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Mediamasterskaja #2: „Allein die Wahrheit zu sagen, ist politisch“

Was macht es mit dem Journalismus, wenn der Staat immer schärfer gegen unabhängige Medien vorgeht? In der zweiten Folge des Mediamasterskaja-Podcast diskutieren der russische Journalist Maxim Trudoljubow und sein belarussischer Kollege Alexander Klaskowski diese Frage.

In Russland wie Belarus geraten unabhängige Medien derzeit unter immer stärkeren Druck – wenn auch unter unterschiedlichen Vorzeichen. In Russland haben nach den Solidaritätsprotesten für Alexej Nawalny im Januar/Februar 2021 und vor der Dumawahl im September die Maßnahmen gegen unabhängige Medien und Journalisten dramatisch zugenommen: Erst am vergangenen Freitag haben Behörden das Investigativmedium The Insider zum sogenannten „ausländischen Agenten“ erklärt. Zuvor waren der Chefredakteur und weitere Redakteure des Onlinemagazin Projekt ebenfalls auf die Liste der „ausländischen Agenten“ gesetzt worden. Genauso wie das Onlinemagazin VTimes und das reichweitenstarke unabhängige Portal Meduza.
Gegen Journalisten anderer unabhängiger Medien wurden mitunter Strafverfahren eingeleitet, etwa gegen vier Redakteure des Studierendenmagazins Doxa – sie hatten zu Solidaritätsprotesten für Nawalny aufgerufen, die Staatsanwaltschaft wertet das als „Aufruf an Minderjährige, an rechtswidrigen Handlungen und illegalen Demonstrationen“ teilzunehmen. 

Die Situation in Belarus ist noch zugespitzter als in Russland: Die belarussischen Machthaber gehen seit mehr als einem Jahr gezielt gegen unabhängige Medien und Journalisten vor. Auch in den vergangenen zwei Wochen hat es in ganz Belarus wieder Durchsuchungen gegeben, sowie zahlreiche Festnahmen. 27 Journalisten befinden sich derzeit noch in Haft oder unter Hausarrest. Viele Medienschaffende haben das Land bereits verlassen, weil es nahezu unmöglich geworden ist, in Belarus seiner Arbeit nachzugehen. Es ist zu befürchten, dass Alexander Lukaschenko die Strukturen des unabhängigen Journalismus vollständig zerschlagen will. 

In unserer Podcast-Reihe Mediamasterkaja (dt. Medienwerkstatt) begleiten wir Medienprozesse in Russland und Belarus kritisch und erörtern sie mit unterschiedlichen Akteuren. In der ersten Folge diskutieren die belarussische Philosophin Olga Shparaga und die Gender-Forscherin Lena Ogorelyschewa, inwieweit die Rolle der Frauen bei den Protesten auch die belarussische Medienwelt geprägt hat.

In der zweiten Folge fragen wir den russischen Journalisten Maxim Trudoljubow und seinen belarussischen Kollegen Alexander Klaskowski, inwiefern der starke Druck auf Medien den unabhängigen Journalismus in beiden Ländern beeinflusst. Wir bringen einige Auszüge aus dem russischsprachigen Podcast in deutscher Übersetzung.

Источник dekoder

Alexander Klaskowski: Ich bin Alexander Klaskowski und arbeite bei der Nachrichtenagentur BelaPAN. Das ist eine unabhängige Nachrichtenagentur, was für Belarus untypisch ist, weil man den nichtstaatlichen Medien bei uns, offen gesagt, bereits den Todesstoß versetzt. Bei BelaPAN leite ich die analytischen Projekte, außerdem gelte ich als Medienexperte. Seinerzeit habe ich an der Europäischen Geisteswissenschaftlichen Universität in Vilnius unterrichtet und Workshops unter der Schirmherrschaft des Belarussischen Journalistenverbands geleitet. Manchmal gebe ich Kommentare zu Themen, die mit Medien zusammenhängen. 

Maxim Trudoljubow: Mein Name ist Maxim Trudoljubow. Ich habe viele Jahre für die Zeitung Vedomosti gearbeitet. Das ist ein Wirtschaftsblatt, das wir 1999 gegründet haben. Vor ein paar Jahren habe ich wegen des Gesetzes, das im Wesentlichen ausländischen Verlegern und Konzernen verbietet, Eigentümer von Medienunternehmen in Russland zu sein, dort gekündigt. Ich habe für ausländische Verlage, unter anderem für die New York Times, geschrieben. Später fing ich an, mit Meduza zusammenzuarbeiten, wo ich seit über einem Jahr das Projekt Idei [dt. Ideen] leite. Als Redakteur des Projekts The Russia File arbeite ich außerdem mit dem amerikanischen Kennan Institute zusammen. 

Einerseits ist der Bereich der unabhängigen Medien in Russland ziemlich aktiv und entwickelt sich selbst heute noch weiter, aber er ist nicht sehr groß. Unabhängige Medien überleben zum Großteil dank privater Spenden, das gilt auch für das unabhängige Onlinemedium Meduza, mit dem ich zusammenarbeite. Als Meduza zum sogenannten ausländischen Agenten erklärt wurde, war das ein harter Schlag für das Budget [Meduza waren damit unter anderem wichtige russische Werbekunden weggebrochen – dek]. Die Verleger haben darüber nachgedacht, die Zeitung zuzumachen, aber dann gingen sie das Risiko ein und veranstalteten eine Spendenkampagne. Kurzum, bislang konnte das Medium überleben.

