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Presseschau № 41: Dumawahl 2016

Nach der Dumawahl am Sonntag sind – wie schon seit 2011 – vier Parteien im russischen Parlament vertreten: die Kremlpartei Einiges Russland, die Kommunistische Partei (KPRF), die nationalkonservative Liberaldemokratische Partei (LDPR) und die linke Partei Gerechtes Russland. Mit insgesamt 343 von 450 Mandaten erhält Einiges Russland die meisten Sitze im Parlament. Dieses Ergebnis galt als erwart- und vorhersehbar. Präsident Wladimir Putin ließ nach Bekanntgabe der Stimmanteile verlautbaren, die Menschen hätten gespürt, dass gesellschaftliche und politische Stabilität gebraucht würde.

Nach der Wahl ist vor der Wahl? An der politischen Kräfteverteilung hat sich nichts Wesentliches geändert, mit dem Unterschied, dass Einiges Russland nun sogar eine Zweidrittelmehrheit innehat. Die Systemopposition teilt sich untereinander ihre Plätze lediglich etwas anders auf. In der Presse wurde daher vor allem diskutiert, welche Signalwirkung davon ausgeht – insbesondere vor dem Hintergrund, dass Fälschungsvorwürfe laut wurden und die Wahlbeteiligung nach aktuellem Stand bei nur 47,81 Prozent lag.

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Komsomolskaja Prawda: Kein Anlass zur Euphorie

Der Chefredakteur der regierungsnahen Komsomolskaja Prawda, Wladimir Sungorkin, geht auf die sinkende Wahlbeteiligung ein und führt sie darauf zurück, dass es kein Vertrauen in den Wahlmechanismus gebe.

Deutsch
Original
Mich beunruhigt diese Euphorie von Einiges Russland. Ihr glaubt doch nicht etwa wirklich an das, was ihr sagt? [...] Ihr sagt, das Volk habe für Einiges Russland gestimmt. Nun mal langsam. Ein gewisser Teil hat für Einiges Russland gestimmt. Kein großer. Das kann man leicht nachrechnen. Ungefähr 20 Millionen von 145 Millionen haben Einiges Russland gewählt. Über die Hälfte der Wahlberechtigten sind nicht zur Wahl gegangen. Wir verlegen uns auf Schamanismus: In Frankreich sind sie weggeblieben, in Deutschland sind sie weggeblieben. Hört mal, aber wir sind hier nicht in Frankreich und nicht in Deutschland. Meine Bewertung fällt so aus: Ein riesiger Teil der Bevölkerung ist nicht hingegangen, weil er keinerlei Vertrauen in die Wahlen hat. Er geht nicht hin, weil er nicht daran glaubt. Ich denke, es gibt keinen Grund zur Euphorie.
Меня тревожит такая эйфория «Единой России». Неужели вы действительно верите в то, что вы говорите? [...] Вы говорите, что народ проголосовал за «Единую Россию». Давайте как-то осторожнее. Некая часть народа проголосовала за «Единую Россию». Она небольшая. Это же в пределах арифметики. Примерно 20 миллионов из 145 миллионов населения России проголосовало за «Единую Россию». Больше половины избирателей не пришли. Мы начинаем шаманствовать: во Франции тоже не пришли, и в Германии не пришли. Слушайте, у нас далеко не Франция и не Германия. Мое оценочное суждение: огромная часть населения не пришла, потому что абсолютно не доверяет выборному механизму. Она не идет, потому что не верит. Я считаю, что поводов для эйфории нет.

Slon: „Wahl zwischen schlechten Möglichkeiten“

Andrej Archangelski findet, es habe bei der Dumawahl lediglich eine „Wahl zwischen schlechten Möglichkeiten“ bestanden. Auf dem unabhängigen Magazin Slon fragt er sich, wie sich das auf die Psyche der Wähler auswirkt.

