Bei einem Brand auf einem russischen U-Boot der Nordmeerflotte sind 14 Seeleute ums Leben gekommen. Wer sind die Toten? Gibt es Verletzte und wie viele? Um welches U-Boot handelt es sich?
Derzeit gibt es viele offene Fragen, aber kaum Antworten. Nur tröpfchenweise fließt die Information: Präsident Putin gab bekannt, dass unter den Toten sieben Kapitäne ersten Ranges gewesen seien. Das Schiff sei ein Forschungsschiff. Es wurde nach dem Unglück zu einer Militärbasis in Seweromorsk, im hohen Norden Russlands, gebracht.
Russische Medien wie RBC und Novaya Gazeta berichten unterdessen, dass es sich dabei um das nuklearbetriebene U-Boot AS-12 handele. Über dieses U-Boot ist nur wenig bekannt, es unterliegt strenger Geheimhaltung. Eine Theorie ist, dass es nicht zu Forschungszwecken, sondern zu anderen Arbeiten auf dem Meeresgrund verwendet werden könnte, etwa zur Sabotage von Unterseekabeln.
Das Unglück ereignete sich am 1. Juli, die Nachricht darüber war zuerst tags darauf auf der russischen Website severlife.ru erschienen. Diese lokale Infoplattform aus Seweromorsk hat der Website similarweb zufolge durchschnittlich rund 150.000 Aufrufe im Monat.
Wie severlife.ru-Blogger Jewgeni Karpow als einer der Ersten von dem Unglück erfahren hat und weshalb er seine Meldung kurz nach der Veröffentlichung wieder von der Seite nahm, das erzählt er im Interview mit Meduza – und gibt ganz nebenbei einen Einblick, welche Hürden unabhängige, regionale Onlinemedien im heutigen Russland mitunter nehmen müssen.
Am 1. Juli ist so gegen 23 Uhr die Nachricht aufgetaucht, dass sich das Krankenhaus auf die Aufnahme einer großen Zahl Verletzter vorbereitet. Die Info kam von meinen Quellen bei der Nordmeerflotte. Um was genau es sich handelt, das haben sie nicht gesagt. In diese Sachen stecken wir unsere Nase normalerweise nicht rein, da es um strategische Geschichten geht.
Die Informationen über Todesopfer und Verwundete änderten sich ständig. In der allerersten Meldung wies ich darauf hin, dass meine Informanten unterschiedliche Auskünfte geben und dass es schwer sei, aus ihren Worten die genaue Anzahl [Toter und Verwundeter – dek] zu bestimmen.
Die Informationen über Todesopfer und Verwundete änderten sich ständig
Interessant war, dass vom Katastrophenschutzministerium keinerlei Informationen kamen. Meine Informanten dort sagten, dass sie von nichts gehört hätten. Da stiegen Zweifel in mir auf [an der Richtigkeit der Informationen aus erster Quelle], deswegen wartete ich ab bis zum Morgen und begann, die Information mit anderen Quellen abzugleichen.
Nach der Veröffentlichung [am 2. Juli, vormittags – dek] hab ich bei der Pressestelle angerufen und um eine Stellungnahme gebeten. Danach hat mich einer angerufen, der mit der Nordmeerflotte zu tun hat, und bat mich, die Info wieder von der Seite zu nehmen: Es gäbe bald eine offizielle Meldung dazu.
Ich hab Informationen darüber, dass derzeit zwei Menschen auf der Intensivstation sind, aber ich kann das nicht garantieren, denn ich bin nicht in der Stadt. Genausowenig kann ich sicher sein, dass die Informationen der Pressestelle der Wahrheit entsprechen.
Wahrscheinlich wird es niemals irgendwelche Informationen geben – es geht hier schließlich um die Nordmeerflotte
Die Namen der Toten haben mir meine Quellen nicht genannt. Das Krankenhaus geht auf meine Anfragen nicht ein.
Wahrscheinlich wird es niemals irgendwelche Informationen geben – es geht hier schließlich um die Nordmeerflotte. Sie sprechen überhaupt wenig mit Zivilisten, erst recht nicht über Dienstliches – wenn, dann nur zuhause in der Küche.
Ich weiß, dass die Stimmung in der Stadt jetzt ziemlich aufgeheizt ist. Es sind hochrangige Leute angekommen, wer sich mit denen trifft, hat Geheimhaltungserklärungen unterzeichnet. Das verlangen sie womöglich auch von den Familien der Toten und Verwundeten.
Wahrscheinlich erfahren wir in den nächsten Tagen nicht mal ansatzweise etwas über die Opfer [am 3. Juli bestätigte der Sankt Petersburger Interims-Gouverneur Alexander Beglow, dass sie zu den Streitkräften gehörten, die in Sankt Petersburg stationiert sind – dek|, nicht mal ihr ungefähres Alter. Aber ich denk mal, bei ihnen kann es sich kaum um einfache Soldaten auf Zeit handeln.
Die Stimmung in der Stadt ist ziemlich aufgeheizt
In der Stadt wird man wohl kaum etwas mitbekommen. Kursk hat man mitbekommen, denn wir haben aus den Fenstern beobachtet, wie man das U-Boot herauszog, die Situation war schwierig. Alle haben alles kapiert, die Stadt war grau, trüb, schweigsam, als ob man die Anspannung spüren konnte. Weinende Menschen gab es in der Stadt aber keine.
Es gibt keine Journalisten in Seweromorsk. Hier arbeite ich, und da sind noch die Medien, die die Stadtverwaltung eingerichtet hat. Niemand wird sie informieren. Und mir kommt meine Tätigkeit manchmal quer.
Von 2008 bis 2011 habe ich im Einsatz- und Streifendienst der Seweromorsker Miliz gearbeitet. Dann aber wurde ich nach Paragraph 228.2 zu drei Jahren Haft verurteilt, vor Gericht saß ich als Mitarbeiter [der Polizei – dek]. Aus Seweromorsk wurde ich nach Kirow gebracht, wo ich einsaß. Dann war ich in einer Strafkolonie in Irkutsk und kam nach einem Jahr und neun Monaten vorzeitig auf Bewährung raus. Vor dem Hintergrund der aktuellen Ereignisse um Golunow könnte man bei mir eine halbe Tonne Kokain finden und mich wieder ins Gefängnis schicken.
Vor Kurzem tauchte im Internet ein anonymer Artikel auf, dass ein ehemaliger Häftling (also ich) Nachrichten aus Seweromorsk schreibe. Da steht, dass ich auf meiner Website manchmal glaubwürdige Informationen verbreite und manchmal ein wenig lüge. Und dass man sich nicht wundern solle, falls Jewgeni Karpow bald Förderung von ausländischen Medien erhält [das sogenannte Ausländische-Agenten-Gesetz gilt seit November 2017 auch für Medien – dek].
Ich finde es interessant, mich damit zu beschäftigen. Noch in Haft habe ich realisiert, dass ich das machen werde. Und nun gibt es meine Website und einige Gruppen in sozialen Medien schon seit fünf Jahren. Ich trete aber als Blogger auf, eine Registrierung als Medium habe ich nicht.