Eine #MeToo-Debatte für die russische Duma: Als erste meldeten sich die Doshd-Produzentin Darja Shuk und die stellvertretende RTVi-Chefredakteurin Jekaterina Kotrikadse zu Wort. Die Journalistinnen klagten öffentlich über sexuelle Belästigung durch den Duma-Abgeordneten Leonid Sluzki. Sluzki selbst bestreitet die Anschuldigungen und hat sich auf seiner Facebook-Seite sogar darüber lustig gemacht. Besondere Brisanz gewann das Thema, als sich Faida Rustamowa den Vorwürfen anschloss: Die Journalistin der russischen BBC gab an, Sluzki sei ihr mit der Handfläche über den Schamhügel gefahren. Rustamowa ließ während ihres Gesprächs mit Sluzki ein Diktiergerät laufen, die BBC veröffentlichte später Ausschnitte daraus:
„Mein Häschen, willst du nicht auf deine BBC [scheißen – dek]? Und ich nehm dich irgendwohin mit? […] Du läufst ja vor mir weg, willst nicht küssen, ich bin echt beleidigt.”
„Leonid Eduardowitsch, ich habe einen Freund.”
„Verlass ihn.”
„Will ich nicht.”
„Warum nicht?”
„Ich will ihn heiraten.”
„Perfekt. Dann wirst du seine Ehefrau und meine Geliebte!”
Der Duma-Vorsitzende Wjatscheslaw Wolodin verkündete am Mittwoch, die Fälle würden untersucht werden. „Ist Ihnen die Arbeit in der Duma zu gefährlich? Dann wechseln Sie doch den Job!“, empfahl er zugleich einer in der Duma akkreditierten Journalistin und gratulierte zum bevorstehenden Internationalen Frauentag.
Der Fall sorgte für heftige Sexismus-Debatten in russischen Medien, wie es sie seit der #янебоюсьсказать-Aktion nicht mehr gegeben hat. dekoder zeigt einzelne Stimmen daraus.
Meduza: Sluzki muss gehen
Die Meduza-Redaktion meldet sich eigentlich selten in einer eigenen Kolumne zu Wort. Im Fall Sluzki war es den Redakteurinnen und Redakteuren aber ein Anliegen, den Rücktritt des Abgeordneten zu fordern:
Deutsch
Original
Die russischen Abgeordneten wissen mindestens genau so viel wie wir. Wir wissen – das heißt, auch sie wissen –, dass der Abgeordnete Leonid Sluzki mehrere Jahre im Parlament arbeitende Journalistinnen sexuell belästigt hat. Wir wissen – das heißt, auch sie wissen –, dass die Anschuldigungen gegen ihn belegt sind durch mehrere voneinander unabhängige, nicht-anonyme Quellen sowie einen Audio-Mitschnitt. Wir wissen – das heißt, auch sie wissen –, dass Sluzki diese Anschuldigungen zurückweist, sich darüber lustig macht und nicht vorhat, sich zu entschuldigen. Wir wissen – das heißt, auch sie wissen: Wenn Sluzki seinen Sitz behält und wenn seine Handlungen keine Folgen haben, dann wird er weiter Frauen belästigen, immer wieder. Und nicht nur er.
Wir wissen – das heißt auch sie wissen – Leonid Sluzki muss sein Mandat selbst abgeben oder dazu gezwungen werden.
Российские депутаты обладают как минимум той же информацией, что и мы. Мы знаем — а значит, и они знают, — что депутат Леонид Слуцкий на протяжении многих лет сексуально домогается работающих в парламенте журналисток. Мы знаем — а значит, и они знают, — что обвинения в его адрес подтверждены несколькими независимыми друг от друга неанонимными источниками, а также аудиозаписью. Мы знаем — а значит, и они знают, — что Слуцкий отказывается признавать эти обвинения, высмеивает их и не собирается извиняться. Мы знаем — а значит, и они знают: если Слуцкий сохранит свое кресло, а его действия останутся без последствий, он будет продолжать домогаться женщин снова и снова. И не только он.