Mediamasterskaja: Unser heutiges Thema ist Objektivität im Journalismus, die nächste Frage richtet sich vermutlich vor allem an Alexander: Alexander, wie ist Ihre Einschätzung, kann der Journalismus unter den derzeit gegebenen Umständen in Belarus objektiv bleiben?

Alexander: Wenn ich mir einen Schlenker in die Theorie erlauben darf: Ich denke, Objektivität im Journalismus ist ein Mythos. Ich will jetzt nicht zu sehr in die Tiefe gehen, aber völlig objektiven Journalismus gibt es nicht. Außerdem gibt es sehr unterschiedlichen Journalismus. Es gibt einen Journalismus der Fakten und einen Journalismus der Meinungen. Wenn wir von einem Reporter sprechen, dann ja, aber er sollte meiner Meinung nach weniger objektiv, sondern vor allem unvoreingenommen sein. Also keine Fakten verschweigen, nichts verfälschen und so weiter. Das ist eine etwas anders gelagerte Forderung. Ein Reporter sollte sich also bemühen, unvoreingenommen zu sein. Meinetwegen, objektiv zu sein. Einigen wir uns auf diesen Begriff. 
Wenn es sich aber um einen Kolumnisten handelt, dann versteht es sich von selbst, dass es lächerlich wäre, von ihm Objektivität zu verlangen. Der Clou seiner Texte ist ja gerade der subjektive Blick, die Meinung eines Menschen, der den Nagel auf den Kopf trifft. Und die Menschen, seine Leser schätzen gerade das – wie er die Dinge wahrnimmt, beurteilt, Prognosen für gesellschaftliche Ereignisse stellt.

Was den Einfluss der politischen Situation betrifft: Ja, sie hat einen Einfluss, kurz gesagt, einen negativen, wie man an den belarussischen Medien sieht. Es ist allgemein bekannt, dass Journalisten freiheitsliebende Menschen sind, und wenn man sie in die Ecke treibt … Wenn das Regime sie, umgangssprachlich ausgedrückt, fertigmacht, dann ist klar, dass sie dieses Regime nicht gerade lieben werden. Und das schlägt sich natürlich auch in den Texten nieder. 

Ja, die politische Situation hat einen Einfluss, kurz gesagt, einen negativen, wie man an den belarussischen Medien sieht

Ich sehe in einer Reihe von Medien eindeutig expressive Überschriften, die in Hinsicht auf die Regierung klar negativ aufgeladen sind. Obwohl das im Idealfall nicht so sein sollte. Aber Menschen, die Tag für Tag fertiggemacht werden – kurzum, rein menschlich kann ich es verstehen. Der professionelle Anspruch verlangt, dass man sich unbefangen verhält, aber das klappt nicht.

Maxim, verfolgen Sie die Situation in Belarus? Halten Sie es für möglich, unter dem Regime, unter dem Ihre Kollegen gerade arbeiten, unbefangen zu bleiben?

Maxim: Als erstes möchte ich im Namen der russischen Medien unser Mitgefühl und generell unser allgemeines Verständnis ausdrücken. Wir machen uns natürlich große Sorgen wegen all dem, was in Belarus passiert. Ich verfolge es mit, soweit es mir möglich ist.

Ich bin mir nicht sicher, ob man in dieser Situation völlig objektiv bleiben kann. Ich denke auch, dass es psychologisch wirklich schwer ist. Allein schon aufgrund des großen Drucks auf alles, was im weitesten Sinne unabhängig ist: Sei es politischer Aktivismus, Medien oder irgendeine ehrenamtliche Tätigkeit, die nicht unmittelbar vom Staat genehmigt wurde. Im Prinzip ist es in existentieller Hinsicht eine sehr schwierige Situation, deswegen kann man auch keine überragende Objektivität fordern. 

Ich bin mir nicht sicher, ob man in dieser Situation völlig objektiv bleiben kann

Zur Objektivität als solcher würde ich gern noch sagen, dass sie in der Form, wie wir sie heute überwiegend aus den westlichen Medien kennen, noch nicht lange existiert. Als die ersten Medien entstanden, die noch nicht so genannt wurden, konnten sie politische Pamphlete oder irgendwelche Blättchen sein – unabhängig und unvoreingenommen waren sie nie. Ganz im Gegenteil. Es waren immer sehr scharfe politische Statements. Und das zog sich über knapp 200, 300 Jahre lang so hin. Erst im 20. Jahrhundert, hauptsächlich nach dem Zweiten Weltkrieg, als der Mittelstand sehr schnell wuchs und die Wirtschaft sich entwickelte, entstand vor allem in den USA ein großer Markt an Menschen, denen objektive Information wichtig war.

