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„Putin will das Imperium wiedererrichten – das steht außer Frage“

Der russische Krieg gegen die Ukraine gilt unter vielen Wissenschaftlern, Journalisten und Aktivisten als ein imperialer Krieg: Wladimir Putin spricht der Ukraine das Daseinsrecht ab, will das Land offensichtlich unterwerfen, in der russischen Propaganda wird von „Entukrainisierung“ der Ukraine fantasiert, manche fordern eine „Russifizierung“ – all das erinnert an das Imperiale des Russischen Reiches und/oder der Sowjetunion.

Auch die russische Historikerin Tamara Eidelman sagt, dass die Idee eines russischen Imperiums bei Putin fortlebe, allerdings in einer „verqueren Weise“: „Ich glaube nicht, dass er von Moskau als dem Dritten Rom träumt – oder besser gesagt, tun es die nicht, die seine Reden schreiben. Aber dass er das Imperium wiedererrichten will, das steht außer Frage.“

Eidelman ist eine sehr bekannte Historikerin mit einem erfolgreichen YouTube-Kanal zur russischen Geschichte: Der 62-Jährigen, die inzwischen nicht mehr in Russland lebt, folgen dort eine Million Abonnenten. Mit der Novaya Gazeta Europe spricht sie über die Geschichte des russischen Imperiums seit den Anfängen im 16. Jahrhundert und darüber, was das mit der Gegenwart des Krieges unter Putin zu tun hat.

Source Novaya Gazeta Europe

Nikita Pegow: Was ist der russische Imperialismus, wo sind seine Wurzeln? Was hat Putins Russland vom ursprünglichen russischen Imperialismus geerbt?

Tamara Eidelman: Ich denke, der Imperialismus war in Russland im Keim schon da, bevor es das Wort Imperium überhaupt gab. Peter der Große war der Erste, der offiziell zum Imperator ernannt wurde, aber eigentlich hat das Imperium schon vorher Gestalt angenommen: Als das Moskauer Zarenreich begann, sich auszudehnen und neue Gebiete einzunehmen – die Wolgaregion unter Iwan dem Schrecklichen im 16. Jahrhundert, Sibirien im 17. Jahrhundert –, war der Grundstein für das Russische Imperium bereits gelegt.

Parallel dazu bildete sich die Ideologie heraus. Schon Anfang des 17. Jahrhunderts verfasste der Mönch Filofej von Pskow sein berühmtes Schreiben an Wassili III., in dem er den Gedanken formulierte, Moskau sei das Dritte Rom. Filofej wäre wohl sehr überrascht gewesen, hätte er erfahren, wie viele Jahrhunderte seine Idee überdauern würde und wie sie transformiert wurde. Rom stellten sich die Menschen im 16. Jahrhundert als Zentrum eines Weltreichs vor – für Filofej war es ein orthodoxes. Diese Idee wurde unter Katharina der Großen wieder lebendig. Sie wollte Konstantinopel erobern und dort einen orthodoxen Staat errichten. Diese Idee lebte im 19. Jahrhundert weiter, als Russland in den Balkan vordrang und ebenfalls von Konstantinopel träumte. Auf die gleiche verquere Weise lebt die Idee auch bei Putin fort. Er träumt wohl nicht von Moskau als dem Dritten Rom – oder besser gesagt, tun es die nicht, die seine Reden schreiben. Aber er will das Imperium wiedererrichten, das steht außer Frage.

Was konkret Putins Kenntnisse angeht, habe ich große Zweifel. [...] Er verwechselt den Nordischen Krieg mit dem Siebenjährigen Krieg. Das ist eine Fünf minus!

Inwiefern stützt er sich auf die Erfahrung seiner Vorgänger? Lässt Putin sich von einem historischen Gedächtnis leiten, oder ist es etwas Impulsives, Irrationales?

Was konkret Putins Kenntnisse angeht, habe ich große Zweifel. Erstens weiß ich nicht, woher er die haben sollte – sicher nicht von der KGB-Schule und auch nicht aus Dresden, wo er als Außenagent im Einsatz war. Der Mann hat in Deutschland gelebt, aber macht Fehler, die jeder Schüler korrigieren kann. Er verwechselt den Nordischen Krieg mit dem Siebenjährigen Krieg. Das ist eine Fünf minus! Er ist von Leuten umgeben, die für ihn vom Russki Mir inspirierte Reden schreiben. Diese Ideologie wurzelt tief in der imperialistischen Idee in ihrem übelsten Sinne – Imperialismus ist ja nicht gleich Imperialismus, genauso wie Imperien ganz unterschiedlich sein können.

