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„Im Wahlkampf wird das System nervös“

Es waren gleich mehrere Nachrichten in den vergangenen Wochen, die (nicht nur) in Russlands Zivilgesellschaft für Aufruhr sorgten: Etwa die vorzeitige Haftentlassung des Aktivisten Ildar Dadin, eine Wohnungsdurchsuchung bei der unabhängigen Journalistin Soja Swetowa und schließlich der neueste Bericht des Oppositionspolitikers Nawalny. Dessen Fonds für Korruptionsbekämpfung publizierte belastendes Material über Russlands Premier Medwedew: Demnach verfügt der über ein Eigentum im Wert von mehreren hundert Millionen Dollar – Vermögen, das offiziell gut versteckt dubiosen „Stiftungen“ gehört.

Der Radiosender Echo Moskwy lud nun die renommierte Politologin Ekaterina Schulmann ins Studio, zur Sendung Ossoboje Mnenije (dt. Besondere Meinung). Schulmann gilt als eine der wichtigsten Stimmen der russischen Politikwissenschaft. Neben ihrer Lehr- und Forschungstätigkeit an der Moskauer Hochschule RANCHiGS schreibt sie häufig Analysen für verschiedene unabhängige Medien. Schulmann hält auch Vorlesungen an der Online-Universität openuni – ein Projekt von Offenes Russland, das von Michail Chodorkowski gegründet wurde.

Besondere Meinung wiederum ist ein festes Format auf dem Radiosender Echo Moskwy. Zweimal täglich äußern hier Medienschaffende, Politiker und Experten ihre Meinung zu aktuellen Ereignissen. Besondere Meinung ist interaktiv, die Zuhörer werden eingebunden und bekommen Gelegenheit eigene Fragen zu schicken, per Videostream wird die Sendung über Internet live aus dem Studio übertragen.

Ekaterina Schulmann übt in ihren vielbeachteten Artikeln zum politischen System Russlands oft Kritik an der derzeitigen Situation des Landes – kein Wunder, dass auch die Hörer von Ossoboje Mnenije sie zu den neuesten Ereignissen kritisch befragten.

Источник Echo Moskwy

Die Politologin Ekaterina Schulmann gilt als eine der wichtigsten Stimmen der russischen Politikwissenschaft / Foto © Ekaterina Schulmann/Facebook

Irina Worobjowa: Alle Welt spricht über den Anti-Korruptions-Bericht des FBK und über mögliches Eigentum von Premierminister Dimitri Medwedew. Die Untersuchung umfasst viele verschiedene Einzelgeschichten. Was ist denn nun das eigentlich Relevante?

Ekaterina Schulmann: Um ehrlich zu sein – in allen Einzelheiten habe ich mir diese Arbeit bislang weder in der Video- noch in der Textversion angeschaut. Das Wichtigste ist wohl die Tatsache, dass sie überhaupt veröffentlicht wurde. So wie ich das verstehe, wird dort folgender Mechanismus beschrieben: Oligarchen, Großindustrielle und irgendwelche wirtschaftlichen Interessengruppen überweisen Geld auf die Konten von Stiftungen, die aussehen wie Wohltätigkeitsverbände oder anderweitig dem Gemeinwohl dienende Organisationen. Tatsächlich aber hat am Ende nur einer Zugriff auf das Geld und die Güter: der Premierminister.

Allein die Tatsache der Veröffentlichung halte ich für wichtig – warum? Wie die Sprecherin des Premierministers Natalja Timakowa so schön gesagt hat: Wir befinden uns im Wahlkampf, und das ist eine Wahlkampfaktion.

Der Wahlkampf ist der Zeitraum, in dem das politische System nervös wird. Macht, Ressourcen und Einfluss werden neu verteilt. Posten werden neu besetzt. Schauen wir uns mal die früheren Wahlkampfperioden an: Da sehen wir, dass es vor und nach den Wahlen, ob nun zu den Parlaments- oder Präsidentschaftswahlen, immer zu solchen Turbulenzen kam.

Das heißt also grundlegend ändert sich nichts, aber auf dieser mittleren Ebene gibt es doch gewisse Veränderungen?

Wie soll ich sagen ... also, grundlegend wird sich nichts ändern, solange das Regime so bleibt, wie es ist. Aber es befindet sich ständig in Transformation. Und für die Leute, die diesem Regime angehören, sind diese Transformationen durchaus spürbar. Auch wenn es von außen nicht wie eine Revolution aussieht – für Insider können das revolutionäre Umbrüche sein. Der eine hat seinen Posten behalten, ein anderer ist rausgeflogen, und einem dritten haben sie ein Strafverfahren angehängt.

Solche Informationsbomben werden von zwei Teilen der Öffentlichkeit ganz unterschiedlich aufgenommen: Da ist einmal das äußere Publikum, also wir Bürger, die Gesellschaft, das Sozium. Die breite Masse mag das einerseits nach dem Motto beurteilen: „Na und, wir haben doch schon immer gewusst, dass alle korrupt sind.“ Doch es ist ja eine Sache, das ganz allgemein zu wissen, und eine andere Sache, etwas ganz konkret zu sehen, etwas, das selbst bei ganz oberflächlicher Betrachtung jegliche Vorstellung übersteigt.