Es ist also eine ziemlich junge Tradition, die erst einige Jahrzehnte besteht. Deswegen lässt sich schwer behaupten, die Objektivität sei eine immanente Eigenschaft von Medien. Objektivität ist eine komplizierte Sache. Es ist eine philosophische Frage, ob es sie überhaupt geben kann. Wir sind alle Menschen mit eigenen Ansichten und Meinungen. 

Im Großen und Ganzen lässt sich sagen, dass ich mich der Tradition objektiver Medien verpflichtet fühle und bei dem, was ich mache, versuche, auf Quellen zu verweisen und alle zu Wort kommen zu lassen: Bei einem Konflikt müssen alle Parteien zu Wort kommen, bei einer Story verschiedene Blickwinkel aufgezeigt werden. Geht es um den Staat, wird auch der Blickwinkel des Staates erwähnt, und so weiter. Insgesamt pflegt man also auch in Russland weiterhin diese Arbeitstradition, die schon nach Objektivität strebt. Hauptsächlich in unabhängigen Medien. Auch wenn dieser Sektor sehr klein ist, wird diese Tradition im Großen und Ganzen bewahrt. Und sie wird weiterleben, wie mir scheint.

Liebe Kollegen, wenn Sie vom Journalismus der Fakten und nicht der Meinungen sprechen, könnten Sie vielleicht eine Art Checkliste für Journalisten nennen, wie man objektiv bleibt, unabhängig von der Situation, die gerade entsteht? Wie schafft man es, dass die eigene politische Haltung die „trockenen“ Fakten nicht überwiegt?

Alexander: Banal gesprochen, ist es eine Frage der Professionalität. Wir alle haben irgendwo irgendwas gelernt. Dort wurde uns aus professioneller Sicht erklärt, was Fakten sind, wie man mit ihnen umgeht, dass man sie nicht manipulieren darf und so weiter. Kurzum, es ist einfach wichtig, sich an diese Kriterien zu halten und seine Emotionen davon zu trennen.

Etwas anderes ist es, wenn es – wie im heutigen Belarus – schon eine politische Haltung ist, die Wahrheit zu sagen. Beispielsweise ist das Berichten über die Proteste bereits eine politische Haltung , denn das geht mit Risiko einher. 

Im heutigen Belarus ist es schon eine politische Haltung, die Wahrheit zu sagen

Derzeit wird ein Beschluss vorbereitet, demzufolge das gesamte Material von tut.by – eines bereits zerschlagenen und gesperrten Portals, 15 Mitarbeiter sind bereits in Haft – als extremistisch eingestuft werden soll. Das bedeutet zum Beispiel, dass jemand, der vor zehn Jahren einen Artikel von tut.by abgetippt oder verlinkt hat, von heute auf morgen zum Extremisten erklärt werden kann. 

Aber ich schweife ab. Worauf ich hinaus will, ist, dass es heute schon ein Risiko darstellt und von politischer Haltung zeugt, einfach nur ehrlich und objektiv zu berichten über das, was passiert, und an Themen zu rühren, die der Regierung nicht passen. 

In diesem Zusammenhang möchte ich betonen, dass es sehr wichtig ist, den Kontext des Materials professionell darzustellen. Ein konkretes Beispiel ist die Pressekonferenz mit Roman Protassewitsch neulich. Hier kommt die Ethik mit ins Spiel – der Journalist der BBC ist gegangen. Einige westliche Diplomaten sind gegangen, weil sie fanden, dass da ein Gefangener vor laufender Kamera gefoltert werde. Demnach sei es unethisch, überhaupt etwas zu senden. BelaPAN, wo ich arbeite, hat das Material gesendet, wofür uns sowohl einige Kollegen als auch einfach ein politisiertes Publikum auf Facebook attackiert haben. 

Es ist sehr wichtig, den Kontext professionell darzustellen

Aber wir haben in unseren Berichten immer den Kontext betont: Wer ist Protassewitsch, wie ist er in diese Pressekonferenz hineingeraten? Wir haben Details wie die Meinung seines Vaters ergänzt, der erklärt, dass er einige Dinge, milde ausgedrückt, nicht aus freien Stücken sagt. Sprich, wir haben die Information gesendet, denn sie zu verschweigen, wenn es doch den Fakt, die Pressekonferenz vor unserer Nase, gibt – das wäre doch unprofessionell.

Maxim: Da stimme ich Alexander zu. Es ist zweifellos eine sehr schwierige Situation, wenn so ein Druck vonseiten des Staates ausgeübt wird. In Russland ist es nicht ganz so schlimm, aber die Situation ist sehr dynamisch, und sie entwickelt sich im Großen und Ganzen in dieselbe Richtung.

Eigentlich hindert merkwürdigerweise die Regierung die Journalisten sehr oft selbst daran, objektiv zu berichten. Indem sie beispielsweise ein Medium zum ausländischen Agenten erklärt, hindert sie es einfach daran, seine Arbeit zu machen. Das ist ja quasi auch ihr Ziel. Das leuchtet ein. Aber das Medium wird weniger objektiv, weil es viel schwieriger wird, Kommentare von Staatsbeamten zu bekommen oder sogar von Wirtschaftsvertretern, die Angst haben, mit den falschen Leuten in Verbindung gebracht zu werden. Im Endeffekt wird die journalistische Arbeit erschwert. 

