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Siemens in Russland und der Sowjetunion

Es war ein besonderes Jubiläum, das die Siemens AG 2003 in Sankt Petersburg feierte – 150 Jahre Siemens in Russland. Prominente Gäste nahmen am Festakt teil: unter anderem Präsident Putin und der damalige Bundeskanzler Gerhard Schröder. Dieser hob in seiner Rede die große Bedeutung von Siemens für die deutsch-russischen Beziehungen und für die wirtschaftliche Entwicklung Russlands hervor. 
Die Beziehungen des deutschen Unternehmens zum russischen Staat spielten dabei eine zentrale Rolle – Siemens machte nicht nur im vorrevolutionären Zarenreich und in der Sowjetunion Geschäfte, auch nach der Krim-Angliederung im Jahr 2014 bemühte sich das Unternehmen um gute Beziehungen. Im Mai 2022 gab das Unternehmen jedoch bekannt, seine Geschäfte in Russland vollständig einzustellen: „Wir verurteilen den Krieg in der Ukraine und haben beschlossen, unsere industriellen Geschäftsaktivitäten in Russland in einem geordneten Prozess zu beenden“, sagte Konzernchef Roland Busch.

Telegrafenbau während des Krimkriegs 1853 bis 1855

1847 in Berlin gegründet, konzentrierte sich das Unternehmen Siemens anfangs auf die neue Technologie der telegrafischen Kommunikation. Bereits 1849 kamen die ersten Kontakte zu einem Verwaltungsbeamten in Russland zustande.1

Zwei Jahre später zog Carl Siemens, ein jüngerer Bruder des Unternehmensgründers Ernst Werner, nach Sankt Petersburg. Der Ausbruch des Krimkriegs im Oktober 1853 sollte seine Strategie der Markterschließung begünstigen: Russlands Militärführung forderte eine Telegrafenverbindung von der Hauptstadt in das Kriegsgebiet, und Carl Siemens lieferte.

Im Auftrag des russischen Staats verlegte die Firma innerhalb von zwei Jahren rund 9000 Kilometer Telegrafenkabel und schuf damit erstmals eine moderne Kommunikationsinfrastruktur. Den Kriegsausgang hat dies natürlich nicht beeinflusst. Für Siemens aber bedeutete der Auftrag einen enormen Geschäftsaufschwung. Nahezu die gesamte Produktion der Firma ging in diesen Jahren nach Russland.2

Der „Prussky Ingener“ Siemens

Ein wichtiger Grund dafür war, dass Carl Siemens bereits zuvor enge Beziehungen zu Entscheidungsträgern im russischen Staat aufbauen konnte. Im Winter 1853/1854 verlegte die Firma ein Telegrafenkabel vom Winterpalast zur Inselfestung Kronstadt und erwarb sich dadurch das Vertrauen von Graf Kleinmichel, Leiter der russischen Telegrafenverwaltung. 
Dieser mochte den jungen Ingenieur aus Preußen und habe ihm versprochen, er würde „später auch alle [Telegrafen-]Linien zu machen bekommen [sic!] und er [Kleinmichel – dek] wolle künftig jeden Concourrenten [sic!] aus der Türe werfen“3, so schrieb Carl Siemens im Dezember 1853 nach Berlin.

Kleinmichel hielt sein Versprechen, sodass Siemens den Staatsauftrag für die Wartung der Telegrafenlinien bekam und sich in den folgenden Jahren eine privilegierte Position im Zarenreich erarbeiten konnte.

Licht und Schatten

Nach dem Krimkrieg stagnierte das Geschäft allerdings. Erst als die Modernisierungspolitik Zar Alexanders II. langsam anfing Früchte zu tragen, konnte Siemens in den 1880er Jahren wieder an die vergangenen Erfolge anknüpfen.

Staatliche Aufträge für die Elektrifizierung setzten dabei die entscheidenden Impulse. Im Herbst 1882 fand in Moskau eine Industrieausstellung statt, auf der Siemens einen erst kürzlich entwickelten elektrischen Zug vorstellte. Zar Alexander III. ließ sich auf der Miniaturbahn mehrfach im Kreis herumfahren. Zum Dank für diesen „Triumphzug“4 durfte Siemens den kaiserlichen Doppeladler im Briefkopf führen. Das Unternehmen bekam Staatsaufträge für elektrische Bahnen zum Ausbau des öffentlichen Nahverkehrs. 

Wenige Jahre später machte sich Carl Siemens auch bei der elektrischen Beleuchtung verdient. 1883 installierte er elektrische Lampen in der Sankt Petersburger Isaakskathedrale und auf dem Newski-Prospekt, auch den Winterpalast durfte Siemens 1887 mit einer Beleuchtungsanlage ausstatten.