Deutsch
Original
Das Besondere an dem aktuellen Wahlkampf bestand darin, dass formal die Wahlmöglichkeiten zugenommen hatten (bei den vorigen Wahlen war die Einstiegshürde für die Parteien höher und es gab keine Einerwahlkreise). Doch sowohl bei den vergangenen als auch bei diesen Wahlen hat im Endeffekt das grundlegende Prinzip gesiegt, das wir als „Wahl zwischen schlechten Möglichkeiten“ bezeichnen – wenn jedwede Verhaltensstrategie des Wählers das Ergebnis nicht grundlegend beeinflussen kann. Das versetzt jedes Mal insbesondere dem moralischen Zustand der Gesellschaft einen derben Schlag und erzeugt weiteren Unglauben und Apathie.
Специфика нынешней выборной кампании в том, что формально возможности выбора стали шире (на прошлых выборах был выше проходной барьер для партий и не было одномандатников). Но и на прошлых, и на этих выборах побеждает в итоге все тот же базовый принцип, который мы назовем «ситуацией плохого выбора», когда любая альтернативная стратегия поведения избирателя на выборах не может принципиально повлиять на конечный результат. Это всякий раз сильно бьет именно по моральному состоянию общества и порождает еще большее неверие и апатию.

Izvestia: Wie es in einem demokratischen Land sein soll

In der kremlnahen Zeitung Izvestia sieht der Politikwissenschaftler Alexej Martynow Russland dagegen im Kreis lupenreiner Demokratien angekommen. In denen das Volk naturgemäß der Souverän sei.

Deutsch
Original
Trotz trüber Prognosen einiger unzufriedener Polittechnologen waren diese Wahlen geprägt von spannenden Kämpfen, dramatischen Situationen und scharfer Konkurrenz. Außerdem bemerkten alle Beobachter und Experten eine völlig neue Qualität des Wahlprozesses und des Wahlkampfs selbst. [...] Insgesamt ist die Demokratie in Russland herangereift. Zu einer anerkannten Notwendigkeit. Wahrscheinlich ist bei den jetzigen Parlamentswahlen der Wähler zu einem der wichtigsten Teilnehmer geworden. So, wie sich das in einem demokratischen europäischen Land gehört.
Вопреки унылым прогнозам некоторых неудовлетворенных политтехнологов эти выборы оказались отмечены высоким накалом борьбы, драматичными ситуациями и острой конкуренцией. Кроме того, все наблюдатели и эксперты отмечают совершенно новое качество выборного процесса и самой предвыборной кампании. [....] В целом демократия в России повзрослела. Стала осознанной необходимостью. Наверное, одним из главных участников прошедших парламентских выборов стал избиратель. Как и должно быть в демократической европейской стране.

Nesawissimaja Gaseta: Bodensatz bleibt haften

Alexej Gorbatschow, Beobachter der Nesawissimaja Gaseta, hat beim Verfolgen der medialen Berichterstattung zwei völlig verschiedene Wahltage erlebt.

Deutsch
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Wie zu erwarten, entfernten sich Regierungsvertreter und Opposition im Laufe des Wahltages immer weiter voneinander in ihrer Bewertung über den Verlauf der Abstimmung. Auch in den Medien wurden unterschiedliche Bilder gezeichnet. Während die staatlichen Sender Berichte über einen ruhigen, ja geradezu feierlichen Tag brachten, wimmelte es im Internet und in den sozialen Netzwerken von Meldungen über Verstöße. Insgesamt gab es nur geringfügig weniger Informationen über den massiven zusätzlichen Stimmeinwurf oder die berühmten Wähler-Karussels als im Jahr 2011. [...]
Как и полагается, представители власти и оппозиции в течение дня существенно расходились в оценках хода голосования. Разные картинки предоставила и медиасфера. Если на госканалах звучали рапорты о спокойном и даже праздничном дне, то Интернет и соцсети были забиты сообщениями о нарушениях. Судя по всему, информации о пресловутых вбросах и «каруселях» окажется лишь немногим меньше, чем в 2011-м. [...] В общем, уже можно сделать предварительный вывод о том, что идеальной кампании, конечно, не получилось. Указания Кремля о конкурентных, открытых и легитимных выборах, как и предполагалось, хроника 18 сентября сильно портит. И хотя большая часть сообщений о нарушениях или не подтвердится, или будет проигнорирована, а то и просто замолчена, но осадок, как говорится, все равно останется.

