Jegor Gaidar (1956–2009) war einer der wichtigsten Reformer der 1990er Jahre und gilt als Vater der russischen Marktwirtschaft. In der russischen Gesellschaft ist Gaidar sehr umstritten: Während seine Befürworter ihm zugute halten, dass er die Rahmenbedingungen für das private Unternehmertum in Russland schuf und das Land vor dem totalen wirtschaftlichen Kollaps bewahrte, lastet ihm der Großteil der Bevölkerung die Armut der 1990er Jahre an. Nach Gaidars Tod wurde ihm zu Ehren eine Stiftung gegründet: Diese fördert unter anderem (Wirtschafts)Wissenschaftler und engagiert sich für eine liberale Grundordnung.
Jegor Gaidar (1956-2009) galt als uncharismatischer, aber (im Gegensatz zu vielen seiner Mitstreiter, die sich selbst bereicherten) integrer und verantwortungsbewusster Politiker, was ihm aufgrund seiner korpulenten Figur den Spitznahmen Puh, der eiserne Bär einbrachte. Gaidars politische Karriere ist eng mit der Boris Jelzins verbunden: Nach dem Augustputsch 1991 berief dieser den erst 35-jährigen promovierten Wirtschaftswissenschaftler Gaidar in die Regierung. Der begabte Ökonom sollte als Wirtschafts- und Finanzminister die sowjetische Planwirtschaft in eine kapitalistische Marktwirtschaft umwandeln.
Gaidar kam zu dem Schluss, dass dafür notwendige, aber unpopuläre Schritte unternommen werden müssen und führte die Schocktherapie ein: Als im Winter 1991 kaum noch Lebensmittel in den Regalen standen, da sich die Produzenten weigerten, diese zu den staatlich festgelegten Preisen zu verkaufen und das bankrotte Land auch keine Devisen für Lebensmittelimporte besaß, beschloss Gaidar im Januar 1992 die Freigabe aller Preise.1 Die Regale füllten sich wieder, allerdings kam es zu einer Hyperinflation. Praktisch über Nacht verlor rund ein Drittel der Bevölkerung die gesamten Ersparnisse und fand sich in Armut wieder. Vor allem deshalb ist der Reformpolitiker bis heute in der Gesellschaft umstritten bis verhasst. Zudem war Gaidar ebenfalls für die Voucher-Privatisierung der Staatsbetriebe verantwortlich, die jedoch nicht wie angedacht der Bevölkerung zugute kam, sondern den Aufstieg der Oligarchen ermöglichte.
Nach der Verfassungskrise von 1993, in der Gaidar die demokratischen Kräfte unterstützte, gründete er die Partei Russlands Demokratische Wahl und zog 1994 als Anführer der liberalen Opposition in die Duma ein. Wie auch sein späterer Parteifreund Boris Nemzow sprach sich Gaidar gegen den Tschtschenien-Krieg aus.
2003 verabschiedete er sich aus der aktiven Politik, kritisierte jedoch regelmäßig die Wirtschaftspolitik unter Putin und vor allem dessen Politik der Starken Hand. In seinem Buch Kollaps eines Imperiums von 2006 warnte Gaidar vor einem post-imperialistischen Syndrom und wies damit bereits damals auf den repressiven innenpolitischen und revisionistischen außenpolitschen Kurs des Landes hin. Ein Gastbeitrag aus demselben Jahr in der Welt zeigt vor dem Hintergrund der Ukraine-Krise, wie genau Gaidar die putinschen Machtmechanismen bereits damals durchschaute: „Man [gemeint ist der Kreml – dek] schafft eine extreme Bedrohung, vor allem durch undurchsichtige Verbindungen zu faschistischen Organisationen. Dann sagt man den Bürgern: ,Mit dieser Bedrohung werdet ihr nicht allein fertig. Vertraut uns, wir werden schon einen Weg finden, wie damit umzugehen ist.‘ Diese Botschaft wird ständig durch die Medien bestärkt.“2
Gaidar verstarb im Dezember 2009 an einem Herzinfarkt.
Das Gaidar Institut für Wirtschaftspolitik, welches die Regierung berät und Gaidar bis zu seinem Tode leitete, führt ebenso wie seine in der Opposition aktive Tochter Maria Gaidar sein politisches Vermächtnis fort.