Der Wahlkampf ist der Zeitraum, in dem das politische System nervös wird. Macht, Ressourcen und Einfluss werden neu verteilt. Posten werden neu besetzt

Dann gibt es natürlich auch noch das ganz äußere Publikum, also das Ausland. Für diese Menschen ist das alles noch viel verwunderlicher als für uns.

Schließlich kommen wir zum inneren Publikum, zu den Insidern, also den Leuten, die zum Machtzirkel gehören. Deren Bewusstsein ist auf eine ganz spezifische Art verzerrt. Sie glauben weder an unabhängige Untersuchungen noch an Korruptionsbekämpfung. Den Medien glauben sie auch nicht. Sie glauben überhaupt niemandem so recht.

In ihrer Welt sind sozusagen alle Vorkommnisse Signale einer Gruppe an eine andere, völlig unabhängig von den realen Gegebenheiten. In ihrer herrlich paranoiden Welt hat das etwas zu bedeuten. Sie fragen sich: Warum jetzt? Warum Medwedew? Wer gibt hier wem Signale? Daraus werden sie ihre grundlegenden und wertvollen Schlüsse ziehen.

Natürlich können uns diese Details auch ziemlich egal sein. Nur Folgendes ist wichtig: Das alles ist Wahlkampf, wie er bei uns geführt wird. Das ist kein Wahlkampf eines gesunden Menschen, bei dem man um den Wähler kämpft. Das ist der Wahlkampf eines kranken Rauchers, bei dem gerade in der Zeit vor den Wahlen das Gleichgewicht innerhalb des Regierungssystems justiert wird.

Ist es denn vorstellbar, dass sie jetzt kurzerhand Medwedew opfern? Um den Menschen zu zeigen: Eigentlich geht es hier bei uns doch ehrlich zu und wenn einer so schamlos mithilfe von Stiftungen …, also entschuldigen Sie bitte, Dimitri Anatoljewitsch, auf Wiedersehen. Oder ist das ausgeschlossen?

Das, was Sie als „opfern“ bezeichnen, also die extremste Maßnahme, ihn vor den Präsidentschaftswahlen zu entlassen, ist äußerst unwahrscheinlich. Aber es gibt viele Arten, den einen oder anderen politischen Akteur, sagen wir, unter Druck zu setzen, ohne ihn zu entlassen. Für Sie gibt es wohl nur sowas wie, zack, gleich Erschießung oder Freispruch, was?

Der Krieg hört bei denen da oben nie auf. Sie leben in einer herrlichen Welt. Man sollte sie nicht beneiden

Aber jeder dieser Staatsbediensteten aus der obersten Etage vertritt ja eine ganze Gruppe, und das gilt ganz besonders für den Premierminister. Das heißt: Diese Gruppe kann Verluste erleiden oder Erfolge erzielen. Wenn sie Verluste erleidet, kann das auch völlig unter der Hand geschehen, wir werden das nicht sonderlich bemerken. Obwohl – wir kriegen es wohl doch mit, denn momentan ist die mediale Transparenz, Gott sei Dank, gegeben.

Der Krieg hört bei denen da oben nie auf. Sie leben in einer herrlichen Welt. Man sollte sie nicht beneiden. Denn zu diesem Krieg gehören entsprechende Positionsverluste und auch entsprechende Siege.

Unsere Hörer wollen wissen, ob es nicht müßig ist, sich darüber Gedanken zu machen, wer denn Medwedew attackiert hat, wenn das ohnehin nur den inneren Kreis der Elite betrifft. Es gibt ja ganz unterschiedliche Möglichkeiten, wer dahinter stehen könnte … Ist es sinnvoll, sich darüber Gedanken zu machen? Oder geht uns das nichts an?

Das ist wie beim Mord im Orient-Express. Der Kreis der Verdächtigen ist einigermaßen begrenzt, aber doch relativ groß. Es könnte jeder gewesen sein. Und stellen Sie sich vor, vielleicht war es keine Einzelperson, sondern vielleicht waren es irgendwelche ständigen oder temporären Koalitionen. Das ist ein weites Feld zum Rätseln. Wobei Herumrätseln da meines Erachtens nicht sinnvoll ist. Lassen Sie uns lieber über Folgendes nachdenken: Die Zeit des Wahlkampfs hat also begonnen, eine nervöse Zeit, alle sind zerstritten. Was kann der einfache Bürger daraus machen? Wie kann er das für sich nutzen?

In diesem Zeitraum ist das System durchaus verletzlich, unter anderem dadurch, dass etwas öffentlich werden könnte, ja schon allein durch eine solche Bedrohung. Allе eingebildeten oder nicht ganz eingebildeten, in manchen Fällen sogar wesentlichen Liberalisierungen finden gerade dann statt. Wenn jemand also irgendwelche Bürgerinteressen durchsetzen möchte, dann ist jetzt die richtige Zeit dafür.

Wenn jemand irgendwelche Bürgerinteressen durchsetzen möchte, dann ist jetzt die richtige Zeit dafür

Da wird bei uns durchaus das Strafrecht abgemildert, oder die Führung ersetzt einen ganz hoffnungslosen Gouverneur durch einen jüngeren und etwas ruhigeren, oder es passiert sonst irgendetwas Positives für die Gesellschaft … Auch Inhaftierte werden zum Beispiel entlassen.

