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Bilder vom Krieg #7

Fotografische Perspektiven auf den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine: Julia Kochetova

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Das Länderkennzeichen UA eines von russischen Kalibr-Raketen zerstörten Autos in Winnyzja. „Es hatte zwei Meter vom Haus meiner Eltern geparkt”, schreibt die Fotografin. / Foto © Julia Kochetova, Winnyzja, Juli 2022

JULIA KOCHETOVA
„Der Krieg hat ein konkretes Gesicht. Es kann nicht allgemein sein“

Deutsch
Original
Ich war auf dem Weg in den Donbas, als ich auf Telegram von Explosionen in Winnyzja las. Ich rief meine Mutter an und sie sagte: „Alle Fenster sind zersprungen.“ Das war einer der dunkelsten Tage meines Lebens und eines der schwierigsten Gespräche. 27 Menschen auf dem Platz wurden von einer russischen Kalibr-Rakete getötet. Darunter waren drei Kinder.

Wir fuhren neun Stunden, um aus Winnyzja zu berichten, und am Morgen nach dem Einschlag machte ich dieses Bild. Ich habe es zwei Meter vom Haus meiner Eltern entfernt aufgenommen. Das Auto hatte direkt daneben in der Wynnytschenka-Straße geparkt.

Es war ein „close call“, wie wir Reporter zu sagen pflegen. Buchstäblich von zu Hause zu berichten – das ist keine leichte Aufgabe. Vielleicht empfindet ein Chirurg etwas Ähnliches, wenn er einen Verwandten operiert. Man muss in etwas hineinschneiden, das man liebt. 

Das Ukraine-Länderkennzeichen inmitten lilafarbener Glassplitter im Auto – das erinnert an das, was wir als Nation empfinden: Tod, Ruinen, Zerstörung, Kämpfe, Verluste und Siege. Doch nichts konnte mein Land auslöschen. Selbst, wenn der Krieg so nah ist, selbst wenn er zu nah ist.

Als Fotografin musst du scharf und ehrlich sein

Als Fotografin musst du scharf und ehrlich sein – ich glaube nicht an Kunst ohne einen Autor oder eine Autorin, die dahinter steht; und ich glaube nicht an Kunst ohne Politik. Ich berichte als Ukrainerin aus der Kriegszone und das zeichnet mich aus: Mein Bild ist ein Foto, aufgenommen von dem Mädchen aus diesem Hof, neben dem vier Raketen heruntergekommen sind. Es kann nicht außerhalb meiner persönlichen Erfahrung liegen, es kann nicht gleichgültig sein, nicht nicht-subjektiv.

Meine Kriegserfahrung ähnelt der Kriegserfahrung meines Landes. Ich habe erst von der Revolution berichtet, weil meine Kamera meine stärkste Waffe ist. Dann begann Russland seinen hybriden Krieg auf der Krim – ich habe über die Annexion berichtet. Dann marschierte Russland in den Donbas ein – ich begann darüber zu berichten. Russlands nächste offene Invasion folgte, und acht Jahre später packe ich wieder Objektive und Verbandspäckchen. Dazu gehören der Verlust mir nahestehender Personen, Kollegen, posttraumatische Zustände, wir sagen „bis bald“ ohne die Sicherheit, dass wir uns lebendig wiedersehen.

Ich bin ein offener Mensch und teile intime Dinge – denn ich glaube, dass der Krieg ein konkretes Gesicht hat. Es kann nicht allgemein sein. Hinter Zahlen wie „10 Millionen Geflüchtete, 9000 in Kampf getötete ukrainische Soldaten, 383 getötete Kinder, 742 Verletzte“ stehen konkrete Menschen und ihre Geschichten. Du darfst die Geschichten der Menschen erzählen, die Grenze dessen, was du zeigen darfst, hängt davon ab, wer du bist.

Meinen Visionen und mein professioneller Weg sind vom Krieg geformt

Ich habe erlebt, dass sich Reporter in der Ukraine (meistens Ausländer) unangemessen verhielten, ohne Respekt meinem Volk gegenüber, was zu zusätzlichen Traumatisierungen führt – da kann ich nur schreien. Im Krieg musst du Schmerz und Tod respektvoll begegnen, speziell, wenn du die Erlaubnis hast, Zeuge zu sein und es zu zeigen.

Kunst muss immer laut sein. Vor allem dann, wenn das Artilleriefeuer so laut ist.