Es wird immer schwieriger professionelle Standards zu befolgen

In dieser Situation war beispielsweise die Zeitung VTimes. Das sind meine Kollegen, die früher bei Vedomosti gearbeitet haben. Nachdem Vedomosti von einem kremlnahen Verleger aufgekauft wurde, hatten sie ihre Unabhängigkeit eingebüßt, die Leute haben gekündigt, angefangen wieder zu arbeiten und „wurden kürzlich zu ausländischen Agenten“. Sie haben zugemacht. Nicht nur, weil sie kein Geld verdienen konnten, sondern weil ihnen bewusst war, dass sie nicht objektiv sein konnten. Das sind alles Menschen, die in der Tradition eines objektiven, faktenbasierten Journalismus stehen, der zwingend voraussetzt, dass man bei jeder Story mit allen Seiten spricht. Deswegen haben sie zugemacht. Diese Standards, diese Regeln zu befolgen, wird immer schwieriger. 

Auch das Investigativmedium „The Insider“ (hier Chefredakteur Roman Dobrochotow) wurde vor Kurzem von der russischen Regierung zum ausländischen Agenten erklärt / Foto © Ilya Varlamov/varlamov.ru

Alexander: Genau, ich würde Maxims Gedanken gern noch weiterführen. Rein technisch oder technologisch läuft es folgendermaßen: Wenn in Belarus Webseiten gesperrt oder andere Medien dicht gemacht werden, wandert die journalistische Arbeit, der Content, zu anderen Plattformen. Insbesondere zu Telegram (der beliebtesten Plattform unter diesen Umständen), weil man es nicht nicht einfach dichtmachen kann. Aber auf Telegram herrscht ein ganz anderer Stil. Ein viel schärferer. Und weniger Faktencheck. Ich möchte den Gedanken, den Maxim schon formuliert hat, nochmal betonen: Die Regierung drängt den Journalismus tatsächlich dahin, bei bestimmten Formen schärfer, radikaler zu werden. Sie wollen die professionellen Webseiten nicht haben und bekommen dafür Telegram, was überhaupt keine Diplomatie kennt und grob gesagt, das Regime einfach kurz und klein hackt, es von vorn bis hinten zerlegt. 

Die Regierung drängt den Journalismus tatsächlich dahin, bei bestimmten Formen schärfer, radikaler zu werden

Maxim: Ja, die sozialen Medien sind noch ein Thema für sich.

Die Statements in den sozialen Medien, ein aufgenommenes Video, ein Podcast – das alles verlagert den Schwerpunkt auf eine möglichst große Reichweite, auf die Idee, die Fakten dem Publikum – einem großen Publikum – möglichst zugänglich zu präsentieren. Dafür muss vereinfacht werden, müssen Ecken und Kanten abgeschliffen werden, Dinge eher attraktiv und anziehend, statt scharfsinnig und genau dargestellt werden. Die Entwicklung geht, objektiv betrachtet, auf der ganzen Welt in diese Richtung. Bei Weitem nicht nur in Russland oder Belarus. 

Aber vor dem Hintergrund der Ereignisse bei uns bekommen wir gewissermaßen eine Verdopplung aller Effekte, weil wir nämlich noch den staatlichen Druck haben, neben dem Marktdruck, der Veränderung des Publikumsgeschmacks, dem Auftauchen neuer Plattformen, die ausgesprochen verlockend sind, auch für Journalisten. Das steht außer Frage. Weil sie nämlich einen sehr schnellen und wirkungsvollen Auftritt bieten. Aber all diese Dinge schaden den ursprünglichen Standards. Deswegen verwischen die Standards, leider. 

Alexander: Ich möchte noch Folgendes sagen: Wenn wir mit einer gewissen Skepsis über die Objektivität und andere Standards sprechen, bedeutet das nicht, dass diese nicht wichtig wären. Ich würde folgende Parallele ziehen: Es gibt die Normen der Moral, aber wir befolgen sie nie zu hundert Prozent, ansonsten wären uns allen längst Engelsflügelchen gewachsen. Wir sündigen, wir verstoßen immer gegen irgendwelche Regeln. Aber das bedeutet nicht, dass man die moralischen Normen in die Tonne treten kann. Es existieren trotzdem Begriffe wie „ein anständiger Mensch“ oder ein „niederträchtiger Mensch“, mit dem niemand etwas zu tun haben möchte. Genauso ist es mit dem Journalismus. Du kannst nicht immer zu hundert Prozent den Standards entsprechen, aber das bedeutet nicht, dass du dich nicht darum bemühen solltest. 

Soziale Netzwerke, Blogs, Telegram-Kanäle – das alles senkt einerseits die journalistischen Standards. Andererseits könnte man sie doch auch als Quellen glaubwürdiger Information betrachten, gerade vor dem Hintergrund, dass die Redaktionen der unabhängigen Medien schließen und die Menschen trotzdem irgendwoher ihre Information beziehen, Nachrichten lesen müssen. Können die neuen Medien die Redaktionen ersetzen, die uns in den vergangenen 10, 20 Jahren auf dem Laufenden gehalten, Analysen und nicht nur Nachrichten geliefert haben?

