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Russland und der Kolonialismus

Kolonialimperien – das sind immer die anderen. Und doch hat Russland über eine Vielzahl an Völkern geherrscht und sein Territorium seit dem 16. Jahrhundert auf das 22-Fache vergrößert. Von der Eroberung Sibiriens bis zur angeblichen „Brüderlichkeit der Sowjetvölker“ wird die Kontinuität des russischen Kolonialismus im Krieg gegen die Ukraine besonders deutlich. Die vor diesem Hintergrund erstarkende Idee einer Dekolonisierung Russlands versucht der Kreml mit allen Mitteln zu unterdrücken. 

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Olga Skabejewa

Zweimal täglich erklärt die Moderatorin im Staatsfernsehen die Welt aus Moskauer Sicht. An manchen Tagen ist sie bis zu fünf Stunden mit Desinformation und Kriegshetze nach Vorgaben des Kreml auf Sendung. Skabejewas Spezialgebiet ist der Vollkontakt: Je nach Bedarf werden Gegner provoziert oder niedergebrüllt. 

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Margarita Simonjan

Ihre steile Karriere begann mit einer Lüge im staatlichen Auftrag. Heute kokettiert die Chefin des Propaganda-Senders RT und der staatlichen Medienholding Rossija Sewodnja offen mit ihrer Rolle als Gesicht der russischen Desinformation. Der Kreml belohnt sie großzügig dafür. 

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Dimitri Vrubel

Der russische Künstler Dimitri Vrubel (geb. 1960) wurde als der Urheber des Bruderkusses an der East Side Gallery bekannt: ein Bildnis der Staatsmänner Breshnew und Honecker an der ehemaligen Berliner Mauer, die einander im sozialistischen Bruderkuss innig zugeneigt sind.

Mit seinem 1990 entstandenen Gemälde Bruderkuss am Mauerabschnitt der jetzigen East Side Gallery schuf Vrubel ein Werk, das für das historische Ereignis des Mauerfalls, für die Stadt Berlin und nicht zuletzt für Vrubel als Künstler zum Symbol werden sollte. Die Worte „Mein Gott, hilf mir, diese tödliche Liebe zu überleben“ rahmen auf russisch und deutsch das Mauerkunstwerk ein. Eigentlich redet er hier von etwas Persönlichem: Von sich und seiner Liebe zu einem Mädchen aus der amerikanischen Botschaft – sowas konnte schonmal vorkommen, im Moskau des Kalten Krieges. Gleichzeitig entwirft er jedoch in großen Lettern eine ästhetische Strategie, die er bis heute verfolgt: das Politikerbild als Illustration der individuellen Seelenlage. Vrubel jedenfalls hat überlebt und wurde zum Star der East Side Gallery; sein Bruderkuss zur Ikone, zum kreativen Gemeingut, zum Zeitbild.

Seit 2009, als er die fällige Sanierung seines Gemäldes an der East Side Gallery selbst besorgte, lebt Vrubel in Berlin und betreibt zusammen mit seiner Frau Viktoria Timofejewa auf dem Gelände der Kulturbrauerei im Prenzlauer Berg (wie die East Side Gallery auch ein touristischer Hotspot der Stadt) sein offenes Atelier Bruderkunst.

Vrubel arbeitet an der Synthese von Politik und zeitgenössischer Kunst. Als Ingenieurssohn entstammt er dem intellektuellen, dissidentischen Milieu Moskaus. Vrubel studierte an der künstlerisch-graphischen Fakultät des Moskauer Lenininstituts. Sein Weg als Künstler führte ihn allerdings schnell in die für die 1970er und 1980er Jahre typische Selbstmarginalisierung: Wie so viele der heute als Konzeptkünstler bezeichneten Künstlerkollegen veranstaltete er Ausstellungen in seiner Wohnung oder in seinem Atelier. Er schuf in dieser Zeit vor allem großformatige Portraits von Künstlerfreunden und russischen Menschen.

Berlin, East Side Gallery - Foto © Bundesarchiv, Thurn, Joachim F. unter CC BY-SA 3.0

Der Bruderkuss ist längst zu einem allgegenwärtigen Merchandisingartikel geworden, was Vrubel aber nicht verdrießt. Er ist in einer radikal demokratischen Mission unterwegs, die Kunst hat unter allen Umständen zugänglich zu sein. Er macht Projekte mit Jugendlichen in Marzahn (einem Plattenbauviertel am östlichen Rand Berlins) und Perm. Er verkauft kleinformatige Reproduktionen seiner Grafiken in großer Stückzahl. Er produziert tagesaktuell neue Bilder, die das Potenzial zur Ikone haben. Er findet seine Sujets in den Nachrichten und Fotografien, die um die Welt und durch die sozialen Netzwerke gehen. So garantiert er den hohen Wiedererkennungswert seiner Werke.

Vrubels Bild-Bearbeitungen – in gemischter Technik, hyperrealistisch, manchmal geglättet und regenbogenfarbig unterlegt – erzählen nicht nur Geschichten über Julian Assange oder Wladimir Putin, Osama bin Laden oder Paris Hilton. Sie sprechen auch über den Künstler Dimitri Vrubel und seinen Weg und über die Betrachter, die sich selbst wiedererkennen. Vrubel ist ein Spion des Zeitgeistes, auf der Suche nach der Verbindung zwischen dem Politischen und dem Persönlichen. Aber gibt es so etwas wie den intimen Blick auf das dokumentarische Foto? Das hunderttausendste Portrait der Angela Merkel, der Flüchtlingsfrau im Kopftuch oder des prügelnden Polizisten nehmen wir nicht mehr wahr. Es sei denn, Dima Vrubel hat es gemalt.

Die den portraitierten Politikern und Zeitgenossen zugeschriebenen Aussprüche geben Vrubels Serien bisweilen comicartigen Charakter. Zitate aus der klassischen Literatur oder biblische Texte als Bildunterschriften leihen den Bildern ihre Ernsthaftigkeit, ihre Welthaltigkeit und gleichzeitig eine ironische Mehrdeutigkeit. Dabei ist Vrubels Arbeitsweise von großer Formenvielfalt gekennzeichnet. Er nennt es Multimediagraffiti, wenn seine über das Internet verbreiteten Bilder bei weißrussischen Studentenaufständen ebenso auftauchen wie im Nahen Osten. In facebook-Auktionen versteigert er aktuelle Werke für kleines Geld. Sein aktuelles Projekt Anna Karenina News ist ein Werk im Blogformat, welches Antworten auf die Fragen der heutigen Welt in Tolstois Texten sucht und findet.

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Ein kurzer Augenblick von Normalität und kindlicher Leichtigkeit im Alltag eines ukrainischen Soldaten nahe der Front im Gebiet , © Mykhaylo Palinchak (All rights reserved)