Denn die Maschine so richtig zum Laufen zu bringen, wie es sich gehört, also zum Beispiel Verbrecher einzubuchten, das ist schwer. Aber die Praxis hat gezeigt, einen Unschuldigen zu befreien, das geht. Zumindest ist es leichter. Es gibt auch noch weitere Mechanismen, um, sagen wir mal, die Kiefer zu lockern und Happen rauszuholen.

Aber wenn es darum geht, den Staat zu zwingen, seine direkten Funktionen auszuüben, also etwa gegen die Kriminalität zu kämpfen oder für Wirtschaftswachstum zu sorgen, dann wird es schon schwieriger. Aber man tut, was man kann.

Die Hörer fragen nach der Hausdurchsuchung bei Soja Swetowa. Das ist doch eine dumme, völlig unnötige Aktion. Es ist gar nicht mal klar, was da eigentlich los war.

Sie finden die Aktion dumm, aber die Ausführenden finden sie gar nicht dumm. Da läuft ein großes Strafverfahren, das seit 2003 vielen Leuten neue Sterne auf die Schulterstücke gebracht hat, neue Dienstgrade, Beförderungen, lauter Bonbons und Schleifchen. Und jetzt sind andere dran und wollen das auch. Wenn das schon 13 (sogar mehr) Jahre funktioniert, warum sollte das nicht auch jetzt funktionieren? Das zum einen.

Zum anderen ist da rund um den Föderalen Strafvollzugsdienst einiges im Gange. Schon seit einigen Monaten geschehen da viele seltsame, ja erstaunliche Dinge. Der FSIN steht in diesem Jahr im Zentrum der Öffentlichkeit, falls es jemand noch nicht gemerkt haben sollte.

Der frühere stellvertretender Leiter wird verhaftet. Gleichzeitig erscheinen zwei große Berichte darüber, wie der Sektor wirtschaftlich funktioniert. Ist ja klar, wie: Kostenlose Sklavenarbeit, große Staatsaufträge und entsprechend viel Geld.

Da läuft ein großes Strafverfahren, das seit 2003 vielen Leuten neue Sterne auf die Schulterstücke gebracht hat, lauter Bonbons und Schleifchen. Und jetzt sind andere dran und wollen das auch

Auch wissen wir, dass der FSIN noch einen weiteren großen Happen aus dem Staatsbudget haben will: Für eine großangelegte Renovierung der Gebäude und Gelände und den Bau neuer Straflager.

Gleichzeitig haben wir noch den Dadin-Skandal, der sich zugespitzt hat: Erst die Folter im Straflager, dann die unerwartete (oder auch nicht sonderlich unerwartete) aber durchaus erfreuliche Entlassung.

Gleichzeitig weist der Präsident die Staatsanwaltschaft an, den FSIN zu überprüfen. Woraufhin die Staatsanwaltschaft die vorherige Aufhebung einer Untersuchung der Foltervorwürfe in den Straflagern von Karelien wieder aufhebt. 

Der FSIN beansprucht für sich also viel Geld aus dem Haushalt, und gleichzeitig gibt es andere Gruppen, die mit dem Amt offensichtlich anderes vorhaben. Vielleicht dessen Führung auswechseln, oder es zum Teil auflösen, irgendwie umgestalten, vielleicht einer anderen Behörde unterstellen. Irgendwie gibt es da Gerüchte.

Ja, und dann zwei Hausdurchsuchungen an einem Tag: bei Soja Swetowa und bei Jelena Abdullajewa. Wobei Soja Swetowa nach der Durchsuchung erklärte, es sei nicht um Chodorkowski, sondern um ihre Bürgerrechtsaktivitäten gegangen. Worin besteht diese Tätigkeit? Sie besteht einzig und allein darin, dass sie Untersuchungsgefängnisse, Haftanstalten und Straflager besucht. Ihre Bürgerrechtsaktivitäten haben mit dem zu tun, was der FSIN tut.

Das sind also alles Turbulenzen im Umfeld des Gefängnissystems, der Wirtschaft der Gefängnisse, der darin involvierten Gelder und Leute.

Gut ist, dass das, was in den Gefängnissen passiert, zum Gegenstand des öffentlichen Interesses geworden ist. Das gab es früher nicht. Niemand hat sich dafür interessiert, was mit den Knastis lief. Und nun plötzlich interessieren sich alle dafür. Eine gewisse hemmende Wirkung hat dieser ganze Medienrummel also durchaus.

Gut ist, dass das, was in den Gefängnissen passiert, zum Gegenstand des öffentlichen Interesses geworden ist. Das gab es früher nicht

Ich wiederhole, man kann den Eindruck haben, dass nichts passiert sei – da ist einfach jemand früher aus der Haft entlassen worden, einige Monate bevor die Strafe ohnehin um gewesen wäre. Für alle aber, die sich innerhalb des Systems befinden, die daran gewöhnt sind, dass alles straffrei abläuft und im Dunkeln bleibt, ist dieser Lichtstrahl schon ein ziemlicher Stressfaktor. Auch dass der Direktor des Straflagers sich verstecken, in Urlaub gehen musste, das war für sie … Und wieder: In unseren Augen ist das keine besonders repressive Maßnahme, oder? Wir würden uns wünschen, dass dort alle entlassen und verurteilt werden. Aber für diese Leute ist das, als wäre ihnen der Himmel auf den Kopf gefallen, weil es so etwas früher nicht gab.