Maxim: Qualitativ hochwertige Information wird immer mehr zu einer „Luxusware“. Wirklich gute Qualität kostet. Menschen, für die sie lebenswichtig ist, sind bereit zu zahlen. Menschen, für die sie nicht wichtig ist, werden nie dafür zahlen. Und dann gibt es noch die Menschen, die aus Prinzip sagen, sie würden nie für Inhalte aus dem Internet zahlen. In diesem Bereich ist es wirklich die persönliche Entscheidung eines jeden einzelnen.

Du kannst nicht immer zu hundert Prozent den Standards entsprechen, aber das bedeutet nicht, dass du dich nicht darum bemühen solltest

In der modernen Welt, wo es keine großen Zeitungen mehr gibt, naja, es gibt sie natürlich schon, aber ihr Einfluss ist nicht vergleichbar mit dem von früher. Nirgendwo. Nicht nur in Russland. Nicht nur in Belarus. Das ist überall so. Die Welt ist sozusagen in Stückchen zerfallen und jeder entscheidet selbst, wie er leben möchte, wie er mit Information umgehen möchte. 

Jemand, der den Wert von Information und von einer qualitativ hochwertigen Analyse kennt, wird dafür bezahlen. Ich habe aber den Verdacht, dass die meisten es nicht tun werden. Im Endeffekt finden sich die Menschen umgeben von qualitativ immer schlechterer Information wieder, immer weiter von der Welt der Fakten entfernt, in der wir mehr oder weniger existieren. Und dann wundern wir uns noch, warum sich Menschen beispielsweise nicht impfen lassen wollen. Warum sie irgendwelche komischen Geschichten, Verschwörungstheorien und so weiter glauben. 

Jemand, der den Wert von Information und von einer qualitativ hochwertigen Analyse kennt, wird dafür bezahlen

So ist die moderne Welt. In ihr gibt es zum einen harte Fakten und Analysen, Information von höchster Qualität, die nur wenigen zugänglich sind. Und dann geht es immer weiter nach unten. Außerdem gibt es noch die Propaganda, die auf Hochtouren läuft. Ganz unterschiedliche Propaganda. Nicht nur bei uns im Land, das ist eine sehr verbreitete Erscheinung auf der ganzen Welt. 

Das Bild, das wir bekommen: Von der höchsten bis zur niedrigsten Qualität gibt es alles in ein und derselben Welt, in ein und derselben Stadt, bis ins Private hinein. Einer konsumiert das eine, der andere das andere. Kurzum, jeder entscheidet für sich selbst.

Alexander: Ich möchte sagen, dass ich ein Anhänger des klassischen professionellen Journalismus bin und überzeugt, dass er unersetzlich ist. Und zwar nicht aus beruflichen Ambitionen oder Stolz, sondern aufgrund dessen, was ich beispielsweise bei der Arbeit sehe. 

Ich ergreife nochmal die Gelegenheit für die Nachrichtenagentur BelaPAN zu werben. Kollegen aus anderen Häusern haben in den letzten Jahren angefangen, von einer Monetarisierung des Contents zu sprechen. Darüber können wir nur lachen, weil wir vom ersten Tag an Information verkaufen – wir leben davon. Andere Medien hatten uns abonniert, solange es sie in Belarus noch gab, jetzt sind es vor allem ausländische Botschaften. Wenn ich mit den Diplomaten spreche, sagen sie: „BelaPAN – das ist verifizierte Information, das schätzen wir, und dafür zahlen wir.“ Es gibt also Blogger wie Sand am Meer, aber sie entscheiden sich für BelaPAN, weil ihnen diese Blogger gestohlen bleiben können. 

Ich bin ein Anhänger des klassischen professionellen Journalismus und überzeugt, dass er unersetzlich ist

Ich breche es natürlich etwas herunter, weil es eine Reihe von Bloggern gibt, die eigentlich professionelle Journalisten sind, aber das Leben zwingt sie einfach dazu, sich als Blogger „auszugeben“, bei Telegram oder in sozialen Netzwerken zu veröffentlichen. Aber dort produzieren sie exakt dasselbe, was sie gewohnt sind und gelernt haben zu produzieren.

Für manche ist das sicher zugänglicher und es imponiert ihnen mehr, wie Maxim schon sagte. Aber ich sehe auch, dass eigenverantwortliche, selbstständige Menschen, die es gewohnt sind, die Wirklichkeit kritisch zu durchdringen und selbst Entscheidungen zu treffen – dass sie zu den klassischen Medien tendieren, oder zu Bloggern, die in Wirklichkeit professionelle Journalisten sind.

Lassen Sie uns ein Jahr nach vorn springen und uns vorstellen, was mit dem belarussischen und dem russischen Journalismus sein wird, wenn man die Krisen berücksichtigt, die sie gerade durchleben. Lassen sich Prognosen machen? Und wenn ja, welche?

Alexander: Was Belarus betrifft, sind die Prognosen leider nicht sehr erfreulich. Denn die Repressionen dauern an, die Gerichtsprozesse dauern an, knapp 30 Journalisten befinden sich gerade in Haft. 

