Jahrzehntelang feierte auch die Ukraine am 9. Mai den Tag des Sieges − ein Volksfest mit Militärparade zur Erinnerung an den Sieg der Sowjetunion über das nationalsozialistische Deutschland im Zweiten Weltkrieg. 2023 wird er als Tag des Gedenkens und der Versöhnung auf den 8. Mai vorgezogen: In Anlehnung an die Tradition in Westeuropa stellt die Ukraine von nun an die Opfer des Krieges zwischen 1939 und 1945 in den Mittelpunkt.
Das Wort „Sieg“ ist für die Ukraine kein historischer Begriff mehr, er ist das gegenwärtige Ziel ihres Verteidigungskampfes im andauernden russischen Angriffskrieg. Wie genau soll der aussehen, welche Zugeständnisse sind vorstellbar für ein Ende der Kampfhandlungen? Und wie sehen die Ukrainer die mit Russland gemeinsame sowjetische Geschichte angesichts der gegenwärtigen russischen Aggression?
Diese Fragen beantwortet im Interview mit dem russischen Onlinemedium Republic der Soziologe Mychailo Mischtschenko vom unabhängigen Forschungsinstitut Rasumkow-Zentrum in Kyjiw.
Die Arbeitsbedingungen für Meinungsumfragen und Studien sind durch den andauernden Krieg erschwert: Schon seit 2014 sind bei Befragungen durch ukrainische Institutionen die Menschen auf der annektierten Halbinsel Krim und in den sogenannten „Volksrepubliken“ Donezk und Luhansk ausgenommen. Seit der russischen Invasion 2022 können Forschungsgruppen auch in den okkupierten Regionen kaum Befragungen durchführen. In den aktuellen Studien des Rasumkow-Zentrums werden jeweils die Regionen aufgelistet, in denen Umfragen durchgeführt wurden − teils mit der Einschränkung „nur in Gebieten, die von der Regierung der Ukraine kontrolliert werden und in denen keine Kampfhandlungen stattfinden“.
Jewgeni Senschin: Die Ukrainer sind aktuell größtenteils bereit, bis zum siegreichen Ende zu kämpfen. Aber wie definieren sie einen solchen Sieg im jetzigen Krieg?
Mychailo Mischtschenko: Dazu haben wir im Dezember 2022 zusammen mit der Stiftung Demokratische Initiativen eine Umfrage durchgeführt. Ihr zufolge glauben 93 Prozent der Ukrainer an einen Sieg ihres Landes in diesem Krieg. Wir haben auch gefragt, was Sieg für sie heißt. Von denen, die an den Sieg glauben, antworteten 54 Prozent: die Vertreibung der russischen Truppen vom gesamten Staatsgebiet der Ukraine und die Wiederherstellung der Grenzen nach Stand vom Januar 2014. Weitere 22 Prozent betrachten die Zerschlagung der russischen Armee und die Begünstigung eines Aufstands innerhalb Russlands als Sieg.
Für acht Prozent bedeutet Sieg die Vertreibung der russischen Truppen vom gesamten Territorium der Ukraine, die Krim ausgenommen. Für sechs Prozent – die Vertreibung der russischen Truppen hinter die Frontlinie, wie sie noch am 23. Februar 2022 galt [also ausgenommen die Krim sowie die Gebiete der von Russland unterstützten sogenannten Donezker und Luhansker „Volksrepubliken“ − dek]. Für nur drei Prozent der Befragten wäre allein das Ende des Kriegs schon ein Sieg, selbst wenn russische Truppen dort blieben, wo sie jetzt sind.
Wir sehen also, die überwiegende Mehrheit versteht unter einem Sieg die Vertreibung der russischen Truppen vom gesamten Staatsgebiet der Ukraine. In diesem Fall spiegelt die Position von Präsident Wolodymyr Selensky die Position der überwiegenden Mehrheit der ukrainischen Staatsbürger wider.