Lilia Shevtsova (facebook): Fake-Vertretung

Die renommierte Politikwissenschaftlerin Lilia Shevtsova schreibt auf ihrer facebook-Seite, die Verbindung zwischen Volk und Volksvertretung sei seit langem abgerissen. Der Graben vertiefe sich nach dieser Wahl.  

Deutsch
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Einen RISS. Genau den wird die Siebente Duma demonstrieren. Den Riss zwischen der neuen Realität des Landes, das immer tiefer in die Krise gleitet, und den Versuchen des Kreml, Stabilität zu wahren. Die verrostete parlamentarische Konstruktion entspricht schon seit langem nicht mehr den gesellschaftlichen Anforderungen. Sie könnte noch eine Zeit lang weiterrosten. Doch wird die Duma heute potenziell zu einem revolutionären Faktor – weil sie eine Fake-Vertretung darstellt. Die Gesellschaft wird in dieser Situation wachsender Unzufriedenheit dazu gezwungen sein, ihre Interessen auf der Straße zu formulieren – weil sie legaler Kanäle zur Durchsetzung ihrer Interessen beraubt ist. Und die Regierung weiß das sehr wohl. Warum sonst sollte sie schon im Vorwege ein repressives Verteidigungssystem geschaffen haben? [...] Also haben wir es gerade mit dem letzten Atemzug der „parlamentarischen Stabilität” zu tun. Und er wird in die Geschichte eingehen als Beispiel für die Diskreditierung des Parlamentarismus.
РАЗРЫВ. Именно это будет демонстрировать седьмая Дума. Разрыв между новой реальностью страны, все глубже вползающей в кризис, и попытками Кремля сохранить стабильность. Заржавевшая «парламентская» конструкция давно уже не отвечает запросам общества. Она могла бы еще какое-то время ржаветь и дальше. Но сегодня Дума потенциально становится революционным фактором – в силу своей функции фейкового представительства. Общество в ситуации нарастающего недовольства и не имея легальных каналов защиты своих интересов, будет вынужденно выражать свои интересы через улицу. Впрочем, власть это понимает. Иначе зачем заранее создавать репрессивную систему обороны? [...] Так, что мы имеем дело с последним вздохом «парламента стабильности». И он останется в истории, как пример дискредитации парламентаризма.

Rossijskaja Gaseta: Die Gesellschaft akzeptiert das System

Leonid Radsichowski, Kolumnist der Regierungszeitung Rossijskaja Gaseta, meint, dass das System die heutige Duma reproduziert habe und die Gesellschaft damit einverstanden sei:

Deutsch
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Man kann durchaus sagen, dass die Duma die Hürde des Wahlkampfs überwunden hat und dabei nicht mit dem Fuß hängengeblieben ist: Das System hat sich selbst reproduziert, hat die heutige Duma reproduziert. [...] Die Gesellschaft, die in Russland existiert (die Mehrheit), akzeptiert das Parteiensystem (und auch das politische System insgesamt), das wir haben. Genau wie auch die Gesellschaften in den anderen Ländern des Westens und Ostens mit ihrem politischen und ihrem Parteiensystem faktisch einverstanden sind. Die Systeme unterscheiden sich, die Gesellschaften unterscheiden sich, die Vorstellungen von Wettbewerb unterscheiden sich, das Zusammenspiel zwischen Verwaltungssystem, politischem System und Gesellschaft ist ein jeweils anderes, aber in jedem existierenden stabilen Staat gibt es ganz offensichtlich eine ENTSPRECHUNG zwischen der Gesellschaft und dem System. Und die heißt Gesellschaftsvertrag – entweder ist er schriftlich niedergelegt in Gesetzen oder er existiert als stillschweigende Übereinkunft.
Можно сказать, что Дума перепрыгнула через веревочку выборов, и ножкой не зацепив, Система воспроизвела себя, воспроизвела сегодняшнюю Думу. [...] Общество, существующее в России (большинство), принимает ту партийную Систему (как и в целом политическую Систему), которая есть. Так же как общества в других странах Запада и Востока по факту устраивает их партийно-политическая Система. Системы - разные, общества - разные, представления о конкуренции - разные, соотношение "Административная Система - Политическая Система - Общество" - в каждом случае разное, но в каждом стабильно существующем государстве, есть, видимо, СООТВЕТСТВИЕ между Обществом и Системой. Вот такой Общественный Договор - или записанный в законах, или "по умолчанию".