Nein, ich bin nicht interessiert und glaube nicht an Brücken zu Russland. Ich würde mir wünschen, diese Frage bliebe auf Jahrzehnte irrelevant, und Raschismus, koloniale Politik und die von den Russen begangenen Kriegsverbrechen würden jegliche Wege in die zivilisierte Welt kappen. Wir kämpfen und sterben für unsere Freiheit und auch für die der übrigen Welt.

Früher habe ich Portraits fotografiert, jetzt fotografiere ich Beerdigungen

Mein Leben hat sich stark verändert – früher habe ich Portraits fotografiert, jetzt fotografiere ich Beerdigungen. Das Motiv ist ein anderes, die Umstände, der Rhythmus und ich persönlich auch – ich war reich beschenkt und habe seit 2014 aufgrund des Krieges viel verloren. Meine Visionen und mein professioneller Weg sind vom Krieg geformt.

Bedaure ich etwas? Nein, niemals, das ist mein Weg, das ist der Weg meines Landes und fotografieren und beschreiben sollten ihn Stimmen von hier. Ich bin froh, dass ich meine noch habe.

I was on the road to Donbas when I read about explosions in Vynnytsia on Telegram. I called my mom and she said: “All the windows are shattered". One of the darkest days I had so far and one of the toughest talks. 27 people were killed on the square cause of the Russian “Kalibr” missile. Among them – 3 kids. We drove 9 hours to report from Vinnytsya and I took this picture the next morning after the hit. 

This picture was made 2 meters from my parent’s home. The car was parked next to it on Vynnychenka Street.
It was a “close call”, as we usually say among reporters. To report literally from your homeplace – it’s not an easy task. Maybe a surgeon feels something close to that while operating on a relative. You literally need to cut something you love. 

This “UA” sign in a mess of violet glass fragments inside the car – reminds what we experience as a nation – death, ruins, destruction, fights, losses and victories – but nothing could erase my country. Even when war is so close, even when it’s too close. 

As a photographer, you should stay sharp and honest – I don’t believe in art without the author behind it, and I don’t believe in the art without policy. I'm reporting from the war zone as a Ukrainian, and it highlights me. My picture is a photo made by the girl from this yard, next to which four missiles have fallen. It can’t be outside of my personal experience, it can’t be indifferent, and non-subjective. 

My war experience is similar to the war experience of my country. I was covering revolution, cause my camera was the strongest weapon I have. Then Russia started the hybrid war in Crimea – I was covering the annexation. Then Russia invaded in Donbas – I started to report. Russia invaded openly again and 8 years after I’m packing my lenses and IFAK again.  All inclusive, unfortunately - losing the closest, colleagues, dealing with post-trauma, saying “see you later” without confidence that you will meet again alive. 

I’m an open person and share intimate things – cause I believe that war has an exact face. It can’t be general, behind numbers – “10 millions refugees”, “9 thousands Ukrainian soldiers killed in action”, “383 kids killed, 742 wounded” – behind that – exact people and their stories. You are allowed to tell people’s stories, the boundaries depend on who you are. 
I faced inappropriate behavior of reporters in Ukraine (mostly, foreigners), with additional traumatization and zero respect for my people – that’s something that I jelling about. In war, you should be respectful for pain and death, especially if you are allowed to witness it and share.

Art should always stay loud. Especially if the artillery duel is so loud.

No, I’m not interested and don’t believe in any bridges like that with Russia. I wish this question would be not relevant for decades and Rashism, colonial policy and war crimes committed by Russians cut any possible paths to the civilized world. We are fighting and dying for our freedom and for this world as well. 

My life has changed a lot – I’ve photographed portraits before, and now I’m photographing funerals.
The object has changed, the circumstances, the rhythm, and me personally – I was gifted and lost a lot because of this war since 2014. My vision and professional path are shaped via war. Do I have any regrets? No, never, that’s my way, that’s the way of my country and it should be written and photographed by a local voice. 
I’m glad to still have mine.

JULIA KOCHETOVA

geboren 1993 in Winnyzja, aufgewachsen in Kyjiw, arbeitet als Fotojournalistin und Dokumentarfilmerin. Sie hat Journalismus in Kyjiw studiert und war Teilnehmerin der IDFAcademy (Niederlande).
Seit dem 24. Februar 2022 führt sie auf Instagram ein visuelles Tagebuch, „weil ich wirklich ans Geschichtenerzählen aus erster Hand glaube“.
 
