Die Einschränkung der Menschenrechte in Russland geht weiter: Ein neues Gesetz hebelt die Urteile des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte aus. Auf seiner alljährlichen Pressekonferenz vermeidet Putin Aussagen zu den innenpolitischen Skandalen des Jahres und beschwört Stabilität und internationalen Einfluss Russlands, während türkische Staatsbürger mit Anfeindungen der Behörden zu kämpfen haben. Außerdem: Hype um den neuen Star Wars-Film.
Menschenrechte. Es sind keine guten Nachrichten zum Thema Menschenrechte,die in der vergangenen Woche in Russland für Schlagzeilen sorgten. Nachdem der Aktivist Ildar Dadin wegen der Teilnahme an vier nicht genehmigten Protestaktionen zu drei Jahren Haft verurteilt wurde, unterschrieb Präsident Wladimir Putin am Dienstag ein Gesetz, laut welchem Urteile des Gerichtshofes für Menschenrechte in Straßburg (EGMR) für Russland nicht mehr bindend sind. Moskau hat nun neu die Möglichkeit, dessen Urteile durch den Verfassungsgerichtshof zu prüfen. Stellt der fest, dass diese gegen das Grundgesetz verstoßen, müssen die Urteile des EGMR nicht mehr umgesetzt werden.
Die Staatsmedien begrüßen den Schritt. Nun habe die russische Justiz eine Möglichkeit erhalten, Entscheidungen des EGMR zu korrigieren, schreibt die regierungseigene Zeitung Russkaja Gazeta. Moskau müsse sich vor weiteren anti-russischen Entscheidungen des EGMR schützen, behauptet Ria Novosti. Nach dem politisch motivierten Entscheid in der Yukos-Affäre, bei der das Straßburger Gericht Moskau zu einer Zahlung von 1,9 Milliarden Euro an die ehemaligen Aktionäre des 2007 aufgelösten Ölkonzerns verurteilte, müsse in Zukunft mit allem gerechnet werden, gab sich die Nachrichtenagentur überzeugt.
Russland hat sich jedoch mit dem Beitritt zum Europarat 1996 und der zwei Jahre später erfolgten Ratifizierung der Europäischen Menschenrechtskonvention dazu verpflichtet, die Urteile des EGMR umzusetzen. Der Menschenrechtsaktivist Lew Ponomarjow kritisiert, dass Russland sich darauf beschränkt, Entschädigungssummen zu bezahlen, Aufforderungen zu systematischen Reformen würden hingegen nicht umgesetzt. Für viele russische Bürger ist das Gericht in Straßburg eine wichtige Instanz: Nach der Ukraine und Italien stammten 2014 die meisten anhängigen Fälle aus Russland. Die ehemaligen Yukos-Aktionäre haben den EGMR ebenso angerufen, wie etwa die Hinterbliebenen der Geiselnahme in Beslan, Opfer des Atomunfalls in Majak und auch die Anwälte von Ildar Dadin.
Jahrespressekonferenz des Kremls. Bereits zum elften Mal lud der Kreml zur Pressekonferenz von Präsident Putin, neben dem Direkten Draht der zweite mehrstündige Live-Auftritt pro Jahr des russischen Präsidenten. Und so versuchten mehr als 1000 akkreditierte Journalisten aus dem In- und Ausland mit lautem Rufen und selbstgemalten Schildern, Putin und seinen Pressechef Dimitri Peskow auf sich aufmerksam zu machen, um ihre Frage stellen zu können.