dekoder-Redaktion

 

 

 

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Staatsduma

Als Staatsduma wird das 450 Abgeordnete umfassende Unterhaus der Föderalen Versammlung Russlands bezeichnet. Im Verhältnis zu Präsident und Regierung nimmt die Duma verfassungsmäßig im internationalen Vergleich eine schwache Stellung ein. Insbesondere das Aufkommen der pro-präsidentiellen Partei Einiges Russland führte dazu, dass die parlamentarische Tätigkeit zunehmend von Präsident und Regierung bestimmt wurde.

Russlands Parlament, die Föderale Versammlung, ist in zwei Kammern organisiert. Als Oberhaus vertritt der Föderationsrat die Regionen. Das Unterhaus wird als Staatsduma (Gosudarstwennaja Duma) bezeichnet. Die Namensgebung weist auf die historische Vorgängerin hin, die von 1905 bis zur Oktoberrevolution 1917 als Staatsduma des Russischen Imperiums tagte.

In drei Schritten zur Dominanz der Exekutive

Am 12. Dezember 1993 fanden die Wahlen zur ersten postsowjetischen Duma und gleichzeitig das Referendum über die Verfassung der Russischen Föderation statt. Dies war die endgültige Abkehr vom Obersten Rat und damit vom Sowjetparlamentarismus, der keine Gewaltenteilung kannte.

Die Beziehungen im Dreieck zwischen Präsident, Regierung und Duma lassen sich in drei Phasen einteilen. Sie unterscheiden sich  im Hinblick darauf, inwieweit der Präsident durch parlamentarische Fraktionen und Gruppen unterstützt wird: 1994 bis 1999 waren die pro-präsidentiellen Parteien in der Minderheit, 2000 bis 2003 konnte Putin eine Koalition aus vier Fraktionen schmieden, seit 2004 dominiert Einiges Russland die Duma.1

Grafik 1: Fraktionen und Gruppen in den Legislaturperioden I bis VI (1994-2016)2

Die gesamte erste Phase, und auch Teile der zweiten, waren durch ein schwach institutionalisiertes Parteiensystem3 gekennzeichnet: Den pro-präsidentiellen Parteien der Macht standen eine Vielzahl anderer Fraktionen und Gruppen gegenüber. In der zweiten Duma stellten die Kommunisten gar die meisten Abgeordneten (s. Grafik 1). Dennoch regierte Jelzin nicht einfach mit Präsidialerlassen am Parlament vorbei, sondern handelte Unterstützung für Gesetzesvorhaben aus, in dem er beispielsweise im Gegenzug bestimmten Interessensgruppen bei der Haushaltsplanung entgegenkam4.

Mit den Parlamentswahlen von 1999 änderte sich das Bild. Die neu kreierte Regierungspartei Einheit erlangte zwar nur knapp 17 Prozent der Mandate, zusammen mit drei weiteren Fraktionen setzte sie jedoch die von Präsident und Regierung eingebrachten Gesetze weitgehend um. Mit den Wahlerfolgen der Einheit-Nachfolgerin Einiges Russland in den Jahren 2003 und 2007 wurde in Phase drei der Übergang zu einem dominanten Parteiensystem mit einem Parlament, das weitgehend von der Exekutive bestimmt wird, vollzogen. Die Politikwissenschaftlerin Petra Stykow spricht daher bei der Staatsduma von einer „institutionalisierten, autoritären Legislative“.5

Auswirkungen auf die Funktionen des Parlaments

Die Ausübung der verfassungsmäßig garantierten Kernfunktionen fällt in den drei Phasen entsprechend unterschiedlich aus.

