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Margarita Simonjan

Ihre steile Karriere begann mit einer Lüge im staatlichen Auftrag. Heute kokettiert die Chefin des Propaganda-Senders RT und der staatlichen Medienholding Rossija Sewodnja offen mit ihrer Rolle als Gesicht der russischen Desinformation. Der Kreml belohnt sie großzügig dafür. 

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Maria Sacharowa

Seit 2015 spricht zum ersten Mal in der Geschichte eine Frau für das russische Außenministerium. In Talkshows, auf Social Media und beim wöchentlichen Briefing für die internationalen Korrespondenten erklärt Maria Sacharowa Moskaus Sicht auf die Welt – Lügen und Desinformation inklusive. Mit ihr ist ein neuer Kommunikationsstil in die russische Diplomatie eingezogen: Statt Verbindendes zu betonen und Kompromisse zu suchen, setzt er auf Konfrontation und Provokation.

Um sich vor Augen zu führen, wie Maria Sacharowa Russlands Auftreten in der Welt geprägt hat, hilft es, drei Namen zu nennen: Alexander Lukaschewitsch, Andrej Nesterenko, Michail Kamynin.1 Wer kennt sie noch? Wahrscheinlich niemand. Und selbst in Russland dürfte sich kaum jemand an ihre Gesichter erinnern. Lukaschewitsch, Nesterenko und Kamynin waren Sacharowas Vorgänger als Sprecher des russischen Außenministeriums: altgediente Diplomaten in grauen Anzügen, die in formelhaften Sätzen Dinge sagten, die sich höchstens Spezialisten merken konnten. 

Spott, Sarkasmus und Eskalation

Maria Sacharowa ist in jeder Hinsicht anders: Jeder kennt ihr Gesicht, sie ist dauerpräsent auf allen Kanälen, schrill, bisweilen vulgär, und bei manchem, was sie sagt, würde man sich wünschen, man könnte es schnell wieder vergessen. Anstelle diplomatischer Formeln sind Spott und Sarkasmus ihre rhetorischen Mittel. Wenn sie nicht gerade in den Talkshows staatlicher Propaganda-Kanäle auf den verlogenen Westen und die Nazis in Kyjiw schimpft, setzt sie diese Agenda auf Facebook und auf ihrem Telegram-Kanal fort, gerne auch in Reimform.2 Dafür hat sie umso mehr Zeit, seit sie weniger auf Dienstreisen geht: Die Beziehungen mit Europa und den USA liegen seit dem russischen Überfall auf die Ukraine auf Eis, und auch der Name der Außenamtssprecherin steht auf den Sanktionslisten in Berlin, Brüssel und Washington.

Die Ernennung von Maria Sacharowa zur Sprecherin des russischen Außenministeriums im August 2015 markiert tatsächlich einen Wendepunkt. Sowjetische und russische Diplomaten waren nie leichte Verhandlungspartner. Aber seit der Krim-Annexion zeigt Moskau immer häufiger, dass es gar kein Interesse an Verhandlungen hat (und begründet das damit, dass der Westen im Allgemeinen und insbesondere die USA ohnehin ein falsches Spiel spielten). Russland verlässt den Europarat,3 kündigt Verträge zu Rüstungskontrolle4 und als bereits mehr als hunderttausend russische Soldaten an der ukrainischen Grenze stehen, fordert Putin den Rückzug der NATO auf den Stand von 19975 – ein Ultimatum, von dem er weiß, dass es nicht erfüllt werden kann.

Zu einer Politik der Drohungen passt eine Sprache der Häme und Eskalation. Nicht ein tragfähiger Kompromiss wird als Erfolg gewertet, sondern wenn ein saftiger Satz Sacharowas für die Politik-Talkshows des Fernsehens taugt und sich als Meme im Netz verbreitet. Die Formulierung: „Maria Sacharowa hat XY in die Schranken gewiesen“ taucht in hunderten Meldungen staatlicher Medien auf.6 Mal ist es ein britischer Journalist, den Sie „auf den Topf setzt“, mal der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell. „Wenn Sie kein russisches Gas mögen, heizen Sie doch mit Ihrer Zeitung“, verspottet sie den Chefredakteur der italienischen La Repubblica.7

Wenn Mittwochs das wöchentliche Briefing für die internationalen Medien stattfindet, ziehen die Korrespondenten im Pressezentrum des Außenministeriums schon vorsorglich die Köpfe ein: Früher haben Sprecher Fragen beantwortet. Sacharowa dagegen nutzt die Gelegenheit, um den Journalisten die Leviten zu lesen. Als sich ein finnischer Journalist 2017 nach dem Schicksal der Männer erkundet, die in Tschetschenien als schwul diffamiert, gefoltert und ermordet wurden, empfahl ihm Sacharowa, doch nach Grosny zu fahren, und diese Frage direkt an den Republikchef Ramsan Kadyrow zu richten – eine kaum verhohlene Drohung.8