Man hatte ohnehin schon den internen Konsens gefunden, dass politische Gefangene nicht angerührt werden dürfen (also körperlich), weil man den Rummel fürchtete. Bei Dadin hat dieser Mechanismus aus irgendeinem Grund nicht funktioniert, und das hat dann einen umso größeren, umso wuchtigeren Skandal hervorgerufen, der sich angesichts der offensichtlichen Schwächung des FSIN auf alle möglichen Arten finanziell und strukturell auswirken kann.

Offen gestanden, lösen Ihre Worte bei unseren Zuhörern eine Gegenreaktion aus, sie sind ein bisschen erstaunt, beziehungsweise verärgert: „Soll etwa der öffentliche Druck im Fall Dadin nichts bewirkt haben, und geht es bei der ganzen Sache nur darum, was im Dunstkreis des FSIN passiert, und so weiter und so fort?“ Oder wurden Sie einfach falsch verstanden?

Was sind wir Russen doch für Maximalisten. Das ist wirklich erstaunlich.

Es gibt doch zwei Ansätze: Entweder es heißt, man habe jemanden ausschließlich dank zivilgesellschaftlichem Engagement befreit, ja, buchstäblich dem Verlies entrissen. Oder es heißt: „Was seid ihr doch naiv! Eure ganze Bürgerrechtskampagne ist bedeutungslos. Das Ganze ist nur ein interner Kampf.“ Dann gibt es noch: „Das ist nur ein kümmerlicher Bissen, man hat euch damit abgefrühstückt, und ihr freut euch brav darüber.“

Man muss die Wirklichkeit in ihrer ganzen Komplexität betrachten. Wenn die Zivilgesellschaft, also irgendeine organisierte Gruppe, beginnt, für ihre Interessen zu kämpfen, etwa für die Freilassung eines unschuldig Verurteilten, benutzt sie diverse Instrumente. Es gibt da ganz naheliegende Instrumente, oder? Öffentlichkeit, Medienpräsenz, Petitionen oder Beschwerden an die Obrigkeit. Auch die internationale Öffentlichkeit funktioniert – entgegen der verbreiteten Meinung, dass man damit alle nur verärgere – hervorragend.

Startet man eine solche Kampagne, finden sich innerhalb des Machtsystems sofort Verbündete, denn keine Regierung handelt als einheitlicher politischer Akteur. Es gibt kein „die da“ – „Die tun da das und das“ – verstehen Sie? Dort herrscht ein Krieg aller gegen alle, ganz im klassischen Hobbesschen Sinne.

Keine Regierung handelt als einheitlicher politischer Akteur. Es gibt kein ‘die da‘ – ‘Die tun da das und das‘ – verstehen Sie? Dort herrscht ein Krieg aller gegen alle, ganz im klassischen Hobbesschen Sinne

Bei jeder Kampagne wird es unter Ihren Mitstreitern höchst unsympathische Akteure aus Regierungskreisen geben, die ihre eigenen Ziele verfolgen.

Sollten Sie deswegen beleidigt sein, erschrecken oder sich von Ihren Aktivitäten abhalten lassen? Natürlich nicht. Eines der größten Hindernisse auf dem Weg zum zivilgesellschaftlichen Erfolg ist diese idiotische Angst davor, für die Ziele anderer benutzt zu werden.

Wenn Sie Ihr Ziel immer im Auge behalten, immer an Ihre Interessen denken, wird Sie niemand benutzen, Sie hingegen benutzen, wen Sie wollen. Das ist übrigens auch genau das, was der Antikorruptionsfonds und Alexej Nawalny tun. So heißt es oft. Irgendjemand muss ihnen die ganzen Informationen ja zuspielen. Die haben dann das Gefühl, ihre eigenen Ziele zu verfolgen. Und die zivilgesellschaftlichen Aktivisten dürfen ihre Ziele nicht aus dem Blick verlieren.

Sprechen wir über eine andere Angelegenheit, die sich schon lange hinzieht und in der es regelmäßig zu Verhaftungen kommt: der Bolotnaja-Fall. Einer der Beschuldigten, Dimitri Butschenkow, wurde plötzlich in Hausarrest überführt, was selbst für seine Verteidiger überraschend kam. Dieser Bolotnaja-Fall, so scheint es, wird noch ewig weitergehen. Oder werden sie irgendwann einfach aufhören?

Nun, wie man am Fall Yukos sieht, können solche Fälle fast ewig dauern – solange, wie sie den Untersuchungsbehörden nützen. Solange man sich mit der Verfolgung unschuldiger Leute, die sich nicht widersetzen, einfach und bequem eine Beförderung, eine positive Statistik und gute Aufklärungsquoten verdienen kann, wird man das tun.

Wie man am Fall Yukos sieht, können solche Fälle fast ewig dauern – solange, wie sie den Untersuchungsbehörden nützen

Im Fall Butschenkow möchte ich die wirklich wichtige Rolle seiner Verteidigung hervorheben, Pawel Tschikow von der Gruppe 29. Das sind absolut heroische Leute, die politisch verfolgte Menschen verteidigen, und zwar mit Erfolg. Überhaupt ist Rechtshilfe, rechtliche Unterstützung bei jeder Bürgerrechtskampagne ein wichtiges Element, generell bei allen zivilgesellschaftlichen Aktivitäten. Womit auch immer Sie sich beschäftigen, am Gericht führt kein Weg vorbei, und deshalb ist es sinnvoll, sich rechtzeitig damit zu befassen.

