Schon länger wurde darüber gemunkelt, Mitte der Woche machte es Xenia Sobtschak nun offiziell: In einem bei Vedomosti veröffentlichten Brief gab sie ihre Kandidatur für die Präsidentschaftswahl 2018 bekannt. Gleichzeitig gingen ihr YouTube-Video mit der Ankündigung und ihre neue Seite online: Sobtschak gegen alle heißt sie.
Ein ehemaliges It-Girl als Präsidentschaftskandidatin? Xenia Sobtschak hat sich in den letzten Jahren von der „Schoko-Blondine“ zu einer durchaus veritablen Journalistin gemausert. Bei den Bolotnaja-Protesten war sie Mitglied im Koordinationsrat der Opposition, trat gerne öffentlichkeitswirksam gegen das Schienbein des Kreml und kokettierte zuweilen mit der häufigen Zuschreibung, dass sie ja immer zwischen den Stühlen sitzen würde.
Xenia ist die Tochter von Anatoli Sobtschak – ein St. Petersburger Demokrat der ersten Stunde, der nach dem Zerfall der Sowjetunion tiefgreifende liberale Reformen anstieß und zugleich einen Grundstein für den späteren Aufstieg Putins legte. Dieser soll Xenia angeblich nahestehen – eine Spekulation, die in den jüngsten Debatten eine nicht unwesentliche Rolle spielt. Denn schon vor der offiziellen Bekanntgabe ihrer Kandidatur, hagelte es Kritik von oppositionellen Stimmen des Landes: Das Spiel sei abgekartet, Sobtschak habe ihre Kandidatur mit Putin abgesprochen, sei nur von seiner Gnaden zugelassen worden, um die Kandidaturen ernstzunehmender Oppositioneller zu neutralisieren, so der Tenor.
Dabei betont Sobtschak, dass sie ihre Kandidatur zurückziehen werde, wenn der Oppositonspolitiker Nawalny, der derzeit unter Arrest steht, zugelassen würde.
Wieviel Protestpotential steckt in der Kandidatur Sobtschaks? Meint sie es ernst, wenn sie gegen den Kreml poltert? Kirill Martynow geht in der Novaya Gazeta solchen Fragen nach.
Xenia Sobtschaks Kandidatur für das Präsidentschaftsamt ist ein Symptom für das Verwelken des russischen Wahl-Autoritarismus. Es ist ein Symptom für dessen endgültige Verwandlung in ein System, dessen Instrumente darauf abzielen, den Status Quo zu erhalten.
Dass in der Kandidatenliste eine Figur wie Sobtschak auftauchen wird, wurde schon mehrere Monate vor Beginn der Wahlkampagne vorhergesagt. Neben der traditionellen Entourage [der Systemopposition – dek] in Person von Sjuganow und Shirinowski braucht der Kreml bei diesen Wahlen zwei Spoiler: Einerseits einen ultrakonservativen Kandidaten, neben dem Putin für die entsprechenden Zielgruppen wie ein vernünftiger Kompromiss aussieht, wie ein Zentrist. Auf der anderen Seite muss diese Konstruktion gestützt werden von einem verhältnismäßig liberalen und protestlerischen Spoiler. Unmittelbare Aufgabe dieses Kandidaten ist es, der Welt freie und demokratische Wahlen zu demonstrieren und dem liberalen Wähler anzubieten, [bis zu den Wahlen – dek] darüber zu streiten, ob man für den Spoiler stimmen sollte oder nicht. Anderen Bevölkerungsgruppen soll der Spoiler gelegentlich die Schreckensgeschichte verdeutlichen, dass die liberalen Westler an die Macht drängten und es nun an der Zeit sei, sie aufzuhalten, indem man zur Wahl geht.
Harmlos und keine echte Konkurrenz
Das Casting für die rechte Flanke ist noch nicht abgeschlossen – vielleicht wird im konservativen Szenario derselbe Shirinowski diese Rolle für sich reklamieren. Eine Liberale wurde dagegen nun gefunden – mit eigener Seite, einem Programm und Werbevideos. Offensichtlich hat man für die Rolle des Liberalen verschiedene Kandidaten in Betracht gezogen, doch letztendlich setzte man auf Sobtschak – für sie sprechen eindeutige Argumente: eine Frau, Westlerin, weitläufig bekannt sowohl bei Dom 2-Zuschauern und Glamour-Magazin-Lesern, als auch beim Publikum von TV Doshd, dazu absolut harmlos und keine echte Konkurrentin für den Kandidaten Nummer Eins.
Es ist erstaunlich, wie offen Sobtschak über die Ziele ihrer Kampagne sprach, als sie meinte, dass sie an die Stelle der Option „gegen alle“ trete. Aus der polittechnologischen Sprache ins Russische übersetzt heißt das, dass sie die Protest-Stimmen auf sich ziehen wird, gleichzeitig die Wahlbeteiligung erhöht und Teile der Kreml-loyalen Wählerschaft mobilisiert, die ausdrücklich gegen Sobtschak stimmen wollen. Vermutlich ist das eines der wenigen Beispiele, wo ein Kandidat zu Beginn der Wahlkampagne offen seinen Status als Spoiler ankündigt.
Vorsicht, Spoiler
Witzig, dass das alles so dargeboten wird, als wäre Putin verärgert über diese Dreistigkeit Sobtschaks, was Xenia jedoch nicht daran hindere, zu kandidieren. Auch diese gekünstelte Message richtet sich wieder an drei Gruppen und soll von ihnen unterschiedlich gelesen werden: Die westliche Presse kann über freie Wahlen in Russland diskutieren, schließlich sei doch „Xenia Sobtschak bekannt für ihre Kritik an der Kreml-Politik“. Die liberale Wählerschaft wird sich spalten an der Frage über ihre Sympathien für Xenia, dem Otto-Normal-Wähler aber gibt die These über den verärgerten Putin Raum für Kompromat und für mediale Attacken gegen Sobtschak, inklusive Aufrufe sich gegen sie zusammenzuschließen.
Kurz gesagt, man hat die Fassade des Wahl-Autoritarismus mit einer grellen Neonreklame behangen. Die Wahlen erscheinen nicht mehr so todlangweilig wie noch vor einigen Wochen, auch wenn sich im Grunde nichts verändert hat.
Grelle Neonreklame für langweilige Wahlen
Leute, die persönliche Sympathie für Sobtschak empfinden (und von solchen gibt es unter russischen Facebook-Usern nicht wenige), argumentierten bereits, dass es keinen Anlass gäbe, Sobtschak für ihre Kandidatur zu kritisieren. Ganz nach dem Motto, dass alle ein Recht hätten, sich nach eigenem Ermessen zur Wahl zu stellen, und ob nicht gerade wir immer dazu aufgerufen hätten, alle zur Wahl zuzulassen. Mit diesem Argument fiel, wie es scheint, der Startschuss für die Diskussion über „unsere Kandidaten“. Eine Diskussion, in die uns der Kreml gastfreundlich einlädt, bis März zu versinken. Danach ist die Sache getan, und Sobtschak kann das Interesse an einer politischen Karriere wieder verlieren, wie einst schon Prochorow.
Die Opposition hat in der Tat dazu aufgerufen, alle zur Wahl zuzulassen – aber gerade diese Forderung wird aktuell nicht erfüllt. Sobtschak nimmt an der Wahl nicht als eine Kandidatin unter Gleichen teil, sondern als eine, die im handgesteuerten Modus zugelassen wurde. Nichts Persönliches, bloß Arbeit an der Festigung des Autoritarismus.