Geschäfte ohne staatliche Beteiligung waren dagegen weitaus seltener. Wie auch für die meisten anderen ausländischen Unternehmen, die Ende des 19. Jahrhunderts zunehmend in Russland aktiv wurden, war der russische Staat der weitaus wichtigste Geschäftspartner für Siemens.

Carl Siemens verfügte über exzellente Kontakte zur Staatsmacht, auf seinem Landsitz in der Nähe der Hauptstadt war politische Prominenz häufig gesehen. Zar Nikolaus II. erhob den „treuunterthänigen Siemens “5 für seine Verdienste um die russische Elektroindustrie in den erblichen Adel. 

Zu dieser Zeit hatte Russland aber seine anfangs so entscheidende Bedeutung für das Unternehmen schon verloren. Die wirtschaftliche Dynamik im Zarenreich hinkte den westeuropäischen Entwicklungen hinterher, insbesondere die Kriegsniederlage gegen Japan 1905 und die folgenden revolutionären Unruhen im Land hemmten die Geschäftsentwicklung.

Ein Revolutionär als Manager

Als Folge dieser inneren Krisen stellte sich 1908 ein ungewöhnlicher Arbeitssuchender in Berlin-Siemensstadt vor. Es handelte sich um Leonid B. Krassin, der als Gefolgsmann Lenins in den Revolutionswirren mehrere Überfälle organisiert hatte und als polizeilich Gesuchter das Zarenreich verlassen musste. 

Krassin war Ingenieur und bot nun seine Dienste dem deutschen Elektrounternehmen an. Dort arbeitete er sich schnell nach oben und wurde 1911 nach Sankt Petersburg versetzt. Dank guter Beziehungen zwischen Siemens und den staatlichen Behörden blieb Krassin von der Polizei unbehelligt. 

Mit Ausbruch des Ersten Weltkriegs übernahm er die Leitung der russischen Siemens-Niederlassung. Staatliche Aufträge, vor allem für das Militär, sorgten für ein enormes Wachstum. 

Mit der Oktoberrevolution änderte sich die Situation dann allerdings völlig. Das Geschäft kam zum völligen Stillstand, und Krassin besann sich seiner früheren Vergangenheit. 1918 nahm er für die Bolschewiki an den deutsch-sowjetischen Friedensverhandlungen teil. In der Folgezeit wurde er zu einem der wichtigsten Ratgeber Lenins in wirtschaftspolitischen Fragen.6

Seine hervorragenden Kontakte nach Berlin kamen Krassin dabei zustatten. Mehrfach führte er in Berlin-Siemensstadt Gespräche über die Geschäftsmöglichkeiten von Siemens im sowjetischen Russland. Durch die Kriegsniederlage des Deutschen Reichs zerschlugen sich diese Pläne aber zunächst.

Kommunismus – das ist Sowjetmacht plus Elektrifizierung des ganzen Landes

Dieser Leitspruch Lenins aus dem Jahre 1920 sollte maßgeblich für die wirtschaftliche Entwicklung Sowjetrusslands nach dem Bürgerkrieg sein. Ohne die Einbindung ausländischer Unternehmen war dies allerdings nicht realisierbar. 

Krassin, nunmehr Volkskommissar für Außenhandel, reaktivierte daher seine Kontakte zu Siemens. Im Dezember 1920 kam der erste Auftrag zustande: Siemens lieferte unter anderem einen Telegrafen für den Moskauer Kreml. 

Doch insgesamt erwies sich die groß angekündigte Elektrifizierungspolitik Lenins als eine Illusion. Das Geschäft entwickelte sich schleppend, bis die deutsche Reichsregierung in den späten 1920er Jahren anfing, sowjetische Bestellungen durch Ausfallbürgschaften abzusichern. 

Während der Weltwirtschaftskrise und des ersten Fünfjahresplans kam das Sowjetgeschäft von Siemens dann voll in Schwung. Große Aufträge verzeichnete das Unternehmen unter anderem bei der Planung von Großprojekten wie dem Staudamm von Dnjeprostroi und der Moskauer Metro. Die Sowjetunion wurde zu einem der wichtigsten Kunden von Siemens. 

Nach 1933 kam das Geschäft weitgehend zum Erliegen. Als Folge des Hitler-Stalin-Pakts erhielt Siemens zwar noch große sowjetische Bestellungen, diese kamen nach dem deutschen Überfall auf die Sowjetunion im Juni 1941 aber  nicht mehr zum Abschluss.