Erstens: Die Ernennung des Regierungschefs. Im Unterschied zu vergleichbaren politischen Systemen werden in Russland Regierungsposten nicht an parlamentarische Parteien vergeben6, sondern Präsidenten bestellen Technokratenregierungen. Allerdings muss die Duma zustimmen, wenn der neugewählte Präsident den Regierungschef ernennt. Während Jelzin noch zu Eingeständnissen gezwungen war (zur Auflösung der Duma nach der dritten Ablehnung kam es allerdings nie), wurden Putins Ministerpräsidenten ausnahmslos mit deutlichen Mehrheiten bestätigt.

Zweitens: Misstrauensvoten gegen die Regierung. Abstimmungen wurden 1994, 1995, 2001, 2003 und 2005 lanciert. Lediglich 1995 nach der Geiselnahme in Budjonnowsk kam eine Mehrheit von 241 Stimmen zustande – allerdings gestattet es die Verfassung auch hier dem Präsidenten, das Misstrauensvotum zu ignorieren. Die Duma kann außerdem ein komplexes Verfahren zur Amtsenthebung des Präsidenten einleiten, sollte der Verdacht bestehen, dass sich der Präsident einer schweren Straftat schuldig gemacht hat. 1998 lancierte die Fraktion der Kommunisten ein solches Verfahren gegen Jelzin, jedoch fand keiner der fünf zur Abstimmung gebrachten Anklagepunkte die nötige Zweidrittel-Mehrheit für die Weiterleitung an den Föderationsrat und das Verfassungsgericht.

Drittens: Die Gesetzgebung, das Hoheitsrecht der Duma. Grafik 2 veranschaulicht, dass zwischen 1994 und 1999 die Hälfte bis ein Drittel der von Präsident und Regierung initiierten Gesetzesentwürfe nicht die Unterstützung der Duma fanden. Mit dem Siegeszug von Einiges Russland ändert sich das Bild: Exekutive Gesetzesentwürfe scheitern nur noch in Ausnahmefällen. Umgekehrt verhält es sich mit präsidentiellen Vetos: In den 1990er Jahren legte Jelzin durchschnittlich gegen 15 bis 25 Prozent der Gesetze, die von der Staatsduma verabschiedet wurden, Widerspruch ein. Unter Putin starb das Veto im Laufe der Zeit aus.
 

 


Grafik 2: Erfolgsrate von Präsident und Regierung in der Duma, Quelle: Autor

 

 


Grafik 3: Veto russischer Präsidenten, Quelle: Autor

Allgemein lässt sich festhalten, dass sich mit dem Übergang in die Putin-Ära die Abwesenheit von Abgeordneten bei Abstimmungen verringert und die Fraktionsdisziplin erhöht hat. Auch die Anzahl der Gesetze und die Geschwindigkeit, mit der diese verabschiedet werden, hat sich gesteigert.

Die Duma als Faktor der Regimestabilität

In den Medien kursiert der angebliche Ausspruch des ehemaligen Vorsitzenden Boris Gryzlov, dass die Duma „kein Ort für Diskussionen“7 sei. Der Volksmund sieht in ihr gar einen „durchgedrehten Drucker“, der Gesetze am laufenden Band ausspuckt. Als „autoritäre, institutionalisierte Legislative“ kann die Duma nicht mehr ihrer horizontalen Kontrollfunktion8 gegenüber Präsident und Regierung nachkommen. Dies macht die Kammer jedoch nicht bedeutungslos, denn bürokratische Verteilungskämpfe um Ressourcen innerhalb der Exekutive werden auch in und mit der Duma ausgetragen9. Wenn Ministerien etwa um Ressourcen konkurrieren, können diesen loyal gesinnte Abgeordnete Gesetze verzögern oder Änderungen beantragen.