Мы знаем — а значит, и они знают: Леонид Слуцкий должен сдать мандат сам — или его должны заставить это сделать.
veröffentlicht am 7. März 2018
Doshd: Missverständnis?
Wladimir Shirinowski äußerte sich als einer der ersten zum Thema. Der Chef der LDPR will von den Vorfällen seines Parteikollegens Sluzki nichts gewusst haben und verspricht, mit ihm darüber zu sprechen. Gleichzeitig betont er im Interview gegenüber Doshd, dass es sich möglicherweise um ein Missverständnis handeln könne:
Deutsch
Original
Man muss hier das Ziel betrachten. Vielleicht möchte er bei den Journalisten Interesse für sich wecken. Vielleicht möchte er sie dazu bringen, dass sie doch bitteschön zu ihm kommen und ein Interview machen. Ich spreche hier über das Ziel seines Verhaltens, das Motiv. Ich sage nicht, dass das gut ist. Es gibt einfach ein Motiv … Ich weiß noch, wie wir im Grundschulalter Mädchen am Zopf gezogen haben, damit sie sich umdrehen und schauen. Was anderes fiel uns nicht ein. […] Die Motivation ist womöglich gar nicht der Wunsch, jemanden zu kneifen oder anzufassen, sondern einfach die Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen.
Здесь надо смотреть цель. Может быть, он хочет у журналистов вызвать интерес к себе. Он этим самым, может быть, хочет заставить, мол, приходите, берите интервью. Я вам говорю про цель поведения, мотив. Я не говорю, что это хорошо. Просто есть мотив… Я помню, в младших классах школы мы дергали девочек за косичку, чтобы она повернулась и посмотрела. Другого пути не было у нас. […] Мотивация бывает не желание кого-то ущипнуть, дотронуться, а чтобы на него как на человека просто обратили внимание.
veröffentlicht am 22. Februar 2018
Kommersant FM: Keine Konsequenzen
Dimitri Drise bezweifelt auf Kommersant FM, dass es ernsthafte Konsequenzen für Sluzki geben könnte. Schuld daran sei eine besondere Wahrnehmung der parlamentarischen Klasse:
Deutsch
Original
Unabhängig davon, ob Sluzki angebaggert hat oder nicht, ob es eine Belästigung gab oder ob das alles Fantasien der oppositionellen Presse sind – das Wichtigste ist natürlich die Reaktion der Kollegen Abgeordneten und des Vorsitzenden. Wer sind denn schon Journalisten für die hohe Duma-Führung und für Sluzki selbst? Niemand. Einfache Leutchen. Denkt nur, er hat betatscht – sollen sie sich doch freuen. Er ist Abgeordneter, Ausschussvorsitzender – er darf das. Das ist die privilegierte Klasse. Etwas anderes wäre es, wenn er gewagt hätte zu sagen, dass „Krim nicht unser“ sei. Dann wäre es aus – das Mandat niedergelegt und allgemeine Verurteilung, da kommt schon gern mal das Untersuchungskomitee zu Besuch. So ist es nur eine Lappalie, nichts weiter: Wir werden es nicht zulassen, dass jemand den gesetzgebenden Arm der Staatsmacht kompromittiert.
Безотносительно того, приставал Слуцкий или нет, был харассмент или это все фантазии оппозиционной прессы — здесь главное, конечно, реакция и коллег-депутатов, и спикера. Кто такие журналисты для высокого думского начальства и самого Слуцкого? Да никто. Простые людишки. Подумаешь, потрогал, — должны радоваться. Он же депутат, председатель комитета — ему можно. Это привилегированный класс. Другое дело — если бы вдруг смел сказать, что, допустим, «Крым не наш». Вот тогда все — в момент мандат на стол и всеобщее осуждение, а там, глядишь, и Следственный комитет в гости. А так — мелочь, да и только: никому не дадим компрометировать законодательную ветвь власти.