AUSSTELLUNGEN (Auswahl)
 
2022 – Gruppenausstellung URGENCY! Ukraine, Bronx Documentary Center, New York, USA
2022 – Gruppenausstellung The Captured House, Brüssel, Berlin, Amsterdam, Paris, Rom
2020 – Civilians, Veteran Hub, Kyjiw, Ukraine
2019 – Femm in East, Invogue Art, Odessa, Ukraine
2016 – 2017 Gruppenausstellung RAW: A History of Changes in Ukrainians and in the Ukrainian Armed Forces, Kyjiw, Paris, New York
2015 – Gruppenausstellung Ukraine 24. War&Peace, Los Angeles, New York
2015 – Gruppenausstellung Conflict zone: Ukraine, Chicago, USA
2014 – Gruppenausstellung Maidan, Kyjiw, Ukraine
2014 – Gruppenausstellung Together we are Ukraine, Washington DC, USA
2014 – Gruppenausstellung Ukrainian Crisis, London, UK
 
BÜCHER
 
2017 – Voice of War
2017 – RAW. Story of changes of Ukrainians and army, kuratiert von Yaroslav Hrytsak and Donald Weber

PUBLIKATIONEN in internationalen Medien, darunter Vice News, Der Spiegel, Zeit, Bloomberg, Vanity Fair.
 


Foto: ​​Julia Kochetova
Bildredaktion und Konzept: Andy Heller
Übersetzung aus dem Englischen: Friederike Meltendorf
Veröffentlicht am 16.09.2022
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Krieg im Osten der Ukraine

Bei dem bewaffneten Konflikt im Osten der Ukraine beziehungsweise im Donbass handelt es sich um einen Krieg, der von seit April 2014 zwischen ukrainischen Streitkräften und Freiwilligenbataillonen auf der einen Seite sowie separatistischen Milizen der selbsternannten Volksrepubliken von Donezk und Luhansk (DNR und LNR) und russischen Soldaten auf der anderen Seite geführt wurde. Am 24. Februar 2022 befahl Putin den Angriff auf das Nachbarland – aus dem verdeckten ist ein offener Krieg geworden.

Die zentralen Vorgänge, die den Krieg in der Ostukraine bis dahin geprägt hatten: Vorgeblich ging es dabei um die Gebietshoheit der beiden ostukrainischen Verwaltungsbezirke Donezk und Luhansk – dem sogenannten Donbass, der zu etwa einem Drittel nicht unter Kontrolle der ukrainischen Regierung ist. In der Ukraine sowie in der Europäischen Union ist man bis heute überzeugt, dass Russland die Separatisten immer finanziell, personell und logistisch unterstützt hat. Demnach hat Russland den Donbass vor allem als Instrument genutzt, um die Ukraine langfristig zu destabilisieren und somit gleichzeitig kontrollieren zu können. Russland hatte eine militärische Einflussnahme und Destabilisierungsabsichten stets bestritten.

Die Entstehung des Krieges und wie die EU und die USA mit Sanktionen darauf in dem jahrelangen Konflikt reagiert hatten – ein Überblick. 

Nachdem Ende Februar 2014 der ukrainische Präsident Janukowytsch im Zuge der Maidan-Proteste gestürzt wurde, russische Truppen kurze Zeit später die Krim okkupierten und die Annexion der Halbinsel auf den Weg brachten, ist die Situation im Donbass schrittweise eskaliert.

Zunächst hatten pro-russische Aktivisten im April 2014 Verwaltungsgebäude in mehreren ostukrainischen Städten besetzt. Forderungen, die hier artikuliert wurden, waren diffus und reichten von mehr regionaler Selbstbestimmung bis hin zur Unabhängigkeit von der Ukraine und einem Anschluss an Russland.

Während sich in Charkiw die Situation nach der polizeilichen Räumung der besetzten Gebietsverwaltung rasch entspannte, kam es in Donezk und Luhansk zur Proklamation eigener Republiken. Parallel wurden Polizeistationen und Gebäude des ukrainischen Inlandsgeheimdienstes gestürmt sowie dortige Waffenarsenale gekapert. Wenige Tage später traten in der Stadt Slowjansk (Donezker Verwaltungsbezirk) unter dem Kommando des russischen Geheimdienstoberst Igor Girkin erste bewaffnete „Rebellen“ in Erscheinung. Girkin, der bereits zuvor an Russlands Okkupation der Krim beteiligt gewesen war und zwischen Mai 2014 und August 2014 als Verteidigungsminister der DNR fungierte, behauptete später, dass der Krieg im Donbass mitnichten aus einem Aufstand russischsprachiger Bewohner der Region resultierte. Er betonte indes, dass dieser „Aufruhr“ ohne das Eingreifen seiner Einheit schnell zum Erliegen gekommen wäre.1