Meines Erachtens sind für Putin die letzten Regierungsjahre Stalins sehr wichtig, denn in der Nachkriegsepoche formierte sich auch bei Stalin eine imperiale Ideologie.

Die Bolschewiki hatten in den ersten Jahrzehnten ihrer Herrschaft vom Internationalismus gesprochen, von der Weltrevolution, sie erschufen nationale Kader in den verschiedenen Republiken. Natürlich gab es damals keine Freiheit im eigentlichen Sinne, aber sie operierten jedenfalls mit diesen Begriffen; der Internationalismus war für viele Menschen sehr wichtig.

Und dann erhebt Stalin 1945 auf einem Bankett zur Feier des Sieges sein Glas auf das russische Volk, das plötzlich die größten Opfer im Krieg davongetragen haben soll. Von diesem Moment an festigt sich der Gedanke, das russische Volk sei der große Bruder aller anderen Völker. Das lässt sich an der gesamten Politik des Spätstalinismus gut beobachten. Zum Beispiel an den Deportationen der nordkaukasischen Völker. Oder an der antisemitischen Kampagne, am Kampf gegen den Kosmopolitismus, an der sogenannten Ärzteverschwörung. Überall herrschte ein großrussischer Chauvinismus in aggressiver Form.

Überall herrschte ein großrussischer Chauvinismus in aggressiver Form

Es ist bezeichnend, dass sich dieser Chauvinismus unter Chruschtschow und Breshnew mäßigte. Natürlich war er auch da noch präsent, aber Breshnew wäre nie in den Sinn gekommen zu sagen, das russische Volk sei der große Bruder. Im Gegenteil, es wurde wieder von Internationalismus und Völkerfreundschaft gesprochen – vielleicht war es gelogen, aber immerhin.

Eine andere Sache, die für Putin von großer Bedeutung ist: Ende der 1940er Jahre ließ Stalin das Russische Reich wiederauferstehen. Natürlich blieb es der Form nach der Kommunismus. Aber es ist kein Zufall, dass während des Krieges das Amt des Patriarchen wiedereingeführt wurde. Sämtliche Geistliche sitzen im Lager, doch plötzlich bandelt man wieder mit der Kirche an. Die Schulterklappen kehrten zurück, die Offiziersgrade – alles Symbole des Russischen Reichs. Es wurden Loblieder auf Peter I. und Iwan den Schrecklichen gesungen. So hatte das Reich zuletzt Ende des 19. Jahrhunderts unter Alexander III. ausgesehen.

Wie gesagt, Imperium ist nicht gleich Imperium. Im Russischen Reich war das Leben nicht für alle Völker gleich. Juden und Polen lebten schlechter, die Bewohner der Wolgaregion oder Zentralasiens besser: Sie wurden zwar de facto erobert, aber man ließ sie mehr oder weniger in Ruhe. Selbst die Khane und Emire ließ man in ihren Ämtern, sie durften sich um ihre Angelegenheiten kümmern – Hauptsache, sie gehorchten dem russischen Zaren.

Unter Alexander III. wurde das Imperium immer russischer, immer orthodoxer. Es ist kein Zufall, dass man ihn auch jetzt überhöht – alle sollen sehen, wie toll er war. Das ist genau die chauvinistische Linie, die Putin gefällt.

Unter Alexander III. wurde das Imperium immer russischer, immer orthodoxer

Gibt es so etwas wie Alltagsimperialismus? Wie kann es sein, dass ein durchschnittlicher Moskauer gegen den Krieg und die Wiedererweckung des Imperiums ist und nach seiner Auswanderung in die baltischen Länder anfängt, sie aus eben dieser imperialistischen Perspektive zu kritisieren?

Ich würde dieses Phänomen nicht überbewerten. Einerseits ja, es gibt diesen Alltagsimperialismus. Er besteht darin, dass wir uns noch nie wirklich Gedanken über die Geschichte und Kultur der Republiken gemacht haben, die Teil der Sowjetunion waren, oder der Regionen, die zu Russland gehören. Es gibt die Vorstellung, dass die russische Kultur die wahre ist, die russische Sprache die wichtigste – davon wird man sich befreien müssen.

