Auf dem Gipfel in Warschau am 8. und 9. Juli werden die NATO-Staaten vor allem auch die Beziehung zu Russland in Augenschein nehmen.
Bundeskanzlerin Angela Merkel machte in ihrer Regierungserklärung am Tag vor dem Treffen Moskau für den Vertrauensverlust verantwortlich. Die russische Presse hingegen diskutiert im Hinblick auf den Gipfel nicht nur die Aufnahme zahlreicher osteuropäischer Staaten in die Allianz in den vergangenen Jahren, sondern auch die mögliche NATO-Mitgliedschaft Finnlands.
Die Exilpresse im Baltikum wiederum beschäftigt vor allem die Erwartung der osteuropäischen Länder an das Bündnis.
Kommersant: NATO in der Krise
Nach dem Außenpolitik-Experten Fjodor Lukjanow, Chefredakteur des Journals Russland in der globalen Politik, haben Russland vor allem zwei Entwicklungen der NATO beunruhigt: die Aufnahme neuer Mitgliedsländer im Osten Europas und die wachsende militärische Aktivität außerhalb des NATO-Gebiets. Die neue-alte Aufgabe der Eindämmung Russlands, so meint er, sollte aber nicht über eine andauernde Krise der Allianz hinwegtäuschen:
Die NATO ist in einer Krise, die nicht durch innere Differenzen hervorgerufen wurde, sondern durch eine Struktur, die für das 20. Jahrhundert konzipiert ist und den Umständen des zweiten Jahrzehnts im 21. Jahrhundert nicht entspricht.
НАТО в кризисе, который вызван не отдельными разногласиями внутри, а несоответствием структуры, спроектированной для ХХ столетия, обстоятельствам второго десятилетия XXI века. И решить эту проблему воссозданием "угрозы из Москвы" не получится.
Vesti: Vom Kalten Krieg zum Kalten Krieg
Vesti bringt eine Replik von Alexander Priwalow auf einen Gastbeitrag von Wolfgang Ischinger im Spiegel. Der ehemalige Staatssekretär des Auswärtigen Amtes legt darin u. a. nahe, trotz möglicher „negativer Reaktionen in Moskau auf den Gipfel” weiter den Dialog zu suchen, etwa einen NATO-Vertreter für Gespräche nach Russland zu schicken. Von solchen Vermittlungsversuchen hält Priwalow jedoch nicht viel:
Es wird zunächst so aussehen, dass neue NATO-Truppen nahe der russischen Grenzen aufgestellt werden: gut weitere tausend Soldaten im Baltikum und in Polen. Man wird die für die postsowjetische Zeit höchsten Aufstockungen im Verteidigungsbudget der NATO-Staaten beschließen. Man wird (noch ganz vorsichtig) Gespräche über den NATO-Beitritt Schwedens und Finnlands vorschlagen.
Mit einem Wort: Man wird bewusst einen bedeutenden Schritt hin zu einer Verschärfung der Konfrontation zwischen dem Westen und Russland machen.
Von der Auflösung des Warschauer Pakts bis zum Warschauer NATO-Gipfel sind 25 Jahre vergangen und fast schließt sich der Kreis: vom Kalten Krieg zum Kalten Krieg.
Выглядеть это на первых порах будет так — будут размещены новые войска НАТО вблизи российских границ: по дополнительной тысяче военных в прибалтийских странах и в Польше. Будет принят план крупнейшего за постсоветский период увеличения расходов стран-членов НАТО на оборону. Будут (пока весьма осторожно) продолжены разговоры о вступлении в НАТО Швеции и Финляндии. Одним словом, будет сознательно сделан заметный шаг к усилению конфронтации Запада и России.
От роспуска Варшавского договора до Варшавского саммита НАТО – двадцать пять лет и почти полный круг, пройденный за это время. Круг от холодной войны к холодной войне.
Facebook, Lilija Schewzowa: Russland hat NATO provoziert
Die renommierte Politikwissenschaftlerin Lilija Schewzowa erwartet vom Treffen in Warschau keine Wende. Auf ihrem Facebook-Account schreibt sie, die Aufgabe des NATO-Gipfels bestehe darin, dass alle Mitglieder an einem Strang ziehen und dies auch demonstrieren. Sie müssten sich darüber im Klaren werden, wie man das Verhältnis zwischen Dialog und Abschreckung ausbalancieren kann. Russland habe die Allianz herausgefordert – und diese Herausforderung werde die Allianz konsolidieren. Dabei spart sie nicht mit Kritik am russischen Vorgehen:
Wie auch immer: Moskau hat einen strategischen Fehler gemacht, der Russland dazu treibt, den sowjetischen Zusammenbruch zu wiederholen. Ein Versuch, den Koloss zu foppen, der 940 Milliarden Dollar für Kriegs-Spielzeug in der Tasche hat, ist selbstmörderisch.