veröffentlicht am 08. März 2018
Echo Moskwy: Journalistinnen sollten anständiger rumlaufen
Tamara Pletnjowa sitzt für die Kommunistische Partei in der Duma, wo sie Vorsitzende des Duma-Ausschusses für Familie, Frauen und Kinder ist. Gegenüber Echo Moskwy verteidigt sie ihren Kollegen und sucht gleichzeitig die Schuld bei den Journalistinnen selbst:
Deutsch
Original
Ich kenne Slutzki schon viele Jahre. [...] Ich sage Ihnen ganz aufrichtig: Sluzki ist ein wohlerzogener Mensch, sehr gebildet, ein großer Denker, der sich in internationalen Fragen auskennt, und Frauen gegenüber verhält er sich immer warmherzig. Vielleicht scherzt er ein wenig herum, kann sein – irgendwelche Scherze ..., aber dass er eine Frau beleidigt, das werde ich niemals glauben.
Zudem möchte ich sagen – diese Journalisten-Mädels sollten ein wenig anständiger herumlaufen und nicht mit nacktem Bauchnabel, es ist ja schließlich eine staatliche Institution, [...] Ich sehe, wie sie tagelang endlos in den Cafeterien herumsitzen und dann allen möglichen Unsinn schreiben. Was nicht alles über die Duma gesagt wird, dabei sitzen wir von morgens bis in die Nacht über der Arbeit. Deswegen ist das ziemlich bitter, ich will fast sagen beleidigend für ihn, ganz ehrlich, dass er in diese Geschichte hineingeraten ist.
Я знаю Слуцкого уже много лет. [...] Слуцкий, искренне вам говорю, человек воспитанный, очень грамотный, интеллектуал большой, занимается международными вопросами и к женщинам относится всегда с теплотой. Может быть, он что-то может пошутить, это может — пошутить что-нибудь… но чтобы он оскорблял женщину, я в это никогда не поверю.
Кроме того, хотела бы сказать, что эти девочки-журналистки ходили бы поприличнее, одевались бы, ведь это государственное учреждение, а не ходили с голыми пупками. [...] А то я смотрю, они целыми днями сидят здесь в буфетах бесконечно, а потом напишут всякую ерунду. Чего только не наслушаешься про Думу, хотя мы здесь с утра до ночи занимаемся работой. Поэтому очень обидно, мне даже за него обидно, честное слово, что он попал в эту историю.
veröffentlicht am 07. März 2018
Novaya Gazeta: Der russische Harvey Weinstein
Geschlechterrollen als heilige Kuh: Anna Narinskaja sucht in der Novaya Gazeta nach den Wurzeln des Problems:
Deutsch
Original
Manchmal scheint es, die Rollenverteilung von Männern und Frauen in der Familie und im Leben überhaupt sei die wichtigste aller uns verbindenden Klammern. Das Wichtigste sind für uns die traditionellen Werte, an die wir uns halten, die wir nicht bereit sind aufzugeben. Wir sind bereit, den fremdländischen Harvey Weinstein zu verteidigen sowie sein russisches Double, den Abgeordneten Leonid Sluzki („Was ist schlecht daran, einer Frau an den Hintern zu tatschen? Das schmeichelt ihr doch nur“), weil das die uns herzliebe Disposition nicht zerstört. Der Mann ist der Hausherr und die Frau … die Frau macht die Hausarbeit.
Иногда кажется, что вот это распределение женско-мужских ролей в семье и вообще в жизни, — главная из имеющихся у нас скреп. Главное традиционная ценность, за которую мы держимся, которой не готовы поступиться. Мы готовы защищать чужестранного Харви Вайнштейна и его отечественного дублера, думца Леонида Слуцкого («А что плохого в том, чтобы похлопать женщину по заднице? Это ей только льстит»), потому что это не нарушает дорогой нашему сердцу диспозиции. Мужчина — хозяин жизни, а женщина… женщина — она по хозяйству.
veröffentlicht am 5. März 2018
dekoder-Redaktion