In den Fußstapfen des Vaters

Dabei wird Maria Wladimirowna Sacharowa 1975 buchstäblich in die Welt der sowjetischen Diplomatie hineingeboren, die Weltläufigkeit ist ihr in die Wiege gelegt: Ihr Vater Wladimir Sacharow ist Asien-Spezialist im sowjetischen diplomatischen Dienst. Als Maria sechs Jahre alt ist, wird er an die Botschaft nach Peking versetzt und nimmt die ganze Familie mit. Ihre Mutter ist Kunsthistorikerin. Das China der 1980er Jahre wirkt im Vergleich zur UdSSR zurückgeblieben. Während in der Heimat die Ära der Stagnation andauert, können sich die sowjetischen Diplomaten in China als Vertreter des ersten sozialistischen Staates noch überlegen fühlen.
 
Als die Familie 1985 nach Moskau zurückkehrt, beginnt Gorbatschow gerade, den Staat zu reformieren. 1990 geht es wieder nach Peking, und Sacharowa erlebt das Ende der Sowjetunion in China. Als sie 1993 erneut nach Moskau zurückkehrt, hat sich die alte Supermacht aufgelöst und die sowjetische Elite, in der Sacharowa aufgewachsen ist, hat ihre Privilegien verloren. Dennoch will sie in die Fußstapfen des Vaters treten, doch der hält nichts davon; die Diplomatie war in der Sowjetunion eine Männerdomäne. Also studiert Sacharowa an der Diplomatenschmiede des Moskauer Instituts für Internationale Beziehungen (MGIMO) Auslandsjournalismus. Während des Studiums arbeitet sie in der Presseabteilung des Außenministeriums und als Fremdenführerin für chinesische Touristen in Moskau. Nach ihrem Abschluss 1998 bekommt sie ihre erste Stelle als Redakteurin der Monatszeitschrift Diplomatischer Bote, in der das Außenministerium Reden und Verträge veröffentlicht – eine nicht besonders aufregende Aufgabe. Von 2003 bis 2005 leitet Sacharowa die Abteilung im Außenministerium, die die internationale Presse auswertet. Dann wird sie nach New York versetzt als Pressesprecherin der russischen Vertretung bei den Vereinten Nationen.

Als der Präsident Dimitri Medwedew 2009 zur Generaldebatte bei den Vereinten Nationen nach New York reist, wird seine Sprecherin, Natalja Timakowa, dort auf Sacharowa aufmerksam. Medwedew gilt damals noch vielen als liberale Hoffnung und seine Sprecherin pflegt einen moderneren und offeneren Kommunikationsstil, als er bisher im Kreml üblich war. Dem liberalen Fernsehsender Doshd steht Timakowa wohlwollend gegenüber.9 Auf ihre Empfehlung hin holt Sergej Lawrow Sacharowa zurück nach Moskau und befördert sie zur stellvertretenden Leiterin seiner Presseabteilung. Dort nimmt sie sich des Themas Social Media an, das bisher nur ein Nischendasein im Presseamt führte. Wie Twitter und Facebook funktionieren und welche Bedeutung sie haben, lernt Sacharowa ausgerechnet von Michail Sygar, dem späteren Chefredakteur von Doshd. In den frühen Medwedew-Jahren scheint eine Liberalisierung des Landes vielen noch wie ein Naturgesetz, ebenso wie der wachsende Wohlstand. Die Boheme aus Medienleuten und IT-Unternehmern trifft sich mit jungen Staatsbediensteten wie Sacharowa auf denselben Veranstaltungen und Partys. Mit Putins Rückkehr in den Kreml und der Niederschlagung der Proteste im Winter 2011/2012 beginnen sich die Lager zu teilen. Sacharowa geht als eine von wenigen Regimevertreterinnen weiter in die Sendungen von Doshd und ist regelmäßig auf Radio Echo Moskwy zu hören. Im Mai 2020 willigt sie sogar zunächst ein, eine Debatte mit Alexej Nawalny zu führen, der da schon lange von allen Staatsmedien totgeschwiegen wird, macht dann aber im letzten Moment einen Rückzieher. Zwei Jahre später lebt ein Teil der Menschen, mit denen Sacharowa verkehrte, in der Emigration und sie selbst befeuert im Fernsehen den staatlich verordneten Hurra-Patriotismus. Das US-Außenministerium porträtiert sie unter der Kategorie Faces of Kremlin Propaganda.10