Vieles hängt von der Entwicklung der politischen Lage ab. Wenn die Regierung doch noch versucht, mit der EU und Washington das Gespräch zu suchen, wird es vielleicht ein kleines bisschen leichter, obwohl mit einer Liberalisierung natürlich nicht zu rechnen ist. Deswegen werden die Medien – ich rede von den unabhängigen Medien (den staatlichen Journalismus klammere ich gleich aus, denn ich würde ihn nicht als Journalismus bezeichnen, es ist die reinste Propaganda, die immer tiefer sinkt, sodass sie überhaupt nicht mehr Gegenstand einer professionellen Diskussion sein kann), also die nichtstaatlichen Medien, die noch da sind, werden vermutlich auf andere Plattformen ausweichen, sprich, lernen in diesem aggressiven, hochaggressiven Umfeld zu überleben, irgendwelche neuen Kanäle zur Informationsvermittlung erfinden, weil das in der Gesellschaft gefragt ist. 

Die nichtstaatlichen Medien, die noch da sind, werden vermutlich auf andere Plattformen ausweichen, sprich, lernen in diesem hochaggressiven Umfeld zu überleben

Die Belarussen haben bewiesen, dass sie eine, wenn auch noch nicht gänzlich so doch zunehmend politische Nation sind. Und Bürger brauchen keine Propaganda, sondern professionelle, durchdachte, vielseitige Information. Das ist gefragt, und deswegen werden die belarussischen Medien weiterarbeiten, wenn auch in einer etwas partisanischen Form. 

Positive Aussichten sind nur bei einem Regimewechsel denkbar, bei einem Wandel des gegenwärtigen Systems, das sich mittlerweile schlicht in einen Polizeistaat verwandelt hat.

„Die Regierung tut gerade alles, um tut.by zu vernichten, sie verpassen der Plattform gerade den Todesstoß.“ / Foto ©  tut.byAlexander, was denken Sie, wenn wir die positiven politischen Szenarien annehmen – wird tut.by in irgendeiner Form wieder zum Leben erwachen?

Alexander: Die Regierung tut gerade alles, um die Plattform zu vernichten, sie verpassen ihr gerade den Todesstoß. Deswegen wird die Regierung erstmal versuchen tut.by vollends zu erwürgen, die waren ein zu großer Reizfaktor für sie. 

Die belarussischen Medien werden weiterarbeiten, wenn auch in einer etwas partisanischen Form

Ich denke, es gibt die Möglichkeit, dass dieses Portal teilweise, natürlich nicht ganz, im Ausland wiederentstehen wird. Denn jetzt wurde tut.by ja lahmgelegt, weil sich der Content, soweit ich weiß, rein physisch auf einem Server in Belarus befand, den man ganz plump ausschalten konnte. Aber wenn der Server im Ausland wäre, wenn die Leute – und die Belarussen haben in dieser Hinsicht im vergangenen halben Jahr einen enormen Fortschritt gemacht – mit VPN, Psiphon und all diesem Schnickschnack umgehen können, dann werden sie, wie die Erfahrung Chinas, des Irans und anderer repressiver Regimes beweist, die Information finden. Das lässt sich nicht mehr unterbinden. 

Maxim, vielleicht könnten Sie abschließend noch ein paar Prognosen über die Entwicklung des objektiven Journalismus in Belarus und Russland geben?

Maxim: Es ist etwas traurig, Prognosen zu machen, denn ausgehend von dem, was wir jetzt haben, bekommen wir in der Zukunft exakt dasselbe, minus noch ein paar Zeitungen. Das war’s. Das ist nicht besonders interessant. 

Ich mache mir eher Gedanken über das Schicksal des faktenbasierten Weltbildes. Eines Weltbildes, das die Analytik ernstnimmt, das auf dem fußt, was man beweisen, und nicht auf dem, was man erfinden kann. Bis vor kurzem waren wir der Ansicht, dass Fakten existieren. Aber in den vergangenen 10, 15 Jahren beobachten wir, wie diese Überzeugung schwindet. Es ist seltsam, das zu sehen, aber es passiert vor unseren Augen, die Menschen finden es zuweilen viel interessanter, die Welt ganz anders zu sehen, als wir es früher mal, teils in der sowjetischen Schule, gelernt haben. 

Es ist etwas traurig, Prognosen zu machen, denn ausgehend von dem, was wir jetzt haben, bekommen wir in der Zukunft exakt dasselbe, minus noch ein paar Zeitungen

Das ist ein globaler Prozess. Er hängt von unterschiedlichen Faktoren ab: dem politischen Populismus, der Demokratisierung des Zugangs zu jeglicher Information, der Entwicklung der sozialen Medien, wo jeder Mensch längst selbst Autor, Journalist und Verfasser von Texten, Statements, Bildern und Tönen ist.

Qualitativ hochwertige Information – das, was wir gewohnt sind als Standard zu setzen, als das einzig Wichtige zu betrachten, nennen wir es provisorisch „objektiver“, faktenbasierter Journalismus – wird heutzutage zu einem Gut für ein sehr kleines Segment der Gesellschaft.
Wir leben in einer Welt, in der darüber gestritten wird, ob es überhaupt Fakten gibt, ob es überhaupt Objektivität gibt. In Wirklichkeit ist das das fundamentale Problem – weitaus mehr als das Schicksal der Medien in autoritären Staaten. Die autoritären Staaten sind in diesem Fall einfach ein Teil des Weltgeschehens und der Veränderungen auf der Welt.

