der Jelzinzeit entscheidend mitprägte. Auch nach seinem Ausscheiden aus der aktiven Politik war er weiterhin gesellschaftspolitisch aktiv: Jasin war Forschungsdirektor der Higher School of Economics, leitete die Stiftung Liberale Mission und war Kolumnist beim unabhängigen Radiosender Echo Moskwy. Als Vertreter der wirtschaftsliberalen Elite kritisierte er die zunehmende Autokratisierung in Putins Regime und forderte mehr Rechtsstaatlichkeit ein.
Das Meinungsforschungsinstitut WZIOM veröffentlicht regelmäßig umfangreiche Umfragen zu politischen und sozialen Themen. Im Jahr 2003 wurde es von einem Forschungsinstitut in eine Aktiengesellschaft umgewandelt, die zu 100 Prozent dem Staat gehört. Inwieweit dies und die finanzielle Abhängigkeit von Regierungsaufträgen sich auf die Methoden und Ergebnisse der Studien auswirken, ist umstritten, insgesamt gilt das WZIOM aber als regierungsnah. Uneinigkeit herrscht auch darüber, ob Umfragen im gegenwärtigen politischen Klima überhaupt die Stimmung in der Bevölkerung repräsentativ abbilden können.
Zwei ehemalige Mitarbeiter des Staats-TV berichten, wie sich Information in Politik verwandelt hat. Das Fernsehen als solches, sagt einer von ihnen, gibt es nicht mehr.
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