Angesichts der aktuellen Wirtschaftskrise interessierte die Pressevertreter hauptsächlich die Entwicklung des Ölpreises und wie stark die Pensionen 2016 der Inflation angepasst werden (vorgesehen ist eine Indexierung von vier Prozent). Ebenso angesprochen wurden die Proteste der Lastwagenfahrer, die immer noch gegen eine neue Maut protestieren oder das seit dem Abschuss der SU-24 stark belastete Verhältnis zur Türkei. Hier das komplette Transkript mit allen Details der knapp über dreistündigen Veranstaltung. Eine Frage betraf auch die innenpolitischen Skandale der letzten Monate: den Mord an Boris Nemzow, die Korruptionsaffäre um Generalstaatsanwalt Juri Tschaika oder die steile Karriere von Putins angeblicher Tochter und den Geschäften ihres Ehemannes. Putin vermied klare Antworten, wich aus. Im Online-Magazin znak.com schreibt die Fragestellerin später, wichtiger als überhaupt Antworten zu erhalten sei ihr gewesen, dass solche Fragen im landesweiten Fernsehen überhaupt gestellt würden.
Während Vedomosti auf der Pressekonferenz einen eher müden, uninteressierten Putin sah, welcher aus Gründen der Staatsräson mit diesem öffentlichen Auftritt Stabilität zu demonstrieren versuchte, zeigte sich die kremltreue Presse zufrieden. Schützend habe sich der Präsident vor den Generalstaatsanwalt und die Minister gestellt, welche von der Opposition angegriffen wurden. Damit demonstriert Putin, dass der Kreml in Krisenzeiten erst recht nicht auf Druck reagiere, schreibt der Moskovski Komsomolets. Der Präsident habe gezeigt, wer am Steuer sitzt und das seine Hände nicht zittern, so die Zeitung weiter. Noch weiter ging der Politologe Sergej Markow in einem Kommentar für Izvestia: Es sei egal, dass auf der Pressekonferenz mit keinen wirklichen Neuigkeiten aufgewartet wurde. Die russische Armee in Syrien und die humanitären Konvois, mit welchen Moskau seit mehr als einem Jahr den Donbass versorgt, sprechen im Namen Putins. Der Präsident spreche nicht durch Worte, sondern er liebe es, seine Taten für sich sprechen zu lassen. Und dafür lieben ihn die Bürger und fürchten ihn seine Gegner, schreibt Markow weiter.
Türkei. Welche realen Konsequenzen die scharfe Rhetorik russischer Offizieller hat, zeigt sich dieser Tage. Bereits bevor mit Jahreswechsel das Gesetz in Kraft tritt, das russischen Arbeitgebern untersagt, Menschen mit türkischem Pass anzustellen, nimmt der Druck auf die rund 200.000 türkischen Staatsbürger zu, welche in Russland arbeiten oder studieren. Wie Mediazona schreibt, sehen sich diese plötzlich verstärkten Kontrollen ausgesetzt, etwa bei der Passkontrolle am Flughafen oder durch den Föderalen Migrationsdienst, der verstärkt Kontrollen an den Arbeitsorten durchführt. Meduza.io berichtet gar von Studenten, die ihre Studienplätze wegen angeblichen Drogenmissbrauchs oder des Verdachts auf Terrorismus verloren haben.
Star Wars. Der mittlerweile siebte Teil der Star Wars-Reihe sorgt auch in Russland für Aufsehen. Ganz im Gegensatz zu 1977: Als in den USA der erste Teil der Weltraumsaga in die Kinos kam, nahm das in der UdSSR so gut wie niemand zur Kenntnis, schreibt die Izvestia. Erste sowjetische Kritiken betrachteten damals den Film, abgesehen von den Spezialeffekten, als nichts besonderes, später wurde etwa die Ähnlicheit der Uniformen der imperialen Sturmtruppen mit denen sozialistischer Länder festgestellt und daran antisowjetische Züge von Star Wars festgemacht. Erst 1990 kam der erste Film der Trilogie in der Sowjetunion in den regulären Kinoverleih, mit absolut sehenswerten Plakaten (ganz herunterscrollen), die eigens für die Kinos entworfen wurden. Für den aktuellen Film hängen nun seit Wochen riesige Werbeposter im Zentrum Moskaus, auf denen Filmfiguren für die Produkte eines Kreditkartenunternehmens werben.
Beatrice Bösiger aus Moskau für dekoder.org