Wie tötet man das Imperium in sich selbst?

Indem man sich mehr für andere Kulturen und Ethnien interessiert. Auf meinem YouTube-Kanal gibt es jetzt zum Beispiel eine neue Serie zur Geschichte der Ukraine, es folgt eine zur Geschichte der Wolgaregion, dann kommt Belarus. Ich glaube, das Problem sind hier nicht nur die Beziehungen zwischen den verschiedenen Völkern. Das Problem ist die allgemeine Aggressivität. 

Ich sehe eine große Verantwortung bei den Historikern und dem Lehrplan, nach dem an den Schulen unterrichtet wird. Bei uns herrscht die Vorstellung, dass die Geschichte Russlands die Geschichte des russischen Staates sei. Oder nicht einmal des Staates – es ist die Geschichte Moskaus und Sankt Petersburgs, und alles andere ist nur so da. Für den Bau von Sankt Petersburg darf man Tausende von Menschen vernichten, und für das Wohlergehen des Staates massenhaft Werte opfern. Das wird uns auf verschiedenen Ebenen eingehämmert, in der Schule, durch die Propaganda. Damit hängt auch zusammen, wie den Menschen der Zweite Weltkrieg präsentiert wird. 

Ich glaube, die Überwindung des imperialistischen Denkens ist ein sehr komplexer Prozess. Er beschränkt sich nicht darauf, zu sagen: „Lasst uns alle die Ukraine liebhaben!“ Das ist zwar schön und gut, aber wir müssen anderen Ethnien mit Respekt und auf Augenhöhe begegnen. Da muss eine Veränderung auf psychologischer Ebene passieren, in den Familien, in der Bildung und in internationalen Beziehungen. Es kann nämlich nicht sein, dass an einer Stelle alles gut ist, aber auf allen anderen Ebenen bleibt alles beim Alten. Alles muss sich verändern. 

Bei uns herrscht die Vorstellung, dass die Geschichte Russlands die Geschichte des russischen Staates sei. Oder nicht einmal des Staates – es ist die Geschichte Moskaus und Sankt Petersburgs

Sie haben gesagt, die imperialistische Ideologie fordert im Namen von etwas Höherem das Opfer des einzelnen Menschen. Am 21. September hat Putin die Mobilmachung verkündet, doch die Reaktionen in der Bevölkerung, sogar von etlichen Z-Propagandisten, waren alles andere als hurrapatriotisch. Wie erklären Sie sich das? 

Niemand will kämpfen. So mancher Propagandist wird natürlich sagen, er sei bereit, sein Leben zu geben, aber seine Kinder schickt dann doch keiner in den Krieg. Das ist logisch, weil das menschliche Leben mehr wert ist als diese idiotischen Klischees. 

Es ist klar, dass Russland nach diesem Krieg nicht mehr sein wird wie früher. Bestehen Aussichten, dass der Imperialismus auf staatlicher Ebene entthront wird? Werden die Republiken wie Burjatien, Jakutien, Tschetschenien heftig danach streben, sich abzuspalten?

Ich vermute, dass sie aktiv werden, aber genau kann ich das nicht sagen. Daran, dass Russland auseinanderfallen wird, glaube ich nicht so recht, rein geografisch ist das unrealistisch. Höchstens, dass sich irgendwelche Gebiete im Kaukasus abtrennen.

Ich sehe innerhalb Russlands kein Streben nach einem Auseinanderfallen. Eher nach neuen Beziehungen. In welchem Maße es Russland gelingen wird, die Beziehungen innerhalb der Föderation umzugestalten, wird davon abhängen, wer an der Macht ist, aber auch der politische Wille ist hier nicht alles. Natürlich kann man die Verfassung ändern, den Republiken mehr Rechte geben. Die Frage ist, wer sich um den Alltagsrassismus kümmern wird, wie man den wegkriegt. Dafür braucht es eine Umstrukturierung des Bildungssystems und freie Medien. Das kann nicht nur von oben kommen. Entscheidend ist, ob vor Ort Menschen gefunden werden, die damit arbeiten. Dann könnte es gelingen, aber wenn nicht, dann geht wieder alles schief.

Kann man Sibirien als Kolonie Russlands bezeichnen? In gewisser Weise ja, aber da hat sich alles so sehr vermischt, dass etwas ganz anderes entstanden ist 

Noch einmal zum Baltikum: Flächendeckend haben die Regierungen der drei baltischen Republiken seit Beginn des Krieges eine massive Entsowjetisierung betrieben, die den Sturz von Denkmälern und Monumenten zum Thema der sowjetischen Besatzung umfasst. Wie schätzen Sie diese Prozesse ein?