Im vorliegenden Fall ist alles ziemlich offensichtlich, da man ja, den verfügbaren Videoaufzeichnungen und Fotos nach zu schließen, eindeutig nicht den Richtigen gefasst hat. Er sieht einfach nicht aus wie der Mann, der auf dem Bolotnaja-Platz war.

Wir müssen uns nunmal mit dieser Art von Siegen begnügen (Überführung in Hausarrest, hurra!), obwohl ja klar ist, dass man das Verfahren einstellen sollte, weil der Mann nichts mit der Geschichte zu tun hat.

Es kam die Frage auf, ob es einen Wandel gegeben habe: Früher führte man Hausdurchsuchungen bei Aktivisten, Politikern, Gouverneuren, Beamten und Silowiki durch, und nun kommt es auch bei Menschenrechtlern und Journalisten vor. Soja Swetowa ist ja auch Journalistin. Handelt es sich wirklich um einen Wandel, dem man Beachtung schenken sollte? Oder hat die Tatsache, dass Soja Swetowa Journalistin ist, keinerlei Bedeutung?

Ehrlich gesagt sehe ich hier keinen qualitativen Wandel. Die Hausdurchsuchung ist in unserer Rechtspraxis ein altbewährtes Einschüchterungsinstrument. Ihr Zweck ist, zu demoralisieren.

Wobei unklar ist, inwiefern das bei den Ermittlungen hilft. Aber man muss irgendwie Angst einjagen, Eindruck machen.

Diese Leute leben in einer komplett anderen Wirklichkeit, deshalb erfassen sie vielleicht nicht ganz, wie ihre Taten und sie selbst nach außen wirken

Ich glaube nicht, dass die sich wahnsinnig viele Gedanken über die öffentliche Reaktion machen. Sie wollen gewöhnlich einfach den unmittelbaren Gegenstand ihrer Aufmerksamkeit terrorisieren. Dass sich das dann in der ganzen Welt verbreitet, ist für sie aus irgendeinem Grund jedes Mal wieder eine echte Überraschung. Warum das? Weil es, wie im Fall Dadin, Folgen hat – dann muss man jemanden halbzerkaut wieder ausspucken, und aus irgendeinem Grund sind sie darüber jedes Mal wieder erstaunt.

Diese Leute leben informationsmäßig in einer komplett anderen Wirklichkeit, deshalb erfassen sie vielleicht tatsächlich nicht ganz, wie ihre Taten und sie selbst nach außen wirken, und auch nicht, wen sie da genau aufsuchen.

Vielen Dank. Ekaterina Schulmann heute in der Sendung Ossoboje Mnenije.


https://www.youtube.com/watch?v=KnQz4elxn48

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„Herr Nawalny, Sie haben das Wort.“ Ein großgewachsener Mann mit kräftigem Nacken erhebt sich, denn das letzte Wort gehört ihm, dem Angeklagten. Alexej Nawalny, der kurz zuvor seine Kandidatur bei den Präsidentschaftswahlen angekündigt hat, macht die Anklagebank zu einer politischen Bühne. Seine Rede umfasst alle zentralen Punkte der Kampagne: Die allgegenwärtige Korruption, die politische Abhängigkeit der Gerichte, die wirtschaftliche Rückständigkeit des Landes, die so leicht zu beenden wäre. Er teilt in diesem Schlusswort die russische Gesellschaft in drei Gruppen und zeichnet damit ein scharfes Bild seiner Weltsicht. Da sind zuerst die „wenigen Tausend“ an der Spitze der politischen Hierarchie, die den Reichtum des Landes unter sich aufgeteilt haben. Zweitens ist da die kleine Gruppe von Nawalnys treuen Unterstützern und Mitstreitern. Die dritte schließlich ist die größte Gruppe. Die stillen Stützen der Macht: die niedrigen Ränge im Staatsdienst, die regierungstreuen Bürger. „Sie alle könnten viel besser leben“, ruft er und wendet sich persönlich an den Richter, den Staatsanwalt, den Wachmann im Saal, „wenn Sie sich nicht fürchten würden vor denen, die unser Land ausplündern!“1 Wahlkampf inmitten eines Prozesses, in dem er schließlich zu fünf Jahren Haft auf Bewährung verurteilt wurde. 

Vier Jahre später, fast auf den Tag genau, hält der wieder angeklagte Oppositionelle eine Rede vor Gericht, in der er dem Kreml vorwirft, er wolle „einen einsperren, um Millionen einzuschüchtern“. Vorangegangen war eine Nowitschok-Vergiftung, Behandlung in der Berliner Charité und eine Rückkehr, die Beobachter zu Vergleichen mit Nelson Mandela hinriss: Schon vor der Verurteilung von Nawalny war vielen klar, dass der Oppositionspolitiker hinter Gitter kommt, einige prophezeiten ihm gar den Tod, sei er doch der größte Feind des Regimes. Wie der russische Strafvollzugsdienst FSIN am 16. Februar 2024 mitteilte, ist Nawalny in seiner Haft gestorben. 