Eskalation

Tatsächlich begannen die bewaffneten Kampfhandlungen in dem von Girkins Einheit besetzten Slowjansk. Um die Stadt zurückzugewinnen, startete die ukrainische Regierung eine „Anti-Terror-Operation“ mit Beteiligung der Armee. Während die Separatisten in den von ihnen kontrollierten Orten des Donbass im Mai 2014 sogenannte Unabhängigkeitsreferenden durchführen ließen, weiteten sich in der Folgezeit die Gefechte zwischen ukrainischen Streitkräften und Freiwilligenverbänden auf der einen und den Separatisten auf der anderen Seite stetig aus.

In deutschsprachigen Medien und in der internationalen Diplomatie wurde seither häufig von einer „Krise“ oder einem „Konflikt“ gesprochen. Tatsächlich erreichte die militärische Eskalation unter quantitativen Aspekten, die sich auf eine bestimmte Anzahl von zivilen und nicht-zivilen Opfern pro Jahr beziehen, bereits 2014 den Zustand eines Krieges.2 Auch unter qualitativen Gesichtspunkten erfüllte der bewaffnete Konflikt ab 2014 sämtliche Merkmale eines Krieges, wie ihn beispielsweise die Arbeitsgemeinschaft Kriegsursachenforschung der Universität Hamburg definiert3.

Neben der Involvierung russischer Freischärler und Söldner4 mehrten sich im Verlauf der kriegerischen Auseinandersetzungen Berichte über großkalibrige Kriegsgeräte, die den von den Separatisten kontrollierten Abschnitt der russisch-ukrainischen Grenze passiert haben sollen.5 Hierzu soll auch das Flugabwehrraketensystem BUK gehören, mit dem nach Auffassung des internationalen Ermittlungsteams das Passagierflugzeug MH17 im Juli 2014 über Separatistengebiet abgeschossen wurde.6 Reguläre russische Streitkräfte sollen indes ab August 2014 erstmalig in das Geschehen eingegriffen haben, nachdem die ukrainische Seite zuvor stetige Gebietsgewinne verbuchen und Städte wie Kramatorsk, Slowjansk, Mariupol und Awdijiwka zurückerobern konnte.7

Die EU verhängte im Sommer 2014 aufgrund der „vorsätzlichen Destabilisierung“8 der Ukraine weitreichende wirtschaftliche Sanktionen gegen Russland. Russland stritt eine Kriegsbeteiligung eigener regulärer Soldaten jedoch stets ab: So hätten sich beispielsweise Soldaten einer russischen Luftlandlandedivision, die in ukrainische Gefangenschaft geraten waren, nach Angaben des russischen Verteidigungsministeriums verlaufen und die Grenze zur Ukraine nur  aus Versehen überquert.9 Die russische Menschenrechtsorganisation Komitee der Soldatenmütter Russlands indes beziffert die Zahl russischer Soldaten, die im Spätsommer 2014 auf ukrainischem Territorium im Einsatz gewesen seien, mit rund 10.000.10

Einen Wendepunkt des Kriegsverlaufs stellte schließlich die Schlacht um die ukrainische Kleinstadt Ilowajsk dar, bei der die ukrainische Seite im September 2014 eine herbe Niederlage erfuhr und mehrere hundert gefallene Soldaten zu beklagen hatte.11

Die ukrainische Regierung hat die NATO mehrfach vergeblich um Waffenhilfe gebeten. Allerdings legte die NATO spezielle Fonds an, die zu einer Modernisierung der ukrainischen Streitkräfte beitragen sollen. Diese Fonds dienen unter anderem der Ausbildung ukrainischer Soldaten, der Verbesserung von Kommunikationsstrukturen, der Stärkung von Verteidigungskapazitäten im Bereich der Cyberkriegsführung sowie der medizinischen Versorgung von Soldaten.12 Darüber hinaus erhält die Ukraine Unterstützung in Form von sogenannter nichttödlicher Militärausrüstung wie Helmen und Schutzwesten, Funkgeräten und gepanzerten Geländewagen, unter anderem von den USA.13 

Verhandlungen

Die zunehmende Eskalation des Krieges brachte eine Intensivierung internationaler Vermittlungsbemühungen mit sich. Bereits im März 2014 hatte der Ständige Rat der OSZE eine zivile Sonderbeobachtermission für die Ukraine beauftragt und wenig später eine trilaterale Kontaktgruppe zwischen der Ukraine, Russland und der OSZE ins Leben gerufen. Auf Ebene der Staats- und Regierungschefs etablierte sich das sogenannte Normandie-Format zwischen der Ukraine, Russland, Deutschland und Frankreich. Im September 2014 machte es die Unterzeichnung des sogenannten Minsker Protokolls durch die OSZE-Kontaktgruppe möglich.

