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Margarita Simonjan

Ihre steile Karriere begann mit einer Lüge im staatlichen Auftrag. Heute kokettiert die Chefin des Propaganda-Senders RT und der staatlichen Medienholding Rossija Sewodnja offen mit ihrer Rolle als Gesicht der russischen Desinformation. Der Kreml belohnt sie großzügig dafür. 

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Michail Chodorkowski

Einst einer der reichsten Männer Russlands, wurde Michail Chodorkowski 2003 verhaftet und in Folge eines – nach Ansicht vieler Experten – politisch motivierten Prozesses de facto enteignet. Während seiner zehnjährigen Haftstrafe etablierte sich Chodorkowski als einer der im Westen sichtbarsten Vertreter der Opposition in Russland.

1963 in Moskau geboren, absolvierte Chodorkowski 1986 sein Chemiestudium am angesehenen Mendelejew-Institut im Moskau, wo er sich in der Jugendorganisation der Partei (Komsomol) engagierte. Diese Komsomol-Verbindungen waren sehr hilfreich, als Chodorkowski ein Jahr später die Gründung eines der sogenannten Zentren für wissenschaftlich-technische Jugendprojekte (NTTM) initiierte.1 Unter den neuen NTTMs war Chodorkowskis Zentrum das erfolgreichste und erwirtschaftete allein 1988 in etwa 20 Millionen Dollar.2 Der Erfolg gründete sich vor allem darauf, dass Chodorkowski einen Weg gefunden hatte, die planwirtschaftlichen Subventionsprogramme für Staatsunternehmen zu kapitalisieren und in Devisen umzuwandeln. Kurze Zeit später ging Chodorkowskis Unternehmen in der Bank MENATEP-Invest auf und wurde dank den Verbindungen zu Partei- und Regierungseliten 1990 als eine der ersten privaten Banken in Russland registriert.

In den frühen 1990er Jahren baute Chodorkowski MENATEP zu einer der größten Banken des Landes aus und übernahm verschiedene Posten in der Regierung. 1995 erwarb MENATEP im Zuge der Privatisierungskampagne das Aktienkontrollpaket des Mineralölunternehmens YUKOS, dessen Führung Chodorkowski 1996 übernahm. Gleichzeitig finanzierte Chodorkowski mit anderen russischen Oligarchen die Wiederwahl Boris Jelzins, dessen Position angesichts der anhaltenden ökonomischen Stagnation und der Erfolge der Kommunisten erschüttert worden war. Die zweite Amtszeit Jelzins, die auch weiterhin auf die Unterstützung seitens der Oligarchen angewiesen war, wird in Russland als Semibankirschtschina bezeichnet. Der Begriff meint den immensen politischen Einfluss von sieben Großunternehmern (darunter auch Chodorkowski) und die faktisch vollzogene Umstellung des gesamten politischen Systems in Richtung einer Oligarchie. Im Gegenzug waren die Oligarchen informell verpflichtet, den Staatshaushalt durch Aufkauf von Anleihen zu sanieren.

Infolge der für die russische Wirtschaft verheerenden Finanzkrise 1998 war Chodorkowski gezwungen, MENATEP aufzugeben, um das Ölunternehmen YUKOS zu konsolidieren. In dieser Zeit fand bei ihm nach eigener Darstellung ein tiefgreifender Sinneswandel statt, der mit dem Entschluss einherging, mit YUKOS ein transparentes internationales Unternehmen aufzubauen und dadurch die marktwirtschaftliche und zivilgesellschaftliche Entwicklung in Russland zu stärken.3 In diesem Sinne finanzierte Chodorkowski oppositionelle politische Parteien, aber auch die Regierungspartei Einiges Russland, sponserte regionale Bildungs- und Pressestrukturen und gründete 2001 die Stiftung Offenes Russland (Open Russia Foundation), die sich der Förderung und Koordination zivilgesellschaftlicher Initiativen und insbesondere dem Kampf gegen die Korruption verschrieb.

Euromaidan in Kiew - Foto © WO Swoboda unter CC BY 3.0Sowohl die Regierung als auch konkurrierende Oligarchen und Interessengruppen beobachteten diese Bemühungen Chodorkowskis mit Skepsis und zunehmender Beunruhigung. Am 26. Mai 2003 erschien ein vom regierungsnahen Think-Tank Rat für Nationale Strategie ausgearbeitetes Positionspapier Der Staat und die Oligarchie, in dem behauptet wurde, Chodorkowski arbeite darauf hin, das präsidentielle Regierungssystem Russlands durch ein parlamentarisches zu ersetzen, und den Posten des Premierministers anzustreben.4 Im Oktober 2003 wurden Chodorkowski und sein langjähriger Geschäftspartner Platon Lebedew wegen Verdachts auf Steuerhinterziehung, schweren Betrug und Urkundenfälschung verhaftet und vor Gericht gestellt. Viele Beobachter sahen im Verlauf der Gerichtsverhandlungen und in der Verurteilung Chodorkowskis zu neun Jahren Haft deutliche politische Motive.5

Während seiner Gefängnisstrafe und laufender Berufungsverfahren entwickelte Chodorkowski eine rege publizistische Tätigkeit und erhielt mehrere Menschenrechtspreise. Dies festigte seinen Status als Kreml-Kritiker und als Russlands bedeutendster oppositioneller Politiker.6

Zehn Jahre nach seiner Verhaftung wurde Chodorkowski im Vorfeld der Olympischen Winterspiele 2014 überraschend begnadigt und in einer Nacht- und Nebelaktion nach Europa ausgeflogen. In der Schweiz bekamen er sowie seine Familie eine Niederlassungserlaubnis, sein neuer Wohnsitz soll allerdings London sein. Nach seiner Freilassung äußerte sich Chodorkowski wiederholt kritisch über die Politik der russischen Regierung und insbesondere über die russische Intervention in der Ukraine. Im Herbst 2014 kündigte er seine Bereitschaft an, russischer Präsident zu werden. Sein Ziel sei eine Verfassungsreform, die die Stellung des Präsidenten schwächt und Mechanismen der Gewaltenteilung etabliert.   
Zur selben Zeit reaktivierte Chodorkowski sein Projekt Offenes Russland. Innerhalb weniger Jahre entwickelte es sich zu einem Online-Medium und einer oppositionellen Bewegung, die unter anderem Politiker bei Wahlen unterstützt sowie eigene Protestveranstaltungen durchführt. Seit 2017 gehört Offenes Russland zu den sogenannten unerwünschten Organisationen, die Websites werden in Russland geblockt. Seit Ende 2015 wird Chodorkowski beschuldigt, einen Mord in Auftrag gegeben zu haben: Russische Strafverfolgungsbehörden haben ihn zur internationalen Fahndung ausgeschrieben, Interpol lehnte das Gesuch jedoch ab. 

aktualisiert: 20.02.2019


1.Hoffman, David (2002): The Oligarchs. Wealth and Power in the New Russia. Oxford, S. 104  
2.Chodorkowski, Michail (2012): Mein Weg. Ein politisches Bekenntnis. München, S. 124  
3.Chodorkowski, Michail (2012): Mein Weg. Ein politisches Bekenntnis. München, S. 439  
4.Belkowski, Stanislaw (2013): Gosudarstwo i oligarchija: 10 let spustja, in: Slon.ru, 04.06.2013  
5.Pleines, Heiko (2004): Die Jukos-Affäre geht weiter, in: Russland-Analysen 2004 (76), S. 9-11  
6.Der deutsche Dokumentarfilm Der Fall Chodorkowski aus dem Jahr 2011 bietet eine Zusammenfassung des Falls  
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