Ich verstehe schon, warum diese Denkmäler entfernt werden, ganz abgesehen von ihrer Hässlichkeit. Es steht mir auch nicht zu, über die Regierungen anderer Länder zu urteilen. Aber vielleicht wäre es richtiger gewesen, neben dem Denkmal für die Sowjetarmee ein Denkmal für die Opfer des kommunistischen Regimes aufzustellen. Das hätte die ganze Komplexität dieser Situation zum Ausdruck gebracht. Unter den gegenwärtigen schrecklichen Umständen kann man eine solche Ausgewogenheit und Mäßigung aber kaum erwarten.

Inwiefern kann man die Erfahrung anderer kolonialer Imperien überhaupt mit der Erfahrung des heutigen Russland vergleichen?

Jeder Vergleich hinkt natürlich. Die Geschichte des British Empire beispielsweise ist ganz anders als die des Russischen Reiches. Die Besonderheit der kontinentalen Imperien bestand immer darin, dass eine große Vermischung der Völker stattfand. Kann man Sibirien als Kolonie Russlands bezeichnen? In gewisser Weise ja, aber da hat sich alles so sehr vermischt, dass etwas ganz anderes entstanden ist. Bis zu einem bestimmten Grad können wir die Erfahrung anderer Imperien wiederholen. Aber sogar zwischen dem sowjetischen und dem russischen Imperium gibt es gravierende Unterschiede. 

Dostojewski, Tolstoi, Bulgakow – das sind große Schriftsteller, und ich bin mir nicht sicher, ob Wladimir Wladimirowitsch ihre Texte gelesen hat

Wie imperialistisch ist die russische Kultur? Muss sie sich verändern, und was kann man ihr vorwerfen?

Die Kultur ist niemandem etwas schuldig. Dostojewski, Tolstoi, Bulgakow – das sind große Schriftsteller, und ich bin mir nicht sicher, ob Wladimir Wladimirowitsch ihre Texte gelesen hat. Die englische Kultur ist ebenfalls imperialistisch. Eine Erhebung der eigenen Macht und Nation über andere Völker hat es zu verschiedenen Zeiten in verschiedenen Ländern gegeben. Gerade bei Dostojewski finden wir eine gewaltige humanistische Botschaft, die niemand außer Kraft setzen kann. Wie weit die russische Kultur den jetzigen Krieg aufgreifen wird, ist eine interessante Frage. Wird sie ganz bestimmt, tut sie ja jetzt schon. Momentan herrscht eine fürchterliche Krise. Sie ist eine Herausforderung für den gesamten Humanismus, und die Kultur wird sich damit befassen müssen.

Diese Übersetzung wurde gefördert von: 

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Russki Mir

Russki Mir (dt. „Russische Welt“) ist ursprünglich ein Kulturkonzept, das in seiner ideologisierten Form auch zur Legitimierung des russischen Einflusses im postsowjetischen Raum eingesetzt wird. Es betont die soziale Bindungskraft der russischen Sprache und Literatur, der russischen Orthodoxie und eine gemeinsame ostslawische Identität.
Eine wichtige Rolle spielt in dieser Ideologie auch der sowjetische Sieg im Zweiten Weltkrieg, der jeweils am 9. Mai in großen Paraden und darüber hinaus in zahlreichen Produkten der Populärkultur inszeniert wird. Die Russische Welt umfasst ihrem Anspruch nach alle Gebiete, in denen die russische Kultur präsent ist.1

Die Anfänge der Russischen Welt gehen mindestens zehn Jahre zurück. Präsident Putin definierte das Konzept programmatisch bei einem Treffen mit Kulturschaffenden im Jahr 2006: „Die russische Welt kann und muss alle vereinen, denen das russische Wort und die russische Kultur teuer sind, wo immer sie auch leben, in Russland oder außerhalb. Verwenden Sie diesen Ausdruck so oft wie möglich – Russische Welt.“2 Putin erklärte das Jahr 2007 offiziell zum „Jahr der russischen Sprache“ und verwies dabei auf die Wichtigkeit des Russischen als eines verbindenden Elements zwischen den Bürgern der Russischen Föderation und den „Landsleuten“ im nahen Ausland.
Neben der Sprache wurden aber auch eklektisch einzelne Elemente aus den Werken von Philosophen wie Wladimir Solowjow, Nikolaj Berdjajew oder Iwan Iljin zur Begründung der Ideologie der Russischen Welt herangezogen.
Inhaltlich ist die Ideologie der Russischen Welt weitgehend konturlos und unbestimmt. Immer wieder werden eigene „geistig-moralische Werte“ beschworen, die sich angeblich grundlegend von den Idealen eines als feindlich wahrgenommenen Westens unterscheiden.3