Auch wenn die angriffslustig gesenkte Stirn, die aufgerissenen blauen Augen während seiner Reden zuweilen einen anderen Eindruck vermitteln mochten: Alexej Nawalny kannte die Regeln und er bediente sie virtuos. Ein Jura-Abschluss im Jahr 1997, im Anschluss ein Studium der Finanzwirtschaft und ein halbes Jahr in Yale – das waren seine formalen Qualifikationen. Dazu kamen einige Jahre Arbeit in der sozialliberalen Partei Jabloko, die ihm allerdings zu vorsichtig im Umgang mit der Regierung wurde und die ihn wegen nationalistischer Parolen im Jahr 2007 rauswarf.2

Mindestens ebenso wichtig für Nawalnys Werdegang aber war seine langjährige Erfahrung mit eigenen Unternehmen und mit den Behörden des Landes. Als Minderheitsaktionär mehrerer Staatskonzerne hatte er das Recht, interne Dokumente einzufordern. Darauf baute er seine Korruptionsbeschuldigungen auf. Doch auch die Bürger des Landes hat er in die Aufdeckungskampagnen einbezogen. Im Jahr 2011 gründete Nawalny den Fond borby s korrupziei (dt. Fonds für Korruptionsbekämpfung, FBK)3, der frühere Onlineprojekte zu Wohnungsbau, Straßen und Staatsaufträgen unter einem Dach verbindet. Sein Team spürt eingesandten Hinweisen nach und klagt – oft sogar gegen hohe Staatsbeamte, sogar gegen Wladimir Putin selbst.4 Auf diese Weise hat er nicht nur ein beachtliches Netzwerk an internetaffinen Unterstützern aufgebaut, sondern auch viel Erfahrung im Umgang mit Gerichten gesammelt. 

Gerichtsverfahren und politische Ambitionen

Im Sommer 2013 lautete das Urteil im berüchtigten Kirowles-Prozess auf fünf Jahre Haft, die Strafe wurde später überraschend zur Bewährung ausgesetzt. Ein Jahr später kam eine weitere Bewährungsstrafe hinzu. Sein mitangeklagter jüngerer Bruder Oleg wurde erst im Juli 2018 nach Verbüßung des vollen Strafmaßes aus der Haft entlassen. Zahlreiche Beobachter und Analysten halten die Prozesse für politisch motiviert.5 Und tatsächlich spricht einiges dafür – so zum Beispiel die Tatsache, dass es Putins Vertrauter Alexander Bastrykin war, der 2012 persönlich die Wiederaufnahme des Kirowles-Prozesses in Gang brachte, obgleich das Ermittlungskomitee den Fall zu den Akten gelegt hatte.6 Und auch abseits von Gerichtsprozessen war Nawalny beständigem Druck ausgesetzt, der die Staatskasse übrigens einiges gekostet hat: In einer investigativen Reportage deckte das Medium Projekt im August 2020 auf, dass der Kreml über Blogger und Social-Media-Influencer eine dauerhafte mediale Kampagne gegen Nawalny führt und dass der FSB ihn zu jeder Zeit und an jedem Ort überwacht. 

Doch hätte Putin von Nawalny wirklich etwas zu befürchten? Zumindest stand er im Zentrum mehrerer öffentlichkeitswirksamer Konfrontationen der letzten Jahre. Es war nicht Nawalny, der die Menschen im Jahr 2011 auf die Straße brachte – aber seine Losung von der „Partei der Gauner und Diebe“ gehörte zu den prominentesten Slogans. Und er kam als Kandidat der Partei PRP-PARNAS 2013 bei der Moskauer Bürgermeisterwahl – ohne jegliche Aufmerksamkeit vieler großer Medien – auf 27 Prozent der Stimmen. Diese Teilerfolge und seine immense Gefolgschaft im Netz ermutigten ihn zum nächsten Schritt: die Präsidentschaftswahl 2018.

Schon das Urteil vom 08. Februar 2017 verhinderte formal eine offizielle Kandidatur. Doch Nawalnys Kampagne ging weiter, sein Team hoffte auf den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte, oder doch noch eine politische Intervention. Doch am 25. Dezember schloss die Zentrale Wahlkommission Nawalny von der Präsidentschaftswahl aus. Der reagierte darauf mit einem Boykottaufruf für die Wahl, russische Behörden überprüfen derzeit wiederum, ob dies gegen das Gesetz verstoße.

Soviel Aufregung um den potentiellen Kandidaten war Grund genug, sich zu fragen, was Nawalny außer seinen berüchtigten, detailreichen Recherchen zu komplexen Korruptionsnetzwerken anzubieten hatte.

Korruption als die Wurzel allen Übels?

Sein politisches Programm7 bestand aus sorgfältig austarierten, oft nicht allzu konkreten Statements. Befürworter eines starken, aktiven Staates fanden Anschluss in seinen Forderungen nach Mehrausgaben für Gesundheit, Bildung und Infrastruktur, einem deutlich höheren Spitzensteuersatz, einem Mindestlohn in Höhe von 25.000 Rubel und einer Subventionierung von Hauskrediten für Familien. Anhänger eines zurückhaltenden Staates hat er dagegen mit der Abschaffung jeglicher Steuern für Kleinunternehmer gelockt, mit einer zurückhaltenden Geldpolitik, Dezentralisierung und der Deregulierung des Wohnungsbaus.