Zudem liegen Daten des Kyjiwer Internationalen Instituts für Soziologie vor zur Frage, ob die Bevölkerung zu Gebietsabtretungen bereit wäre. Diese Studie stammt vom Februar 2023. Nur neun Prozent sind da der Meinung, dass die Ukraine auf bestimmte Gebiete verzichten könnte, um schneller einen Frieden zu erzielen und ihre Unabhängigkeit zu bewahren. Gleichzeitig finden 87 Prozent, dass die Ukraine unter keinen Umständen auf Gebiete verzichten dürfe. Dabei ist das auch die vorherrschende Meinung in den meisten Regionen: In der Westukraine denken das 89 Prozent, in der Zentralukraine 87 Prozent, im Süden 86 Prozent und im Osten 82 Prozent.
Sie sprechen häufig von „Putins Russland“. Wie hat sich die Einstellung zu Putin verändert? War er für die Ukrainer immer schon ein Feind, eine Verkörperung der Anti-Zivilisation?
Bis 2013 wurde noch öfter positiv als negativ über Putin gesprochen. Bei einer Umfrage 2014 betrug der Anteil derjenigen, die gegen Putin waren, schon 71 Prozent. 2017 stieg dieser Prozentsatz auf 79. Im März 2021 waren es bereits 82 Prozent, im August 2022 schon 96 Prozent. Dieser Wert kann praktisch nicht mehr steigen. Die jüngsten Forschungen haben ergeben, dass die Zahl jener, die sich positiv über Putin äußern, gegen null geht.
In der Ukraine richtet sich die Meinung über ausländische Politiker meistens danach, wie beliebt diese bei sich zu Hause sind. Wenn ein Politiker im eigenen Land positiv bewertet wird, wird er analog dazu auch in der Ukraine positiv wahrgenommen. Doch das ändert sich, wenn dieser Politiker sich in die ukrainische Innenpolitik einmischt oder offen feindlich gegen das Land aktiv wird. Seit der Annexion der Krim und [Russlands] hybridem Krieg bekamen die Ukrainer natürlich gute Gründe für eine negative Haltung gegenüber Putin.
Dasselbe gilt für Lukaschenko: Nach den gefälschten Wahlen in Belarus verschlechterten sich seine Umfragewerte in der Ukraine. Die Ukrainer haben begriffen, dass Lukaschenko ein richtiger Diktator ist. Seitdem er in Russlands Angriff auf die Ukraine involviert ist, ist er noch unbeliebter. Laut unseren Umfragen vom Februar und März 2023 sind 92 Prozent der Ukrainer Lukaschenko gegenüber negativ eingestellt.
Gibt es Befragungen darüber, wie sich in den letzten Jahren die Beziehung zur russischen Sprache verändert hat?
Das Verhältnis zur russischen Sprache war bis zum Beginn des hybriden Kriegs sehr gut, erfuhr in dessen Folge jedoch eine deutliche Veränderung und verschlechterte sich nach der russischen Invasion noch mehr. Dazu gibt es Daten des Kyjiwer Internationalen Instituts für Soziologie: 1998, 2019 und 2023 wurde die Frage gestellt, ob in ukrainischsprachigen Schulen Russisch gelehrt werden soll. 2019 antworteten nur acht Prozent, dass Russisch gar nicht an Schulen unterrichtet werden solle. 1998 bot der Fragebogen eine solche Option gar nicht an, weil die Forscher wohl davon ausgingen, dass sie niemand ankreuzen würde. Im Februar 2023 vertreten diese Ansicht jedoch schon 52 Prozent.
42 Prozent sind zwar für die Beibehaltung des Russisch-Unterrichts an Schulen, wollen aber die dafür verwendeten Stunden reduzieren.
Während 1998 noch 46 Prozent meinten, dass die russische Sprache im selben Umfang unterrichtet werden soll wie die ukrainische, fiel dieser Anteil 2019 auf 30 und liegt heute nur noch bei drei Prozent. Jene, die fanden, Russisch solle weniger als Ukrainisch, aber mehr als andere Fremdsprachen unterrichtet werden, machten 1998 noch 32 Prozent aus, 2019 dachten 26 Prozent so, und 2023 nur noch sechs Prozent. Jetzt finden 33 Prozent, dass Russisch im Vergleich zu anderen Fremdsprachen im selben oder in geringerem Umfang unterrichtet werden soll. 2019 dachten das 25 Prozent, 1998 nur 17 Prozent.
