Kein Hundeleben, das die Corgis des russischen Vize-Premiers Igor Schuwalow führen: Der Fonds für Korruptionsbekämpfung des Oppositionsführers Alexej Nawalny ermittelte unlängst, dass sie im Privatjet zu internationalen Hundeausstellungen geflogen wurden. Olga Schuwalowa, die Frau des führenden Politikers, widersprach den Vorwürfen nicht und merkte nur an, die Corgis würden auf den Schauen „die Ehre Russlands verteidigen“.
Erst im Juli war Schuwalow außerdem vorgeworfen worden, eine ganze Etage mit Wohnungen mitten im Zentrum Moskaus aufgekauft zu haben. Woher der Reichtum des Politikers genau kommt, der vor seiner Politikkarriere ein erfolgreicher Geschäftsmann gewesen sein soll, bleibt offen.
Warum, so fragt der Historiker und Journalist Sergej Medwedew auf slon.ru, regen sich nur so wenige in Russland darüber auf? Und er geht sogar noch weiter: Nicht nur, dass sich keiner darüber aufrege – im Grunde legitimiere der Protz erst die Macht.
„Was blickst du so finster, Bruder“, fragte Kirila Petrowitsch, „gefällt dir etwa mein Hundezwinger nicht?“ – „Doch“, antwortete Dubrowski barsch, „der Zwinger ist herrlich, Ihre Leute werden wohl kaum ein so schönes Leben haben wie Ihre Hunde.“ (Alexander Puschkin, Dubrowski)
Wenn es Igor Iwanowitsch Schuwalow nicht gäbe, würde es sich lohnen, ihn zu erfinden: mit dem adelig klingenden Namen und dem Schloss in Österreich, dem Londoner Apartment im ehemaligen Gebäude des MI6-Geheimdienstes in Whitehall und dem Familiensitz in Saretschje, wo auch Suslows Parteien-Datscha steht. Mit dem Rolls-Royce für 40 Millionen Rubel und einem eigenen Stockwerk in einem Wolkenkratzer am Kotelnitscheskaja-Ufer. Mit all diesen Dingen aus der Kategorie „Wirkt albern, aber die Leute kaufen es“ und der Bereitschaft, für Putin „auch mal zurückzustecken“. Und nun auch noch mit dem Corgi-Paar, das mit dem Businessjet von Hundeschau zu Hundeschau geflogen wird.
Er ist eine richtige Pelewin-Figur. Der Cargo-Kult auf zwei Beinen. Ein Destillat vom postsowjetischen Transit.
Wer solche Freunde hat, braucht keine Feinde
Da helfen auch keine Anwaltsvergangenheit und kein Teflonlächeln. Keine treuherzigen Erklärungen im Stil von „Alles hart erarbeitet“ und „Alles rechtmäßig versteuert“. Und keine Ehegattin, die ganz einfältig erläutert, die Corgis flögen, um die Ehre Russlands zu verteidigen. Und noch nicht einmal Margarita Simonjan, die auf Echo noch unmissverständlicher verkündet: „Ich denke, nur reiche Leute sollten Beamte werden, nur … ein Mensch, der sehr viel Geld verdient und sich im Business bewiesen hat. Bis 40, und mit 45 dann ein richtiger Kerl ist – also Boote, Flugzeuge, Brillanten und Pelze kauft …“ Wahrlich, wer solche Freunde hat, braucht keine Feinde.
Manchmal scheint es, als sei das Projekt Schuwalow eine PR-Provokation. Eine Bombe gegen das bestehende Regime. Eine moderne russische Marie Antoinette samt ihrem „Sollen sie doch Kuchen essen“. Ein Katalysator für Revolution und Volkszorn.
„Er macht es, weil er ’ s kann“
Aber die Wirklichkeit sieht natürlich anders aus. Von Revolution ist keine Spur, und statt Zorn gibt es nur Schmunzeln und Internethumor. Alle enthüllenden Posts von Nawalny versinken im Treibsand der russischen Gesellschaft. Einer Gesellschaft, die zynisch ist, anämisch und anomisch, und die Gewalt und Macht wesentlich höher schätzt als Recht und Moral.
Meme und Karikaturen über Schuwalows Hunde posten und teilen stets dieselben Hunderttausend facebook-Nutzer. Der Rest des Landes betrachtet es mit Gleichgültigkeit und folgt der unumstößlichen Volksweisheit: „Er macht es, weil er´s kann.“
Wie der Politologe Wladimir Gelman feststellt, steht dies in fundamentalem Widerspruch zur spätsowjetischen Kampagne für den „Kampf gegen Privilegien“. Eine der wichtigsten Losungen der Perestroika. Als die Publizisten dazu aufriefen, zu den leninschen Normen der Partei-Bescheidenheit zurückzukehren, und als man sich im Volk Apokryphen darüber erzählte, wie Jelzin, als er schon Erster Sekretär im Moskauer Stadtkomitee der KPdSU war, mit dem Trolleybus zur Arbeit fuhr.