Sucht man nach früheren Positionen, die keinen Eingang in sein Wahlprogramm gefunden haben, so findet man sein Bekenntnis zum orthodoxen Glauben – und seinen Hang zum Nationalismus: Er war bereits als Organisator und Redner beim Russischen Marsch in Erscheinung getreten8 und vertrat in seinem Blog eine „demokratisch“-ethnonationalistische Linie, die sich um Abgrenzung von Extremen bemüht. In einem YouTube-Clip (den er später als Witz bezeichnete) setzte er kaukasische Terroristen mit Kakerlaken gleich.9 Von solchen Botschaften hat er sich später distanziert, auch der Parole „Russland den Russen“ hat er ausdrücklich widersprochen.10

Seine Fixierung auf Korruption als die Wurzel allen Übels, seine nationalistischen Anklänge und auch seine Teilnahme an Wahlen, die dem politischen System Funktionsfähigkeit und damit Legitimität bescheinigt, haben dabei durchaus Anstoß in oppositionellen Milieus erregt. Keinesfalls war Nawalny daher der „Oppositionsführer“, als den deutsche und selbst einige russische Medien ihn zuweilen präsentieren. Aufregung im liberalen Lager erregte beispielsweise Nawalnys Aussage, die Krim sei kein Butterbrot, das man hin- und herreichen könne: Als Präsident würde er sie nicht an die Ukraine zurückgeben, sondern ein „normales“ Referendum über den Status der Halbinsel abhalten.11 Das klang nach einem wahlstrategischen Drahtseilakt. Wie auch bei seinen nationalistischen Tönen und seinen linken Forderungen zeigte sich hier, dass Nawalny auf Mehrheiten aus war – und auch, dass er bereit war, dem Publikum das zu sagen, was er für mehrheitsfähig hielt.

Gleichwohl hat Nawalny für viele auch eine Hoffnung symbolisiert – unabhängig davon, dass sein politischer Handlungsspielraum bis zu seiner Verurteilung im Februar 2021 sukzessive eingeschränkt wurde. Was ihn von anderen Politikern abgehoben hat, war aber nicht so sehr sein Programm, sondern vielmehr sein rhetorisches Talent und seine kompromisslose Gegnerschaft zur herrschenden Elite. Vereinfacht gesprochen sah Nawalny die Lösung von Russlands Problemen in der Formel Elitenwechsel plus Justizreform.12

Nawalny gleich Putin minus Korruption?

Tatsächlich war Nawalny seinem ärgsten Gegner, Präsident Putin, in mancher Hinsicht nicht unähnlich. Wie Putin zu seinem Amtsantritt im Jahr 2000, erschien er als eine charismatische und entschlossene Führungsfigur; mit seinem zentristischen Pragmatismus konnte sich theoretisch ein breites Spektrum von Bürgern identifizieren. Und Nawalny erklärte selbst: „Ein Großteil der Dinge, die ich vorhabe, formuliert Putin auch – nur setzt er sie nicht um.“13 Es fällt daher auch der regierungsnahen Presse schwer, ihn den verhassten Liberalen der 1990er zuzurechnen – vor Schmähkampagnen14 ist er trotzdem nicht sicher.

Nawalny hat mit den klassischen Instrumenten populistischer Rhetorik operiert – für ihn gab es keine horizontalen, politischen Grundsatzkonflikte, sondern nur unten gegen oben, Volk gegen Elite. In Kombination mit seinem zentristischen Programm hätte das eine erfolgreiche Strategie im Kampf gegen ein Regime sein können, das alles für alle zu sein vorgibt und daher ideologisch kaum zu greifen ist. Nawalny setzte dem allumfassenden Putin dasselbe allumfassende Bild entgegen. Der Unterschied: Unter Nawalny, so seine wichtigste Botschaft, würde die Staatsmacht ehrlich sein, transparent und effizient.

Gefahr für den Kreml?

Mit diesem Programm hatte Nawalny das Potential, der Macht auf lange Sicht gefährlich zu werden. Vielleicht war das der Grund, warum für politische Reden so oft die Anklagebank herhalten musste, warum er letztendlich in der Strafkolonie gestorben ist.

Als Nawalny am Morgen des 20. August 2020 in ein Krankenhaus in Omsk eingeliefert wurde, nachdem er auf dem Rückflug von Sibirien nach Moskau das Bewusstsein verloren hatte, stand vor diesem Hintergrund schnell der Verdacht einer Vergiftung durch den Kreml im Raum. Erhärtet wurde dieser Verdacht für viele dadurch, dass der Fall sich in eine reiche Vergiftungs-Geschichte missliebiger Personen einreiht. Auch dass die russischen Ärzte zunächst die Diagnose einer Stoffwechselstörung stellten und die Vermutung einer Vergiftung zurückwiesen, erschien vielen als typisch für die Verschleierungstaktik des Kreml. 

Nawalny wurde jedenfalls am 22. August durch die Vermittlung der Organisation Cinema for Peace15 und die anschließende diplomatische Unterstützung der Bundesregierung nach Deutschland ausgeflogen. Während seiner Behandlung in der Berliner Charité erklärten die Ärzte am 24. August, man habe Hinweise auf eine Vergiftung mit Cholinesterase-Hemmern gefunden. Am 3. September 2020 äußerte sich die damalige Bundeskanzlerin Merkel schließlich in einem öffentlichen Statement dahingehend, dass Nawalny „Opfer eines Verbrechens“ geworden war: Ein Speziallabor der Bundeswehr hatte nachgewiesen, dass der Oppositionspolitiker mit dem Nervenkampfstoff Nowitschok vergiftet worden war.