Das ist eine Folge der russischen Aggression. Die russische Sprache ist heute für die Ukrainer jene Sprache, in der sich russische Soldaten in abgehörten Telefonaten unterhalten, wo fast die Hälfte Vulgärsprache ist.
Vor dem Krieg fragten wir auch, zu welcher kulturellen Tradition sich die Menschen zugehörig fühlen. Zum letzten Mal haben wir diese Frage 2021 gestellt, und wir können die Antworten mit jenen aus dem Jahr 2006 vergleichen. Sieht man sich die Daten zu ethnischen Russen mit ukrainischer Staatsbürgerschaft an, so fühlten sich innerhalb dieser Gruppe 2006 nur 21 Prozent zur ukrainischen Kulturtradition zugehörig. 2021 betrug dieser Wert bereits 49 Prozent. Zur russischen Kulturtradition fühlten sich 2006 noch 35 Prozent der ethnischen Russen zugehörig, 2021 nur noch 18 Prozent [andere genannte waren sowjetisch und europäisch − dek]. Seit Beginn des großen Kriegs 2022 wird sich diese Tendenz wahrscheinlich fortgesetzt haben.
Wir sehen, dass die Distanzierung von Russland nicht nur generell unter den ukrainischen Staatsbürgern stattfindet, sondern auch unter den ethnischen Russen in der Ukraine. Wenn also Putin von der Verteidigung des russischen Volkes spricht, dann sehen wir, dass das gerade bei den ethnischen Russen in der Ukraine auf Ablehnung stößt.
Wie hat sich die Einstellung der Ukrainer zur gemeinsamen Vergangenheit mit den Russen verändert? Dass sie generell negativ ist, liegt auf der Hand. Aber vielleicht gibt es noch irgendwelche Symbole, Ereignisse, Figuren, die vom negativen Schatten des Kriegs verschont bleiben?
In Russland herrscht Umfragen zufolge eine ausgeprägte Sowjetnostalgie. In der Ukraine ist das so nicht zu beobachten. Bei einer Umfrage des Rasumkow-Zentrums im September und Oktober 2022 haben nur drei Prozent angegeben, dass sie sich eine Wiedererrichtung der Sowjetunion wünschen. Weitere elf Prozent antworteten, sie würden sich diese zwar wünschen, hielten sie aber für unmöglich. Und 87 Prozent sagten, sie wollten keine Wiederherstellung der Sowjetunion. 2021 waren das noch 69 Prozent, 2016 noch weniger, nämlich 65 Prozent.
Aber was könnte Ukrainer und Russen noch verbinden? Am häufigsten wird als ein solches historisches Ereignis ja der Sieg im Zweiten Weltkrieg genannt.
Aus ukrainischer Sicht sieht dieser Sieg so aus: Erstens wurde er zusammen mit den westlichen Alliierten errungen, zweitens war er das Verdienst aller Völker, die zur Sowjetunion gehörten. Doch Putin unterzog diese Interpretation einer drastischen Veränderung. Schon 2010 erklärte er: „Was unsere Beziehung zur Ukraine betrifft, erlaube ich mir, Ihrer Behauptung zu widersprechen, wir hätten ohne einander den Krieg nicht gewinnen können. Wir hätten trotzdem gesiegt, weil wir das Land der Sieger sind … Die Statistik aus der Zeit des Zweiten Weltkriegs zeigt eindeutig, dass die größten Verluste damals die Russische Sowjetrepublik hinnehmen musste, nämlich mehr als 70 Prozent. Das bedeutet, ohne da jemandem zu nahe treten zu wollen, dass der Sieg vor allem auf Kosten menschlicher und industrieller Ressourcen Russlands errungen wurde. Das ist eine historische Tatsache.“ Putin versucht also, den Sieg zu privatisieren.
Mein Vater hat zum Beispiel im Zweiten Weltkrieg gekämpft. Meint Putin also, er hätte nicht unbedingt teilnehmen müssen, es wäre auch ohne gegangen? Mit seiner Aussage löscht Putin das Moment der Einheit aus, den gemeinsamen Sieg. Natürlich hat diese Auslegung die Ukrainer beeinflusst. Kein Wunder, dass seitdem viele Ukrainer Putins Haltung zum Sieg im Zweiten Weltkrieg einen „Siegeswahn“ nennen.