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„Agentengesetz“

Vor dem Hintergrund der Bolotnaja-Proteste hat die russische Staatsduma im Jahr 2012 das sogenannte „Agentengesetz“ verabschiedet. Es sanktioniert „politisch aktive“ Nichtregierungsorganisationen (NGOs), die finanziell aus dem Ausland unterstützt werden.

Das Gesetz wurde seitdem mehrfach ausgeweitet und verschärft: Seit November 2017 können auch Medien zu „ausländischen Agenten“ erklärt werden, seit Ende November 2019 auch Einzelpersonen. Seit Dezember 2020 können soziale Bewegungen und Einzelpersonen nicht nur bei finanzieller Unterstützung aus dem Ausland zu „Agenten“ erklärt werden, sondern auch dann, wenn sie „politische Aktivitäten“ im Interesse einer „ausländischen Quelle“ entfalten. Außerdem werden sie verpflichtet, ihre Publikationen mit dem Zusatz „ausländischer Agent“ zu versehen. Auch Medien müssen darauf verweisen, wenn sie entsprechende Personen oder Organisationen erwähnen. Im Juli 2022 unterschrieb Putin ein neues Gesetz, wonach jeder, der „unter ausländischem Einfluss“ steht, zum „ausländischen Agenten“ erklärt werden kann. Außerdem wurde ein neues Register eingeführt, das „ausländischen Agenten affiliierte“ Organisationen und Personen auflistet.

Die Regelungen sind schwammig formuliert, das aus der Stalinzeit stammende „Agenten“-Label wird nicht selten selektiv und willkürlich angeheftet. Betroffene Organisationen müssen außerdem strenge Vorschriften einhalten, die ihre Arbeit erheblich erschweren.

Mit Beginn der dritten Amtszeit Putins ist der Druck auf Nichtregierungsorganisationen in Russland gestiegen. Vor dem Hintergrund der Massenproteste gegen Wahlfälschung und Machtmissbrauch im Winter 2011/12, die vom Kreml schnell als durch die USA gesteuert dargestellt wurden, unterschrieb Putin noch im Jahr 2012 eine Änderung des „Gesetzes über nicht-kommerzielle Organisationen“. Das sogenannte „Agentengesetz“ stigmatisiert „politisch aktive“ NGOs, die aus dem Ausland finanzielle Förderung erhalten, als „ausländische Agenten“. Es sieht eine Reihe von Vorschriften und Sanktionen für die betreffenden NGOs vor: Diese umfassen strenge Rechenschaftspflichten, die Vorgabe, sämtliche publizierte Materialien mit dem Label „ausländischer Agent“ zu versehen sowie Geldstrafen und Freiheitsentzug im Falle einer Nicht-Registrierung im Agenten-Verzeichnis des Justizministeriums.

Wie wirkt das Gesetz in der Praxis? Die Erfahrungen mit dem Agentengesetz zeigen, dass die Umsetzung in erster Linie uneinheitlich und selektiv erfolgt.1 Dies mag zum einen an den diversen Verteidigungsstrategien der betroffenen NGOs liegen. Zum anderen aber auch an der bewusst vagen Formulierung des Gesetzes an sich: Das Kernkonzept „politisch aktiv“ wird nirgends umfassend definiert. Ambivalente Gesetze räumen Staatsorganen einen hohen faktischen Ermessensspielraum ein und öffnen einer selektiven Rechtsanwendung Tür und Tor.2 Die Justiz wird mehr und mehr zum Spielball politischer Einflüsse. Dass einige Gerichtsurteile zum Agentengesetz ungewöhnlich lange auf sich warten ließen, ist mehrfach so interpretiert worden, dass zunächst auf eine Anweisung „von oben“ gewartet werden musste.3

Die Phase der Nicht-Anwendung des Gesetzes unmittelbar nach seinem Inkrafttreten hat bald darauf einer aktiven „Agentenjagd“ Platz gemacht: Im Frühjahr 2013 begannen weitreichende und unangekündigte Überprüfungen von NGOs, die teilweise Sanktionen auf Grundlage des Agentengesetzes nach sich zogen. Neuen Antrieb erhielt die Kampagne gegen NGOs weiterhin durch eine Gesetzesänderung im Frühjahr 2014, die es dem Justizministerium erlaubt, NGOs eigenhändig in das Verzeichnis ausländischer Agenten einzutragen. Das zu Beginn noch leere Agentenregister des Justizministeriums füllte sich zusehends: Im August 2015 wurde die 87. Organisation registriert. Viele NGOs stellten daraufhin ihre Arbeit ein, andere wandten sich von ausländischen Fördergeldern ab und schränkten ihre Ausgaben ein. Somit konnte das Justizministerium mit der Zeit vermelden, weniger „Agenten“ in dem Register zu führen: Im Februar 2021 waren es 75 Organisationen, unter ihnen das Meinungsforschungsinstitut Lewada und die Menschenrechtsorganisation Memorial, sowie fünf ihrer Unterabteilungen beziehungsweise regionalen Niederlassungen.4 Der Handlungsspielraum von NGOs ist zusätzlich eingeschränkt durch das im Mai 2015 in Kraft getretene Gesetz über „unerwünschte Organisationen“, das administrative und strafrechtliche Sanktionen (bis hin zum Tätigkeitsverbot) für in Russland tätige ausländische Organisationen vorsieht, die als Regimebedrohung aufgefasst werden. Im Februar 2021 galten insgesamt 31 Organisationen als „unerwünscht“.5