Am 13. Januar 2021 kündigte Nawalny an, schon am nächsten Sonntag nach Moskau zurückzukehren. Da ihm eine Verhaftung wegen Verstoßes gegen Bewährungsauflagen drohte, lobten viele in Russland Nawalnys „mutigen“ Schritt  und verglichen den Politiker mit Nelson Mandela.

Noch bei seiner Ankunft am Flughafen in Moskau wurde Nawalny festgenommen. In einem Gerichtsprozess, abgehalten auf einem Moskauer Polizeirevier, wurde er am Montag, 18. Januar, zu 30 Tagen U-Haft verurteilt, wie seine Sprecherin Kira Jarmysch auf Twitter mitteilte. Im anschließenden Verfahren am 2. Februar 2021 wurde seine Bewährungsstrafe im Fall Yves Rocher in eine Gefängnisstrafe umgewandelt. Er musste damit bis Oktober 2023 in eine Strafkolonie. Vorläufig bis 2023, so schien es schon damals einigen Beobachtern.

Diese Ereignisse zogen im Januar 2021 große Proteste nach sich. Die Demonstrationen waren wegen Corona-Beschränkungen an keinem Ort von den Behörden genehmigt. Gleichwohl gingen innerhalb einer Woche im ganzen Land zweimal zehntausende Menschen auf die Straße. Der Kreml warf Nawalnys Team wie auch zuvor schon vor, Minderjährige für politische Zwecke zu missbrauchen. Gleichzeitig ging die Polizei hart, mitunter brutal gegen die Protestierenden vor und unterstrich damit die Botschaft, die sie auch schon von Nawalnys Verurteilung verbreitete: Wer sich hartnäckig weigert, die Autorität der politischen Führung anzuerkennen, muss mit immer härterer Repression rechnen.

Nawalnys Haft, die in anschließenden Scheinprozessen immer wieder verlängert wurde, war von menschenunwürdigen Bedingungen geprägt. Das Wenige, was aus der Strafkolonie von ihm nach außen drang, klang nach Zweckoptimismus. Manchmal schien es, dass er gar darüber witzelt, immer noch am Leben zu sein. Am 16. Februar 2024 gab der russische Strafvollzugsdienst FSIN bekannt, dass Nawalny gestorben ist. 

Aktualisiert am 16.02.2024


1.youtube.com: Poslednee slovo Alekseja Navalnogo na povtornom processe po delu «Kirovlesa“ ↑​
2.shuum.ru: Aleksej Navalnyj: A ty, černožopaja, voobšče molči! 
3.Fond borby s korrupciej 
4.RBK: Navalnyj podal isk k Putinu 
5.Lexikon der Politischen Strafprozesse: Nawalny, Alexei Anatoljewitsch 
6.Nawalnys Unterstützer bezeichneten die Intervention als persönlichen Rachefeldzug Bastrykins, mit der Begründung, dass Nawalny einige Wochen zuvor Bastrykin vorgeworfen hatte, mit seinem Posten unvereinbare Geschäfte in Tschechien zu unterhalten, siehe vesti.ru: Politologi o Navalnom – realnom i virtualnom. Details zum Vorwurf hier: Livejournal Navalny: O nastojaščich inostrannych agentach 
7.vgl. 2018.navalny.com 
8.snob.ru: Navalnyj i nacionalizm 
9.youtube.com: Navalnyj za legalizaciju oružija 
10.Gleichwohl bringt er sich aber immer noch über ethnisch-religiöse Themen ins Gespräch, wie im Frühjahr 2016: Als in Moskau eine psychisch gestörte usbekische Muslima einem Kind den Kopf abschnitt, beklagte er lautstark die vermeintlich unzureichende Berichterstattung und sprach von Zensur aus politischer Korrektheit, siehe youtube.com: Debaty. Naval’nyj vs. Pozner: Polnaja versija 
11.RBK: Aleksej Naval’nyj – RBK: «Naša glavnaja zadača – izmenit’ sejčas vse» 
12.Zwar beklagt er auch institutionelle Schwächen des Systems, insbesondere die von der Exekutive dominierte Verfassung. Im Zentrum seiner Kritik stehen aber keine systemischen Eigenschaften, keine Anreize, denen Individuen folgen, keine Fragen der politischen Kultur. Nicht einmal die übermäßigen Befugnisse des staatlichen Gewaltapparates unterzieht er besonderer Kritik – es seien die Personen selbst, die jeglichen Sinn für Moral und ihren gesunden Menschenverstand verloren haben und in ihrer hemmungslosen Selbstbereicherung von niemandem effektiv kontrolliert werden können. 
13.Echo Moskvy: Osoboe Mnenie: Aleksej Naval’nyj 
14.Der regierungstreue Fernsehsender NTV lancierte bereits mehrere Sujets, die angeblich Nawalnys „versteckte Millionen“ dokumentieren sollen. 
15.Bezahlt wurde der Transport von dem russischen Unternehmer und Philanthropen Boris Simin 
 
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