Besatzungszeit

Für die deutschen Besatzer der Sowjetunion hatte die Wiederherstellung der weitgehend zerstörten kriegsrelevanten Infrastruktur eine hohe Priorität. Siemens erhielt unter anderem Aufträge zur Wiederherstellung der Elektrizitätsversorgung im Donbass. Das Auftragsvolumen stieg, Siemens führte nicht nur zivile Projekte aus, sondern auch viele Aufträge von Wehrmacht und SS. 

Angesichts des weiteren Kriegsverlaufs währte diese Episode des Sowjetgeschäfts von Siemens nur kurz. Im November 1944 berichtete das mit dem Ostgeschäft betraute Technische Büro Ost an die Siemens-Zentrale, dass durch „den Verlust unseres Arbeitsgebietes mit neuen Aufträgen vorläufig nicht zu rechnen“7 sei.

Neue alte Beziehungen

Es ist bemerkenswert, dass sowohl die deutsche Kriegsniederlage 1945 als auch der beginnende Kalte Krieg das Sowjetgeschäft von Siemens nicht völlig zum Erliegen brachten. Bereits im Frühjahr 1950 nahm das Unternehmen Kontakt zur neu gegründeten sowjetischen Handelsvertretung in Berlin auf, in Erwartung „demnächst wieder Aufträge aus der UdSSR zu erhalten“8. 1959 kam die erste große Bestellung – Siemens sollte elektrische Lokomotiven für den Güterverkehr in Sibirien ausrüsten. 

Weitere Aufträge der Sowjetunion folgten. Als Siemens nach dem Zerfall der UdSSR 1991 eine Niederlassung in Sankt Petersburg gründete, konnte das Unternehmen auf eine nahezu bruchlose Geschäftsbeziehung zurückblicken.

Beziehungen zum Staat 

Tragende Säule für Siemens waren über all die Jahrzehnte immer die Beziehungen zum Staat. Nicht nur während des Kalten Krieges, auch nach 2014 bemühte sich das Unternehmen um gute Geschäftsbeziehungen. So traf sich Siemens-Chef Joe Kaeser kurz nach der Angliederung der Krim mit Putin; danach sprach er von einer „vertrauensvollen Beziehung“ zu russischen Unternehmen – und erntete damit vor dem Hintergrund der kurz zuvor beschlossenen Sanktionen gegen Russland scharfe Kritik aus Deutschland.9

Solche Vorwürfe, dass das Unternehmen Geschäfte über die Politik stelle, stießen bei Siemens allerdings meist auf taube Ohren oder wurden zurückgewiesen. Insofern war es ein absolutes Novum, als Siemens im Juli 2017 ankündigte, Kraftwerksgeschäfte mit russischen Staatsfirmen bis auf Weiteres zu stoppen. Hintergrund waren Gasturbinen des Unternehmens, die trotz Sanktionen auf die Halbinsel Krim gelangt waren. 

Diese teilweise Kündigung der Geschäftsbeziehung war sehr außergewöhnlich. Schließlich verliefen die rund 170 jährigen Beziehungen von Siemens zum russischen Staat trotz Weltkriege und Oktoberrevolution weitgehend kontinuierlich. Und so währte diese Periode auch nur sehr kurz: Bereits drei Monate nach der Ankündigung gab Siemens bekannt, sich an der Modernisierung russischer Kraftwerke zu beteiligen. 

Wegen des russischen Kriegs gegen die Ukraine kündigte der Siemens-Chef Roland Busch am 12. Mai 2022 an, das Russlandgeschäft zu beenden. Nach langem Zögern folgte Siemens damit zahlreichen anderen westlichen Unternehmen bei dem Rückzug aus Russland. 

Aktualisiert am 12.05.2022


1.Bähr, Johannes (2016): Werner von Siemens: 1816-1892, München, S. 139
2.Lutz, Martin (2013): Carl von Siemens: Ein Leben zwischen Familie und Weltfirma, München, S. 96f.
3.Brief Carl Siemens an Werner Siemens, 13.12.1853, verfasst in St. Petersburg, Brüder-Briefe, Siemens-Archiv
4.Brief Carl Siemens an Werner Siemens, 24.9.1882, verfasst in Moskau, Brüder-Briefe, Siemens-Archiv
5.SAA 19380, Adelsdiplom Carl von Siemens
6.Lutz, Martin (2011): Siemens im Sowjetgeschäft: Eine Institutionengeschichte der deutsch-sowjetischen Beziehungen 1917-1933, in: Perspektiven der Wirtschaftsgeschichte 1, Stuttgart, S. 108ff.
7.TB Ost: Mitteilung an Reyß, Zwickau 13.11.1944, SAA 10756
8.ZTB-Rundschreiben Nr. 265, München 11.3.1950, SAA 68 Li 141.
9.Frankfurter Allgemeine Zeitung: Siemens-Chef verteidigt Treffen mit Putin
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