Nach anhaltenden Kämpfen, vor allem um den Flughafen von Donezk sowie die Stadt Debalzewe, kam es im Februar 2015 zu einem erneuten Zusammentreffen des Normandie-Formats in Minsk. Im Minsker Maßnahmenpaket (Minsk II) konkretisierten die Parteien sowohl einen Plan zur Entmilitarisierung als auch politische Schritte, die zur  Lösung des Konflikts beitragen sollten.

Das Maßnahmenpaket umfasst dreizehn Punkte, die schrittweise unter Beobachtung der OSZE umgesetzt werden sollen. Hierzu gehört der Waffenstillstand sowie der Abzug schwerer Kriegsgeräte und sogenannter „ausländischer bewaffneter Formationen“. Außerdem soll in der ukrainischen Verfassung ein Sonderstatus für die Separatistengebiete verankert werden. Nicht zuletzt sieht das Maßnahmenpaket vor, dass Kommunalwahlen in diesen Gebieten abgehalten werden. Außerdem soll die ukrainisch-russische Grenze wieder durch die ukrainische Regierung kontrolliert werden.14

Entwicklung seit Minsk II

Auch unmittelbar nach der Unterzeichnung des Minsker Abkommens hielten jedoch vor allem in Debalzewe heftige Gefechte an, bis die Stadt schließlich wenige Tage später unter die Kontrolle der Separatisten fiel. Auch hier soll – wie bereits zuvor in Ilowajsk – reguläres russisches Militär massiv in das Kriegsgeschehen eingegriffen haben.15 Erst nach dem Fall von Debalzewe nahmen die Kampfhandlungen ab. Zu Verletzungen der Waffenruhe, Toten und Verletzten entlang der Frontlinie kam es seither dennoch beinahe täglich.16 Dies macht eine Umsetzung des Minsker Maßnahmenpakets bis heute unmöglich.

Schwere Gefechte mit dutzenden Toten brachen zuletzt rund um die Stadt Awdijiwka aus. Awdijiwka, das im Sommer 2014 von ukrainischer Seite zurückerobert wurde und dem Minsker Protokoll entsprechend unter Kontrolle der ukrainischen Regierung steht, hat als Verkehrsknotenpunkt sowie aufgrund der dort ansässigen Kokerei eine besondere strategische und ökonomische Bedeutung. Die Stadt ist in der Vergangenheit immer wieder unter Beschuss geraten.17 Im Januar 2017 kam es dort auch zur Zerstörung kritischer Infrastruktur: Dabei fielen in der Stadt bei Temperaturen von unter minus 20 Grad mehrere Tage die Strom-, Wasser- und Wärmeversorgung aus. Allein am 31. Januar 2017 berichtete die Sonderbeobachtermission der OSZE von mehr als 10.000 registrierten Explosionen – die höchste von der Mission bisher registrierte Anzahl an Waffenstillstandsverletzungen.18

Laut Schätzungen der Vereinten Nationen aus dem Jahr 2019 sind seit Beginn des Krieges im Donbass rund 13.000 Menschen gestorben. Die Anzahl der Verletzten beziffern die Vereinten Nationen mit über 24.000. Bei mehr als 2000 Todesopfern sowie etwa 6000 bis 7000 Verletzten handelt es sich um Zivilisten.19 Menschenrechtsorganisationen geben zudem an, etliche Fälle von Menschenrechtsverletzungen und Kriegsverbrechen dokumentiert zu haben.20 Im November 2016 erklärte die Chefanklägerin des Internationalen Strafgerichtshofs (ICC) in Den Haag, dass Anzeichen für einen internationalen bewaffneten Konflikt zwischen Russland und der Ukraine vorliegen.21 Die russische Regierung zog daraufhin ihre Unterschrift unter dem Statut des ICC zurück. 