Im Übrigen hat Putin bei seinem Treffen mit dem Präsidenten Finnlands Niinistö gesagt: „Wir werden versuchen, auf dem Gipfel in Brüssel einen Dialog mit der NATO anzufangen.“ Auf Initiative der russischen Seite hat ein Gespräch zwischen Putin und Obama stattgefunden. Vor dem NATO-Gipfel in Warschau, übrigens. Das bedeutet, im Kreml versteht man doch, dass es Zeit ist, miteinander zu sprechen …
В любом случае Москва сделала стратегическую ошибку, которая толкает Россию к повторению советского обвала. Пытаться дразнить махину, у которой в кармане 940 млрд долл на военные игрушки, самоубийственно.
Впрочем, Путин на встрече с президентом Финляндии Ниинисте сказал: «Попробуем начать диалог с НАТО на саммите в Брюсселе». По инициативе российской стороны состоялся разговор Путина с Обамой. Кстати, перед саммитом НАТО в Варшаве. Значит, в Кремле все же понимают, что пришла пора разговаривать…
Spektr: Nichts als Worte
Das russische Exilmedium in Lettland Spektr thematisiert die Erwartungen der osteuropäischen Länder:
Es ist jedoch kaum möglich, die ohnehin schwierigen Beziehungen zwischen Russland und dem Westen noch weiter zu verschlechtern. Kaum vorstellbar, dass der scharfen Rhetorik ernsthafte politische Schritte folgen, dass etwa ein Aktionsplan zur Mitgliedschaft postsowjetischer Republiken angestoßen wird. Zum Ausgleich für deren Regierungen kann man Russland im Abschlussdokument erneut auf die Liste der größten Sicherheitsbedrohungen setzen. Allerdings: Mit dem Konstatieren von Fakten allein beeindruckt man heute keinen mehr.
Впрочем, это едва ли способно дополнительно ухудшить и без того тяжелое положение в российско-западных отношениях. Сложно представить, что за острой риторикой последуют серьезные политические шаги, такие как предоставление плана действий по членству постсоветским республикам. В качестве компенсации их властям в итоговом документе Россию могут вновь включить в список главных угроз безопасности альянса, но простой констатацией факта сегодня никого не удивишь.
Rubaltic: Gleiche Rhetorik auf beiden Seiten
Auf dem Kaliningrader Portal Rubaltic, das sich den Ländern des Baltikums widmet, berichtet Wadim Radionow über eine wachsende Zustimmung zur NATO im Baltikum seit den Ereignissen in der Ukraine 2014. Was die Rhetorik beider Seiten betrifft, erinnert er sich an den Ausspruch einer Fremdenführerin in Sankt Petersburg vor zwei Jahren:
Eine ähnliche Rhetorik kann man auch in Lettland hören: Auch hier spricht man inzwischen von der NATO als quasi einzige Hoffnung und Stütze. Die Rhetorik ist auf beiden Seiten recht ähnlich. Man gewinnt den Eindrück, als würden beide einander bloß „spiegeln“. Doch diese Spiegel sind noch dazu verbogen, was die Situation ins Groteske führt. [...]
Im Grunde regiert die Angst – beide Seiten handeln, während sie immerzu aufeinander schauen. Die NATO schickt ein paar Panzer ins Baltikum – Russland verstärkt seine Truppen in Kaliningrad. Um das aufzuhalten, müsste man wohl aufhören, sich gegenseitig zu fürchten. Aber das ist, wenn man die allgemeine Nervosität bedenkt, keine leichte Aufgabe. Und genau an guten Psychiatern fehlt es momentan.
Похожую риторику можно услышать и в Латвии, здесь теперь тоже говорят об армии НАТО как практически единственной надежде и опоре. Риторика в обеих странах очень похожа. Складывается впечатление, что они просто «зеркалят» друг друга. Но зеркала эти еще и кривые, что доводит ситуацию до гротеска. [...]
По сути, ситуацией управляет страх – стороны действуют, глядя друг на друга. НАТО пригоняет танки в Балтию, Россия усиливает свою группировку в Калининграде. Наверное, чтобы остановиться, нужно перестать бояться друг друга. Сделать это, учитывая общую нервозность, будет очень непросто. А хороших психиатров сейчас как раз не хватает.
dekoder-Redaktion