Brilljantowaja Ruka (dt. Brillantenarm) aus dem Jahr 1969 war der größte Kassenschlager in der Kinogeschichte der Sowjetunion. Regisseur Leonid Gaidai war ohnehin ein Garant für kommerziellen Erfolg. Bei der kulturpolitischen Elite war er zwar eher gering geschätzt, galt sein Komödienfach doch zuweilen als flach und außerdem wenig geeignet, den neuen Sowjetmenschen zu formen.1 Doch er zog die Massen ins Kino, bei Brilljantowaja Ruka in eine Krimikomödie rund um einen Familienvater, der die Polizei auf die Spuren einer Schmugglerbande bringen soll.
Gaidais Filme, die man heute wohl eher Blockbuster nennen würde, hatten ihren künstlerischen Ursprung in der exzentrischen Komödie der 1920er Jahre und verlieren bis heute nicht an Popularität.
Im Kanon der Filmklassiker, die im heutigen Russland an Feiertagen wie dem Neujahrsfest im Fernsehen gezeigt werden, ist Brilljantowaja Ruka fest verankert. Eine Mehrheit der russischen Fernsehzuschauer wählte ihn bei einer Umfrage des Kanals RTR im Jahr 1995 gar zur besten Komödie, die jemals gedreht wurde.2 Damit hielt er auch gegen Hollywood stand.
So einiges brachte Leonid Gaidai in Brilljantowaja Ruka wohl nur deshalb durch die sowjetische Zensur, weil die Zuständigen alle Hände voll damit zu tun hatten, eine Atombombenexplosion im Filmfinale zu verbieten. Diese Szene soll der Regisseur nicht ohne Kalkül hinzugefügt haben.3 Gaidais Komödien, ein zartes Amalgam aus Slapstick, grobmotorischem Klamauk und eingeschriebener Gesellschaftssatire, wurden nie ohne Veränderungen freigegeben. So auch diese nicht. Eine Auflage war, die Rolle der Polizei aktiver zu gestalten bei der Lösung des Kriminalfalls. Dieser dreht sich um den Familienvater und Wirtschaftsfachmann Semjon Semjonowitsch, der in einen Schmugglerring verwickelt wird und bis zur Ergreifung der Bande als Lockvogel dienen soll.
Es beginnt schon mit einem Ungeschick: Die Sonne brennt, und Semjonowitsch irrt bei seiner ersten Auslandsreise durch die Straßen von Istanbul, bis er auf einer Melonenschale ausrutscht und deshalb von einer Verbrecherbande für den gesandten Kurier gehalten wird. Ehe er sichs versieht, wird ihm der Arm eingegipst und darin wertvoller Schmuck versteckt. „Ich bin kein Feigling, aber ich habe Angst“, sagt er nach der Rückkehr in die Sowjetunion, als er im Schutz der Dunkelheit neben seinem von nun an wichtigsten Vertrauten sitzt, dem Polizisten Michail Iwanowitsch. Seine Worte verraten bereits früh, dass wir es hier nicht mit einem heldenhaften Sowjetmenschen zu tun haben, sondern mit einem ehrlichen Kleinbürger aus einer Küstenstadt, noch dazu mit einem Tollpatsch, der seine Mission mit mehr Glück als Verstand überstehen wird.
Die exzentrische Komödie
Der Tollpatsch als Protagonist ist charakteristisch für Gaidais Komik – den Slapstick. Dabei greift er mit der exzentrischen Komödie auf ein typisches sowjetisches Genre zurück, das maßgeblich in den 1920er Jahren von der Künstlerwerkstatt FEKS mit ihrem absurd-anekdotischen Stil geprägt wurde. Sowohl diese Anfänge wie auch die Renaissance des Genres waren eng mit politischen und gesellschaftlichen Entwicklungen verwoben: Waren die 1920er Jahre eine Zeit „großer Veränderungen und Erwartungen […] eine Zeit, die im Vorgenuss der schönen neuen Welt schwelgte“; so herrschte im Tauwetter der 1950er und 1960er Jahre mit seinen inhärenten Freiheiten eine ähnliche Aufbruchstimmung.4
Jedoch konnte sich die exzentrische Komödie schon in ihren Anfängen nicht in den strengen Kanon des Sozialistischen Realismus einschreiben, weil sie zu wenig ideologisch war, keine geschliffenen Helden ins Zentrum rückte und sich mit ihren Anleihen beim Zirkus oder der Pantomime5 auf den Pfad zum Unterhaltungsfilm begab. Wie die Begründer dieses Genres Jahrzehnte zuvor, orientierte sich Gaidai schließlich mit Beginn der sogenannten Stagnationszeit stärker an literarischen Vorlagen6. Hatte die Kritik bis dahin nicht viel für ihn übrig, versuchte er, sein Kino auf diese Weise an höher angesehene Kunstformen heranzuführen.7
Slapstick-Gags eines begnadeten Clowns
Für Viktor Schklowski, einen Formalisten mit Nähe zur FEKS, diente das Sujet in der exzentrischen Komödie lediglich als Aufhänger für „Gags, künstlerische Verfahren und Attraktionen“. Dies gilt insofern auch für Brilljantowaja Ruka, als dass die Diamanteneinfuhr in die Sowjetunion gar nicht illegal war. Das hatte sich zwar erst während der Dreharbeiten richtig herausgestellt, dennoch wurde die Story deswegen nicht abgeändert. Die absurde Triebfeder für die Handlung entsprach vielmehr dem filmischen Prinzip, das US-Kollege Alfred Hitchcock auch fürs Thriller-Fach gern praktizierte: über eine herbeigeraunte Finte zu suggerieren, es ginge um etwas ganz Großes. Das ermöglicht, die Handlung zu entfalten, ohne dass es einer weiteren Erklärung bedarf.8
Bei den Gags und Attraktionen bediente sich Gaidai aus dem klassischen, manchmal beinahe „abgedroschenen“ Repertoire des Slapstick: Jedes Mal charmant, wenn Publikumsliebling Juri Nikulin, von Hause aus ein begnadeter Zirkusclown, in der Rolle des Semjon Semjonowitsch vor seinem eigenen Schatten erschrickt, Eiscreme ins Gesicht bekommt oder beim Fotografieren vergisst, die Klappe vom Objektiv zu entfernen.