Nach den Protesten 2011/2012 wies die Gesetzgebung vor allem in den Bereichen Meinungs-, Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit einen zunehmend repressiven Charakter auf. Ein Beispiel dafür ist das Gesetz über ausländische Agenten10. Mit anhaltender Wirtschaftskrise nehmen außerdem Gesetze überhand, die über Steuern und andere Abgaben Eigentum von Bürgern und Unternehmern „konfiszieren“. Die Politologin Ekaterina Schulmann11 argumentiert, dass es immerhin besser sei, etwas tiefer in die Tasche zu greifen, als ins Gefängnis zu wandern. Sicher ist jedenfalls, dass die Duma auch nach den Wahlen 2016 eine wichtige Rolle dabei spielt, Repression und Konfiskation ins Gleichgewicht zu bringen und somit über Regimestabilität und -wandel mitentscheiden wird.


1.Chaisty, P. (2014): Presidential dynamics and legislative velocity in Russia, 1994–2007, in: East European Politics, 30(4), S. 588-601
2.Interaktive Quelle zum Weiterklicken: Ria Novosti: 20 let Gossudarstvennoj dumy
3.Stykow, P. (2008): Die Transformation des russischen Parteiensystems: Regimestabilisierung durch personalisierte Institutionalisierung, in: Zeitschrift für Parlamentsfragen, S. 772-794
4.Remington, T. F. (2007): The Russian Federal Assembly, 1994–2004, in: The Journal of Legislative Studies, 13(1), S. 121-141 und: Troxel, T. A. (2003): Parliamentary Power in Russia, 1994-2001
5.Stykow, P. (2015): Parlamente und Legislativen unter den Bedingungen „patronaler Politik“: Die eurasischen Fälle im Vergleich, in: Zeitschrift für Parlamentsfragen, S. 396 - 425
6.University of Oxford: The Coalitional Presidentialism Project
7.Gryzlov wurde von den Medien nicht korrekt zitiert, allerdings ist die plakative Phrase fester Bestandteil des öffentlichen Diskurses über die Duma geworden. Hier das Originalzitat von Gryzlov
8.Whitmore, S. (2010): Parliamentary oversight in Putin's neo-patrimonial state: Watchdogs or show-dogs?, in: Europe-Asia Studies, 62(6), S. 999-1025
9.ben.noble.com: Rethinking 'rubber stamps': Legislative Subservience, Executive factionalism, and policy-making in the Russian state duma
10.Inzwischen existiert eine Liste mit Gesetzen, die aufgrund ihrer Verfassungswidrigkeit nach Meinung eines Expertenkomitees rückgängig zu machen sind.
11.Vedomosti: Čto lučše: kogda sažajut ili kogda razdevajut?

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Präsidialadministration

Die Präsidialadministration (PA) ist ein Staatsorgan, das die Tätigkeit des Präsidenten sicherstellt und die Implementierung seiner Anweisungen kontrolliert. Sie ist mit beträchtlichen Ressourcen ausgestattet und macht ihren Steuerungs- und Kontrollanspruch in der politischen Praxis geltend.

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Irina Jarowaja

Von Paulus zu Saulus? Die Wandlung der liberalen Politikerin Irina Jarowaja zur bekanntesten Hardlinerin der Duma wurde von Vorwürfen der Prinzipienlosigkeit begleitet. Mit dem Beschluss des von ihr initiierten Anti-Terror-Pakets im Juni 2016 wurde die Eiserne Lady der Volkskammer für viele zum Symbol des autoritären politischen Kurses.

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Polittechnologie

Polittechnologija bezeichnet in Russland und anderen postsowjetischen Staaten ein Menü von Strategien und Techniken zur Manipulation des politischen Prozesses. Politik – als Theater verstanden – wird dabei als virtuelle Welt nach einer bestimmten Dramaturgie erschaffen. Politische Opponenten werden mit kompromittierenden Materialien in den Medien bekämpft, falsche Parteien oder Kandidaten lanciert oder ganze Bedrohungsszenarien eigens kreiert.

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Protestbewegung 2011–2013

Nachdem Putin im September 2011 angekündigt hatte, wieder Präsident werden zu wollen, und im Dezember zahllose Wahlbeobachter über massive Wahlfälschungen berichteten, bildete sich in Russland die größte Protestbewegung seit dem Ende der Sowjetunion. Sie bewies erstaunliches Durchhaltevermögen, versiegte jedoch im Jahr 2013 aufgrund von inneren Streitigkeiten und der repressiven Reaktion des Staates.

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