Neben tausenden Toten und Verletzten hat der Krieg auch zu enormen Flüchtlingsbewegungen geführt. Das ukrainische Ministerium für Sozialpolitik registrierte bis Mitte 2016 über 1,6 Millionen Binnenflüchtlinge; das Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen geht in seinen eigenen Berechnungen derweil von 800.000 bis einer Million Binnenflüchtlingen aus.22 Daneben haben knapp 1,5 Millionen Ukrainer seit Ausbruch des Krieges Asyl oder andere Formen des legalen Aufenthalts in Nachbarstaaten der Ukraine gesucht. Nach Angaben russischer Behörden sollen sich rund eine Million Ukrainer in der Russischen Föderation registriert haben.23


1.vgl.: Zavtra.ru: «Kto ty, «Strelok»?» und Süddeutsche Zeitung: „Den Auslöser zum Krieg habe ich gedrückt“
2.vgl. University of Uppsala: Uppsala Conflict Data Program
3.vgl. Arbeitsgemeinschaft Kriegsursachenforschung der Universität Hamburg: Laufende Kriege
4.Neue Zürcher Zeitung: Nordkaukasier im Kampf gegen Kiew
5.The Guardian: Aid convoy stops short of border as Russian military vehicles enter Ukraine sowie Die Zeit: Russische Panzer sollen Grenze überquert haben
6.vgl. Frankfurter Allgemeine Zeitung: Minutiös rekonstruiert
7.Für eine detaillierte Auflistung der im Krieg in der Ukraine involvierten regulären russischen Streitkräfte siehe Royal United Services Institute: Russian Forces in Ukraine
8.vgl. europa.eu: EU-Sanktionen gegen Russland aufgrund der Krise in der Ukraine
9.vgl. tass.ru: Minoborony: voennoslzužaščie RF slučajno peresekli učastok rossijsko-ukrainskoj granicy
10.vgl. TAZ: Es gibt schon Verweigerungen
11.vgl.Frankfurter Allgemeine Zeitung: Ein nicht erklärter Krieg
12.vgl. nato.int: NATO’s support to Ukraine
13.vgl. Die Zeit: US-Militärfahrzeuge in Ukraine angekommen
14.vgl. osce.org: Kompleks mer po vypolneniju Minskich soglašenij
15.vgl. ViceNews: Selfie Soldiers: Russia Checks in to Ukraine
16.vgl. Frankfurter Allgemeine Zeitung: Wer bricht den Waffenstillstand?
17.vgl. Die Zeit: Wo Kohlen und Geschosse glühen
18.osce.org: Latest from the OSCE Special Monitoring Mission to Ukraine (SMM), based on information received as of 19:30, 31 January 2017
19.vgl.: Office of the United Nations High Commissioner for Human Rights: Report on the human rights situation in Ukraine: 16 August to 15 November 2016
20.vgl. Helsinki Foundation for Human Rights/Justice for Peace in Donbas: Surviving hell - testimonies of victims on places of illegal detention in Donbas
21.vgl. International Criminal Court/The Office of the Prosecutor: Report on Preliminary Examination Activities 2016
22.vgl. unhcr.org: Ukraine
23.vgl. unhcr.org: UNHCR Ukraine Operational Update
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Donezker Volksrepublik

Die Donezker Volksrepublik ist ein von Separatisten kontrollierter Teil der Region Donezk im Osten der Ukraine. Sie entstand im April 2014 als Reaktion auf den Machtwechsel in Kiew und erhebt zusammen mit der selbsternannten Lugansker Volksrepublik Anspruch auf Unabhängigkeit. Seit Frühling 2014 gibt es in den beiden Regionen, die eine zeitlang Noworossija (dt. Neurussland) genannt wurden, Gefechte zwischen den Separatisten und der ukrainischen Armee.

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Grüne Männchen

Als kleine grüne Männchen, manchmal auch höfliche Menschen, werden euphemistisch die militärischen Spezialkräfte in grünen Uniformen ohne Hoheitsabzeichen bezeichnet, die Ende Februar 2014 strategisch wichtige Standorte auf der Krim besetzt haben. Bestritt Moskau zunächst jegliche direkte Beteiligung und verwies auf „lokale Selbstverteidungskräfte“, so gab Präsident Putin später zu, dass es sich dabei um russische Soldaten gehandelt hat. Die grünen Männchen sind inzwischen zu einem kulturellen Symbol geworden.

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Ein kurzer Augenblick von Normalität und kindlicher Leichtigkeit im Alltag eines ukrainischen Soldaten nahe der Front im Gebiet , © Mykhaylo Palinchak (All rights reserved)