Die Gegenspieler reihen sich nahtlos ein: Schurke Ljolik, der mit unglücklichem Händchen als Mittelsmann und Helfer fungiert, sowie Schönling Goscha, der ursprünglich angedachte Kurier für die Istanbuler Schmuggelaktion, der zum Sparringspartner aller Beteiligten avanciert, so sehr leidet er unter querschlagenden Armen, Angeln und Auspuffanlagen. So scheinen selbst die Bösen hier beinahe liebenswert und Semjon Semjonowitsch ist so wenig Held, dass selbst die Polizei es vorzieht, ihm keine echte Waffe zu überlassen.
Satire mit Cowboylook und 007
Als der Film 1969 seine Premiere hatte, war der Prager Frühling bereits Geschichte und das Tauwetter abgeklungen. Unter Leonid Breshnew machte sich Stillstand breit. Hinter dem scheinbar harmlosen Brilljantowaja Ruka steckte nichtsdestotrotz eine Satire auf die kleinbürgerliche sowjetische Gesellschaft. Im echten Leben zog es viele Menschen vom Land in die Stadt, zudem trat bescheidener Wohlstand ein.9 Vor diesem Hintergrund persiflierte Gaidai liebevoll die Konsumwünsche und Sehnsüchte der Menschen inmitten des sowjetischen Alltags. Da ist die Hausbesorgerin, die sich als treue Kommunistin inszeniert, Fehlverhalten an den Pranger stellt und doch zu gern auf mitgebrachte Souvenirs aus dem Ausland schielt. Immerhin hat Semjon Semjonowitsch, Inbegriff des Durchschnittsbürgers, geschafft, wovon andere insgeheim oder offen nur träumen konnten: Er war im Ausland, es durfte gleich eine Kreuzfahrt sein.
Stolz geht die Familie nach seiner Rückkehr an der Uferpromenade spazieren, mit dem Sohn im Cowboy-Kostüm und der Tochter im Minikleid mit Eiffelturm-Aufdruck. Ein Hauch von Coca Cola und New York schwingt ebenfalls mit, auch wenn Semjon Semjonowitsch nur in Istanbul war. Die Träume und Ziele der Sowjetbürger sind hier also nicht ideologischer, sondern materieller Natur, oder wie Semjon Semjonowitschs Frau anmerkt: „Der Pelz kann warten“ (russ. „Schuba podoshdjot“), wichtiger sei es, die Welt zu sehen.
Gaidai balanciert seine überzeichneten Figuren durch Gesangseinlagen, Traumsequenzen und Verfolgungsjagden, die das Tempo der Narration dirigieren und genügend Raum für ausdrucksstarke Mimik und Gestik lassen. Nicht zuletzt erfährt der Agententhriller aus dem Westen seine Referenz, wenn der Bösewicht, ganz im Stil der James-Bond-Reihe, mit (hier schwarzer) Katze auftritt, als Zigarettenschachteln getarnte Funkgeräte platziert werden und eine verführerische Blondine ins Spiel kommt, die es überraschend mit dem ersten Striptease auf sowjetischer Kinoleinwand an der Zensur vorbei geschafft hat10.
Champagner nur für Aristokraten und Degenerierte
Vielleicht gerade weil dieser Film durch seine künstlerischen Verfahren die Grotesken des Alltags freilegt, verzeichnete Brilljantowaja Ruka nicht nur mit 76,7 Millionen Zuschauern11 die höchste Besucherzahl der Sowjetgeschichte – schon mit den beiden Vorläufer-Komödien Operazija Y i drugije Prikljutschenija Schurika (dt. Operation Y und andere Abenteuer Schuriks, 1965) und Kawkaskaja Plenniza (dt. Die Gefangene aus dem Kaukasus, 1967) brach Gaidai Rekorde – sondern prägte auch in hohem Maße die Alltagssprache. Der tadelnde Seitenhieb der Hausbesorgerin etwa, als sie Verdacht schöpft, Semjonowitsch müsse ein zusätzliches, illegales Einkommen beziehen, fällt auch heute manchmal, wenn etwas seltsam erscheint: „Die Unseren fahren nicht mit dem Taxi zum Bäcker.“ Mit der Phrase „Haben Sie diese auch mit Perlmuttknöpfen?“ lassen sich mit einem Augenzwinkern lästige Sonderwünsche ankündigen. Ein Klassiker bei Alkohol am frühen Morgen bleibt Ljoliks Ausspruch „Champagner am Vormittag trinken nur Aristokraten und Degenerierte“, als sich Goscha nach einem Besäufnis mit Semjon Semjonowitsch, kaum erwacht, erneut die Champagnerflasche an den Mund führt.
Es ist der Film, aus dem laut Umfragen des Russischen Instituts für Kunstwissenschaft die meisten geflügelten Worte in den Sprachgebrauch übergegangen sind12 – noch mehr als aus Ironija Sudby, ebenso wie Brilljantowaja Ruka ein absoluter Klassiker im Fernsehprogramm rund ums Neujahrsfest, aber gedreht vom zweiten großen Komödienregisseur Eldar Rjasanow.
Text: Anna Ladinig
Veröffentlicht am 27.12.2017