Putin und seine Politik kappen alle Verbindungen zwischen der Ukraine und Russland, auch die historischen
Putin hat sogar noch eins draufgesetzt und ist von der sowjetischen Interpretation des Sieges abgewichen. Damals war der Sieg die Garantie für Frieden, „Bloß kein Krieg mehr“ war eines der Narrative unter Chruschtschow, Breshnew, Gorbatschow. Für Putin ist der Siegeskult aber Ausgangspunkt für eine militärische Revanche. Sein Siegeskult erinnert stark an den Kriegskult in Nazi-Deutschland. Faktisch führt er nicht die Tradition der Sieger über Nazi-Deutschland fort, sondern lässt jene Haltung zum Krieg wiederaufleben, die im Nationalsozialismus bestand. Deswegen wird Russland heute von der internationalen Gemeinschaft eher mit Nazi-Deutschland assoziiert als mit den Alliierten, die es besiegt haben.
Daher sinkt in der Ukraine die Motivation immer mehr, am 9. Mai den Tag des Sieges zu feiern. Das Kyjiwer Internationale Institut für Soziologie führt regelmäßig Umfragen durch, welche Feiertage die Ukrainer am liebsten haben. Während 2013 noch 40 Prozent der Befragten den Tag des Sieges nannten, waren es 2016 nur noch 35 Prozent, 2018 – 31 Prozent, 2021 – 30 Prozent und im Februar 2023 nur noch 13 Prozent.
Putin und seine Politik kappen alle Verbindungen zwischen der Ukraine und Russland, auch die historischen.
Ich kann auch die Ergebnisse einer Studie des Rasumkow-Zentrums aus dem Jahr 2017 anführen. Da wurde gefragt, womit Russland assoziiert wird. Schon damals waren die häufigsten Assoziationen der Ukrainer Begriffe wie „Aggression“ (66 Prozent), „Diktatur“ (60 Prozent) und „Brutalität“ (57 Prozent). Das bestätigt wiederum, dass Russland in der emotionalen Wahrnehmung der Ukrainer eine gewisse Ähnlichkeit mit Nazi-Deutschland besitzt.
Die Ukrainer nehmen Russland also negativ wahr. Aber machen sie einen Unterschied zwischen den russischen Staatsbürgern und dem Kreml? Heute werden in der radikalen pro-ukrainischen Presse oft Russland und der Kreml gleichgesetzt. Sieht das die ukrainische Gesellschaft auch so?
Im August 2022 wurde eine gemeinsame Studie des Rasumkow-Zentrums und der Stiftung Demokratische Initiativen durchgeführt. Darin kam die Frage vor: „Wer trägt Ihrer Meinung nach die Hauptverantwortung am Krieg in der Ukraine?“ Es gab mehrere Optionen zur Auswahl. Am häufigsten wählten die Befragten die Antworten: die russische Regierung (86 Prozent) und die russische Bevölkerung (42,5 Prozent). Wir sehen, dass ein großer Teil der Ukrainer die Verantwortung bei der russischen Bevölkerung sieht und nicht nur bei ihrer Führung.
In einer Umfrage des Sozialforschungsinstituts Rating im August 2022 haben 81 Prozent der befragten Ukrainer eine negative (im Fragebogen stand das Wort „kühle“) Einstellung gegenüber den Bewohnern Russlands geäußert. Noch im April 2022 waren das nur 69 Prozent, im April 2021 waren es 41, und 2018 – 23 Prozent. Eine positive („warmherzige“) Einstellung äußerten im August 2022 nur drei Prozent, als neutral deklarierten sich 14 Prozent.
Auch die Beziehung zu den Belarussen veränderte sich. Im August 2022 waren 52 Prozent ihnen gegenüber „kühl“ eingestellt, im April 2022 waren das 33 Prozent, und im April 2021 nur vier Prozent. Im Februar-März 2023 ergab eine Umfrage des Rasumkow-Zentrums, dass 81 Prozent der Befragten Belarus (ich betone, nicht den Belarussen) gegenüber negativ eingestellt sind.