Warum reagiert die Gesellschaft nicht?
Wo ist das alles hin? Warum reagiert die Gesellschaft weder auf Nachrichten über Korruption noch auf den provokanten Konsum der Staatsdiener?
Gelman spricht von Ermüdung und Apathie: Mit der Peitsche kommt man gegen das Beil nicht an. „Die Erfahrung vom erfolglosen Kampf gegen Privilegien in der Epoche der Perestroika und die nachfolgenden Ereignisse, in denen der russischen Öffentlichkeit – mit wenigen Ausnahmen – die Rolle von Statisten zukam, haben die Russen davon überzeugt, dass eine Auflehnung gegen eine Obrigkeit, die über die Stränge schlägt, sinnlos, wenn nicht sogar gefährlich ist.“
Auf der anderen Seite gibt es einen gemeinhin anerkannten Gesellschaftsvertrag, der da heißt Alle klauen. Die Nachrichten über Korruption, der verschwenderische Konsum und provokante Luxus der Wirtschaftselite fungieren als Ablassbrief für ebensolches Verhalten quer durch alle Gesellschaftsschichten: Der Blick nach oben verschafft den Menschen das moralische Recht Steuern zu hinterziehen, Schmiergelder zu zahlen oder anzunehmen und über die eigenen Verhältnisse zu leben.
„Alle klauen“ – so heißt der Gesellschaftsvertrag
Das Beispiel der Obrigkeit erzeugt eine „Alles-ist-erlaubt“-Atmosphäre in der Gesellschaft: Wenn die Hunde des Vize-Premiers mit Privatjets fliegen, warum darf die gesamte Führungsriege der Wolgograder Region dann nicht in die Toskana fliegen, um den Geburtstag des Gouverneurs Boschenow zu feiern? Wenn ein Wagen mit Blaulicht die durchgezogene Mittellinie durchkreuzen darf, warum kann ein gewöhnliches Auto dann nicht den Stau auf dem Seitenstreifen umfahren?
Macht fußt auf der Behauptung des eigenen Status, nicht auf Wahlen
Aber neben der traditionellen Kungelei über die verschiedenen sozialen Schichten hinweg gibt es auch noch eine tieferliegende, strukturelle Ursache, warum Schuwalows zur Schau gestellter Reichtum das Regime nicht diskreditiert, sondern sogar legitimiert: Macht fußt in Russland nicht auf Wahlen, sondern auf Gewalt und auf der Behauptung des eigenen Status. Sprich darauf, wie effektiv jemand durch Gewalt- und Symbolwirkung den Diskurs beherrscht. Für die Legitimation der Macht braucht es den Überfluss: öffentliche Prügelstrafen, demonstrativen Luxus und die Verachtung von Gesetz und moralischen Normen. Genau so funktioniert auch die Macht eines Kirila Petrowitsch Trojekurow in der patriarchalen Welt von Dubrowski.
So betrachtet sind diese ganzen Darstellungen von Reichtum – Putins Schlösser, die Uhr des Patriarchen, der Autokorso der Absolventen der FSB-Akademie mit den Mercedes-Geländewagen, die Bentley-Festzüge in Tschetschenien, Schuwalows Hunde oder die Löwen in Kadyrows Privatzoo – allesamt Attribute patriarchaler Macht. Und gewichtige Argumente in der Ständehierarchie, gegen die wiederum nur wieder dieselben Hunderttausend facebook-Nutzer und ein paar engagierte Städter aufbegehren. Der Großteil der Bevölkerung nimmt sie schweigend hin, als unvermeidliche, herrschaftliche Kapriolen, die man zuweilen sogar sozial gutheißt.
Ein Geschenk von Soros, das wäre kompromittierend
Die Corgis im Business-Jet haben also keine kompromittierende Symbolwirkung. Im Gegenteil: Sie bestätigen nur das Recht auf Macht, die Kastenzugehörigkeit. Etwas anderes wäre es natürlich, wenn die Hunde nicht Toscha und Cäsarewitsch hießen, sondern Maidan und Bandera. Oder wenn Schuwalow sie von Soros geschenkt bekommen hätte. Oder wenn sie weiße Bänder an ihrem Halsband tragen würden. Das wäre kompromittierendes Material! Aber der Besitz von Anwesen und Konten im Ausland und die herrschaftlichen Allüren, kurzum der Euter, den man bei den modernen russischen Koreikos jederzeit fühlen kann, gilt unter den Bedingungen des jetzigen Regimes als Zeichen von Loyalität und Zugehörigkeit zum System.