Seit November 2017 können zudem auch Medien als „ausländische Agenten“ deklariert werden. Auch hier ist das Gesetz so schwammig formuliert, dass schon eine Teilnahme an einer Journalisten-Konferenz im Ausland ausreicht, um das ganze Medium zum „Agenten“ zu erklären. Ende November 2019 hat die Duma außerdem in dritter Lesung ein Gesetz verabschiedet, wonach auch Einzelpersonen zu „ausländischen Agenten“ erklärt werden können. Theoretisch reicht es aus, wenn sie den Beitrag eines Mediums, das bereits als ausländischer Agent gilt, öffentlich teilen und außerdem Geld aus dem Ausland erhalten, unabhängig aus welcher Quelle. Duma-Abgeordnete beeilten sich damals, zu versichern, dass das Gesetz als Gegenmaßnahme zu ähnlichen US-amerikanischen Regelungen gedacht sei. Vor allem sei es gegen Mitarbeiter von denjenigen Auslandsmedien gerichtet, die als „ausländische Agenten“ gelistet sind. Tatsächlich ist das Gesetz jedoch so breit formuliert, dass eine selektive und willkürliche Auslegung möglich ist. Im Dezember 2020 hat das Justizministerium fünf Einzelpersonen in das Agentenregister für Medien aufgenommen, unter anderem den Menschenrechtsaktivisten Lew Ponomarjow.6 Im Juli 2022 unterschrieb Wladimir Putin ein neues Gesetz, wonach jeder, der „unter ausländischem Einfluss“ steht, zum „ausländischen Agenten“ erklärt werden kann. Außerdem wurde ein neues Register eingeführt, das „ausländischen Agenten affiliierte“ Organisationen und Personen auflistet.

Insgesamt sollen diese Regelungen die Arbeit von politisch aktiven Organisationen erschweren; sie funktionieren aber auch als eine Drohkulisse, die „unerwünschte“ politische Aktivitäten im Keim ersticken. Ihre Verabschiedung ging einher mit dem systematischen Beschneiden der Bürgerrechte in Russland. So sind heute alle Dimensionen der Handlungsfelder unabhängiger zivilgesellschaftlicher Organisationen – von Registrierung und Aktivitäten, über Versammlungsfreiheit und freie Rede bis hin zu Ressourcen und internationalen Kontakten – mit rechtlichen Schranken versehen und zum Teil kriminalisiert.

Stand: 14.07.2022


1.ausführlich zu den Auswirkungen des Agentengesetzes: Ochotin, Grigorij (2015). Agentenjagd: Die Kampagne gegen NGOs in Russland, in: Osteuropa 2015 (1-2), Berlin, S. 83-94 
2.vgl. Lauth, Hans-Joachim / Sehring, Jenniver (2009). Putting Deficient Rechtsstaat on the Research Agenda: Reflections on Diminished Subtypes, in: Comparative Sociology 2009 (8), S. 165-201 
3.Siegert, Jens (2014). Mehr als ein Jahr „Agenten“-Jagd – eine Art Zwischenbericht, in: Russland-Analysen 2014 (278), S. 25-27 
4.vgl. minjust.ru: Svedenija reestra NKO, vypolnjajuščich funkcii inostrannogo agenta 
5.vgl. minjust.ru: Perečen' inostrannych i meždunarodnych nepravitel'stvennych organizacij, dejatel'nost' kotorych priznana neželatel'noj na territorii Rossijskoj Federacii 
6.minjust.gov.ru: Reestr inostrannych sredstv massovoj informacii, vypolnjajuščich funkcii inostrannogo agenta 
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Farbrevolutionen

Als Farbrevolutionen bezeichnet man eine Reihe friedlicher Regimewechsel in post-sozialistischen Ländern. Diese wurden unter anderem durch gesellschaftliche Großdemonstrationen gegen Wahlfälschungen ausgelöst. Aufgrund der Farben beziehungsweise Blumen, mit denen die Bewegungen assoziiert werden, ist der Sammelbegriff Farbrevolutionen entstanden. Stellt der Begriff für die politische Elite in Russland eine Bedrohung ihrer Macht dar, verbinden oppositionelle Kräfte damit die Chance auf einen Regierungswechsel.

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AGORA

AGORA ist eine bekannte russische Menschenrechtsorganisation, die sich juristisch für die Rechte von Aktivisten, Journalisten, Bloggern und Künstlern einsetzt. In jüngster Zeit geriet die Organisation in die Schlagzeilen, da sie vom Justizministerium als sog. ausländischer Agent registriert wurde.

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