Hier ist anzumerken, dass die Einstellung gegenüber einem Kollektiv sich nach der darin dominierenden Gruppe richtet, also jener Gruppe, die am aktivsten ist, am sichtbarsten, am lautesten, selbst wenn sie nicht die Mehrheit stellt. Heute sind das in Russland die Befürworter von Putins Politik und Krieg, die man zu den faschistoiden Persönlichkeitstypen zählen kann. Wie hoch ihr Anteil in der russischen Bevölkerung ist, ist schwer zu sagen. Es ist in Russland ziemlich schwierig, anhand von Umfragen eine adäquate Vorstellung davon zu bekommen – in einer Situation, in der die Verurteilung des Krieges und die „Diskreditierung der Armee und anderer militärischer Einheiten“ strafrechtlich verfolgt werden, können öffentliche Meinungsumfragen wohl kaum verlässliche Ergebnisse liefern.
Weisen Ukrainer in Umfragen auf ihre familiären und freundschaftlichen Beziehungen nach Russland hin?
Bei der Umfrage des Rasumkow-Zentrums im Jahr 2017 antworteten 51 Prozent der ukrainischen Staatsbürger, sie hätten Verwandte, Freunde oder Bekannte, die in Russland leben.
Was den Kontakt betrifft: Im April 2022 gaben bei eine Online-Befragung der Forschungsgesellschaft Gradus 48 Prozent an, mindestens einen Verwandten in Russland zu haben. 59 Prozent jener, die Verwandte in Russland haben, sprachen mit diesen in den ersten Wochen nach Kriegsbeginn per Messenger oder am Telefon über den Krieg. 54 Prozent jener, die mit Verwandten in Russland kommunizierten, berichteten, dass ihre Gespräche nach Kriegsbeginn keinen Einfluss auf das Vertrauen ihrer Verwandten in die russische Propaganda gehabt hätten. Acht Prozent sagten, ihre Verwandten würden dieser Propaganda seitdem noch mehr glauben, während 40 Prozent angaben, ihre Verwandten würden ihr weniger glauben. Im April 2022 setzten jedoch nur noch 46 Prozent jener Personen, die in den ersten Kriegswochen Kontakt zu Verwandten in Russland gehabt hatten, diesen Kontakt fort. Die Mehrheit hatte ihn also abgebrochen.
Fassen wir zusammen: Welche wichtigen Veränderungen im Hinblick auf die Entwicklung einer politischen Nation hat es seit Beginn der Kampfhandlungen in der ukrainischen Gesellschaft gegeben?
Im Juli und August 2021, als gerade Putins Artikel Zur historischen Einheit der Russen und Ukrainer herausgekommen war, untersuchten wir die Reaktionen der Ukrainer auf die Thesen, die darin aufgestellt wurden. Damals reagierte die überwiegende Mehrheit negativ auf Putins Aussagen, dass es „keinerlei historische Grundlage für die Vorstellung eines vom russischen getrennten ukrainischen Volkes gibt und auch nicht geben kann“, und dass „das Territorium der heutigen Ukraine in hohem Ausmaß auf Kosten historisch russischen Staatsgebiets definiert wurde“.
Während des Krieges ist ein neuer dominierender Persönlichkeitstyp hervorgetreten – ein Mensch mit deutlich ausgeprägten soziozentrischen Werten
Dieser Krieg hat das Selbstbewusstsein der Ukrainer als Nation deutlich gefördert. Während in einer Umfrage des Rasumkow-Zentrums im Jahr 2021 noch 40 Prozent auf die Frage nach der Zukunft der Ukraine geantwortet haben, sie werde ein hochentwickeltes, demokratisches, einflussreiches europäisches Land sein, waren es im September-Oktober 2022 schon 65 Prozent, die so dachten.
Und, nicht unwichtig, während des Krieges ist ein neuer dominierender Persönlichkeitstyp hervorgetreten – ein Mensch mit deutlich ausgeprägten soziozentrischen Werten. Das sieht man am Beispiel der freiwilligen Soldaten und Volonteure, die den Kämpfern an der Front helfen. Diese Gruppe wird, wie es aussieht, auch nach dem Krieg die dominierende bleiben, was den Fortschritt und die Entwicklung von Gesellschaft und politischer Nation fördern wird. Und genau das ist es, was der ukrainischen Gesellschaft diesen spürbaren Optimismus verleiht.