Wie bei ihrem Chef Sergej Lawrow paaren sich bei Sacharowa Intelligenz, großes Wissen, Arroganz und Chuzpe. Sacharowa spricht neben Englisch auch Mandarin und hat nebenbei noch promoviert. Als erste Frau in ihrem Amt hat sie ihrem Vater bewiesen, dass er Unrecht hatte: Neben dem Außenminister selbst ist sie heute das Gesicht und die Stimme der russischen Außenpolitik. Sacharowa hat einen neuen Stil geprägt. Einen Stil, in dem es nicht darum geht, Verbindendes zu finden, sondern zu polarisieren. Ihre schrillen Auftritte sind Teil dieses Programms: Mal posiert die Diplomatin in Hotpants für ein Selfie, mal beschwört sie in scharlachrotem Mantel zum Jahrestag der Krim-Annexion die traditionellen Werte eines heiligen Russlands. Mal isst sie mit frivoler Geste vor der Kamera Erdbeeren, mal tanzt sie zur Eröffnung des ASEAN-Gipfels in Sotschi Kalinka11 für die versammelten Staatsgäste. 

 

Maria Sacharowa auf einem Konzert anlässlich des achten Jahrestags der Krim-Annexion am 18. März 2022 im Moskauer Lushniki-Stadion / Foto © Alexander Vilf/Itar-Tass, Imago

Als Leiterin der Presseabteilung des Außenministeriums gehört Sacharowa seit 2015 auch zum Kreis derjenigen, die sich zu regelmäßigen Briefings in der Präsidialverwaltung einfinden. Dort gibt der stellvertretende Leiter der Präsidialverwaltung Alexej Gromow12 die Agenda für die staatlichen Medien vor. Er legt fest, welche Themen hochgezogen, und welche verschwiegen werden, wer gefeiert und wer verspottet wird und wie aktuelle Ereignisse zu deuten sind. Die Runde ist die Herzkammer zur Gleichschaltung der russischen Medien und Maria Sacharowa kommt dabei die Rolle zu, diesen Spin auch in den internationalen Medien zu platzieren.

Argumente und Stringenz sind dabei nachrangig. Getreu der Linie des Kreml leugnet Sacharowa bewiesene Fakten wie den Abschuss der malaysischen Boeing auf Flug MH17 oder die Massaker der russischen Armee in Butscha und streut Desinformationen. Im November 2017 behauptet sie in einer Fernsehsendung, das Weiße Haus in Washington habe Osama bin Laden empfangen – das Bild, das den Initiator der Anschläge auf das World Trade Center beim Shake Hands mit Hillary Clinton zeigt, ist ein Fake, der schon lange im Netz zirkuliert.13 Er wird umgehend entlarvt, aber das ist egal: Es geht eben nicht um rationales Überzeugen, sondern darum, das Publikum von den (für Russland oft nicht besonders günstigen) rationalen Argument weg auf emotionales Glatteis zu führen. Und darin ist Sacharowa eine Meisterin. 


1.Ministerstvo inostrannych del Rossijskoj Federacii: Stranicy istorii 
2.Maria Zarachova/Telegram am 21. Juni 2022 
3.Spiegel Ausland: Russland leitet Verfahren für Austritt aus Europarat ein 
4.Wachs, Lydia (Stiftung Wisschenaft und Politik, 03.03.2023): New Start vor dem Aus? Rüstungskontrolle als Teil Moskaus nuklearer Erpressungsstrategie 
5.Fischer, Sabine (Stiftung Wissenschaft und Politik, 22.12.2021): Moskaus Verhandlungsoffensive 
6.„Marija Zarachova postavila na mesto ...“ 
7.RIA Novosti: Zarachova predložila glavredu la Repubblica topit' dom svoimi gazetami 
8.YouTube/Meduza: Marija Zarachova otpravljaet finskogo žurnalista v Čečniju iskat' geev 
9.Novaya Gazeta: Natal'ja Sindeeva: «Medvedev ne sobiralsja u nas rabotat'» 
10.U.S. Department of State: Faces of Kremlin Propaganda: Maria Zakharova 
11.YouTube/Krym.Realii: Predstavitel' MID Rossii stancevala «kalinku» na sammite 
12.Gromow war Putins erster Pressesprecher nach dessen Ernennung zum Präsidenten 1999, bis er 2012 von Dimitri Peskow abgelöst wurde. 2012 machte ihn Putin zu Beginn seiner dritten Amtszeit zum stellvertretenden Leiter der Präsidialverwaltung. Zu seinen Aufgaben gehört die Gleichschaltung der Medien. 
13.BBC: Reality Check: Was Hillary Clinton photographed with Osama Bin Laden? 
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