Eine katastrophale Kluft in der Gesellschaft
Die aktuelle Evolutionsstufe der russischen Gesellschaft zeichnet sich dadurch aus, dass sich die Herrschaftsschicht das einfache Volk nun endgültig vom Hals geschafft hat. Sie kümmert sich nicht länger um ein schickliches Image. Im Gegenteil: Sie erhebt ihre Privilegien und Launen sogar zur Norm.
Herrschaftliche Megaprojekte – angefangen bei den Olympischen Spielen und der Fußball-WM bis hin zu Hochgeschwindigkeitszügen und den Maßnahmen zur Erhöhung des Komforts in Moskau – bei gleichzeitiger Zerstörung der sozialen Infrastruktur, die Verachtung für die Not der Menschen, die immer wieder in den Äußerungen von hohen Beamten und Abgeordneten durchklingt: All das zeugt vom endgültigen Verlust der sozialen Solidarität und von der katastrophalen Kluft, die sich in der russischen Gesellschaft auftut. Eine der wesentlichen Folgen der Putinschen Konterreformen.
Dienstadel wie zu Zeiten von Iwan dem Schrecklichen
Während der letzten hundert Jahre, seit 1917, hat sich Russland bemüht, eine moderne Gesellschaft zu errichten. Sie sollte auf Prinzipien der Solidarität, der politischen Gleichheit und auf einem Gesellschaftsvertrag gründen (auch wenn das in vielerlei Hinsicht nur proklamierte Ziele blieben, denn auch in der UdSSR herrschten Statusprivilegien und eine berufliche Ständeordnung). Aber im 21. Jahrhundert setzte eine vernichtende De-Modernisierung ein – und zwar der Macht, der Gesellschaft, der Ökonomie und des kollektiven Bewusstseins.
Alles in allem entfernt sich Russland von der modernen Bürokratie und vom Oligarchen-Staat aus Zeiten des Frühkapitalismus. Und es steuert auf eine feudale, aristokratische Regierung zu. Auf die Schaffung eines Dienstadels wie zu Zeiten von Iwan dem Schrecklichen, dem Urvater der russischen Staatsmacht. Sein neuestes Denkmal wird am 3. August in Orlow enthüllt.
Auch Igor Schuwalow setzt hierbei mit seinem sorgfältig konstruierten Aristokratismus einen politischen Trend, wenn auch im britischen Stil – von den königlichen Corgis bis zum Anwesen in der Whitehall Street.
Es wird neue Gesetze brauchen: vererbbare Titel und Rechte
Verfolgt man diese Abstiegslinie auf den Stufen der Geschichte weiter, müssten wir vom Dienst- bald zum Erbadel kommen. Nicht ohne Grund bezeichnete der Politologe Jewgeni Mintschenko die 2010er Jahre schon 2012 als einen „dynastischen Abschnitt“ im Evolutionssystem. Charakteristisch ist für diesen Abschnitt das Streben der Elite, eine Erbschaftsaristokratie zu errichten. Sie soll ermöglichen, den erworbenen Besitz an die Sprösslinge weiterzugeben. Allein das Erbrecht kann die Elite vor erneuten Umverteilungen bewahren, die bei einem Machtwechsel in Russland unvermeidlich wären. Und in Zeiten von Krieg, Terror und Sanktionen Stabilität und Nachfolgerschaft gewährleisten.
Dafür wird es neue Gesetze brauchen: vererbbare Titel und Rechte, einen rechtlichen Sonderstatus für Adelige, Immunität, Garantien der Unantastbarkeit von Privatleben und Besitz (wie das funktioniert, zeigte bereits die Verurteilung der Ökologen Jewgeni Witischko und Surena Gasarjan wegen einer Aufschrift am Zaun der Datscha des Gouverneurs Alexander Tkatschow). Und es braucht Informationsschutz für Eintragungen von Aristokraten in Grundbüchern, damit Ermittlungen wie „Tschaika“ oder „Anwesen auf der Kotelnitscheskaja“ nicht mehr vorkommen.
Oden an die Hunde von Schuwalow
Dass es auch für die Haustiere der Herrschaften einen Sonderstatus braucht, versteht sich von selbst. Konnte doch Mitte des Jahrhunderts ein Bauer, der die Hand gegen den Hund eines Adeligen erhebt, zum Tode verurteilt werden. Und weil Sergej Jessenin einst ein anrührendes Gedicht für den Hund von Katschalow schrieb, werden die zeitgenössischen Dichter wohl Oden an die Hunde von Schuwalow verfassen müssen. Denn sie verteidigen in der Tat die Ehre Russlands. Sie sind Russlands Symbole und Role Models. Sie sind das Beispiel für prestigeträchtigen Konsum und eben jenen Erfolg, über den die fachkundige Margarita Simonjan zu urteilen weiß.