Vom kulturellen Projekt zur Ideologie

Aus einem zunächst nur kulturellen Projekt wurde aber bald eine politische Ideologie, die zur Rechtfertigung der russischen Intervention in Georgien (2008) und der Angliederung der Krim (2014) eingesetzt wurde. Die Militäraktion in Südossetien wurde vom damaligen Präsidenten Medwedew mit dem Schutz der „Landsleute“ begründet (die meisten Südosseten verfügen über russische Pässe).
Wladimir Putin verkündete bereits am Nationalfeiertag 2013, dass „die Russische Welt nicht auf dem Prinzip ethnischer Exklusivität“ beruhe, sondern offen für alle sei, die „sich selbst als Teil Russlands und Russland als ihre Heimat“ betrachteten.4 Ein Jahr später hob der Präsident hervor, Russland habe auf der Krim bewiesen, dass es seine „Landsleute“ beschützen und „Wahrheit und Gerechtigkeit“ verteidigen könne.5

Auch in den ostukrainischen Kriegsgebieten zeigt der Begriff der Russischen Welt seine Wirkmächtigkeit: In der Präambel der Verfassung der Donezker Volksrepublik wird er gleich vier Mal erwähnt.6

In der nationalen Sicherheitsstrategie, die am 31. Dezember 2015 in Kraft trat, taucht das Konzept der Russischen Welt zwar nicht explizit auf, es gibt aber ein ganzes Kapitel, das sich der Kultur widmet.
Artikel 81 hält explizit fest, dass die russische Sprache folgende Aufgaben erfülle: Sicherung der staatlichen Einheit des Landes, Kommunikation zwischen den einzelnen Nationen der Russischen Föderation, Integration im postsowjetischen Raum sowie Kulturleben der Landsleute im Ausland.7

Die Stiftung Russki Mir

Parallel zur politischen Instrumentalisierung des Kulturprojekts erfolgte eine Institutionalisierung der Russischen Welt. Seit 2007 existiert eine staatliche Stiftung mit dem Namen Russki Mir, die im Jahr 2015 aufgrund der Wirtschaftskrise allerdings nur etwa 60 Prozent der vorgesehenen 750 Millionen Rubel [etwa 10,5 Millionen Euro] erhielt.8 Auf ihrer Website legt die Stiftung offen, dass ihr Ziel in der „Förderung der Verbreitung objektiver Information über Russland, über die russischen Landsleute und Schaffung einer Russland wohlgesonnenen öffentlichen Meinung“ bestehe.9

Die Stiftung Russki Mir ist hauptsächlich im kulturpolitischen Bereich tätig. An ausgewählten ausländischen Universitäten werden Russische Zentren eingerichtet, die Sprachunterricht und Bibliotheksdienste anbieten.10
Bereits die hochkarätige Zusammensetzung des Stiftungsbeirats zeigt, welche Wichtigkeit dieser Organisation beigemessen wird: Aus dem Kabinett sind der Bildungsminister, der Kulturminister und der Außenminister vertreten.

Der Vorsitzende der Stiftung Russki Mir, Wjatscheslaw Nikonow, befindet sich ganz auf der Linie der patriotischen Staatsideologie. Die Ukraine hält er für einen „failed state“, der über „keine Regierung, keine Armee, keine Wirtschaft, keine innere Einheit, keine Demokratie und keine Ideologie“ verfüge.11 Russland sei demgegenüber eine starke Nation, die auf bedeutende historische Errungenschaften zurückblicken könne.

Nikonow beschreibt die russische Geschichte als fortwährende Expansion – von der sibirischen Landnahme über die Kolonisierung Amerikas bis zur Eroberung des Kosmos.12 In solchen Verlautbarungen zeigt sich auch der Unterschied zu ähnlichen Institutionen anderer Länder wie etwa der Goethe-Institute.

Die Reichweite des ideologischen Konzepts der Russischen Welt ist allerdings beschränkt. In einer Umfrage des staatlichen Meinungsforschungsinstituts WZIOM vom Dezember 2014 in Russland stellte sich heraus, dass 71 Prozent der Befragten noch nie von Russki Mir gehört hatten.13


1. Jilge, Wilfried (2014): Was treibt Russland? Zum Hintergrund der Ukraine-Krise, in: Andruchowytsch, Juri (Hrsg.): Euromaidan: Was in der Ukraine auf dem Spiel steht, Berlin, S. 183–194
2. Tztver.ru: Imperia postfaktum: Russkij mir
3. Eltchaninoff, Michel (2016): In Putins Kopf: Die Philosophie eines lupenreinen Demokraten, Stuttgart, S. 7
4. Kremlin.ru: Reception to mark National Unity Day (2013)
5. Kremlin.ru: Presidential Adress to the Federal Assembly (2014)
6. Zabirko, Oleksandr (2015): „Russkij Mir”: Literatrische Genealogie eines folgenreichen Konzepts, in: Russland-Analysen Nr. 289
7. RG.ru: Ukaz Prezidenta Rossijskoj Federatcii ot 31 dekabrja 2015 goda N 683 "O Strategii nacional'noj bezopasnosti Rossijskoj Federacii"
8. Kommersant.ru: Minobrnauki nužny den'gi na „Russkij mir“
9. Siehe die Website der Organisation. Die Übersetzung des Zitats folgt dem russischen Original, die deutsche Website von Russki Mir ist sprachlich mangelhaft.
10. Gasimov, Zaur (2012): Idee und Institution: Russkij Mir zwischen kultureller Mission und Geopolitik, in: Osteuropa 5, S. 69–80
11. Wjatscheslaw Nikonow auf RG.ru: Korotkaja telegramma: „Ne nadorvites'”
12. Duma.gov.ru: Wjatscheslaw Nikonow: Otnošeniye k strane vo mnogom zavisit ot togo, čto budet napisano v učebnike istorii
13. Wciom.ru: Press-vypusk №2728
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Es war kein Zufall, dass die russische Präsidentschaftswahl 2018 am 18. März stattfand. Die Wahlbeteiligung und die rund 90-prozentige Zustimmung für Putin auf der Krim stellt der Kreml als eine Art zweites Referendum über die Zugehörigkeit der Halbinsel zu Russland dar. Gwendolyn Sasse über die mythenumwobene Region, das Narrativ der „russischen Krim“ und die Selbstwahrnehmung der Krim-Bewohner nach der Angliederung an Russland. 

 

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Als Krim-Annexion wird die einseitige Eingliederung der sich über die gleichnamige Halbinsel erstreckenden ukrainischen Gebietskörperschaft der Autonomen Republik Krim in die Russische Föderation bezeichnet. Seit der im Frühjahr 2014 erfolgten Annexion der Krim ist die Halbinsel de facto Teil Russlands, de jure jedoch ukrainisches Staatsgebiet und somit Gegenstand eines ungelösten Konfliktes zwischen der Ukraine und Russland.

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Nikolaj Berdjajew (1874–1948) war ein russischer Philosoph mit weltweiter Wirkung. Zunächst marxistisch beeinflusst, stellte er sich noch vor der Oktoberrevolution gegen den Atheismus der Kommunisten und wurde 1922 ausgewiesen. Seine christlich-existenzialistische Philosophie stellt die Freiheit des einzelnen Menschen in den Mittelpunkt, zielt dabei aber auf eine geistige Erneuerung der Gemeinschaft. Die religiöse Rückbesinnung in Russland nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion beruft sich vielfach auf Berdjajews Denken.

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Er gehört zu den Säulenheiligen der neuen konservativen Staatsideologie in Russland. Seine autoritäre und monarchistische Gesellschaftskonzeption wird in der Ära Putin für die Legitimierung der Vertikale der Macht eingesetzt. Ulrich Schmid über den russischen Religionsphilosophen Iwan Iljin, der am 21. Dezember 1954 verstarb – und dessen gehaltvolles theologisches Werk heute von der politischen Vereinnahmung überschattet wird.

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Ein kurzer Augenblick von Normalität und kindlicher Leichtigkeit im Alltag eines ukrainischen Soldaten nahe der Front im Gebiet , © Mykhaylo Palinchak (All rights reserved)